Wie das Fernsehen wurde, was es ist – Episode III

Therese Bernhard im TV Studio
Meilenstein anno 1979: Therese Bernhard präsentiert als erste Frau die «Tagesschau». SRF

Von links kritisiert, von rechts fichiert – die TV-Soap der 1970er

Die Politik will das Fernsehen noch stärker kontrollieren. Der Staat greift durch. Scharfe Kritik von links, perfekt organisierte Angriffe von rechts. Das Fernsehen überlebt. Topquoten!

Von Christof Moser, Lukas Nyffenegger und Florian Wicki, 02.03.2018

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Von allen Seiten unter Sperrfeuer, die Sendungen beliebter denn je: So präsentiert sich die allgemeine Lage des Fernsehens in den 1970er-Jahren.

Die Linken kritisieren, es schaffe durch «Überbetonung der nationalen Einheit» im Namen der «herrschenden Klasse» ein unkritisches «Eidgenossen-Gefühl».

Die Rechten sehen die SRG von «moskauhörigen» Universitätsabsolventen unterwandert, die sich in den TV-Studios installieren und damit den Sowjets einen «direkten Draht in Hirne und Herzen des Fernsehvolks» legen.

Und das Volk? Sieht sich die Sendungen an.

Die 1970er-Jahre
Über eine Million Schweizer Haushalte haben ein Fernsehgerät. Aber die Schweiz hat noch immer keinen Verfassungsartikel für das Fernsehen.

Das Wort «Strassenfeger» kommt auf. Für TV-Sendungen, die Strassen, Plätze, Cafés und Bars leer fegen, weil alle zu Hause vor der Glotze hocken.

1970: Der Song «The Revolution Will Not Be Televised» von Gil Scott-Heron geht um die Welt.

Der politische Druck steigt.

Die Parteien wollen die SRG stärker kontrollieren. CVP-Nationalrat Leo Schürmann bemüht sich zu Beginn der 1970er-Jahre um grösseren Einfluss seiner Partei auf das Fernsehen und fordert eine politische Oberaufsicht. Im Parlament wird die Möglichkeit diskutiert, «Proporzfernsehen» einzuführen. Die Parteien sollen proportional zu ihrer Wählerstärke an der Gestaltung des Programms beteiligt werden.

Wie das Fernsehen wurde, was es ist

Mit der No-Billag-Initiative geht es um die Zukunft des öffentlichen Fernsehens in der Schweiz. Die Geschichte des Fernsehens ist eine brutale Hetzjagd durch die Zeit. In den fünf Episoden wir diese Geschichte aufgearbeitet.

Episode II

Die 1960er: Fernsehen wird kritisch – die Politik wird es auch

Sie lesen: Episode III

Von links kritisiert, von rechts fichiert – die TV-Soap der 1970er

Episode IV

Die 1980er bis heute – endlich ein Ver­fas­sungs­ar­ti­kel

Episode V

Die Zukunft – wie weiter mit der SRG?

Neue Kräfte tauchen auf: Nicht nur die Politik, auch die Zivilgesellschaft fordert stärkeren Einfluss auf das Fernsehen. Von allen Seiten bedrängt und kritisiert, gilt das Fernsehen bald als links- oder rechtslastig, als unchristlich, amoralisch, frauen- oder militärfeindlich.

1970: Grundsatzerklärung des SRG-Zentralvorstands: Die SRG müsse «von Einflüssen staatlicher, politischer oder wirtschaftlicher Art sowie auch vom Druck irgendwelcher Gruppen unabhängig sein».

Kurz darauf ein Eklat.

1971: Wirtschaftsredaktor Rudolf Frei gibt vor laufenden «Rundschau»-Kameras seinen Rücktritt. Begründung: Er werde «kaltgestellt», und das Fernsehen sei zu stark «gouvernementalen Einflüssen» ausgesetzt.

