In einem Land vor unserer Zeit
Auf der Suche nach verkappten Stalinisten unter den Klimaschützern treffen die beiden Reporter den Zürcher GLP-Kantonsrat Jörg Mäder und die Grünen-Nationalrätin Aline Trede. Doch die entpuppen sich als Nerd und als Humoristin. «Homestory», Folge 11.
Von Daniel Ryser, Olivier Würgler (Text) und Goran Basic (Bilder), 16.08.2019
Ein Mann, der mal irgendein Schwingerkönig war, freut sich in seiner Eröffnungsrede sehr, dass SVP-Ständeratskandidat Roger Köppel zum Auftakt von «Mein Wahlkampf» nach Adlikon ins Restaurant Post gekommen ist. Am Eingang liegen Exemplare der «Weltwoche» auf. Köppel: Politiker, Handelsreisender, KMU. Die Feuerwehr hat hier im Zürcher Weinland mit dreihundert Besuchern gerechnet und regelt draussen den Verkehr, aber es kommen nur siebzig, in karierten Hemden die meisten, getrunken wird saurer Most, der Altersdurchschnitt ist fünfundsechzig, und es ist ein Abend einer Schweiz, die dabei ist, zu verblühen.
Zwei seriöse Republik-Reporter touren kreuz und quer durch die Schweiz und suchen Politikerinnen heim. Sie wollen die Demokratie retten … obwohl, nein, eigentlich wollen sie sich vor allem betrinken und dass die Politiker sie nicht mit Floskeln langweilen. Das ist «Homestory» – die Wahljahr-Serie. Zur Übersicht.
Folge 3
Protestantische Disziplin, katholischer Genuss
Folge 4
Lust for Life
Folge 5
Highway to the Danger Zone
Folge 6
Und täglich grüsst das Murmeltier
Folge 7
Like a Prayer
Folge 8
Black Hawk Down
Folge 9
Brokeback Olten
Folge 10
Kommando Leopard
Sie lesen: Folge 11
In einem Land vor unserer Zeit
Folge 12
Straight White Male
Folge 13
When the Man Comes Around
Folge 14
Die Posaune des linksten Gerichts
Folge 15
Guns N’ Roses
Folge 16
Wir Sonntagsschüler des Liberalismus
Folge 17
Alles wird gut
Folge 18
Höhenluft
Folge 19
Im Osten nichts Neues
Folge 20
Here We Are Now, Entertain Us
Die lokale Parteiprominenz ist dem Anlass ferngeblieben wegen des Streits mit dem nach den Zürcher Kantonsratswahlen abgetretenen Präsidenten Konrad Langhart, einer von ihnen, ein Bauer, einer vom Weinland. Köppel sagt, es sei wichtig, auf ein paar Themen eine Kompetenz aufzubauen, und redet über den Rahmenvertrag, und dann spricht er vom Klimawandel: Irgendwie gibt es einen Klimawandel, und irgendwie aber doch nicht, aber eigentlich scheint sich dabei sowieso alles nur um Kommunismus und Enteignungen zu drehen und um eine Reise zurück ins Mittelalter, «als nur Reiche und Könige herumreisen konnten», das sei es, was «diese grünen Enteigner und Sozialisten wollen». Die Aufregung um die Klimaerwärmung, sagt Köppel, sei unverständlich, denn bewiesen sei gar nichts, und in der Schweiz sei das Klima ja auch schon einmal tropisch gewesen, und ein Mann in der ersten Reihe, der während der ganzen Rede mitgeschrieben hat, sagt, er wähle seit dreissig Jahren SVP, dieser Mann also sagt, wäre es denn nicht besser, wenn die SVP-Spitze nicht einfach leugnen würde, dass es einen Klimawandel gebe, sondern hervorheben würde, was die Bauern alles für das Klima täten, und zudem habe er das jetzt auch gar nicht so genau verstanden, wann es denn in der Schweiz tropisch gewesen sein soll, das sei ihm nicht bekannt gewesen, und Köppel antwortet, «ja, also tropische Temperaturen hatten wir vor vielen Millionen von Jahren auf dem Planeten, zu Zeiten der Dinosaurier war es extrem heiss, aber eben, ich bin ja auch kein Naturwissenschaftler».
