May tritt ab, Kurz tritt wieder an – und AKK tritt nach
Woche 22/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Ronja Beck und Oliver Fuchs, 31.05.2019
Geschacher um EU-Chefposten beginnt
Darum geht es: Am Sonntag sind die Europawahlen zu Ende gegangen. Das Resultat: ein fragmentierteres Parlament. Sowohl der Block der Sozialdemokraten als auch jener der Christdemokraten ist geschrumpft. Zugelegt haben die Liberalen, die Grünen – und die Rechtspopulisten. Unseren Kommentar zum Wahlergebnis finden Sie hier.
Warum das wichtig ist: Jetzt beginnt das Ringen um die Top-Posten – und um die Macht zwischen dem Parlament und dem Rat der Staats- und Regierungschefs. Denn nun geht es um die Wahl der neuen Kommissionspräsidentin, also um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker. Diese wird von den Staatschefs der EU-Länder nominiert, muss aber vom Parlament abgesegnet werden. Im Zentrum steht die Frage, ob nur die sogenannten Spitzenkandidaten der jeweiligen Blöcke für den Job infrage kommen. Das Parlament besteht aktuell darauf – verschiedene Staatschefs portieren allerdings Alternativen wie den französischen Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier oder die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.
Was als Nächstes geschieht: Bis die neue EU-Spitze steht, dürften einige Wochen verstreichen. Neben den institutionellen Fragen spielen auch nationale Befindlichkeiten eine Rolle. Denn es gibt zahlreiche weitere Posten zu besetzen, beispielsweise jene der EU-Kommissare. Kein Land will hier völlig aussen vor bleiben.
Rumänischer Parteichef Liviu Dragnea inhaftiert
Darum geht es: Liviu Dragnea, Vorsitzender der in Rumänien regierenden sozialdemokratischen PSD, ist in Haft. Am Tag nach der Europawahl hat ihn die Polizei vor laufenden Kameras abgeführt. Er muss dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Dies, weil er nun auch in letzter Instanz wegen Amtsmissbrauchs schuldig gesprochen wurde.
Warum das wichtig ist: Liviu Dragnea gilt als der mächtigste Politiker Rumäniens – und als gewiefter Strippenzieher. Dragnea besetzte im Laufe seiner politischen Karriere verschiedene Ministerposten, 2016 wurde er zum Chef der Abgeordnetenkammer gewählt. Und das, obwohl er damals bereits wiederholt ins Visier der Justiz geraten war. Zeitweise liefen mehrere Verfahren gleichzeitig wegen Korruption gegen Dragnea. Erstmals war er 2015 wegen Wahlmanipulation verurteilt worden. Seine Gegner werfen ihm vor, dass er während seiner Amtskarriere den rumänischen Rechtsstaat auszuhöhlen versuchte.
Was als Nächstes geschieht: Dragneas Verhaftung kommt für seine regierende PSD zu einem denkbar ungünstigen Moment: Eben erst hat sie bei den Europawahlen massiv verloren, die proeuropäisch-liberale Konkurrenz ging in Rumänien als Sieger aus dem Rennen. Dass es noch dieses Jahr zu Neuwahlen kommt, ist deshalb sehr wahrscheinlich.
Österreichs Kanzler verliert Misstrauensabstimmung
Darum geht es: Sebastian Kurz ist nicht mehr österreichischer Bundeskanzler. Eine Mehrheit der Parlamentsabgeordneten hat den 32-Jährigen am Montag in einem Misstrauensvotum aus dem Amt gewählt. Mit ihm scheiden auch die Minister seiner Partei, der ÖVP, aus den Ämtern. Am Donnerstag gab Bundespräsident Alexander Van der Bellen bekannt, wer interimistisch übernehmen soll: Brigitte Bierlein. Sie war bis anhin Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Sie wird die erste Kanzlerin Österreichs.
Warum das wichtig ist: Nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos ging Kurz auf Distanz zu seinem Koalitionspartner, zur in Verruf geratenen FPÖ. Vergebens. Die FPÖ sowie die oppositionellen Sozialdemokraten und die Partei Jetzt stellten sich am Montag geschlossen gegen ihn. Kurz geht in die Geschichte ein als der erste abgewählte Kanzler Österreichs. Bei der FPÖ dürften Rachegelüste eine Rolle gespielt haben. Die SPÖ sah wohl eine Chance, der ÖVP ihre Galionsfigur zu nehmen – und sie so für die Neuwahlen kommenden September zu schwächen. Dann will Kurz nämlich wieder antreten. Und er schöpft bereits Hoffnung aus der Europawahl: Da hat seine ÖVP nämlich um 8 Prozent zugelegt.
Was als Nächstes geschieht: Noch steht nicht die ganze Übergangsregierung. Diese soll bis zu den Neuwahlen im September von allen politischen Kräften gestützt sein. So soll vorerst Ruhe einkehren im österreichischen Parlament.
Regierungsbildung in Israel gescheitert
Darum geht es: In der Nacht auf Donnerstag hat das israelische Parlament – die Knesset – für seine Auflösung gestimmt und Neuwahlen beschlossen. Premierminister Benjamin Netanyahu war es trotz seines Wahlsiegs vor sieben Wochen nicht gelungen, eine Regierungskoalition zu bilden.
