Rücktritt, Schmiergeld für die EU – und Gleichstellung im Schneckentempo
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (26).
Von Elia Blülle, 27.09.2018
Kaum hatte sich die Nachricht von Johann Schneider-Ammanns Rücktritt im Land verbreitet, musste sich der Bundesrat im Parlament bereits wieder unbequemen Fragen stellen: Sollen Schweizer Rüstungskonzerne künftig wirklich in Bürgerkriegsländer exportieren dürfen?
Die Antwort des Wirtschaftsministers: Ja. Schneider-Ammann anerkannte gestern zwar, dass Bürger besorgt und alarmiert auf die geplante Verordnungsänderung reagierten. «Aber nehmen Sie mir ab, dass der Bundesrat ein Verantwortungsbewusstsein hat und das tut, was für das Land richtig ist.» Die Regierung treffe keine leichtfertigen Entscheidungen. Alle Exportgesuche würden eingehend geprüft.
Das allerdings kaufte ihm der Nationalrat nicht ab. Er hat sich gestern dafür ausgesprochen, dass künftig das Parlament über die Bewilligungskriterien für Rüstungsexporte befinden wird – nicht mehr der Bundesrat. Bestätigt der Ständerat im Winter den Entscheid der grossen Kammer, dürften Rüstungsexporte in Bürgerkriegsländer verboten bleiben – zum Ärger der Waffenindustrie und des Bundesrates.
PS: Auch wir haben gestern über dieses Thema debattiert. Mit dem Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli und dem CVP-Ständerat Isidor Baumann. Gerne können Sie sich auch heute noch in die Diskussion einmischen.
Was war diese Woche sonst noch los in der Schweizer Politik? Hier geht es weiter mit dem Briefing aus Bern.
Schneider-Ammann wird «aktiver Grossvater»
Das müssen Sie wissen: Am Dienstag hat Johann Schneider-Ammann seinen Rücktritt aus dem Bundesrat auf Ende Jahr bekannt gegeben. Als Wirtschaftsminister sass der Berner Freisinnige acht Jahre in der Landesregierung.
Darum geht er: Es ist ein Rücktritt mit Ankündigung. Bereits im April hatte Schneider-Ammann gesagt, dass er spätestens Ende 2019 sein Amt abgeben werde. Nun möchte er schon früher mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Er wolle «aktiver Grossvater» werden, sagte er am Dienstag vor den Medien.
Wer kommt als Nächstes: Man könnte meinen, FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter sei bereits gewählt. Die Schweizer Presse hat die Sankt Gallerin, die 2010 gegen Schneider-Ammann unterlag, zur Kronfavoritin für seine Nachfolge erhoben. Wer sind ihre Konkurrenten? Dies ist auch abhängig davon, ob CVP-Bundesrätin Doris Leuthard ebenfalls per Ende Jahr zurücktritt oder nicht. Wie Schneider-Ammann hat sie schon vor Monaten angekündigt, die laufende Legislatur sei ihre letzte. Über Schneider-Ammanns Nachfolge wird am 5. Dezember entschieden.
Mehr dazu: Unser Bundeshauskorrespondent Dennis Bühler hat einen politischen Kürzestnachruf auf Schneider-Ammann geschrieben und kommt zum Schluss: «Er war Unternehmer, treuer Diener der Wirtschaft, Cheflobbyist von Industrie und Handel. Und, ach ja, Bundesrat war er offiziell auch.»
Nach gut acht Jahren im #Bundesrat werde ich Ende des Jahres mein Mandat beenden. Es war mir eine ausserordentliche Ehre, der #Schweiz dienen zu dürfen! JSA t.co/1kPBub6Se1
Sozialdetektive: Wer darf überwachen?
Das müssen Sie wissen: Nach der Volksabstimmung ist vor der Volksabstimmung. Ende November entscheiden wir, ob und wie Sozialversicherungen mutmassliche Betrügerinnen observieren dürfen. Letzte Woche hat der Bundesrat informiert, wie er die Details in der Verordnung festlegen will.