Irgendwie sind wir nicht ganz überzeugt von Köppels Dinosaurier-Argument. Aber wie Köppel sind auch wir keine Naturwissenschaftler, doch zum Glück haben wir einen kennengelernt, und zwar, als wir den Zürcher GLP-Co-Kantonalpräsidenten Nicola Forster an einem regnerischen Abend vor dem McDonald’s am Stauffacher beim Flyerverteilen begleiteten: Jörg Mäder, Zürcher GLP-Kantonsrat, Stadtrat von Opfikon, Nationalratskandidat, gescheiterter Regierungsratskandidat, promovierter ETH-Umweltnaturwissenschaftler. Seine Dissertation trägt den Titel «Haupteinflussfaktoren auf das stratosphärische Ozon in der nördlichen Hemisphäre». Mäder sah an diesem Abend mit seinem Rossschwanz und der hellgrünen Softshelljacke mit GLP-Aufdruck aus wie ein Nerd, und als solcher bezeichnete er sich dann auch gleich. Wir verabredeten uns sofort für eine E-Bike-Tour durch Opfikon-Glattbrugg.
Wir sitzen nach einstündiger Stadtrundfahrt mit grauen Elektrovelos im Keller des Stadthauses Opfikon in der Cafeteria und trinken Kaffee, und Jörg Mäder erzählt uns, dass man in der Naturwissenschaft nichts wirklich beweisen könne, was womöglich auch Roger Köppels Pirouetten erkläre. Aber man könne eine These aufstellen und versuchen, sie so gut wie möglich zu falsifizieren, dabei suche man nach dem Modell, das möglichst viele der vorhandenen Daten möglichst gut erklären könne. Und die Modelle, die betreffend Klimawandel heute am meisten erklärten, würden alle menschlichen Einflüsse beinhalten, «und deshalb ist es klar, dass der Klimawandel, der jetzt in dieser Art und in diesem Tempo stattfindet, vom Menschen getrieben ist». Mäder erzählt von Verschiebungen von Wetterregionen, drohenden Hungersnöten, massenhaften Migrationsbewegungen. «Die Welt wird uns überleben», sagt der Grünliberale. «Die Frage ist, wie lange wir im Spiel bleiben.» Aufgepeitscht von Roger Köppel nehmen wir den Grünliberalen in die Mangel: «Geben Sie zu, dass Sie ein Kommunist sind, der die Leute enteignen möchte!»
«Roger Köppels Strategie ist ein klassisches Ablenkungsmanöver», sagt Mäder. «Er redet dauernd davon, dass hinter der Klimabewegung eigentlich die Kommunisten stecken: Man nennt das ein Strohmann-Argument. Man bekämpft dabei nicht das eigentliche Argument seines Gegners, sondern unterstellt ihm eine andere Absicht und bekämpft dann diese. Du unterstellst mir demnach, ich wolle die Leute enteignen, ich sei nämlich ein Kommunist, und dann erklärst du den Menschen, weshalb Enteignungen und Kommunismus etwas Schlechtes seien, und somit bin auch ich etwas Schlechtes, obwohl ich von Enteignung und Kommunismus gar nie gesprochen habe. Mit meinem ursprünglichen Argument musst du dich aber nicht mehr auseinandersetzen.»
Mäder bombardiert uns mit Studien, mit Argumenten, und so langsam kommen bei uns Zweifel auf, ob dieser Mann wirklich ein böser Stalinist ist oder nicht doch viel eher einfach ein promovierter Naturwissenschaftler, der ziemlich genau weiss, wovon er redet. Wir wissen nicht mehr weiter. Unsere drogengeschädigten Hirnüberbleibsel laufen auf Hochtouren. Aber wir finden kein passendes Argument mehr. Doch dann erinnern wir uns an unseren letzten Spaziergang im Wald, wo wir uns mit Fliegenpilzen verköstigten und so viele so schöne Bäume gesehen haben: «Was ist mit dem Waldsterben, Herr Mäder? In den Siebzigern hat man uns erzählt, bald werde es den Wald nicht mehr geben, aber die Bäume gibt es immer noch. Schachmatt.»
«Wenn man die wissenschaftlichen Publikationen aus jener Zeit studiert, sieht man ganz klar: Sie sind nach wie vor korrekt und fundiert», entgegnet Mäder. «Die Dramatik wurde von den Medien und Politikern erzeugt. Die haben sich gegenseitig hochgeschaukelt. Aber es wurde auch sehr viel getan, um dem Sterben entgegenzuwirken: Katalysatoren wurden eingeführt. Fragt mal jemanden von der FDP, wie die das heute sehen: Wollen sie wieder Blei im Benzin? Wollen sie die alten Abgasvorschriften für Heizungen und Kamine? Niemand will das. Es gab damals eine gewisse Hysterie, und trotzdem sind 95 Prozent der Massnahmen, die ergriffen wurden, sinnvoll. Das Waldsterben war keine Fata Morgana. Es ist ausgeblieben, weil man gehandelt hat.»