Warum das wichtig ist: Premierminister Netanyahu ist seit Jahren der Fixpunkt in der israelischen Politlandschaft. Er hat so manchen Politskandal überlebt und Herausforderer von links und rechts in Schach gehalten. Derzeit führt er eine Abwehrschlacht gegen die Justiz; Korruptionsvorwürfe stehen im Raum. Und doch schien es, als hätten er und seine Verbündeten bei der Wahl im April eine komfortable Mehrheit für eine fünfte Amtszeit errungen. Doch es gelang Netanyahu in der Folge nicht, ein Zerwürfnis innerhalb seines rechten Lagers zu kitten. Die Ultraorthodoxen und die Partei des säkularen Nationalisten Avigdor Lieberman weigerten sich, mit dem jeweils anderen in eine Regierungskoalition einzutreten. Auslöser des Konflikts ist die Wehrpflicht für strenggläubige Juden. Lieberman pocht auf ein strengeres Regime, die Ultraorthodoxen würden sie am liebsten wieder ganz abschaffen.
Wie es jetzt weitergeht: Am 17. September sind die Israelis erneut an die Urnen gerufen. Es ist keinesfalls sicher, dass sich das Ergebnis der Aprilwahl praktisch identisch wiederholen wird. Denn erstens ist Israel bekannt für seine unbeständige Parteienlandschaft: Splits, Bündnisse und Neuformierungen sind praktisch an der Tagesordnung. Und zweitens könnte die Aussicht auf ein Ende der Ära Netanyahu Gegner wie auch Anhänger des Premiers zusätzlich mobilisieren.
Rennen um Theresa Mays Nachfolge beginnt
Darum geht es: Seit Theresa May vergangenen Freitag ihren Rücktritt ankündigte, ist das Rennen um ihre Nachfolge in vollem Gang. Elf Kandidaten haben bisher Interesse bekundet. Die ehemaligen Minister Boris Johnson und Dominic Raab gelten als Top-Favoriten. May wird am 7. Juni als Parteichefin der konservativen Tories zurücktreten und bleibt bis zur Neuwahl Premierministerin.
Warum das wichtig ist: Als Brexit-Premierministerin ist Theresa May grandios gescheitert. Ihre EU-Deals wurden vom britischen Parlament zerpflückt, ihre Minister legten reihenweise die Ämter nieder. May verlor beinahe täglich an Vertrauen. Ihr Rücktritt kam deshalb wenig überraschend. Anders könnte es bei ihrer Nachfolge kommen. Zurzeit schwimmen die ehemaligen Aussenminister Boris Johnson und ihr ehemaliger Brexit-Minister Dominic Raab obenauf, beide sind Brexit-Hardliner. Doch Spitzenkandidaten haben es bei den Konservativen schwer, unerwartete Gewinner sind eher die Regel als die Ausnahme. Das war bei Theresa May der Fall wie auch bei ihrem Vorgänger David Cameron. Zudem muss sich Boris Johnson nun vor Gericht verantworten: Er soll im Zusammenhang mit dem Brexit-Referendum die Bevölkerung mit Falschaussagen in die Irre geführt haben. Inwiefern ihm dies im Rennen um den Premierposten schaden könnte, bleibt abzuwarten.
Was als Nächstes passiert: Laut den Tories sollen die offiziellen Nominationen am 10. Juni bekannt gegeben werden. Nach einem mehrstufigen Wahlprozess werden sich die 120’000 Parteiangehörigen zwischen zwei Kandidaten entscheiden müssen. Ende Juli soll dann der neue Premierminister oder die neue Premierministerin gewählt sein. Ob er oder sie im Gegensatz zu May einen Deal mit der EU durch das Parlament bringen wird, ist höchst fraglich. Am 31. Oktober läuft die verlängerte Verhandlungsfrist einmal mehr aus. Winkt das britische Parlament bis dahin keinen Vertrag durch, droht ein No-Deal-Brexit. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Neuverhandlungen jüngst vehement ausgeschlossen. Zudem ist nach den Sitzgewinnen der Brexit-Partei bei den Europawahlen generell nicht mit viel Goodwill von EU-Seite zu rechnen.
Zum Schluss: Die Leiden der AKK
Die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer (aka AKK) hat es dieser Tage nicht leicht. Oder besser: Sie macht es sich nicht leicht. An einer Pressekonferenz zu den Europawahlen machte die Kanzleranwärterin ihrem Ärger über ein CDU-kritisches Youtube-Video Luft. Das wäre an sich noch kein Problem – nur sinnierte sie dabei auch darüber, welche «Regeln» denn für den «digitalen Bereich» im Wahlkampf gelten würden. Meinungsfreiheit nur, wenn es der CDU gelegen kommt? Manche legten ihr diese Äusserung zumindest so aus. Seither kocht es in den sozialen Netzwerken. Und auch sachliche Kommentatorinnen wundern sich über AKKs seltsames Verständnis der Medienfreiheit. Es ist der letzte in einer Reihe von Fauxpas, die sich AKK seit Amtsantritt im Dezember 2018 geleistet hat. Jetzt soll sich auch bei Angela Merkel Enttäuschung breitmachen: Laut zwei Personen aus dem Umfeld der Kanzlerin sehe sie AKK nicht als passende Nachfolgerin, sie sei «nicht bereit für den höchsten Job des Landes», berichtete das Medienportal «Bloomberg» am Montag. Merkel sei deshalb fest entschlossen, bis zum Ende der Legislatur, also bis 2021, im Amt zu bleiben. Merkel tat den Bericht als «Unsinn» ab. Gleichzeitig wirkte die Noch-Kanzlerin gleichentags in einem CNN-Interview quietschvergnügt, als sie der Interviewerin erklärte, dass sie noch lange nicht amtsmüde sei.
Top-Storys
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