Wir Sonntagsschüler des Liberalismus
Die Operation Libero soll Aline Trede gekauft haben? Unsere Reporter sind schockiert. Unverzüglich stellen sie die Grünen-Nationalrätin zur Rede. Und bei SP-Nationalrat Cédric Wermuth kommt ihr Loblied auf die Schweizer Liberalen schlecht an. Wahljahr-Serie «Homestory», Folge 16.
Von Daniel Ryser, Olivier Würgler (Text) und Goran Basic (Bilder), 17.09.2019
Anfang September platzte die Bombe. «Kandidatenkauf» titelte der «Blick» mit Verweis auf eine Recherche der WOZ. Verantwortlich: die Operation Libero. Zuerst weckte die Geschichte nur geringes Interesse bei uns: Wer interessiert sich schon für dieses langweilige Studentengrüpplein? Doch dann kam die Schreckensnachricht: Unsere geliebte Bierkumpanin Aline Trede sollte auch unter den gekauften Kandidatinnen sein.
Ein harter Schlag für uns Verfassungspatrioten. Noch einen Monat vorher hatten wir in unserem alljährlichen Ritual den Rütlischwur nachgespielt und den Eid auf die Verfassung abgelegt, und jetzt das: Die WOZ unterstellte der Operation Libero, womöglich gegen die Verfassung zu verstossen.
Die Geschichte handelte von einem als vertraulich gekennzeichneten Fragebogen, der an Kandidaten verschickt wurde, welche die Operation Libero ihrer politischen Positionen wegen als grundsätzlich unterstützungswürdig einstufte. Linke Politiker hätten sich in der Folge auf den wirtschaftsliberalen Kurs der Operation Libero verpflichten lassen, um im Gegenzug von einem Wahlkampfbudget von 1,5 Millionen Franken zu profitieren.
Umgehend manifestierte sich die Fragilität unserer eigenen politischen Identität: Hatte die SVP womöglich doch recht? Machen Linke und Nette unser Land kaputt? Denn glauben Sie, liebe Leserinnen und Leser, nichts ist uns heiliger als die Bundesverfassung.
«Ich muss aufpassen, dass ich nicht wieder lache, sonst schreiben Sie wieder, dass ich vor Lachen auf dem Küchentisch liege und gar nicht wie eine Gulag-Leiterin aussehe», sagt Aline Trede, als wir die Grünen-Nationalrätin an einem Montagmorgen in ihrem Berner Büro dem Verhör unterziehen: «Frau Trede, haben Sie sich von der Operation Libero kaufen lassen und Ihre linken Positionen verraten?»
Aline Trede sagt, dass sie bis heute nicht verstanden habe, was das Problem sei.
«Wir kriegen in jedem Wahlkampf Hunderte von Fragebogen, wo es um eine allfällige Unterstützung geht», sagt die Berner Politikerin. «Die Kriterien, wie man am Schluss unterstützt wird, sind bei fast allen Organisationen nicht wirklich transparent. Ich fülle aber alle Fragebogen aus. Wer mich unterstützen will, kann das tun, wer nicht, soll es nicht tun. So war es auch mit der Operation Libero. Man kann kritisieren, dass der Fragebogen sehr auf die Positionen der Grünliberalen zugeschnitten war. Ich würde zum Beispiel verstehen, wenn man die Frage aufwerfen würde: Ist die Operation Libero zur persönlichen Wahlkampfmaschine ihres Gründers Nicola Forster verkommen, des GLP-Kandidaten?»
Zwei seriöse Republik-Reporter touren kreuz und quer durch die Schweiz und suchen Politikerinnen heim. Sie wollen die Demokratie retten … obwohl, nein, eigentlich wollen sie sich vor allem betrinken und dass die Politiker sie nicht mit Floskeln langweilen. Das ist «Homestory» – die Wahljahr-Serie. Zur Übersicht.
Folge 3
Protestantische Disziplin, katholischer Genuss
Folge 4
Lust for Life
Folge 5
Highway to the Danger Zone
Folge 6
Und täglich grüsst das Murmeltier
Folge 7
Like a Prayer
Folge 8
Black Hawk Down
Folge 9
Brokeback Olten
Folge 10
Kommando Leopard
Folge 11
In einem Land vor unserer Zeit
Folge 12
Straight White Male
Folge 13
When the Man Comes Around
Folge 14
Die Posaune des linksten Gerichts
Folge 15
Guns N’ Roses
Sie lesen: Folge 16
Wir Sonntagsschüler des Liberalismus
Folge 17
Alles wird gut
Folge 18
Höhenluft
Folge 19
Im Osten nichts Neues
Folge 20
Here We Are Now, Entertain Us
Sie sei wegen ihrer Position zur offenen Aussenpolitik angefragt worden. Weil sie die rechtsbürgerliche Blockade der letzten vier Jahre überwinden wolle, sei sie auch bereit, überparteilichen Wahlkampf zu machen. Die Operation Libero sei zwar keine linke Organisation, aber immerhin so etwas wie ein «vernünftiger Freisinn», sagt Trede.
