Das «Rette sich wer kann»-Departement
Heute machen die Bundesräte unter sich aus, wer künftig welches Departement führt. Viola Amherd wird wohl im unbeliebten Verteidigungsministerium bleiben. Dort muss sie sich mit übermächtigen Generälen herumschlagen, welche die demokratische Kontrolle nach Belieben ausschalten. Und das ist nur ein Problem im VBS.
Von Eva Novak, 13.12.2019
Auch wer es im Militär zu etwas gebracht hat, hat deshalb noch lange keine Lust auf den VBS-Chefposten. Bestes Beispiel dafür ist Adolf Ogi. Er hatte sich wegen des Baus der Neat mit Kollege Otto Stich überworfen – und wurde 1995 vom Verkehrs- ins Verteidigungsdepartement bugsiert, das damals noch Eidgenössisches Militärdepartement hiess. Gegen seinen Willen, obschon er doch als Major ein Gebirgsfüsilier-Bataillon kommandiert und im Armeestab Strategien mitentworfen hatte.
Zum Trost für den ehemaligen Intersport-Direktor aus Kandersteg wurde das Militärdepartement wieder um den Sport ergänzt. Seit 1998 trägt es nun den sperrigen Namen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS – was es nicht beliebter gemacht hat.
Neu gewählte Mitglieder der Landesregierung, die ins VBS verknurrt werden, beteuern jeweils wortreich, wie gut es ihnen da gefalle, um bei erstbester Gelegenheit zu flüchten – egal wohin, bloss weg.
Seit 30 Jahren ist Eva Novak Korrespondentin im Bundeshaus. In dieser Zeit hat sie sieben Verteidigungsminister kommen und sechs gehen sehen. Sie gilt als eine der profiliertesten Medienschaffenden im Bereich Sicherheitspolitik. Am Montag lesen Sie, was Viola Amherd als erste Frau im Verteidigungsdepartement bisher erreicht hat – und was nicht.
Einmal kurz Verteidigung
In der Vergangenheit hat sich die Gelegenheit zur Flucht oft nach etwa drei Jahren geboten. So lange musste sich Jean-Pascal Delamuraz (FDP) gedulden, bis 1987 das Wirtschaftsdepartement frei wurde und er das Militär endlich abgeben konnte. Ebenso Guy Parmelin (SVP), den es 30 Jahre später ebenfalls zur (Land-)Wirtschaft zog. Dazwischen wechselte Arnold Koller (CVP) nach den ominösen drei Jahren 1989 vom Militärdepartement zu Justiz und Polizei. Mehr als doppelt so lang hielten es Kaspar Villiger (FDP, 1989–1995) und Ueli Maurer (SVP, 2009–2016) aus, bis sie ins Finanzdepartement umsiedelten – Villiger nach einer gewonnenen Kampfjet-Abstimmung über die F/A-18, Maurer nach einer verlorenen über den Gripen.
«Kurzaufenthalter» seien das gewesen, spottete SP-Doyen Helmut Hubacher kürzlich in seiner Kolumne im «Blick», in der er erzählte, er habe in seinen 34 Jahren im Nationalrat acht Verteidigungsminister erlebt, die im Schnitt nur gut vier Jahre geblieben seien. Hubacher ist seit zwanzig Jahren nicht mehr im Parlament, doch das Prinzip gilt weiterhin: Die Logenplätze an Fussball-WM-Finals, Skirennen oder Eröffnungen von Olympischen Spielen wissen die jeweiligen VBS-Chefs zwar sehr wohl zu schätzen. Das hindert sie aber nicht daran, Fahnenflucht zu begehen.
In der Bundesverwaltung kursieren dazu Witze mit wechselnder personeller Besetzung. Etwa so: «Parmelin wäre gerne im VBS geblieben …» Kunstpause, dann die Pointe: «Der Sport fehlt ihm.» Die aktuelle Amtsinhaberin reisst ihren Witz gleich selber: «Ich bin froh, in meinem Sportdepartement auch die Armee zu haben», sagte Viola Amherd Anfang November anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums der Sportförderung in Magglingen.
