Vademecum zum Locarno Festival
Besuchen Sie das 71. Filmfestival im Tessin mit einem Kenner. Die ganz persönlichen Tipps von Alfred Schlienger sind mehr als eine Orientierungshilfe – sie sind eine Liebeserklärung an den grössten Kulturevent der Schweiz.
Von Alfred Schlienger, 27.07.2018
Ich habe gute Freunde, die das beim besten Willen nicht verstehen: Wie kann man sich zur schönsten Sommerzeit während elf Tagen in diese dunklen Höhlen verkriechen und wie im Akkordmodus 30 bis 40 Filme anschauen, manchmal vier, fünf, sechs am Tag – und zu allem Elend auch oft so «schwierige» Werke aus den hintersten Winkeln der Welt, die eh nie ins Kino kommen? Genau deshalb, sage ich dann. Und offenbar gibt es ein paar Zehntausende, denen es Jahr für Jahr ähnlich geht.
Das diesjährige Filmfestival findet vom 1. bis zum 11. August statt.
174’000 Eintritte zählte das Locarno Festival im vergangenen Jahr und war damit einmal mehr die Nummer zwei der publikumsträchtigsten Kulturveranstaltungen der Schweiz. (Zum Vergleich: Das Paleo in Nyon lockt über 200’000 Besucher an, das Schauspielhaus Zürich während des ganzen Jahres 146’000, das Basler Dreispartenhaus 172’000, das Zurich Film Festival 98’000 und die Solothurner Filmtage 65’000.) Ja, selten und kostbar sind solche Orte, wo man Kultur im Multipack auf so sinnhafte und vielfältig sinnliche Weise erleben kann wie im Tessin am Locarno Festival.
Kunst darf wehtun
Zugegeben, ich bin etwas voreingenommen. Für diesen Südkanton, wo alles schon anders duftet und selbst die Klänge der Kirchenglocken lustig torkelnd durch die Lüfte wehen. Für die Menschen im Locarnese, die so viel freundlicher sind als in der übrigen Schweiz. Für den Film, wenn er wie hier als herausragendes Kulturgut gefeiert wird.
Mild ist das Klima, oft wild und schroff hingegen die Natur. Mit Grandezza fallen die Berge, die an schrundige Elefantenrücken erinnern, in den Lago Maggiore. Und trotzig zerklüftet sind die angrenzenden Täler. Gegensätze beleben. Irgendwie Ähnliches erwarte ich von der Kunst. Sie muss mich berühren, berauschen, verstören, am besten alles gleichzeitig. Irritation zwingt zur Nachdenklichkeit. Kunst darf durchaus mal wehtun – und soll sich einbrennen in den Erinnerungsspeicher. Man kommt, so ist zu hoffen, anders aus einem Film heraus, als man hineingegangen ist.
Mein erstes Mal
Mein erstes Filmfestival erlebte ich hier mit 17. Ich hatte einen Ferienjob ergattert in Fred Feldpauschs Al-Porto-Betrieben in Locarno und Ascona. Während der nachmittäglichen Zimmerstunde reichte es jeweils für ein, zwei Filme. Angesichts der heutigen Schlangen vor den Kinos glaubt mir das kein Mensch: Oft sass ich mit einer Handvoll Unverzagter in fast leeren Sälen.
Tempi passati. Heute muss das Festival eher aufpassen, dass die Infrastruktur unter dem Grossandrang nicht kollabiert. Wenn mir die Erinnerung keinen Streich spielt, habe ich damals auch den Episodenfilm «Quatre d’entre elles» der welschen Viererbande Francis Reusser, Claude Champion, Jacques Sandoz und Yves Yersin gesehen, der jetzt – Zufall oder Vorsehung? – in der Sektion «Histoire(s) du cinéma» wieder gezeigt wird. So cinephil kann einen die Vergangenheit hinterrücks einholen.
Das Publikum ist weiblich
Vor ein paar Jahren ermittelte eine Studie der Universität der italienischen Schweiz den durchschnittlichen Filmfestbesucher: Er ist weiblich, zwischen 30 und 40 Jahre alt, gibt 123 Franken pro Tag aus, stammt aus der Deutschschweiz und verfügt über einen hohen Bildungsgrad sowie ein mittleres bis hohes Einkommen. Wahrscheinlich sind inzwischen nicht nur der Frauenanteil, sondern auch der Altersschnitt und die Ausgabenlimite etwas angestiegen. Locarno ist ein Publikumsfestival par excellence.
