Willkommen in der Klitokratie

Das Matriarchat hat gesiegt: Frauen haben das Sagen, Männer müssen sich fügen. Wenn auch nur auf Netflix. Die französische Satire «I Am Not an Easy Man» dreht den Gender-Spiess um und zeigt: Wessen nackte Nippel uns erregen, ist nur eine Machtfrage. Ein Gespräch mit der Hauptdarstellerin Marie-Sophie Ferdane über das Leben als Klitokratin.

Von Solmaz Khorsand, 30.05.2018

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Nahaufnahme von Marie-Sophie Ferdane
Alles, was sie tut, tut sie aus einer Position der Macht heraus: Marie-Sophie Ferdane spielt Alexandra Lamour. Céline Nieszawer

Manchmal braucht es einfach den Vorschlaghammer. In der Patriarchatsdebatte schwingt ihn niemand so elegant wie die französische Filmemacherin Eléonore Pourriat. Bereits 2010 hat sie ihn in ihrem Kurzfilm «Oppressed Majority» ausgepackt. Zu sehen ist da ein grapschendes Matriarchat, das dem pummeligen Pierre an die Wäsche will. Als er sich zu wehren versucht, wird er brutal misshandelt. Selber schuld, sagt die Ehefrau, was zieht er sich auch mit seinen schlabbernden Bermuda-Shorts und Flipflops so aufreizend an. Der Film traf einen Nerv. Mehr als 13 Millionen Mal wurde er auf Youtube angeklickt.

Nun hat Pourriat mit «I Am Not an Easy Man» den Spielfilm dazu herausgebracht. Es ist die erste französische Netflix-Produktion. Erfrischend plump zeigt Pourriat darin die Absurdität gelebter Geschlechterrollen und liefert die Albtraumvorlage für all jene, die sich unter Feminismus eine Amazonen-Diktatur vorstellen.

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I Am Not An Easy Man | Official Trailer [HD] | Netflix

Da wäre Damien, ein Pariser Macho, der nach einem Unfall in einem Paralleluniversum landet. Auf den ersten Blick scheint alles beim Alten. Die gleichen Freunde, die gleiche Wohnung, der gleiche Job. Bloss haben die Frauen plötzlich das Sagen. Und die Männer tragen die knappen Outfits. Ihnen wird auf der Strasse nachgepfiffen. Ihre Expertise wird lächerlich gemacht. Sie sind es, die beim Sex in die orgasmuslose Einöde geritten werden. Das ultimative Alphatier in dieser Welt ist Alexandra, eine gefeierte Autorin, die sich nimmt, was ihr gefällt. Fette Schlitten, protzige Appartements und die schönsten Männer. Sie ist keine Femme fatale. Das ist eine Schublade, die für ein Geschlecht reserviert ist, das gefallen will. Alexandra muss nicht gefallen. Auf den Gedanken kommt sie gar nicht. Sie ist ja die Norm. Der Mann ist die Abweichung. Er muss sich rechtfertigen für jeden Schritt, jeden Gestus, jede Entscheidung. Er muss erklären, warum er sich die Haare nicht färbt, lange statt kurze Hosen trägt und warum er jeden Tag eine andere hat, diese Schlampe. Was versucht er zu beweisen? Will er die Frauen imitieren? Auch Frau sein mit seinem pseudodominanten Gehabe? Ist er schwul?

Alexandra wird von niemandem hinterfragt. Ihr lässiger Gang, ihre kurzen Haare, ihre Art, oben ohne ein Vorstellungsgespräch zu führen: Die Schauspielerin Marie-Sophie Ferdane verkörpert Alexandra. Neidisch sieht man ihr als Frau beim Leben zu. So befreit sieht es aus, wie sie dreist aus dem Vollen schöpft, ohne Rechtfertigungs-Saudade, ohne Zuschreibungs-Paranoia.

Schade nur, dass es Satire ist.

Wie war das Leben als Klitokratin, Frau Ferdane?
Es war grossartig. Alexandra Lamour geht mit einer unglaublichen Selbstsicherheit durch das Leben. Sie hat eine Idee und setzt sie um. Sie will einen Mann und schnappt ihn sich. Sie hat keine Selbstzweifel und keine Barrieren, die sie hindern, etwas zu tun oder zu glauben, dass jemand, gar ein Mann, besser sein könnte für eine Sache als sie. Diese Fragen stellen sich ihr nicht. Sie ist frei.

Weil sie im Matriarchat die Norm ist. Alles, was sie tut, tut sie als Angehörige des privilegierten Geschlechts, aus einer Position der Macht heraus. Erst diese Zugehörigkeit ermöglicht ihr diese Freiheit.
Wir müssen dahin kommen, wo wir uns rein als Menschen sehen und nicht als Angehörige eines bestimmten Geschlechts. Ich versuche mein Leben in jeder Situation voll und ganz zu leben. Mein Verhalten, meine Gedanken, meine Wünsche und meine Begierde sind nicht an ein Geschlecht gekoppelt, sondern sind Ausdruck dieser Lebenslust.