Überparteilicher Wahlkampf bedeute nicht, dass man auf die andere Seite gezogen werde, wie das ihr und den anderen Grünen-Kandidatinnen dann vorgeworfen worden sei. «Ich habe immer gesagt: Ja zum Rahmenabkommen, aber nur mit Nachverhandlungen im Bereich Lohnschutz. Keine meiner Positionen habe ich aufgegeben. Was auch nicht Bedingung war, um von der Operation Libero gepusht zu werden. Der Sozialdemokrat Arber Bullakaj, einer ihrer fünf jetzigen Top-Kandidaten, hat bei der Erhöhung des Rentenalters auf 67 Nein angekreuzt. Trotzdem wird er von der Operation Libero als Top-Kandidat unterstützt.»
Trede erzählt uns von ihrem Parteikollegen, dem Biobauer Kilian Baumann, und wie der Schweizer Bauernverband tatsächlich Kandidaten mit Zahlungen auf seine Positionen verpflichte. Weil Baumann beim Bauernverband-Fragebogen angekreuzt habe, dass er dagegen sei, Ausgleichsflächen für Biodiversität zu minimieren, wie es der Verband fordert, «wird er jetzt auch nicht unterstützt und kriegt keine finanzielle Unterstützung».
1,5 Millionen Franken Kampagnenbudget, wie es der Operation Libero offenbar vorschwebt, das ist ja ganz schön viel Geld, und wir fragen uns, warum Trede ihre Kampagne nicht vom Grand Hotel Bellevue Palace aus führt und uns Champagner und Austern serviert, anstatt uns mit diesem winzigen Büro im Berner Nirgendwo abzuspeisen.
«1,5 Millionen – von dieser Zahl hörte ich das erste Mal in der Zeitung», sagt sie. «Es gab ein einziges Treffen zwischen uns, den fünf Grünen-Kandidaten, die unterstützt werden sollten, und der Operation Libero. Von Geld in diesem Ausmass war nie die Rede. Wir fragten, woher überhaupt ein bisschen Geld kommen sollte, um Plakate zu drucken oder Inserate zu schalten. Die Antwort war akzeptabel: aus einem Crowdfunding.»
«Wissen Sie, wie viel es ist?»
«Ich weiss das, was in der Zeitung stand: 26’000 Franken. Verteilt auf 47 Kandidierende. 1,5 Millionen Franken war offenbar eine Zielgrösse. Wenn das so stimmt, zeigt das, wie krass man sich bei der Operation Libero verkalkuliert hat. Denn viel mehr Geld als diese 26’000 wird sicher nicht zusammenkommen. In einem emotionalen Abstimmungskampf, da sind die Menschen bereit, viel Geld zu spenden. Aber doch nicht für einen überparteilichen Wahlkampf.»
Irgendwie hatten wir zwei Hobbydetektive bei dieser Geschichte immer schon ein wenig das Gefühl gehabt, dass sie vor allem auch von einer Abneigung gegenüber der Operation Libero getrieben war. Es wurden schliesslich die ganz grossen Geschütze ausgepackt, um eine Praxis zu kritisieren, die in der Schweizer Politik gang und gäbe ist: «verfassungswidrig», «Kandidatenkauf». Aber hätten diese Vorwürfe zugetroffen, hätte eine Welle von Rücktritten erfolgen müssen. Übrig blieb nicht viel, und wir fragen Aline Trede, wie sie sich die Aufregung erkläre.
«Zuerst einmal, ganz banal: Auf einem Fragebogen, der absolut transparent zu sein hat, steht ‹vertraulich› drauf. Das geht natürlich überhaupt nicht, und das hätte ich als Kandidatin merken müssen», sagt sie. «Zweitens gibt es im linken Lager berechtigterweise grosse Ressentiments gegenüber der Operation Libero.»
Im Abstimmungskampf gegen die Durchsetzungsinitiative 2016 sei Trede wie unzählige andere linke Politikerinnen und Politiker Tag und Nacht unterwegs gewesen, um die Initiative zu bodigen. Ein linkes Komitee habe für den Abstimmungskampf über eine Million Franken gesammelt. «Doch nach der extrem emotionalen Abstimmung wurde der ganze Erfolg Flavia Kleiner und der Operation Libero zugeschrieben», sagt Trede. «Sie hätten die entscheidenden Mehrheiten beschafft, war das Narrativ, das die Operation Libero gekonnt kommunizierte und die Medien nur zu gerne aufnahmen und völlig unkritisch verbreiteten. Und die Linken, die die ganze Arbeit gemacht hatten, fühlten sich verarscht.»
Wir sind doppelt fröhlich. Einerseits ist Aline Trede unschuldig. Andererseits ist mit der Operation Libero der vernünftige Freisinn zurückgekehrt.
