Fährt ein Schweizer nach Ibiza
Von Carlos Hanimann, Christof Moser und Michael Rüegg, 22.05.2019
Da wurde also einer Vize-Regierungschef eines EU-Landes, der sich und seine Heimat einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte verkaufen wollte.
Wir schauen die Tage alle gebannt nach Österreich, wo die Regierung nach dem «Ibiza-Skandal» im Chaos versinkt. Und wir diskutieren darüber: im Gruppenchat, am Mittagstisch – an der Redaktionskonferenz.
Dabei kam die Frage auf: Was, wenn eine machthungrige Schweizer Politikerin oder ein schwerstambitionierter Schweizer Politiker hackedicht in einer Villa auf Ibiza landet?
Schliesslich kann man mit Geld alles kaufen. Es muss nicht einmal einem selber gehören.
Was also kann er, der Politiker, oder sie, die Politikerin, anbieten? Wie sieht das hierzulande aus mit illegalen Parteispenden, mit unter der Hand vergebenen Staatsaufträgen? Oder mit Übernahmen von Zeitungen für politische Propaganda?
1. Parteispenden
Nimmt man H. C. Straches Aussagen im Ibiza-Video für bare Münze, hat seine FPÖ illegale Parteispenden erhalten. Abgewickelt über einen Verein, um das Geld vor den Rechnungsprüfern zu verstecken.
Das zumindest könnte in der Schweiz kaum passieren: dass einem – sagen wir mal – SVP-Politiker ein Parteispendenskandal um die Ohren flöge.
Geheime Vereine mit dem Zweck, Parteispendengesetze und ihre Kontrollinstanzen (wie den österreichischen Rechnungshof) zu umgehen, kennen wir in der Schweiz nicht. Es stimmt für einmal wirklich: Die Schweiz ist einsame Spitze, illegale Parteispenden gibt es in diesem Land nicht.
Das liegt aber nicht etwa daran, dass es keine geheimen Kassen gäbe. Der Grund ist ein anderer: In der Schweiz gibt es beim Thema Parteispenden schlicht keine Regeln. Kein Verbot. Keine Weisung. Keine Empfehlung. Nichts. Parteikassen sind also per Definition geheim.
Wo es keine Verbote gibt, kann man auch nicht dagegen verstossen.
2. Staatsaufträge
Eines wird aus dem Ibiza-Video sehr deutlich: Herr Strache mag die Strabag nicht. Oder genauer, den Miteigentümer des Baukonzerns. O-Ton aus dem Video: «Der Haselsteiner kriegt keine Aufträge mehr.» Dazu muss man wissen: Peter Haselsteiner ist ein politischer Gegner Straches. Wenn der Baukonzern keine staatlichen Aufträge mehr bekäme, würde das die Bilanz weit nach unten drücken. Haselsteiner selber sagt, so ein gezielter Boykott wäre gar nicht möglich. Aber spielen wir es durch.
In der Schweiz und in Österreich gelten grundsätzlich dieselben Regeln, nämlich diejenigen des Gatt/WTO-Übereinkommens. Freihändig vergeben werden können gemäss dem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen nur kleine Aufträge, bei grösseren müssen Submissionen durchgeführt werden.
Das günstigste Angebot erhält den Zuschlag – in vielen Fällen entscheidet eine Jury.
Das Regierungssystem der Schweiz sorgt in der Regel für eine gewisse parteipolitische Durchmischung in den Exekutivgremien. Diese hilft mit, Machtmissbräuche zu verhindern. Weil grössere Ausgaben nicht von einer Departementsvorsteherin, sondern vom Gesamtgremium, also dem Bundes- oder einem Regierungsrat, bewilligt werden. Die Schweizer Parlamente haben zudem eine von den Regierungen unabhängigere Stellung und üben via Geschäftsprüfungskommissionen und Finanzkontrolle eine Aufsichtsfunktion aus.
Trotzdem: Wann und wo sind Unregelmässigkeiten bei uns am wahrscheinlichsten?
In Kantonen oder Gemeinden, die von einer einzigen politischen Kraft dominiert werden.
In kleinräumigen, abgelegenen Strukturen, wo jeder jede kennt (wir erinnern ans Bündner Baukartell).
Bei weniger bedeutenden Ausgaben, die auf tieferer Ebene beschlossen werden und bei der die politischen Vorgesetzten wenig Sachkenntnisse besitzen – Beispiel Informationstechnologien.
Trotz Transparenz und Kontrollen gilt: Wer genügend kriminelle Energie aufbringt, knackt jedes System. Und versprechen kann man als Politiker eh alles – ob man es dann auch liefert, steht auf einem anderen Blatt.
3. Zeitungsübernahmen
Am konkretesten werden Strache und sein Protegé bei den Plänen für die «Kronen Zeitung», der auflagenstärksten Boulevardtageszeitung Österreichs. Diese soll übernommen, das Personal teilweise ausgewechselt – und die Redaktion auf FPÖ-Linie getrimmt werden.
Hier holen wir – pardon – kurz etwas aus. Sie können diesen Abschnitt auch überspringen. Aber die Geschichte der «Krone» ist schlicht zu spannend, als dass wir sie Ihnen vorenthalten wollen.