Als Alexandra sind Sie in vielen Szenen oben ohne zu sehen. Beim Vorstellungsgespräch mit Damien, wo Sie ihn als Ihren Assistenten rekrutieren, wenn Sie am Computer schreiben, wenn Sie abends durch Ihre Wohnung schlendern. Welche Bedeutung hatten diese Szenen für Sie?
Diese Szenen waren mir enorm wichtig. Ich wollte diesen freien Frauenkörper zeigen, weil man ihn in dieser Form eigentlich nie sieht. Er hat sonst immer etwas Betörendes. Im Film ist es nur der blanke Oberkörper. Das Ganze hatte nichts Sexuelles. Das war auch für mich eine neue Sache, so nackt herumzulaufen.

zwei Frauen im Anzug sitzen an einem Tisch
Alexandra Lamour (Marie-Sophie Ferdane; links) diskutiert mit ihrer Verlegerin über das Sujet ihres neuen Buches, einen Maskulinisten. Céline Nieszawer

Weil der nackte Frauennippel immer noch als erregend wahrgenommen wird, während der nackte Männernippel ein unaufgeregtes Dasein führen darf?
Als Frau ist unser Körper immer sexualisiert. Wir lernen bereits als kleine Mädchen, dass unser Körper ein Objekt der Begierde ist. Selbst wenn wir nackt in unseren eigenen vier Wänden herumlaufen, selbst wenn wir alleine sind, können wir diesen Gedanken nicht ablegen.

Wir sind schon ziemlich abgefuckt.
Absolut. Deswegen bin ich auch unglaublich gerührt, wenn mir junge Frauen aus der ganzen Welt schreiben: «Heute werde ich versuchen, in meiner eigenen Wohnung ein bisschen oben ohne herumzulaufen, genauso wie Alexandra.»

Was hat für Sie im Film die ultimative Machtdemonstration als Alphatier symbolisiert?
Die Szene, in der mich ein Prostituierter oral befriedigt. Das war für mich sehr interessant. Einerseits, weil man sein Gesicht nicht sieht, was ungewöhnlich ist, weil man das Gesicht des Mannes bei solchen Szenen immer sieht. Andererseits, weil meine Erregtheit nichts Hysterisches oder Wahnsinniges hatte. Normalerweise wird der weibliche Orgasmus immer als etwas Extremes dargestellt. Hier nicht. Hier gibt es eine Ruhe.

demonstrierende Männer mit umgehängten Busen-Attrappen
Gegen die Diskriminierung der Männer ziehen die Maskulinisten mit den härtesten Mitteln in den Kampf. Céline Nieszawer

Wie würde Alexandra in unserer Welt wahrgenommen werden?
Eine Frau, die so mächtig und stark ist und sich um keine gesellschaftlichen Codes schert? Ja, die würden viele wahrscheinlich für eine Lesbe halten.

Sind wir tatsächlich noch nicht weiter? Dass wir eine selbstbestimmte Frau als lesbisch «beschimpfen» – denn so ist es hier ja gemeint – und ihr damit implizit eine vermeintliche Abnormität unterstellen, nur weil es nicht ihr oberstes Ziel ist, Männern zu gefallen?
Die Dinge verändern sich nun zum Glück. Was noch früher oder gar heute als «lesbisch» gelesen wird, wird in fünf oder zehn Jahren nicht mehr so gelesen werden. Die junge Generation denkt nicht mehr so. Für mich ist es heute viel leichter, mit einer starken Weiblichkeit zu leben, als noch vor zehn Jahren.

Französinnen sind mit einem bestimmten Weiblichkeitsklischee konfrontiert. Sie müssen sexy, schlank und chic sein. Und immer bereit, zu verführen. Stimmt das?
Es ist ein Klischee, aber es hat schon etwas Wahres. Die Eleganz, die Verführung, die Raffinesse, der Stellenwert der Mode und die Aufmerksamkeit, die wir unserem Körper schenken, sind schon Teil unserer Erziehung. Auch der Typ Schauspielerin, der in Frankreich Karriere macht, entspricht dem Bild der eleganten und verführerischen Ikone. Auch bei uns tauchen andere Formen der Weiblichkeit auf, doch ist das Standardmodell eine ganz bestimmte elegante und verführerische Weiblichkeit.

Wurden Sie mit dieser Weiblichkeit erzogen?
Ich bin die jüngste von vier Schwestern. Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater leitender Angestellter in der Informatikbranche. Ich hatte eine sehr strenge Erziehung, in der ich viel gelesen und viel klassische Musik gehört habe. Es war weder modern noch feministisch, aber ich hatte das Glück, dass mein Vater mit mir immer wie mit einem Menschen gesprochen hat, nie wie mit einem Mädchen.

Was heisst das?
Die Botschaft, die ich als Kind bekommen habe, war immer: Alles ist möglich, wenn du hart arbeitest. Die zentralen Werte in unserer Familie waren Arbeit, Studium, Kultur, Philosophie und die Kunst der Debatte. Ich hatte niemals das Gefühl, dass ich als Mädchen eine bestimmte Weiblichkeit entwickeln muss.

