Presidente AMLO, Seehofers Wankelkurs und Glarners Wurstkreuzzug
Woche 27/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Michael Kuratli, 06.07.2018
Ein Linker wird Präsident Mexikos
Darum geht es: Andrés Manuel López Obrador gewann in Mexiko überragend die Wahl zum Präsidenten. Seine Partei errang in den meisten Teilstaaten auch die Gouverneurssitze und die Mehrheit im Parlament.
Warum das wichtig ist: Man könnte ihn mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vergleichen. Genau wie der gewann AMLO – seine Initialen wurden zum Markenzeichen – erdrutschartig die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Wie in Frankreich waren die Menschen enttäuscht von den traditionellen Parteien und wählten eine neue Kraft, das Movimiento Regeneración Nacional (Morena). Eine Partei, die erst seit vier Jahren existiert. Nur eben wählten die Mexikanerinnen, anders als die Franzosen, einen Linken und seine Partei. Und das zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Im Wahlkampf spielte aber nicht so sehr seine politische Heimat eine Rolle als vielmehr sein Versprechen, der Korruption den Garaus zu machen. López Obrador ist in Mexiko kein unbeschriebenes Blatt. Bereits 2006 und 2012 hatte er für das Präsidentenamt kandidiert und war davor Bürgermeister von Mexiko-Stadt.
Was als Nächstes geschieht: Die Wirtschaft ist naturgemäss nervös, wenn ein Linker an die Macht gelangt. AMLO versprach aber entgegen seiner früheren, radikaleren Lösungen, sich für private Investitionen einzusetzen. Spannend dürfte werden, wie der neue Präsident mit Donald Trump über die nordamerikanische Freihandelszone Nafta verhandeln wird. Dabei wird er sein Wahlversprechen halten müssen, dem nördlichen Nachbarn entschieden entgegenzutreten. AMLO tritt sein Amt im Dezember an.
Seehofer tritt fast zurück – Europa hält den Atem an
Darum geht es: Der deutsche Innenminister Horst Seehofer kündigte am Sonntag seinen Rücktritt an – und zog ihn nur Tage später wieder zurück.
Warum das wichtig ist: Seit Wochen hält Seehofer Europa auf Trab. Der Regierungsstreit um seinen Masterplan Migration löste in Europa einen politischen Sturm aus. Kanzlerin Merkel sah sich auf Druck ihres Innenministers letzte Woche genötigt, einen spontanen Gipfel zum Thema einzuberufen. Schliesslich drohte ihr die Auflösung ihrer mühsam zusammengeschusterten Regierung nach nur wenigen Monaten. In kürzester Zeit konnte sich die EU auf eine Verschärfung des Asylrechts einigen, etwa durch Auffangzentren in Nordafrika und innerhalb der EU. Seehofer war das zu wenig, und so stellte er «seine Ämter zur Verfügung». Doch offenbar war niemand ausser ihm gewillt, den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aufs Spiel zu setzen. Die CDU stellte sich hinter Merkel, und bei der CSU stehen am 14. Oktober Landtagswahlen an; diese will die Partei nicht verlieren. Sie sind wohl auch mit ein Grund für das Geplänkel der Führung der Christsozialen, die unter dem Trio Seehofer, Söder und Dobrindt einen harten rechtspopulistischen Kurs fährt. Seehofer stellte mit seinem Manöver am Ende aber vor allem einen ins Schilf: sich selbst.
Was als Nächstes geschieht: Ob die Regierungskrise abgewendet oder nur aufgeschoben ist, weiss niemand so recht. Seehofer ist aber in einer ungemütlichen Situation: Entweder beugt er sich künftig dem Willen der Kanzlerin, oder er riskiert erneut den Bruch – und damit den Fortbestand der Regierung. Das politische Karussell, analysierte Daniel Binswanger vergangenen Samstag, dreht immer schneller. Die Frage ist nur, ob das Ding eine Bremse hat.
Assad bombardiert weiter – die USA schauen zu
Darum geht es: Der syrische Machthaber Bashar al-Assad bombardiert in einer Offensive seit anderthalb Wochen Daraa im Süden des Landes. Die Region ist eine Hochburg der Aufständischen. Mehr als eine Viertelmillion neue Geflüchtete stehen vor verschlossenen Grenzen in Jordanien und Israel.