An Geld und Einfluss mangelt es nicht
Was macht dieses Departement so unattraktiv, dass es weitaus häufiger als in den anderen sechs zu Abgängen und Führungswechseln kommt?
Am Geld allein kann es nicht liegen, auch wenn das von bürgerlichen Politikern immer wieder ins Feld geführt wird (in linker Hand war das VBS noch nie). Wohl wurden nach Ende des Kalten Krieges die Mittel für die Verteidigung zwei Jahrzehnte lang gekürzt, bis sie noch bei rund 4,4 Milliarden Franken lagen. Doch unter Maurer leitete das Parlament die Trendwende ein. Seit drei Jahren steigt das Armeebudget wieder, bis 2030 soll es 5 Milliarden geben.
Über mangelnden Einfluss kann man sich als VBS-Chefin ebenfalls nicht beklagen. Zusammen mit dem Infrastrukturdepartement und dem Finanzdepartement zählt das VBS zu den drei «Machtministerien». So sagt es Oswald Sigg, der als Kommunikationschef Einblick ins VBS und ins Finanzdepartement und später als Regierungssprecher auch in die übrigen Departemente bekam. Mit rund 12’000 Angestellten beschäftigt das Verteidigungsdepartement rund ein Drittel der Bundesverwaltung.
Der Hauptharst – etwa 10’000 Männer und Frauen, die sich gut 9000 Stellen teilen – ist für die Armee tätig. Zählt man die rund 800 Mitarbeiter des Bundesamts für Rüstung alias Armasuisse dazu, ist das VBS zu 85 Prozent militarisiert. Die anderen Ämter wirken daneben winzig: Im Bevölkerungsschutz etwa sind es nur knapp 280 Stellen, im Nachrichtendienst etwas mehr als 300 und im Bundesamt für Sport rund 400 Stellen.
Der Armeechef residiert über der Chefin
Doch gerade für den VBS-Vorsteher ist es auch problematisch, dass die Armee innerhalb des Departements so übermächtig ist. Ihr Stellenwert zeigt sich daran, dass ihr Chef nicht etwa im Hauptquartier seiner Leute residiert, dem Berner «Pentagon» am Nordrand der Stadt. Sondern im Bundeshaus Ost, unmittelbar neben dem Parlamentsgebäude. Und das nicht etwa unter seiner politischen Chefin, sondern einen Stock über ihr. Das weiträumige, mit edlem Holz getäfelte Büro des «CdA», wie der Chef der Armee auf Militärdeutsch heisst, verfügt über einen eigenen Zugang, einen eigenen Lift und eigene Schlösser. In der ganzen übrigen Bundesverwaltung gibt es nichts Vergleichbares. Die anderen Amtsdirektoren werden in die Peripherie verbannt, in die Berner Vororte Ittigen, Köniz oder gar nach Biel.
Daneben muss die VBS-Chefin sich mit weiteren Besonderheiten arrangieren. Denn in ihrem Departement gibt es nicht einfach wie überall sonst in der Verwaltung Beamte, bei denen das Wissen – und damit die Macht – liegt. Sondern zusätzlich die «Generäle», wie die aktuell 53 höheren Stabsoffiziere im Volksmund genannt werden – obschon die Schweiz nur in Kriegszeiten einen eigentlichen General kennt. Diese bilden eine Parallelstruktur, die Mühe damit bekundet, das Primat der Politik anzuerkennen. Ihre eigene Agenda zu verfolgen, fällt den Militärs umso einfacher, als sie für die Sicherheit des Landes zuständig sind. Mit dem Hinweis, diese dürfe nicht gefährdet werden, können sie die demokratische Kontrolle jederzeit nach Gutdünken ausschalten.
Das geht zum Beispiel so: Als der Bericht zur Stabsübung «Stabilo Due» vor ein paar Jahren eklatante Führungsmängel im Ernstfall zeigte, wurde er nicht wie geplant an die beteiligten Kommandos und Stäbe verteilt. Stattdessen wurde er kurzerhand für geheim erklärt und in einem Tresor versenkt. Die «Zentralschweiz am Sonntag» machte Schlüsselstellen publik, die schonungslos aufdeckten, dass die Armeeführung aus der Vorgängerübung wenig bis gar nichts gelernt hatte. Mitglieder der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats monierten «haarsträubende Versäumnisse», sprachen von einem «Debakel» und verlangten den Bericht, Armeechef André Blattmann jedoch rückte ihn unter Hinweis auf die «nationale Sicherheit» nicht heraus.