Wann wurden Sie damit konfrontiert?
Erst später als Schauspielerin. Was mich immer geprägt hat, war der Wunsch, die grossen Dinge zu erleben, gleichberechtigt zu sein und zu begreifen, dass ich nur eine sehr kurze Zeit auf dieser Welt habe, um ein intensives Leben zu leben. Ich kann keine Zeit damit vergeuden, zu denken: «Oh, ich sollte jetzt zur Maniküre oder zum Friseur.» Die Verführung ist für mich ein Spiel und ein Vergnügen. Und sie ist auch Teil unseres Lebens, aber sie geht mir nicht durch Mark und Bein.

In der #MeToo-Debatte sorgte ein Brief von hundert prominenten Französinnen, unter ihnen Catherine Deneuve, für Aufsehen. Die Frauen warnten darin vor einem «Klima der totalitären Gesellschaft» und plädierten für «eine Freiheit, jemandem lästig zu werden», die für die sexuelle Freiheit unerlässlich sei. Wie empfanden Sie den Brief?
Ich fühlte mich schlecht, als ich den Brief gelesen hatte. Das Einzige, was ich mir gedacht habe dabei: «Diese hundert Frauen sind effektiv hundert. Wir aber sind Millionen.» Ich denke, dass diese konservative Sicht auf das Geschlechterverhältnis und dieses ganze dumme «die Freiheit zu belästigen» zu einer alten Welt gehören. Und diese Welt ist gerade dabei, unterzugehen.

Die Autorin Agnès Poirier hat in einer Replik versucht, Nicht-Franzosen den Brief zu erklären. Sie meinte, dass die Debatte um die sexuelle Freiheit den französischen Feminismus immer vom amerikanischen und britischen Feminismus unterschieden hat – respektive «die Haltung gegenüber Männern und Sex». Hat sie recht?
Frankreich ist sehr komplex, weil die weibliche Revolution bei uns nicht die einfachste ist. Hier haben sich nicht viele Frauen wegen sexueller Gewalt und Belästigung zu Wort gemeldet. Es gab die #MeToo-Bewegung in dem Ausmass nicht.

Warum?
Wir haben verinnerlicht, dass inakzeptables Verhalten irgendwie auch zur Verführung gehört, und deswegen können wir darüber nicht sprechen. Das ist das französische Paradox. Der Raum der Verführung und dieses Verhältnis der Geschlechter sind tief verwurzelt in unserem Verhalten. Wenn wir als Frauen das Wort ergriffen, würde es bedeuten, dass wir unsere Art zu leben verwerfen, weil die Verführung so hoch in unserer Gesellschaft rangiert. Das ist verrückt!

Welchen Stellenwert hat dabei die sexuelle Befreiung?
Sie ist etwas immens Wertvolles und hart Erkämpftes von Generationen von Frauen vor uns. Aber eines muss klar sein: Nur weil eine Frau frei ist, heisst das nicht, dass sie deswegen auch verfügbar ist. Das würde ja bedeuten: Unsere Körper sind frei, aber unser Geist ist es nicht. Dann kommen Aussagen wie: Eine Frau sagt etwas und denkt etwas anderes. Oder: Wenn sie Nein sagt, meint sie in Wirklichkeit Ja. Als ob ein Mann besser wüsste, was eine Frau will. Das stimmt einfach nicht. Unser Geist ist frei, verdammt! Die Frau kann wählen, wie weit sie beim Flirten geht und wo sie die Grenze zur Verführung zieht.

Die Art der Kommunikation ist in Frankreich viel stärker vom Flirt geprägt, als das beispielsweise im deutschsprachigen Raum der Fall ist. Erleichtert das den Geschlechterdiskurs, oder erschwert es eine Kommunikation auf Augenhöhe?
Für mich ist das eine Chance. Ich liebe diese Art des Spiels und die Leichtigkeit. Um Gleichberechtigung zu erlangen, ist es notwendig, das auf leichte Art zu machen. In einer Diskussion, wo ich einem Macho gegenüberstehe, kann man mit diesem Spiel der Sprache viel biegsamer agieren und verfahrene Situationen entschärfen. Ich spreche da natürlich nicht von Missbrauch und Belästigung, sondern von alltäglichen Situationen. Man kann mit Humor und Leichtigkeit gewisse Dinge verständlich machen. Ich habe Vertrauen, dass uns diese Art helfen kann.

In dieser Hinsicht ist «I Am Not an Easy Man» keine Satire, sondern vielmehr ein Aufklärungsfilm.
Die Stärke des Filmes ist es, zu sagen: Mit den Frauen ist die Welt nicht nett, sanft und süss. Es ist keine Küsschen-Küsschen-Welt. Es ist alles immer eine Frage der Macht. Und unbegrenztes Machtgefühl macht debil. Egal, ob Männer oder Frauen.

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