Es ist der Auftakt zu einem zähen Ringen um die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen, das die Schweizer Politik und Gesellschaft über die ganzen 1970er-Jahre beschäftigen wird.

Zuerst verliert die SRG, zuletzt steht sie als Gewinnerin da.

Obwohl sie damit Konkurrenz erhalten wird.

Zunächst jedoch: Kulturkampf.

1971: SP-Nationalrat Arthur Schmid fordert in der «National-Zeitung» die «Demokratisierung des Fernsehapparats»: «Die Entscheidungsbefugnis, die heute in den Händen weniger liegt, muss ein Gegengewicht erhalten.»

1971: Sechs Mitarbeiter des Westschweizer Fernsehens erhalten die sofortige Kündigung und ein Verbot, die Räume der SRG je wieder zu betreten. Die Mitarbeiter wurden, wie SP-Nationalrat Arthur Villard in einem Vorstoss im Parlament schreibt, von der Direktion als «Umstürzler» bezeichnet, die eine «systematische Vergiftung» betreiben würden. Die SP kritisiert, es finde eine «Hexenjagd gegen die Mitarbeiter des Fernsehens» statt.

Allen voran das konservative Lager leistet erbitterten Widerstand gegen den Versuch des Fernsehens, marginalisierte Themen aufzugreifen und sich gutschweizerischen Themen kritisch zuzuwenden.

Diskursive Aushandlung von Positionen und Gegendarstellungen in der Öffentlichkeit? Das erscheint den Konservativen zu kommunistisch.

1972: Die SVP legt ein Dossier mit angeblichen Konzessionsverstössen vor. Dem TV wird «Unausgewogenheit» und «Linkslastigkeit» vorgeworfen.

1972: Die Sendung «Antenne» strahlt anlässlich eines Tags der offenen Tür bei der Felddivision 6 einen Beitrag aus, in dem Soldatenfriedhöfe zu sehen sind, unterlegt mit dem Geknatter von Maschinengewehren. Das Militärdepartement EMD interveniert. Der Divisionskommandant greift in der NZZ die TV-Macher an und spricht von einer «Verunglimpfung der Truppen» und «raffinierten Manipulation zugunsten der Armeegegner».

Der Beitrag führt zur ersten Konzessionsbeschwerde in der Schweizer TV-Geschichte. Die Programmleitung entschuldigt sich am folgenden Tag, ein paar Tage später wird eine revidierte Fassung ausgestrahlt.

1972: SVP-Bundesanwalt Hans Walder fordert, dass «die Linksextremisten, die sich in den Massenmedien einzunisten wussten, ausgebootet werden, und zwar auch dann, wenn es ausserordentlich schwerfällt, ihnen ihre Verbindung mit staatsfeindlichen Organisationen nachzuweisen».

«Das Schreckgespenst des links unterwanderten Fernsehens hatte in den 1970er-Jahren seinen ersten Kulminationspunkt», sagt Historiker Lukas Nyffenegger. «Das Fernsehen gegen die Kommunisten zu verteidigen, hiess, die Nation zu verteidigen.»

Das EMD lässt nicht locker und schiesst weiter gegen Radio und Fernsehen. In einer Radiodiskussion wehren sich die Radio- und TV-Direktoren gegen den Vorwurf, «Linke und Subversive» würden in der SRG den «Ton angeben».

1972: In der SRG-Fiche beim Staatsschutz wird vermerkt: «Petition gegen Fernseh-Entlassungen. Verfasser sind Friedrich Dürrenmatt, Kurt Marti und Harald Szeeman. Unterzeichnet von über 500 Personen aus der ganzen Schweiz.»

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fernsehens werden von der Bundesanwaltschaft fichiert, unliebsame, kritische Beschäftigte entlassen und unter Druck gesetzt.

Von links aus gesehen ist das Fernsehen in diesen Jahren bieder, bünzlig, patriotisch; ein Sinnbild für den bösen Staat, die herrschende Klasse.