Man kommt allein, zu zweit oder im Rudel und schaut sich kreuz und quer durchs Programm. Die Medien fokussieren – man kann finden: leider – fast ausschliesslich auf den internationalen Wettbewerb. Das Festival mit seinen zwölf Sektionen ist aber wesentlich mehr und das Publikum mit seinen Interessen entsprechend breiter aufgestellt.
Deshalb hier persönliche Tipps und Thesen für den neugierigen Filmfan:
1. Wozu überhaupt ein Festival?
Locarno ist natürlich mehr als ein grosses Open-Air-Kino in entspannter Ferienlaune. Das Festival bietet im Kern ein streng kuratiertes cineastisches Angebot zum öffentlichen Diskurs und Austausch: über den aktuellen Stand der 7. Kunst, über den Zustand der Welt, wie er sich in neuen Filmen widerspiegelt, über die Freude und die Verzweiflung am Menschsein. Genau deshalb, weil es hier um ein Kulturgut geht, wird ein solcher Anlass auch mit Steuergeldern ermöglicht.
Das Gesamtbudget von 13 Millionen Franken wird zu 42,2 Prozent getragen von der öffentlichen Hand, zu 31,2 Prozent von Sponsoren und Privaten, zu 26,6 Prozent von den Eigeneinnahmen des Festivals. Ein recht ausgewogenes Verhältnis, das es zu bewahren gilt.
2. Das Profil von Locarno ist der anspruchsvolle Autorenfilm
Das gilt für alle Sektionen des Festivals. Nichts gegen Unterhaltung, übrigens nicht nur auf der Piazza, sondern auch in allen andern Sektionen. Aber es gibt Niveauansprüche. Gute Kunst ist immer auch unterhaltend. Sie unterhält unser Gehirn und Gemüt mit vitalen Nährstoffen. Die Piazza Grande aber herzugeben als Startrampe für amerikanische Blockbuster-Ballerfilme wie «Jason Bourne» oder «Atomic Blonde» (zwei Beispiele aus den letzten Jahren), ist an einem Festival nicht nur eine Beleidigung für Hirn und Herz, sondern grenzt schon an Missbrauch öffentlicher Gelder. Kein Wort dagegen, dass Menschen, die das mögen, sich solche Filme im Kino anschauen. Die grossen Studios haben ja auch ein Millionenbudget zur Verfügung, um die Leute mit ihrer Werbung anzulocken. Da muss Locarno nicht mithelfen.
3. Die Hauptkompetenz des Festivalbesuchers heisst: Auswählen!
Locarno zeigt in diesem Jahr mehr als 270 Filme. Besonders Fleissige können vielleicht 10 bis 15 Prozent davon sehen. Will ich auf sichere Werte setzen oder liebe ich das Experimentelle? Liegt mir das Fremdartige näher oder das Bekannte? Interessieren mich vor allem Dokumentar- oder Spielfilme? Locarno bietet dem Publikum eine ungemein breite Palette. Um sinnvoll entscheiden zu können, muss ich das Profil der verschiedenen Sektionen kennen. Beispielhaft seien hier einige der 12 Sektionen herausgepickt:
– Auf wunderbar herausfordernde Weise ein sicherer Wert ist immer die Semaine de la Critique. Diese Dokumentarfilmreihe wird vom Filmjournalisten-Verband organisiert und erfreut sich seit Jahren eines riesigen Zuspruchs. Nicht wenige reisen vor allem ihretwegen nach Locarno. Da der Kursaal regelmässig zu klein war, um den Andrang zu fassen, wechselt man neu zum doppelt so grossen, aber weniger intimen La Sala. Ein Sondervergnügen dieser Reihe ist jeweils die Moderation des Filmpublizisten Till Brockmann, der es schafft, noch die hintersten Schlenker seiner Gesprächspartner fliessend in verschiedene Idiome zu übersetzen.
– Ein weiterer sicherer Wert ist die Retrospektive. Sie ist gestandenen, aber oft eher wenig bekannten Künstlerinnen gewidmet, dieses Jahr dem Laurel-&-Hardy-Entdecker Leo McCarey, der auch mit den Marx Brothers, Ingrid Bergmann und Cary Grant gefilmt hat. Von ihm werden 26 Lang- und 83 Kurzfilme gezeigt.