Das ist neu: Der Bundesrat will, dass künftig nur noch Privatdetektive mit einer entsprechenden Bewilligung mutmassliche Versicherungsbetrüger observieren dürfen. Damit sie eine solche erhalten, müssen sie eine Ausbildung absolviert haben und über Berufserfahrung verfügen. Und sie dürfen nicht vorbestraft sein.
So geht es weiter: Dürfen Detektive auch mit Drohnen observieren oder von öffentlichem Grund aus private Räumlichkeiten filmen? Die bundesrätliche Verordnung klärt die grossen Fragen nicht. Gut möglich, dass diese fehlende Präzision entscheidend sein wird im Abstimmungskampf.
Mehr dazu: Politik und Behörden wollen IV-Empfängerinnen und Sozialhilfebezüger mit GPS-Peilsendern überwachen. Wie konnte es so weit kommen? Unsere Reporter Carlos Hanimann und Elia Blülle gingen dieser Frage schon im Frühling nach.
1,3 Milliarden als Schmiergeld für das Rahmenabkommen
Das müssen Sie wissen: Auch am letzten Freitag konnte sich der Bundesrat nicht zu einem Entscheid durchringen. Obwohl er sich bis spätestens Ende Oktober mit der Europäischen Union über ein gemeinsames Rahmenabkommen einigen muss, vertagte die Regierung ihren Entscheid zum weiteren Verhandlungsvorgehen um eine weitere Woche. Niemand weiss, wie es weitergeht. Oder?
Das ist passiert: Die Journalisten des «Tages-Anzeigers» haben angeblich herausgefunden, dass der Bundesrat doch einen Plan hat. Und zwar will er seinen letzten Trumpf ausspielen: die Kohäsionsmilliarde. Der Bund plane, eine erneute Geldzahlung zugunsten der EU-Ostländer so schnell wie möglich aufzugleisen, um in den letzten Zügen doch noch einen Kompromiss mit der EU zu finden.
So geht es weiter: Voraussichtlich wird der Bundesrat morgen Freitag über das weitere Vorgehen informieren. Bereits klar ist, dass er trotz aller widrigen Umstände immer noch eine Einigung anstrebt. Es bleibt spannend.
Sozialdemokraten im AHV-Steuer-Zwist
Das müssen Sie wissen: Das Parlament will die AHV- und die Steuerreform miteinander verknüpfen. Ein realpolitischer Konsens, der alle Parteien zufriedenstellen sollte – sogar die SP. Ist das gelungen?
Das ist passiert: Obwohl sich SP-Präsident Christian Levrat an allen Fronten für den Deal einsetzt, formiert sich innerhalb seiner Partei Widerstand dagegen. Die grosse SP-Sektion des Kantons Zürich stellt sich gegen den Deal, und die Jungsozialisten könnten sich sogar vorstellen, ein Referendum zu unterstützen.
So geht es weiter: Im Parlament geht der AHV-Steuer-Deal morgen Freitag in die Schlussabstimmung. Voraussichtlich werden sowohl National- als auch Ständerat zustimmen. Die SP entscheidet am Samstag an einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung, ob sie die Reform als Partei unterstützen wird oder nicht.
Lohngleichheit in Trippelschrittchen
Das müssen Sie wissen: Gegen 20’000 Personen demonstrierten am vergangenen Samstag in Bern gegen Lohnungleichheit. Das Timing war perfekt, denn bereits am Montag stand dieses Thema auf der Agenda des Nationalrats. Und er will handeln – wenn auch sehr bescheiden.
Das wurde entschieden: Der Nationalrat will Grossunternehmen zu Lohnanalysen verpflichten. Das heisst: Firmen mit mehr als 100 Vollzeitstellen sollen ausweisen müssen, ob und, falls ja, wieso angestellte Frauen weniger verdienen. Eine Pflicht, etwas gegen Ungleichheit zu unternehmen, erwächst daraus aber nicht. Für die Demonstrierenden dürfte die Entscheidung des Nationalrats denn auch zu wenig weit gehen: Sie fordern strikte Lohnkontrollen und Sanktionen.
So geht es weiter: Die Vorlage geht jetzt noch einmal zurück an den Ständerat, wo die Parlamentarier die erneuten Abschwächungen des Nationalrats diskutieren müssen.
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