1973: Die Arbeitsgruppe Kritische Publizistik (AKP) kritisiert unter dem Titel «Welttheater für Eidgenossen» die «gouvernementale ‹Tagesschau›», die nur «Nachrichten des Regierungslagers» und «Ansichten der Unternehmerseite» verbreite.


Die Anfänge der linken TV-Kritik

Die Einseitigkeit beschäftigt die Linke bereits beim Aufkommen des Radios. Der Arbeiter-Radiobund der Schweiz (Arbus) kritisiert 1931 die bürgerliche Schlagseite. Beklagt fehlende Sendezeit für Linke. Und fordert die «sofortige Demokratisierung der SRG».

Konkret wollen die späteren SP-Bundesräte Ernst Nobs und Max Weber Radiovorträge halten – und aus der «Frühzeit der Arbeiterbewegung» berichten oder Themen diskutieren wie «Was wäre von Korporationen zu erwarten?». Bürgerliche hielten Radiovorträge. Und Linke? Die SRG lehnt ab.

Organisiert hatte sich die Radio- und Fernsehkritik von links kurz vor der Gründung der SRG. Sie kämpfte gegen die Erhöhung der Radiogebühren zugunsten des Fernsehens – und warnte vor Bürokratie. «Um der steigenden Zahl von Schwarzhörern begegnen zu können, bedarf es eines erweiterten Kontrollapparates, was rein administrativ stark ansteigende Kosten verursachen würde», schrieb Arbus, die Vereinigung für kritische Mediennutzung, damals. Statt mit Gebühren sollten «Reklamesendungen» die finanzielle Situation der SRG aufbessern.


Als Mitte der 1970er-Jahre im Parlament die Debatte zur Reglementierung des Fernsehens beginnt, werden von allen Seiten Wünsche an die SRG herangetragen. Die SP wünscht sich ein breites Bildungsfernsehen, finanziert aus Gebühren. Die Schweizer Kirchen wünschen eine «Vielfalt privater und öffentlicher Konzessionsnehmer». Und der Bund der Frauenorganisationen wünscht, bei der Programmgestaltung aktiv mitwirken zu können.

Auch ganz rechts aussen formiert sich Opposition.

1974: Gründung der Schweizerischen Fernseh- und Radiovereinigung (SFRV).


Der Aufstieg der rechten TV-Kritik

Das parlamentarische Ringen ums Fernsehen führt zum politischen Aufstieg des Berner Geschichtsprofessors und SVP-Nationalrats Walther Hofer. Unter seiner Führung konsolidieren, kumulieren und koordinieren die rechten Kritiker bis in die 1980er-Jahre ihre Angriffe gegen das Fernsehen.

1974: «Antenne» (01.02.)

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Die Schweizerische Fernseh- und Radiovereinigung, die bald nach ihrer Gründung als Hofer-Club bekannt und berüchtigt wird, vereint mehrere tausend rechtsbürgerliche Mitglieder und Verbände, die das Sperrfeuer auf das Fernsehen eröffnen. Publikationen wie «Trumpf Buur» kritisieren das Fernsehen als «linken Staatssender», es habe «zu grossen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung» und entwickle sich zum «Staat im Staate».

In der aktiven Zeit des Hofer-Clubs wird die SRG mit einer regelrechten Flut von Programmbeschwerden eingedeckt. Das Ziel des Hofer-Clubs war nicht ausgewogenes Fernsehen. Der Hofer-Club wollte ein bürgerliches Fernsehen. Mitglied war auch der damalige SVP-Nationalrat Christoph Blocher.


Mitte der 1970er-Jahre reagieren die TV-Macher auf die Kritik von rechts. Und links. Sie nehmen erstmals eine medienkritische Sendung ins Programm auf.

1974: Start von «Fernsehstrasse 1–4» unter der Leitung des Zürcher Juristen Hans W. Kopp.