– Panorama Suisse bietet die Möglichkeit, zehn wichtige Schweizer Filme des vergangenen Jahres zu sehen, die man im Kino vielleicht verpasst hat oder nochmals sehen möchte. Eine vollständige Liste aller 35 Schweizer Filme aus allen Sektionen ist hier einzusehen.
– Wer bei der Leopardenjagd mit der Presse mitspekulieren will, darf natürlich den Concorso internazionale nicht verpassen. 15 Filme werden gezeigt, wobei einer, «La Flor» aus Argentinien, satte 14 Stunden dauert und in drei Etappen an drei Tagen gezeigt wird. Dieser Wettbewerb allein wäre eigentlich schon fast ein Vollprogramm für einen Besucher.
– Risikofreudige wagen sich vielleicht auch in die Sektion Signs of Life, die mit 14 experimentelleren Filmen in weniger narrativen Formen die Grenzgebiete des Kinos erkundet.
– Die meisten Festivalbesucher werden wohl einen Mix suchen, damit auch der eine oder andere Abend auf der grossartigen Piazza Grande mit ihrem in diesem Jahr eher leichten und heiteren Programm Platz hat.
4. Wie viel Glamour darfs denn sein?
Es gibt ja inzwischen auch seriöse Blätter, die von den Festivals fast mehr berichten, wer über den roten Teppich stöckelt, als was über die Leinwände flimmert. Das wird in Locarno hoffentlich nie so sein. Der Star-Appeal muss hier direkt etwas mit dem Autorenfilm als Gattung zu tun haben, sonst wird er hohl.
Festivaldirektor Carlo Chatrian bewies diesbezüglich in den letzten sechs Jahren ein ausgesprochen gutes Händchen. Agnès Varda, Ken Loach oder Werner Herzog, Juliette Binoche, Isabelle Huppert und Fanny Ardant sind alles Ikonen des unabhängigen Autorenkinos. Gleiches gilt für Multitalent Ethan Hawke, der in diesem Jahr mit seinem neusten Film «Blaze» die Piazza beehren wird und weitere Werke mit ihm als Schauspieler im Gepäck hat, etwa die grossartige, fast dreistündige Langzeitbeobachtung «Boyhood» oder Paul Schraders jüngsten Film «First Reformed». Ein kleines Fragezeichen darf man hinter den diesjährigen Ehrengast Meg Ryan («When Harry Met Sally», «Sleepless in Seattle») setzen, die seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr mit wichtigen Rollen auf der Leinwand präsent ist.
Das eigentliche Problem des Glamours sind aber nicht die Künstler. Es ist die ständige Ausweitung der Sponsoring-Zone mit den Firmen, die sich darin sonnen wollen. Vor Jahren war dieser eingezäunte Bereich mit den privilegierten Plätzen für Sponsoren-Gäste noch überschaubar, inzwischen bedeckt er praktisch die halbe Fläche der Piazza Grande – und drängt das bezahlende Normalpublikum buchstäblich an den Rand. Eine bessere Balance ist hier gefragt.
Unvergesslich bleibt das Scharmützel von 1998 mit Ken Loach. Der Hauptsponsor UBS hatte den grossen Briten – der auch 1971, 1991, 1993, 2003 und 2016 ein gern gesehener Locarno-Gast war – auf Plakaten im Cinemascope-Format mit ausgebreiteten Armen und dem Slogan präsentiert: «Ken Loach – fantastisch, kritisch, britisch». Vor voll besetzter Piazza nahm sich der bekennende Sozialist mit bissigem Lächeln die Freiheit heraus, ein Sprichwort zu zitieren: «Wer mit dem Teufel essen will, muss einen langen Löffel haben.»
5. Direktoren-Bashing
Teile der Deutschschweizer Presse mäkeln seit Jahren an Chatrians Programm herum, vor allem an dem der Piazza Grande. Zu cinephil, zu wenig unterhaltend, zu didaktisch sei es. Interessanterweise klingen die welsche und die deutsche Presse wesentlich positiver.
Und seit der kürzlichen Berufung Chatrians zum Direktor der Berlinale haben sich einzelne Kritikerstimmen auch sichtlich gemässigt. So viel falsch kann der Turiner Filmpublizist nicht gemacht haben, wenn man ihm nun ein mehr als doppelt so grosses A-Festival anvertraut. Das interessierte Publikum hat sich an diesem Bashing ohnehin nie beteiligt. Es scheint, wenn man sich umhört, sehr zufrieden mit der Vielfalt, dem Anspruch und den Wahlmöglichkeiten, die es in Locarno geboten bekommt.
