Gewalt in Gaza, Argentinien kriselt – und die bleiernen Tränen der Literatur
Woche 20/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Michael Kuratli, 18.05.2018
Eskalation der Gewalt zu Israels Geburtstag
Darum geht es: Nach anhaltenden Protesten seit Ende März entlang der Grenze des Gazastreifens zu Israel eskalierte die Gewalt am Montag. Am selben Tag wurde die neue US-amerikanische Botschaft in Ostjerusalem eröffnet. Brandbomben und brennende Flugdrachen richteten Schäden auf israelischem Gebiet an. Die israelische Armee antwortete mit Panzern, Scharfschützen und Luftangriffen. Mindestens 60 Menschen starben auf palästinensischer Seite. Mehr als 2700 Verletzte meldete das Gesundheitsministerium im Gazastreifen. Die USA wehrten am Dienstag eine unabhängige Untersuchung der Auseinandersetzungen durch die Uno im Sicherheitsrat per Veto ab. Die europäischen Staaten hielten Israel dazu an, «auf übermässige Gewalt zu verzichten». Die Weltgemeinschaft – abgesehen von den USA – zeigte sich empört.
Warum das wichtig ist: Im Dezember vergangenen Jahres kündigte Präsident Trump die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels und die Verschiebung der US-Botschaft von Tel Aviv an. Damit erfüllte er ein Wahlversprechen und bezog im israelisch-palästinensischen Konflikt klar Stellung. Die neue Botschaft steht auf besetztem Gebiet in Ostjerusalem. Mit dem Vorgehen scheiden die USA als neutrale Vermittler im Konflikt aus, und eine Zweistaatenlösung scheint immer unrealistischer. Trump spricht zwar weiterhin von Frieden, isoliert sich zusammen mit der israelischen Führung aber zusehends in der Region und unter seinen Verbündeten.
Was als Nächstes geschieht: Mit der pro-israelischen Haltung der Regierung Trump ist die konservative Regierung von Benjamin Netanyahu gestärkt, insbesondere nach der Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran am vorletzten Dienstag. Weitere Konfrontationen mit der palästinensischen Seite sind zu erwarten.
Argentinien droht erneut in die Krise zu schlittern
Darum geht es: Der argentinische Peso ging zu Wochenbeginn auf Talfahrt. Die Währung sank um acht Prozent des Werts, nach einer steten Abwertung in den letzten zwei Wochen. Grund dafür ist hauptsächlich die Erhöhung der Leitzinsen der amerikanischen Notenbank. Dies macht die USA für Anleger wieder attraktiver. Verlierer sind Schwellenländer, aus denen Geld in sicherere Anlagen abfliesst. Den argentinischen Peso traf es besonders hart, weshalb die Regierung des Präsidenten Mauricio Macri die Unterstützung des Internationalen Währungsfonds (IWF) anforderte.
Warum das wichtig ist: Die Regierung des wirtschaftsliberalen Mauricio Macri gerät seit der Machtübernahme 2015 zum ersten Mal in eine ernsthafte Krise. Die Wirtschaftsreformen, die ein investitionsfreundliches Klima schaffen sollten, haben offenbar nicht gefruchtet. Mit der Anrufung des IWF kommen Erinnerungen an die ultraliberale Phase unter Präsident Carlos Menem Ende der 1990er-Jahre auf, die in der verheerenden Krise von 2001 mündete. Das Land verfügt aber im Gegensatz zu damals noch über grössere Devisenreserven, was eine Hyperinflation auf absehbare Zeit verhindern sollte.
Was als Nächstes geschieht: Macri hatte mit seiner Bewegung die Dominanz der Peronisten nach vierzehn Jahren unter den Kirchners gebrochen. Dennoch verfügt er im Parlament über keine Mehrheit. Mit der Krise hat die neue Mitte-Rechts-Bewegung um Macri an Ansehen verloren. Obwohl die Opposition heillos gespalten ist, könnte der Präsident bei den Wahlen im Herbst 2019 den Rückhalt verlieren. Bis dahin droht die politische und wirtschaftliche Lage noch turbulenter zu werden. Die vom IWF üblicherweise verlangten Reformen und Sparprogramme wären dabei Öl ins Feuer.
Anschläge in Indonesien – schärfere Anti-Terror-Gesetze
Darum geht es: Eine Reihe von islamistisch motivierten Selbstmordattentaten schüttelt Indonesien durch. Die Anschläge vom Sonntag auf drei christliche Kirchen in Surabaya schockierten besonders, da sie von einer Familie – Vater, Mutter, 4 Kinder – verübt wurden. Am Montag starben bei einem weiteren Anschlag auf einen Polizeiposten mindestens 14 Personen, darunter 6 Attentäter. Der IS bekennt sich zu den Anschlägen.
Warum das wichtig ist: Das bevölkerungsreichste muslimisch geprägte Land der Welt kämpft seit Jahren mit terroristischen Gruppierungen. Seit 2016 ist eine Revision der Anti-Terror-Gesetze im Parlament hängig. Nach den jüngsten Anschlägen macht Präsident Joko «Jokowi» Widodo nun Druck. Die verschärften Gesetze würden der Polizei weitreichende Kompetenzen einräumen, Verdächtigte könnten bis zu 6 Monate unter Arrest gestellt werden. Weiter würden die neuen Gesetze sogenannte Terrorreisen unter Strafe stellen, wie das die Schweiz beim IS kennt. Verurteilte Terroristen würden zudem ihren Pass und die Staatszugehörigkeit verlieren.
