Was diese Woche wichtig war

Staatskrise in Österreich, Huawei angezählt – und die «Zerstörung» der CDU

Woche 21/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Ronja Beck und Adrienne Fichter, 24.05.2019

Teilen9 Beiträge9

Video zerschlägt die Regierung Österreichs

Darum geht es: Der «Spiegel» und die «Süddeutsche Zeitung» veröffentlichten am Freitag­abend in Kooperation mit der österreichischen Wochenzeitung «Falter» Ausschnitte eines heimlich aufgenommenen Videos. Aufgenommen wurden die Bilder im Juli 2017, sie zeigen den österreichischen Vize­kanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) – damals Nationalrats­kandidat – und den FPÖ-Fraktions­chef Johann Gudenus – damals Vize­bürgermeister von Wien – zusammen mit der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen in einer Villa auf Ibiza. Sie wolle eine Viertel­milliarde Euro in Österreich anlegen, so die «Russin». Während sechs Stunden diskutieren die Beteiligten verschiedene Deals. Strache verspricht der Frau unter anderem Staats­aufträge im Gegenzug für Partei­spenden, die über einen gemeinnützigen Verein abgewickelt werden sollen. Man spricht auch davon, das sie die einflussreiche «Kronen Zeitung» übernehmen könnte. Der Knack­punkt an der Sache: Bei der Oligarchen­nichte handelte es sich in Wirklichkeit um einen Lock­vogel, Strache und Gudenus sind in eine Falle getappt

Warum das wichtig ist: Seit Dezember 2017 stellt eine Koalition aus FPÖ und ÖVP die Regierung von Österreich. Seit Anbeginn hat die FPÖ mit diversen Skandalen die Koalition geschwächt. Ob dem Ibiza-Video zerbrach die Zusammen­arbeit nun mit einem Schlag: Strache und sein langjähriger Partei­kollege Gudenus legten keine 24 Stunden nach Veröffentlichung alle ihre politischen Ämter nieder, Gudenus trat zudem aus der FPÖ aus. In seiner Abtritts­rede bezeichnete Strache das Treffen als eine «bsoffene Gschicht» und begründete seine Äusserungen mit «typisch alkoholbedingtem Macho-Gehabe». Laut Gudenus könnten auch «psychotrope Substanzen» im Spiel gewesen sein. Am Samstag kündigte Bundes­kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) für den September Neuwahlen an. Wenig später forderte er die Entlassung des Innen­ministers und FPÖ-Manns Herbert Kickl. Dessen Partei reagierte umgehend und zog sämtliche ihrer Minister ab. Die freien Posten wurden übergangsweise mit Experten besetzt. Die Falle auf Ibiza hat Österreich also in eine Staatskrise gestürzt. Noch ist vieles ungeklärt: die Praxis der Parteien­finanzierung über einen Verein, am Rechnungshof vorbei; die Unabhängigkeit der Medien in Österreich; die Nähe der FPÖ zu Russland. Und da ist auch die Frage, wer Strache und Gudenus diese Falle gestellt hat. Weder der «Spiegel», noch die «Süddeutsche Zeitung» oder der «Falter» äussern sich dazu, sie berufen sich auf den Quellenschutz.

Müssen gemeinsam über die Bücher: Österreichs Bundes­präsident Alexander Van der Bellen (links) und Bundes­kanzler Sebastian Kurz in der Wiener Hofburg. Michael Gruber/AP/Keystone

Wie es jetzt weitergeht: Ob Kurz die Affäre überstehen wird, ist ungewiss: Die kleine Oppositions­partei Pilz hat einen Misstrauensantrag gestellt. Kommenden Montag wird also entschieden, ob auch der Kanzler seinen Posten räumen muss.

Chinesischer Smartphone­hersteller auf schwarzer Liste

Darum geht es: Der Handels­krieg zwischen den USA und China erfasst die Tech-Welt. Washington setzte den weltweit zweitgrössten Smartphone­hersteller Huawei auf eine schwarze Liste. Amerikanische Tech-Firmen werden per Dekret gezwungen, ihre Zusammenarbeit mit gewissen chinesischen Partnern einzustellen. Der Suchmaschinen­riese Google kam dem am Sonntag nach. Betroffen sind alle Besitzer von Huawei-Geräten mit dem Betriebs­system Android. Auch Microsoft reagiert – und hat Huawei-Laptops aus dem Webshop verbannt.