6. Wer, bitte schön, ist der zuverlässigste Festivaljournalist?
Wenn man sich unter Festivaliers umhört, wird ein Name am meisten genannt: Michael Sennhauser, Filmredaktor bei Radio SRF 2 Kultur. Seit bald 30 Jahren berichtet er fundiert und mit einer kritischen Begeisterung, die etwas Ansteckendes hat, über den Film. Er verfolgt keine Agenda, lädt interessante Leute zum Gespräch und hat am Tag der Publikumsvorführung seine Besprechung des Wettbewerbsfilms bereits auf seinem Filmblog deponiert. Ihn zu lesen, lohnt sich immer, gerade auch dann, wenn man mal mit ihm nicht gleicher Meinung ist. Dagegen wirken andere Filmjournalisten manchmal wie übellaunige Gastrokritiker, denen eine Zwangsernährung verordnet wurde.
7. Sprechen Sie Ihre Sitznachbarn an
Jeden Schreibenden mag das wurmen: Aber wichtiger als die Pressekritik ist an einem Festival ganz klar die Mund-zu-Mund-Propaganda. Man sitzt ja so viel herum. Ich habe allerbeste Erfahrungen damit gemacht, wildfremde Leute auszufragen, was Ihnen gefallen hat und was nicht und warum. Die meisten geben wahnsinnig gerne Auskunft, und manchmal entwickeln sich längere Gespräche.
Ich erinnere mich an einen Bauingenieur, der beruflich auf der ganzen Welt herumgekommen ist. Seit seiner Pensionierung besucht er das Festival regelmässig. «Hier sehe ich während dieser elf Tage tiefer und genauer in fremde Länder und Seelen hinein», meinte er, «als es mir während meiner gesamten Berufstätigkeit möglich war.» Dieses hautnahe Reisen in den dunklen Sälen hoffe er noch lange so geniessen zu können.
Man kann diese «cinephile Anmache» im ganzen Städtchen betreiben. Die Habitués mit den Dauerkarten sind leicht zu erkennen am Leopardenband, das sie wie stolze Schlüsselkinder um den Hals tragen. Und falls Sie mal das Glück haben, neben charmanten Romands zu sitzen: Packen Sie Ihr Früh- und Spätfranzösisch aus – man wird sich freuen.
Schlagen Filme ein, verbreitet sich das wie ein Lauffeuer durchs kleinräumige Locarno – eine der Segnungen dieses Publikumsfestivals. Für besonders heiss begehrte Filme werden in der Regel Zusatzvorstellungen organisiert und in diesem Jahr erstmals auch über die digitale Signaletik auf den entsprechenden Screens kommuniziert.
8. Der Mensch lebt nicht vom Film allein!
Locarno besitzt über 120 Restaurants sowie unzählige Cafés und Bars. Verhungern und Verdursten sind also selbst bei exzessivem Filmgenuss nicht wirklich angesagt. Die Republik hat Locarno durchforstet, die besten Locations für ganz verschiedene Bedürfnisse finden sich hier.
9. Nightlife: Und wohin nach dem Film?
Bis Anfang der Nullerjahre war das völlig klar: Ab ins Grand Hotel! Hier trafen sich bis in die frühen Morgenstunden Besucher, Filmschaffende und Journalisten in der grosszügigen Lobby unter dem gigantischen, 800 Kilo schweren Murano-Kronleuchter und auf den geschwungenen Aussentreppen zum Garten hin. Seither bröckelt das geschlossene Haus freudlos weiter vor sich hin.
Als charmanter Ersatz bot sich in der Zwischenzeit der terrassierte Zaubergarten des Teatro Paravento (Via Cappuccini 8) an, ein wirklich magischer Ort, wo auch Konzerte stattfinden und Jung und Alt sich trifft. Seit letztem Jahr gibt es nun 100 Meter weiter, direkt neben dem Al Borgo, auch den vom Festival bespielten Locarno Garden (Via Borghese). Hätte die Al-Borgo-Familie Pura nicht vor ein paar Jahren mit einer Petition interveniert, stünde jetzt hier im pittoresk verfallenden Parco Balli ein Tiefparking.
Dringend abraten muss man dem nachtschwärmerischen Filmfreund allerdings von La Rotonda. Das Hüttendorf im Loch des grössten Verkehrskreisels der Schweiz, der täglich von mindestens 40’000 Autos umbrandet wird, wirkt wie Ballermann auf Trash-Tessinerisch – und bietet mit Bestimmtheit die schlechteste Luftqualität des ganzen Locarnese. Nichts gegen Vergnügungsfreudige rund um die Uhr, aber Locarno hat dutzendfach schönere Plätze, und mit den Inhalten und Ansprüchen des Filmfestivals hat dieser Unort definitiv nichts zu tun.