Warum das wichtig ist: Eigentlich haben die USA, Russland und Jordanien die Region letztes Jahr in zähen Verhandlungen als «Deeskalationszone» definiert. Assad setzte sich aber mit der Unterstützung Russlands über die Abmachung hinweg. Seine Begründung: Das Gebiet sei mehrheitlich von Terroristen besetzt. Die USA widersprachen, im Gebiet sei vor allem die gemässigte «Free Syrian Army» stark. Zu deren Verteidigung liessen sich die Amerikaner aber nicht hinreissen. Hinter der Offensive wird auch eine Abmachung zwischen Israel und Russland vermutet. Schliesslich werden bewaffnete schiitische Gruppen im Süden vom Iran unterstützt. Das gefällt Israel so nahe an den Golanhöhen nicht. Assad gewinnt mit Russlands Rückhalt und den tatenlosen USA immer mehr Macht im Land zurück. Vielen Menschen bleibt bei der rücksichtslosen Zerstörung ihrer Heimat nicht anderes als die Flucht. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sprach von 270’000 neuen Geflüchteten in Rekordzeit. Die Übergänge zu Israel und Jordanien sind dicht, die Menschen kampieren an der Grenze.
Was als Nächstes geschieht: Die letzte Runde im Syrienkrieg ist noch lange nicht ausgefochten. Wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in der Republik im Rückblick auf den Dreissigjährigen Krieg aufzeigte, kann sich diese Tragödie noch lange hinziehen. Zurzeit sieht es aber nach einem zähen Sieg des alten Regimes aus – und einem weiteren Tiefpunkt in der humanitären Krise im Nahen Osten.
Waadt für mehr Würde in der Werbung
Darum geht es: Die Regierung des Kantons Waadt will ein Verbot für sexistische Inhalte auf Plakatwerbung einführen.
Warum das wichtig ist: Sexistische Werbung ist so omnipräsent, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Erst wenn die Welt einmal um 180 Grad gedreht wird, wie das der Film «Je ne suis pas un homme facile» macht, gehen einem die Augen auf. Unsere Autorin Solmaz Khorsand hat mit der Hauptdarstellerin Marie-Sophie Ferdane darüber gesprochen. Es scheint, als hätte die Kantonsregierung der Waadt besagten Film gesehen. Schliesslich schlug sie eine Gesetzesänderung vor, die in der Plakatwerbung neben Tabak und Alkohol auch entwürdigende Darstellungen von Frauen und Männern verbieten soll. Geprüft werden soll dies nach den Richtlinien der Schweizerischen Lauterkeitskommission, einem unabhängigen Gremium aus Verbandsvertretern und Expertinnen. Mit dem Gesetzesvorschlag kommt der Trend gegen sexistische Werbung verstärkt auf kantonaler Ebene an. Bisher kennen einzig der Kanton Basel-Stadt sowie die Städte Lausanne und Zürich derartige Regelungen.
Was als Nächstes geschieht: Über die Gesetzesänderung muss der Waadtländer Kantonsrat befinden. Dies wird er voraussichtlich erst nächstes Jahr tun. Kommt das Gesetz durch, wird es aber auf Plakatflächen, die den Gemeinden gehören, nur schwach wirken. Der Kanton kann dort gesetzlich nur eingeschränkt verfügen.
Zum Schluss: Vom Polit- zum Cervelat-Promi (nur kurz)
Andreas Glarner, SVP-Politiker und ehemaliger Gemeindeammann von Oberwil-Lieli, hört auf seine Wählerschaft. Schliesslich hat er in der reichsten Gemeinde des Kantons Aargau auch schon einen Ablasshandel durchgesetzt, um keine Geflüchteten aufnehmen zu müssen. Aktuell bläht sich sein Zorn aber an der Nationalwurst auf wie die eingeschnittenen Spitzes eines Cervelats über dem Feuer. Eine aufgebrachte Frau soll ihm berichtet haben, dass an einer Aargauer Schule Kindern untersagt worden sei, Cervelats zu einem Fest mitzubringen. Muslimische Kinder könnten der Zusammenkunft fernbleiben, wenn Schweizer Kinder ihre Wurst auf denselben Grill legten. (Cervelats enthalten neben Rind- auch Schweinefleisch.) Glarners Facebook-Post darüber wurde über 5000-mal kommentiert und fast ebenso oft geteilt. Was sich hinter der Geschichte allerdings wirklich verbirgt, wollte (oder konnte) der Politiker nicht preisgeben. Er selbst wisse nicht, in welcher Gemeinde sich der Fall abgespielt habe, aber: «Wenn mich eine Mutter mit tränenerstickter Stimme anruft, dann glaube ich ihr, was sie sagt. Sie war so entrüstet, das muss stimmen», kommentierte er die Kritik auf seinen Post. Am Ende stellte sich heraus: Von einem Verbot konnte keine Rede sein. Eine Aargauer Schule machte ein Abschlussfest, die Kinder sollten von zu Hause Speisen mitbringen, um sie gemeinsam zu konsumieren. Und damit idealerweise alle alles essen können, sei doch wenn möglich auf Schweinefleisch zu verzichten, schrieb die Schule. Nichts von Cervelatrassismus. Die Sau bleibt im Dorf. Aber Glarner hört eben auf seine Wählerinnen. Ob sie nun Mist erzählen oder nicht.