«Und wie ist das heute? Klimahysterie oder reale Gefahr?»
«Das Thema wird ja in der Wissenschaft nicht erst seit kurzem, sondern schon sehr lange fundiert untersucht. Die Ergebnisse sprechen leider eine deutliche Sprache: Es ist definitiv mehr als ein Hype.»
«Herrscht Klimanotstand?»
«Es herrscht Handlungsbedarf.»
«Also kein Notstand?»
«Wo liegt die Grenze?»
«Gewisse Gruppen wollen den Klimanotstand ausrufen. Was sagen Sie uns als unterdurchschnittlich informierten Bürgern? Herrscht Notstand: Ja oder nein?
«Für euer persönliches Restleben: Nein. Für eure Kinder: Ja.»
Jörg Mäder mit seinem Rossschwanz und seiner grünliberalen Softshelljacke konnte den Verdacht entkräften, ein verkappter Stalinist zu sein, der uns beide in eine Klimakolchose stecken will, doch unser Ermittlungsverfahren gegen die Grüne Partei ist noch in vollem Gang. Die Ermittlungen führen uns zurück an den Küchentisch der Grünen-Nationalrätin Aline Trede, die wir mit einem aktuellen und sehr belastenden Tweet von Roger Köppel konfrontieren: «Null CO2, dh Ausstieg aus der fossilen Energie sowie Kernkraft bedeutet: Untergang der industriellen Zivilisation, Millionen Tote durch weltweiten Stromausfall, Massenarmut, Rückfall in die Klassengesellschaft, sozialer Unfriede bis hin zu Bürgerkrieg und Mord & Totschlag.»
Aline Trede liegt vor Lachen auf dem Küchentisch und wirkt dabei nicht wirklich wie eine grüne Gulag-Leiterin aus den Twitter-Horrorszenarien des SVP-Politikers. Aber der Schein kann trügen. Josef Stalin hätte mit seinem Aussehen als Zwanzigjähriger vermutlich auch eine Karriere als Fotomodell machen können. Also fragen wir mal.
«Wenn wir Roger Köppel beim Wort nehmen, und wir tun das jetzt einfach mal, dann müssen wir davon ausgehen, dass Sie uns künftig in der Klimakolchose herumkommandieren werden. Wollen Sie das, Frau Trede?»
«Ich weiss noch nicht einmal, was er mit all seinen Aussagen meint. Was meint er denn mit Stromausfall? Millionen Toten? Rückkehr in die Klassengesellschaft? Köppel ist ständig auf einem Klamauk-Niveau. Man müsste es mit ihm erst einmal auf eine Ebene bringen, wo man normal reden kann. Aber er geht mir im Parlament aus dem Weg. Was schade ist. Ich würde gerne mal mit ihm ein Bier trinken.»
«Er trinkt kein Bier.»
«Dann kann er einen Tee trinken, und ich trinke ein Bier. Manchmal weiss ich nicht mehr, was Satire ist und was Ernst. Das geht mir auch bei anderen Hardlinern so. Ich erinnere mich an eine Sitzung in der Sicherheitspolitischen Kommission mit dem damaligen SVP-Nationalrat Hans Fehr. Er sagte: ‹Wir brauchen neue Panzer, denn der Russe steht schon auf der Krim.› Ich sagte: ‹High five Hans, geiler Witz!› Und dann habe ich gemerkt: Der meint das todernst.»
Wir fragen sie, ob das wirklich alles einfach so lustig ist, wenn wir zum Beispiel mal schauen, wer diese Klima-Tweets von Roger Köppel likt und retweetet. Es sind vor allem Menschen aus Deutschland, die sich in ihren Twitter-Profilen zum Rechtsextremismus bekennen, zur AfD oder zu «Alt-Right» oder «Identitär» und sich «Oberbefehlshaber der europäischen Remove Streitkräfte (Fortress Europe)» nennen oder «Neu-Rechter Verschwörungstheoretiker», und dass dies womöglich Menschen sind, die tatsächlich gerne Menschen in Lager stecken würden, Menschen wie uns oder Aline Trede. Trede sagt, natürlich sei dieser Klamauk am Schluss ja eigentlich überhaupt nicht lustig, sondern im Gegenteil ziemlich gefährlich. «Köppel weiss schliesslich, was er mit seinen Witzen und Worten auslöst, welche Brandherde er legt», sagt Trede. «Und trotzdem fällt es mir schwer, sein Geschwafel in den sozialen Medien allzu ernst zu nehmen. Ich muss eine Distanz zu dieser Welt schaffen. Sonst geht es nicht mehr.»