10. Hat sich das Ticketing verbessert?
Ein Ärgernis bildete in den letzten Jahren das lange Anstehen vor den Sälen – um dann am Schluss doch nicht reinzukommen. Für das PalaCinema 1, das PalaVideo und La Sala gibt es neu ein digitales Reservationssystem mit einem Zuschlag von 3 Franken pro Ticket. Auf der Piazza Grande existiert diese Reservationsmöglichkeit schon länger und kostet 17 Franken zusätzlich (beschränktes Kontingent von 360 Sitzplätzen). Am Prinzip des freien und spontanen Zugangs möchte man sonst in Locarno vorläufig festhalten. (Die informelle Platzreserviererei auf der Piazza mit Objekten aller Art ist übrigens zu Recht verboten.)
Die Tageskarte kostet, je nach Anzahl der Piazza-Filme, 49 bis 56 Franken. Ab fünf bis sechs Besuchstagen lohnt sich also die Dauerkarte für 330 Franken (in Ausbildung 110 Franken, ab 64 Jahren 220 Franken). Neben den gut 4000 Akkreditierten haben sich letztes Jahr rund 2000 Festivalgäste eine Dauerkarte gesichert. Alle Ticketpreise finden Sie hier. Wer mit der SBB zum Festival fährt, kann Tickets online mit 20 Prozent Rabatt beziehen.
11. Achtung: der olfaktorische Moment
Es ist Hochsommer, es ist heiss, und ja, es gibt nicht zu selten Geruchsbelästigungen durch Menschen, die das richtige Deo für sich noch nicht gefunden haben. Bringt Sie das Schicksal in eine solche Nachbarschaft, gibt es nur eins: sofort flüchten! Zwei Stunden Mundatmung sind zu anstrengend und verderben den Filmgenuss nachhaltig. In den vollen Sälen sind die Fluchtmöglichkeiten allerdings oft beschränkt. Ich suchte Rat bei der Apothekerin. Sie empfiehlt: den Vicks-Stift (6.90 Franken) oder «Atmewohl» (voll bio, 20.90 Franken). Beides hilft und entspannt. Und ist jetzt immer im Notfallset mit dabei.
12. Wie hüpft man am besten von Kino zu Kino, von Bar zu Bar?
In Locarno ist alles in Fussdistanz zu erreichen. Für die 900 Meter zum Spielort FEVI gibt es zudem einen Shuttle-Bus. Schnelle Flitzer nehmen ihr eigenes Velo mit und sind so in drei Minuten an jedem Ort der Stadt. Seit kurzem gibt es auch ein elektronisches Mietvelosystem mit über 450 blauen Fahrrädern und 250 E-Bikes an 96 Stationen im ganzen Locarnese.
13. Wo lässt man am schönsten die Seele baumeln?
Zwei Möglichkeiten bieten sich besonders an: das Wasser und der Berg. Die Republik hat sich umgeschaut und hier finden Sie die besten Ziele.
14. Locarno heisst Zukunft
Während elf Tagen im August ist Locarno die Welthauptstadt des Autorenfilms. Und als das beweist sie sich nur, wenn sich das Publikum auch auf künstlerische Zumutungen freuen darf. Die Trennlinie zum rein kommerziellen Kino dürfte durchaus noch schärfer gezogen werden. Dass die ganz Grossen der Szene ihre Filme lieber in Cannes, Venedig oder Berlin starten lassen – geschenkt! Locarno steht für das Junge, das Neue, auch noch wilde Ungezähmte. Hier sollen die neue Agnès Varda, der neue Ken Loach, Pedro Almodóvar oder Michael Haneke entdeckt werden. Es gibt tausend Wege, an diesem Publikumsfestival glücklich zu werden. Das Mischungsverhältnis bestimmt jeder Besucher für sich selbst.
Alfred Schlienger, ehemaliger Dozent für Literatur, Philosophie und Medien an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz, ist Theater- und Filmkritiker sowie Mitgründer der Bürgerplattform «Rettet Basel!». Letzte Buchveröffentlichung: «Forever Young. Junges Theater zwischen Traum und Revolte». Christoph-Merian-Verlag, Basel 2017.