Nach monatelangem Seilziehen gaben sich die Sicherheitspolitiker mit einer geschönten Zusammenfassung zufrieden, in der die wichtigsten Kritikpunkte schlicht nicht vorkamen. Und gingen zur Tagesordnung über.
Vertröstet, abgelenkt oder angelogen
Auch die politischen Vorgesetzten beissen sich an der Armee die Zähne aus. Wenn Rüstungsgeschäfte wie das Fliegerabwehrprojekt Bodluv, das Aufpeppen des Mannschaftstransporters Duro oder die Beschaffung des bis heute nicht funktionierenden Hightech-Minenwerfers «Mörser 16» aus dem Ruder laufen, werden sie gern vertröstet, abgelenkt oder auch einmal brandschwarz angelogen. Bis irgendein Medium den Skandal aufdeckt.
«Der militärische Körper verfügt über einen eigenen Korpsgeist, und den legt man nicht ab, wenn man es plötzlich mit einer übergeordneten zivilen Stelle zu tun bekommt», sagt Josef Lang. Der ehemalige grüne Nationalrat, Vorstandsmitglied der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), gilt bei Armeegegnern wie auch -befürworterinnen als profunder Kenner der Szene. Seine These untermauert er mit einer ganzen Reihe von Konflikten zwischen hohen Militärs und den VBS-Chefs.
Ein Beispiel: Als Anfang 1990 die geheime Widerstandsorganisation P 26 aufflog, wurde Kaspar Villiger «ganz schön an der Nase herumgeführt», wie es Lang formuliert. Villigers Informationschef Hans-Rudolf Strasser verschwieg ihm, dass er selber unter dem Decknamen Franz die Nummer 2 der Geheimarmee war. «Dann fand es ein Journalist heraus – und Villiger fiel aus allen Wolken», erinnert sich der Historiker Lang.
Militärische Machtanmassung hat Lang vor bald fünfzig Jahren am eigenen Leib erfahren als eines der Opfer des sogenannten «Hirschy-Befehls», benannt nach dem damaligen Ausbildungschef Pierre Hirschy. Dieser setzte 1972 auf dem Verordnungsweg die politischen Rechte «während der Dienstzeit und im Bereich der Truppe» ausser Kraft. Bevor der Hirschy-Befehl 1980 legalisiert wurde, fand eine Reihe von Prozessen der Militärjustiz gegen Soldaten statt – in der Lesart der GSoA «verfassungswidrige Sonderjustiz». Rekrut Lang wurde wegen Verletzung der Dienstvorschriften zu vier Monaten bedingt verurteilt, weil er für die Kasernenzeitung «Links zwei drei» einen Artikel «Für die demokratischen Rechte in der Armee» verfasst hatte. Divisionsgerichtspräsident am aufsehenerregenden Prozess war übrigens Robert Lenz, der Onkel des Schriftstellers Pedro Lenz.
Nicht die besten Köpfe kommen weiter
Dass die Generäle Macht erlangen, heisst nicht, dass sie besonders klug oder innovativ wären. Im militärischen System kommen nicht die besten Köpfe am weitesten. Nicht jene bringen es generell zu den meisten Sternen, die auch mal widersprechen und hinterfragen. Sondern jene, die die Befehle am besten ausführen.
Besonders weit kamen die Abnicker in den acht Jahren, in denen André Blattmann an der Spitze der Armee stand. Von seinen Untergebenen verlangte der Betriebsökonom Kadavergehorsam. Besonders eindrücklich zeigte sich das an einer Informationsrunde über die «Weiterentwicklung der Armee» in Luzern im Herbst 2014. Sämtliche anwesenden Brigadiers, Divisionäre und Korpskommandanten mussten ihre Unterschrift unter ein gemeinsames Bekenntnis zum damals höchst umstrittenen Reformwerk setzen, die übrigen ihre Signatur später abliefern.