Warum das wichtig ist: Google hält im App-Bereich mit einem Markt­anteil von über 85 Prozent beinahe eine Monopol­stellung. Über 200 Millionen Smartphones sind von diesem Eingriff betroffen. Künftige Käuferinnen von Huawei-Geräten werden keinen Zugriff auf proprietäre Dienste von Google mehr haben. Google-Apps wie die Play-Dienste inklusive Store, Gmail, Youtube, Google Maps und den Chrome-Browser wird es auf den neuen Huawei-Smartphones nicht mehr geben. Jetzige Besitzer solcher Geräte haben den Zugriff auf diese Dienste zwar noch, sie müssen aber damit rechnen, verspätete oder gar keine Software-Updates zu erhalten. Huawei versprach in einem Statement, auch in Zukunft Sicherheits­patches für die Smart­phones auszuliefern, die bereits im Umlauf sind. Das Handels­ministerium gewährte dem chinesischen Unternehmen eine Lizenz, die das möglich macht. Diese ist aber auf drei Monate begrenzt.

Künftig ohne Google-Apps, dafür vielleicht mit chinesischem Betriebs­system: Huawei-Smart­phones auf einer Werbe­fläche in Peking. Andy Wong/AP/Keystone

Wie es jetzt weitergeht: Trumps jüngster Coup könnte sich als wirtschaft­liches Eigentor der USA entpuppen. Falls es Washingtons Absicht ist, eine Dominanz der chinesischen Tech-Konzerne zu verhindern, könnte der Streit das Gegenteil erreichen. Denn die Entwicklung eines eigenen chinesischen Betriebs­systems wird damit wohl forciert. Huawei-Manager Richard Yu hat bereits im März 2019 von einem Plan B gesprochen, sollte sein Konzern den Zugriff auf Windows und Android verlieren.

Konservative gewinnen Wahlen in Australien

Darum geht es: Die Koalition aus der Liberalen und der Nationalen Partei hat die Wahlen in Australien gewonnen. Mindestens 76 der 151 Sitze im Parlament gehen an das Bündnis, 65 an die opponierende Labor-Partei. Nach den Wahlen 2013 und 2016 ist es die dritte Legislatur in Folge für die konservative Koalition. Der evangelikale Christ Scott Morrison der Liberalen bleibt damit Premierminister.

Warum das wichtig ist: Dieser Wahl­ausgang kommt für viele Australier so überraschend wie 2016 jener für die Amerikaner – wie Trump sogleich persönlich anmerkte. In den meisten Umfragen hatte die konservative australische Regierung noch gegen die Labor-Partei verloren. Die Experten prophezeiten einen Gewinn der Arbeiter­partei, in den Wett­büros zogen die Quoten entsprechend mit. Die Labor-Partei hatte im Wahl­kampf weitreichende Reformen versprochen: unter anderem mehr Engagement im Klima­schutz im Kohle-Land Australien, mehr Geld für Kultur und Spitäler und eine höhere Besteuerung für Besser­verdienende. Warum also gelang der Überraschungscoup, obwohl die Konservativen mit internen Querelen und schwindender Popularität zu kämpfen hatten? Polit­experten gehen einerseits davon aus, dass die Labor-Partei durch eine aggressive Gegen­kampagne rechts­nationalistischer Parteien Stimmen verlor. Andererseits werfen Exponenten wie der renommierte australische Journalist Tony Koch den australischen Medien Partei­ergreifung für die Konservativen vor. Koch richtet das Schlag­licht auf Rupert Murdoch. Dessen Firma News Corporation ist im Besitz von gut 70 Prozent der australischen Medien.

Der konservative «Daily Telegraph» neben dem links-liberalen «Herald»: Beide verkünden den Erfolg des australischen Premiers Scott Morrison. Brendon Thorne/Bloomberg/Getty Images

Was als Nächstes passiert: Premier Scott Morrison dürfte bald sein Kabinett vorstellen. Mehrere Liberale hatten vor den Wahlen ihren Platz geräumt, es wird also einige neue Gesichter in der Regierung geben. Vor den Wahlen hatte Morrison zudem unter anderem Steuersenkungen angekündigt. Jetzt bleibt abzuwarten, ob und wie er seine Versprechen umsetzt. Und ob der Klima­wandel nicht auch für die Koalition an Bedeutung gewinnen könnte, in Anbetracht der weltweiten Proteste. Die Opposition wird sich derweil in den nächsten Wochen mit der Suche nach einer neuen Partei­vorsitzenden beschäftigen müssen.

Theresa Mays neuster Brexit-Plan

Darum geht es: Schon wieder ein herber Rückschlag für Grossbritanniens Premier­ministerin Theresa May: Am Mittwochabend ist eine weitere wichtige Ministerin aus ihrem Kabinett zurückgetreten. Andrea Leadsom war für die Geschäfte im Unterhaus zuständig, also beispielsweise dafür, welche Regierungs­vorlagen dem Parlament vorgelegt werden. Leadsom begründete ihren Abgang damit, dass sie Mays Brexit-Strategie nicht mehr mittragen könne. Damit bezog sie sich auf Mays «10 Zugeständnisse» an die Opposition.