Jede Partei in Österreich wollte die «Krone» schon einmal übernehmen. Die SPÖ versuchte 1966, gerichtlich an die Anteile zu kommen. 1970 probierten es der Sprössling einer Spielkartendynastie zusammen mit einem ÖVP-Parteifreund. Sie gingen dafür nicht nach Ibiza, sondern ins Gefängnis.
Dort besuchten sie den «Krone»-Besitzer: Franz Olah. Der Gewerkschaftsboss hatte dem Blatt 1959 mit Gewerkschaftsgeldern geheime finanzielle Starthilfe gewährt und die gesamten Anteile am «Krone»-Verlag besessen. Im Gefängnis sass er wegen Unterschlagung. Er hatte eine Parteispende an die FPÖ an den Gewerkschaftsgremien vorbeigeschleust.
Franz Olah hatte dem Verkauf der «Krone» zuerst zugestimmt, dann zog er die Zustimmung zurück; die Sache endete in wüsten Klagen und Gegenklagen und schliesslich einem Vergleich. 1987 stieg die deutsche WAZ-, heute Funke-Mediengruppe, ein und legte die Verlage von «Krone» und «Kurier» zusammen. Damit kam die «Krone» in Griffweite der ÖVP, weil der «Kurier» dem parteinahen Raiffeisen-Konzern gehörte.
2010, wenige Tage nach dem Tod eines «Krone»-Gründers, schmiedete die SPÖ einen Übernahmeplan. Mit dabei: der damalige Kanzler und SPÖ-Chef, Werner Faymann, Medienstaatssekretär Josef Ostermayer, ein ehemaliger Pressesprecher – und ein Steuerberater. Finanziert mit Krediten der Wiener Städtischen Versicherung und der Ersten Bank wollten sie einen Einstieg des Raiffeisen-Konzerns verhindern. Am Ende gingen beide Parteien leer aus.
Die «Krone» gehörte auch im Sommer 2017 immer noch den verfeindeten Gründerfamilien Dichand und Funke, als FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf Ibiza von einer Übernahme träumte. Strache nennt im Video den Namen des Wiener Investors Heinrich Pecina, der angeblich Zugriff auf die Funke-Anteile an der «Krone» habe. An Bord holte Funke 2018 aber einen anderen Investor: Immobilienmilliardär René Benko. Dem wird ein sehr guter Draht zu Bundeskanzler Sebastian Kurz nachgesagt.
So viel zu unserem Exkurs. So etwas könnte bei uns natürlich nie passieren.
Ausser, Christoph Blocher machts.
Zwar ist der SVP-Patron mehrfach gescheitert. Er versuchte die «SonntagsZeitung» zu kaufen, sein Umfeld versuchte die «Neue Zürcher Zeitung» unter Kontrolle zu bringen, auch für den «Blick» soll das SVP-Umfeld bereits Übernahmeversuche gestartet haben – bisher vergeblich.
Aber er kann auch Erfolge verbuchen.
Am 1. November 2006 wird die Weltwoche Verlags AG aus der Jean Frey AG abgespalten. Der heutige SVP-Nationalrat Roger Köppel kauft zunächst 60 Prozent der neuen Weltwoche Verlags AG, um sie wenig später offiziell ganz zu übernehmen.
2007 startet auf dem Kanal des Schaffhauser Fernsehens und im Internet die Sendung «Teleblocher».
Und der bisher wohl komplizierteste Coup: Im Februar 2010 wird die «Basler Zeitung» an die Investoren Tito Tettamanti und Martin Wagner verkauft und in die Holdinggesellschaft Watt Capital Holding AG überführt. Diese hatte ihren Sitz von Basel nach Zug verlegt, in die Kanzlei des Zuger Advokaten Ernst Brandenberg, den Vater von Manuel Brandenberg, einem führenden Zuger SVP-Politiker sowie Verwaltungsratsmitglied der SVP- und Auns-nahen Zeitung «Schweizerzeit». Im November 2010 verkaufen Tettamanti und Wagner die Zeitung an den Basler Unternehmer und Crossair-Gründer Moritz Suter. 2011 tritt Suter seine Aktien an Rahel Blocher ab, die Zeitung wird von der neu gegründeten MedienVielfalt Holding mit Sitz im Kanton Zug übernommen. Mehrheitsaktionär wird erneut der Tessiner Financier Tito Tettamanti, im Hintergrund zieht Christoph Blocher die Fäden. Das führt in Basel zu Protesten, Abonnementskündigungen – und schliesslich 2018 zum Verkauf an den Medienkonzern Tamedia.
2017 kauft Christoph Blocher via die BaZ Holding AG der Familie Zehnder ihre 25 regionalen Gratistitel (und insgesamt 29 Split-Ausgaben) ab. Kombiniert erreichen diese wöchentlich rund 800’000 Leserinnen und Leser. Zunächst beteuert er, dass er damit keine politischen Ziele verfolge. Aber bald schon drucken sie seine Gedankengänge unter der Rubrik «Der Verleger hat das Wort».
Allerdings brauchen weder Blocher noch seine Töchter für all das nach Ibiza zu reisen. Geld hat er genug – auch ohne Oligarchen-Zustupf.
Wir halten fest: Wir sind nicht Österreich, aber gewisse Gemeinsamkeiten kommen unter Nachbarn halt vor. Genauso wie verfrühte Schadenfreude.