Was als Nächstes passiert: 2019 finden auch in Indonesien Wahlen statt, die vermutlich eine Neuauflage der letzten von 2014 sein werden. Das würde ein Duell zwischen «Jokowi» und dem Ex-General Prabowo Subianto bedeuten. Wohl aus Angst vor einem Stimmungswandel im Land fährt der derzeitige Präsident nun einen harten Kurs gegen Extremistinnen. Dies mit Gesetzen, die stark an den Menschenrechten kratzen. Und sei es nur, um die Wiederwahl zu schaffen.
Publicitas ist konkurs – Verlage gründen Ersatz
Darum geht es: Vergangenen Freitag meldete der traditionsreiche Werbevermittler Konkurs an. Dies zeichnete sich ab, nachdem Tamedia Ende April die Zusammenarbeit aufgekündigt hatte. Weitere Verlage zogen sich danach aus ihrer Partnerschaft mit Publicitas zurück. Das Unternehmen wurde 2014 von der Publigroupe abgestossen und kämpfte schon seit längerem mit sinkenden Einnahmen. Rund 150 Mitarbeitenden wurde gekündigt.
Warum das wichtig ist: Der Konkurs steht symbolisch für den Umbruch in der Medienbranche. Die sinkenden Verkäufe des letzten Jahrzehnts schlugen sich im Geschäftsgang nieder. Für den Niedergang macht der ehemalige Publicitas-CEO Otto Meier aber auch das Unternehmen selbst verantwortlich. Nebst den Verlagen, die es verpasst hätten, den Verkauf der «P» an einen ausländischen Investor vor fünf Jahren zu verhindern und sich selbst zu beteiligen. Den Verlust des zentralen Werbevermarkters würden «die mittleren und kleinen Zeitungen» am meisten spüren. Der Printwerbemarkt wird zusätzlich geschwächt.
Was als Nächstes passiert: Die grossen Schweizer Zeitungsverlage und der Verband Schweizer Medien haben am Dienstag bereits die AdAgent AG gegründet, die den «Betrieb und Unterhalt einer Service-Plattform für die Abwicklung von Inserateaufträgen für alle Printprodukte in der Schweiz» sicherstellen soll. Der Verband Schweizer Medien lud seine Mitglieder zu einer Lagebeurteilung am 30. Mai ein. Ob die neue Firma die umfassenden Dienstleistungen der Publicitas ersetzen kann, wird sich danach zeigen.
Rochade im Zürcher Stadtrat
Darum geht es: Am Mittwoch wurde im Zürcher Stadtrat an einer Medienkonferenz die Verteilung der Departemente bekannt gegeben. Richard Wolff (AL) steht neu dem Tiefbau- und Entsorgungsdepartement vor und gibt das Sicherheitsdepartement der neu gewählten Karin Rykart (Grüne) ab. Filippo Leutenegger (FDP) wechselt vom Tiefbau- ins Schul- und Sportdepartement.
Warum das wichtig ist: An der Medienkonferenz kam es zu einem Eklat. Leutenegger beschwerte sich vor versammeltem Stadtrat, dass er gegen seinen Willen von seinem Amt wegversetzt worden sei. Auch Wolff zeigte sich unglücklich über den neuerlichen Wechsel, nachdem er bereits zu seiner Wahl 2013 unverhofft Polizeivorsteher geworden war. Stadtpräsidentin Mauch verteidigte die Entscheidungen im Gespräch mit der NZZ. Die Konferenz zeigte eines: In der Regierung der Stadt Zürich herrscht alles andere als Harmonie.
Was als Nächstes passiert: Drohen ungemütlichere Zeiten? Rot-Grün könnte die unliebsame Rochade mit einer Isolation oder wenigstens mit der alleinigen Verantwortung bei wichtigen Entscheiden in den Schlüsseldepartementen bezahlen. Und das in der Stadt, die gleich nach dem Bund sowie den Kantonen Zürich, Bern und Waadt den fünftgrössten öffentlichen Haushalt des Landes überhaupt hat.
Zum Schluss: Die bleiernen Tränen der Literatur (semi-kurz)
Nicht nur die Medienbranche bemitleidet sich gern selbst. Die Literatinnen und Literaten haben schon lange erkannt, dass sie unwichtig geworden sind. Schliesslich beschimpfte Bichsel hier vor wenigen Tagen Leserinnen als unbrauchbar, und Hohler beklagte an den Solothurner Literaturtagen die tiefen Buchverkäufe trotz anhaltenden Alkohol- und Fleischkonsums. Doch nicht nur die alten Dünki-Schotts der Schweizer Literatur trauerten unlängst um die Entwertung des geschriebenen Worts. Der Verband der Autorinnen und Autoren Schweiz (AdS) suchte wie jedes Jahr Schuldige, um seinen Schmähpreis, die «Plume de Plomb» (Bleierne Feder), für Verfehlungen in der Literaturbranche zu vergeben. Und fand die NZZ-Gruppe. Passenderweise hätte der NZZ-Feuilleton-Leiter René Scheu den Preis entgegennehmen sollen, dem der Niedergang der kritischen Auseinandersetzung mit Kulturprodukten und der Aufstieg der Klickkultur zur Hauptsache angelastet wird. Wahrscheinlich aber hat er gar nichts davon gelesen.
Ganz zum Schluss: Literaturtränen zum Zweiten (ganz kurz)
Ein Mann vereinigte die Medien- und die Literaturbranche diese Woche in der Trauer. Mit 88 Jahren ist Tom Wolfe, der Vorreiter des New Journalism und Romanautor, am Montag gestorben. Einen wunderbaren Nachruf lesen Sie in der «New York Times». Der Welt vorenthalten wird (neben vier weiteren geplanten) nun sein Buch über Political Correctness bleiben, das er in einem Interview mit CBS vor zwei Jahren als eines der «witzigsten Themen seit langer, langer Zeit» bezeichnete. Wir hätten es mit Genuss gelesen.
Debatte: Dialog mit der Redaktion
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