Gerne erinnern wir uns, wie diese strahlenden Gesichter erstmals auftauchten, die von einer weltoffenen Schweiz schwärmten und uns fröhlich die Menschen in den Niedriglohnsektoren vergessen liessen oder die abgewiesenen Asylbewerber in den Notunterkünften. Die uns die Schweiz wieder als das zu begreifen lernten, was sie für gutbürgerliche Kinder wie uns auch ist: ein Chancenland, ein Volk von strahlenden jungen Akademikerinnen, ein einziger grosser Google-Campus mit Vergnügungspark, wo man während der Arbeit auch mal ein fröhliches Pingpong-Match mit dem Chef spielt und nach Feierabend im umweltfreundlichen Tesla Richtung Sonnenuntergang düst.
Mit Girlanden und Partygebäck fahren wir nach Zofingen zu SP-Ständeratskandidat Cédric Wermuth, der ideellen Gesamtstimme der Schweizer Sozialdemokratie, um die frohe Botschaft zu feiern. Wir stehen kurz vor dem Hyperventilieren, doch Wermuth holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. «Nehmen wir zum Beispiel den Kanton Aargau», sagt der 33-Jährige. «Der Freisinn hier hat eine hoch reaktionäre Geschichte. Die Vaterländische Vereinigung gibt es immer noch. Sie wurde einst gegründet, um den Generalstreik niederzuschlagen. Da sind bei uns neben SVP-Nationalrat Andreas Glarner auch Freisinnige mit dabei. Der liberale Freisinn, von dem immer alle erzählen und von dem die Operation Libero schwärmt, den hat es hier nie gegeben, zumindest nicht mit Einfluss. Die ehemalige FDP-Ständerätin Christine Egerszegi war eine historische Ausnahme. Sonst herrschte im Aargau immer ein beinharter rechtskonservativer Freisinn.»
«Aber Herr Wermuth, was ist mit diesem Narrativ der Operation Libero vom Chancenland Schweiz? Muss man das nicht einfach mögen?»
«Als Linker sehe ich das zwiespältig. Einerseits muss ich ja irgendwie Freude haben, wenn es wieder eine realliberale Bewegung gibt. Das Problem aber ist doch, dass heute alle, die nicht die Flüchtlinge als Grundübel betrachten, automatisch als links gelten. Wenn die Operation Libero das neue Links ist, dann ist das ein Problem. Wenn sie die neue liberale Position sein soll: Dann ist das gut. Etwas böse gesagt ist die Operation Libero die Jugend der Economiesuisse.»
«Wieso böse gesagt? Stimmt das denn nicht?»
«Die Operation Libero hat eine Papa-kann-zahlen-Haltung. Man bewegt sich in einer Welt, in der offenbar alle in Privilegien aufgewachsen sind oder sich diese von mir aus erarbeitet haben. Eine Generation, die an die Leistungsgesellschaft glaubt. Das ist zwar eine legitime Position. Gerade in Migrationsfragen kann man gut mit diesen Leuten zusammenarbeiten. Aber es ist halt keine linke Position.» Bei der Debatte um das Rahmenabkommen zum Beispiel blende die Operation Libero die soziale Frage vollständig aus, sagt Wermuth. «In ihrer Welt gibt es keine Menschen, die mit tiefen Löhnen um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen müssen.»
Ihn nerve diese Wischiwaschi-Position, die behaupte, es gebe kein links und kein rechts mehr, sondern nur noch vernünftig und unvernünftig. «Als gäbe es keine gesellschaftlichen Kämpfe mehr. Als ginge es für alle nur noch darum, den Weg in den Verwaltungsrat der UBS zu öffnen. Als wäre das eine wünschenswerte Gesellschaft. Als wäre das überhaupt möglich. Konflikte um Herrschaft werden dadurch überdeckt.»
Das von der Operation Libero propagierte Gesellschaftsmodell, das die sogenannte Leistungsgesellschaft idealisiere, halte er für falsch. Zudem halte er es auch nicht für nachhaltig. «Die Operation Libero wird nie eine Klimapolitik formulieren, die das Problem vom Südsudan ins Zentrum stellt. Es ist nicht ihre Perspektive. Sie überhöht die Realität dieses Landes. Sie propagiert ein Zurück zu einer Schweiz, die es nie gegeben hat. Dieses liberale Chancenland Schweiz – dieses Land gab es nie. Die Schweiz war immer ein schwer bürgerlich geprägtes Land, in der die Herrschenden ihre Privilegien verteidigt haben. Die Operation Libero ist als liberale Bewegung sehr willkommen. Denn die FDP ist das schon lange nicht mehr. Aber dieser Macronismus ist keine Hoffnungsperspektive für die Linke. Der reale linke Diskurs fängt bei Didier Eribon an und nicht bei der Operation Libero.»