Warum das wichtig ist: Der von May präsentierte 10-Punkte-Plan, ihr vierter Anlauf in Sachen Brexit, stösst über das ganze politische Spektrum verteilt auf Ablehnung. Er stellt unter anderem eine zweite Volks­abstimmung in Aussicht – die sie bisher strikte abgelehnt hat. Damit stösst sie bei den Brexit-Hardlinern auf Granit (sie wollen keine zweite Abstimmung), während ihr neuster Plan der Labour-Partei zu wenig weit geht (sie wollen – wenn überhaupt – einen deutlich weicheren Brexit und trauen Mays Zusicherungen nicht). Derweil zerbröselt ihr Kabinett. Entweder gehen Ministerinnen, weil ihnen Mays Zugeständnisse an die Opposition nicht passen – oder weil sie May beerben und das sinkende Schiff darum rechtzeitig verlassen wollen. Auf Andrea Leadsom dürfte gleich beides zutreffen, ihr werden Ambitionen auf den Premierposten nachgesagt. Auch für die Europa­wahlen am Wochen­ende wird Mays Konservativer Partei ein katastrophales Ergebnis prognostiziert.

Was als Nächstes passiert: Die britische Premier­ministerin hat einiges überstanden im Brexit-Gefecht. Nun könnte sie diesen Kampf verlieren. Vertraute aus ihrem Umfeld sagten der britischen «Times», dass sie am Freitag ihren baldigen Rücktritt bekannt geben werde. Grund sei eine «Kabinettsrevolte».

Zum Schluss: Politik, Alter, aber heftig

Er nennt sich Rezo, hat auf dem Videoportal Youtube insgesamt über zwei Millionen Abonnentinnen und war bisher vor allem bekannt für schrottige Musik­videos. Jetzt hat der deutsche Youtuber mal kurz die CDU «zerstört» – und landet damit einen viralen Hit. In dem 55 Minuten langen Video «Die Zerstörung der CDU» schiesst Rezo gnadenlos gegen die deutschen Mitte­parteien CDU und CSU (und teilweise auch gegen die linke SPD und die rechte AfD). Er spricht von Finanz-, Klima- und Kriegs­politik – und verpasst der Regierung in ausgefeiltem Youtuber-Slang («Was ich da herausgefunden habe, war fucking heftig») und mit 13 Seiten Quellen­verzeichnis in allen Punkten eine fette Ungenügend. Er spricht Deutschland ohne Punkt und Komma ins Armageddon, was bei Klima­themen zu guten Teilen berechtigt ist, bei den Verantwortlichkeiten aber zu kurzsichtig gerät. Gut 3,5 Millionen mal wurde das Video in wenigen Tagen angeklickt – das ist ungewöhnlich häufig, zumal Rezo über Politik spricht. Die CDU liess mit einer offiziellen Reaktion lange auf sich warten. Am Donnerstag veröffentlichte sie schliesslich anstelle des zuvor angekündigten Videos mit dem CDU-Jungpolitiker Philipp Amthor ihre «Offene Antwort an Rezo: Wie wir die Sache sehen» – in Form eines Pdfs.

Top-Storys:

Hautlappen: Die deutsche Schriftstellerin und Journalistin Else Buschheuer lässt sich die Brüste vergrössern. Die Operation läuft schrecklich schief. Eine Geschichte über fauliges Fleisch und heisse Selbst­liebe, wunderbar erzählt im «Süddeutsche Zeitung Magazin».

Rechte Richter: Was bleibt, wenn Trump geht? Die Richter zum Beispiel. Und ein Berater des Präsidenten ebnet den konservativsten von ihnen seit Jahr­zehnten den Weg. Wie er das tut, zeigt ein gruseliges Video-Feature der «Washington Post».

Gefoltert: Einzelhaft sollte verboten werden, urteilen die Vereinten Nationen. In US-Abschiebe­zentren wird dennoch rege davon Gebrauch gemacht. Das beweist erstmals eine gemeinsame Recherche von nord- und süd­amerikanischen Medien. Den Bericht finden Sie auf «The Intercept».

Game of War Crimes: Das Rote Kreuz hat die letzten sieben Staffeln von «Game of Thrones» geguckt und alle Verstösse gegen humanitäres Völker­recht gezählt. Spoiler alert: Es sind so einige.

Legende: Über 50 Jahre lang arbeitete Arnold Hottinger als Journalist, die meisten davon als Nahost-Korrespondent. Der Mann, der Revolutionen zu Konflikten zu Kriegen mutieren sah und alles für uns festhielt, ist diese Woche verstorben. Die NZZ verabschiedet sich.

Was diese Woche wichtig war

Wir beobachten für Sie das Weltgeschehen, filtern das Wichtigste heraus, ordnen es ein – und schicken es Ihnen jeden Freitag ansprechend verpackt in Ihre Inbox.