Mit Kritik konnte der Armeechef mit der bisher weitaus längsten Amtszeit schlecht umgehen. Der «Tages-Anzeiger» machte dies als «System Blattmann» publik, das bedeute, «dass Blattmann sich gerne mit Jasagern umgibt und die Karrieren mancher kritischer Denker abgesägt hat». Blattmann trat Ende 2016 ab, doch die Folgen seines Wirkens sind bis heute spürbar.
Der «Friedensgeneral» schafft Probleme
Der Ärger der Verteidigungsminister mit den Armeechefs begann indes schon, als der Posten 2004 geschaffen wurde. Zuvor gab es in Friedenszeiten keinen eigentlichen Armeechef. Geführt wurde die Armee von der Kommission für Landesverteidigung, der alle Korpskommandanten, der Rüstungschef sowie der Generalsekretär des Departements angehörten. Der Generalstabschef war – wie der Bundespräsident in der Landesregierung – nur Primus inter Pares, er hatte zwar die militärische, nicht aber die politische Verantwortung.
Der Armeechef hingegen, von Kritikern als «Friedensgeneral» beschimpft, hat beides. Und kein Kollegium als Korrektiv, das ihn bei Fehlentscheidungen auf den Boden zurückholt und aus dem jemand Warnsignale an die Departementsspitze aussenden kann, wenn etwas schiefzulaufen droht.
Bereits Samuel Schmid – der «halbe SVP-Bundesrat», der später zum BDP-Bundesrat mutierte – musste die Nachteile des neuen Systems schmerzlich erfahren. Fliegergeneral Christophe Keckeis, den Schmid zum ersten starken Mann an der Spitze der Armee gemacht hatte, trat mit Vorliebe in politische Fettnäpfchen. Nachfolger Roland Nef entpuppte sich als Stalker. Dann kam Blattmann – ein «Bürogeneral», unter dem «eine völlig undurchschaubare Führungsorganisation aufgebaut» wurde, wie Jean-Pierre Bonny befand. Der ehemalige Oberst, FDP-Nationalrat und Chef des damaligen Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit beschwert sich in seinen kürzlich erschienenen Memoiren: «Es wimmelt von Stäben, selbst ich begreife dieses System nicht mehr.»
Der aktuelle CdA Philippe Rebord hat zwar keine weiteren Stäbe geschaffen und Ruhe in die Truppe gebracht, aber zum Preis von gesundheitlichen Problemen – oder gar eines Burn-outs, wie in Armeekreisen gemunkelt wird.
«Weil ein Feind fehlt, führt man gegeneinander Krieg»
Als wenn das alles nicht schon anspruchsvoll genug wäre, kommt eine schweizerische Besonderheit hinzu: das Schattenfechten. Die Armee ist zwar eine uralte Institution, so alt wie der Bundesstaat. Doch für einen Konflikt gebraucht wurde sie in ihrer ganzen Geschichte nicht, sie stand nie im realen Einsatz. Mit der Folge, die ein der Institution durchaus zugetaner Armee-Insider so schildert: «Weil ein Feind fehlt, führt man gegeneinander Krieg.»
Dass unter solch widrigen Umständen kein altgedientes Regierungsmitglied Lust verspürt, sich im VBS aufzureiben, ist verständlich. Lieber überlassen sie es den Einsteigern, für eine Annäherung der beiden «wenig permeablen Universen Armee und Departement» zu sorgen, wie es ein Chefbeamter mit vielen VBS-Jahren auf dem Buckel formuliert. Die Neuen haben aber keine Ahnung, wie der Hase läuft. Das wiederum stärkt nicht nur die Macht der Generäle, sondern auch – gleich wie in den anderen Departementen – diejenige der Verwaltung.
Von Hans-Ulrich Ernst, dem kürzlich verstorbenen Generalsekretär des damaligen Militärdepartements, ist dazu ein aufschlussreiches Bonmot überliefert. Als Adolf Ogi kurz vor seiner Pensionierung ins Militärdepartement versetzt wurde, bemerkte Ernst trocken, er habe bereits sechs Bundesräte erlebt, da werde er «auch unter dem siebten» seine Arbeit tun können. Allen war klar: Ernst meinte eigentlich «über».