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Die erste Ausgabe von «Fernsehstrasse 1–4» widmet sich der Frage nach der ideologischen Ausrichtung der «Tagesschau». Die linken Kritiker der AKP und der rechtsbürgerliche Hofer-Club streiten in ein und derselben Sendung für ein Fernsehen nach ihrem Weltbild – ein historischer Fernsehmoment.

Und darüber hinaus?

Das Fernsehen mogelt sich durch, so wie es sich immer durchmogelte und weiter durchmogeln kann bis ins No-Billag-Zeitalter der 2010er-Jahre: mit einer eigentümlichen Mischung aus Widerborstigkeit und Überanpassung.

Tabuthemen wie Armee, Sexualität und Jugendkultur finden den Weg in die Programme. Gleichzeitig wird das Bild der Schweizer Idylle gepflegt. Wie zum Beispiel 1974 im Dokumentarfilm «Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind» des Urners Fredi Murer.

1974: Erster «Kassensturz» wird ausgestrahlt.

Musizierende Hippies
«Gesellschaftlicher Pluralismus mit seinen erfreulichen wie ärgerlichen Seiten»: Das Fernsehen zeichnet einen Auftritt der Minstrels auf. SRF

Der Wandel ist nicht aufzuhalten. «Eine Ära, die im Guten wie im Schlechten durch einheitlichen Gemeinschaftsgeist geprägt war», schrieb Historiker Georg Kreis in der NZZ, «wurde abgelöst von einer Ära des gesellschaftlichen Pluralismus mit seinen erfreulichen wie ärgerlichen Seiten.»

1975: Die Sendung «Bericht vor acht» kritisiert den «unmenschlichen Export von Arbeitskräften», als nach dem Ölpreisschock Hunderttausende Gastarbeiter die Schweiz verlassen müssen.

1975: Die Sendung «Teleboy» erreicht die höchste je gemessene Quote des Schweizer Fernsehens: Über zwei Millionen Zuschauerinnen schalten ein.

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1975: Als Folge der Dauerkritik am Fernsehen aus der Politik wird eine «Beschwerdekommission Radio und Fernsehen des EVED» etabliert. Der «Antenne»-Beitrag über die Felddivision 6 wird als Konzessionsverletzung taxiert. Die Linken sind empört und sprechen von einem «Hofer-Knicks».

Als Mitte der 1970er-Jahre im Parlament die Debatte über den Radio- und Fernsehartikel abgeschlossen wird, setzen sich zunächst jene politischen Kreise durch, die eine strengere staatliche Aufsicht über die SRG fordern.

In der darauffolgenden Volksabstimmung schlägt das Pendel zurück.

1976: Die Vorlage zur Verankerung der Rundfunkpolitik in der Bundesverfassung scheitert.

Ein Etappensieg für die SRG, die ihre Programmautonomie gegen die Politik verteidigen kann. Der Bundesrat steht mit seiner Regulierungspolitik vor einem Scherbenhaufen.

1976: Der Bundesrat beruft die «Expertenkommission für eine Medien-Gesamtkonzeption» ein. Erstmals spricht Publizistikwissenschaftler und Kommissionsmitglied Ulrich Saxer von einem «Marktversagen» im Bereich der Presse. Und empfiehlt statt einer direkten Presseförderung die Liberalisierung von Radio und Fernsehen.

Auch dieser Wandel ist nicht mehr aufzuhalten. Angekündigt hat er sich bereits Ende der 1970er-Jahre mit Piratensendungen aus Cernobbio und vom Pizzo Groppera aus: Roger Schawinski geht mit Radio 24 auf Sendung.

Der Anfang vom Ende des reinen SRG-Monopols.

1977: Die «Arbeitsgemeinschaft Demokratisches Manifest», die staatliche Bespitzelungen aufdeckt, warnt 1977: «Die Massenmedien, vor allem Radio und Fernsehen, sind zunehmend einer stillen Zensur unterworfen. Fortschrittliche Journalisten verlieren ihre Anstellung.» Die linke Gruppe kann beweisen, dass FDP-Nationalrat und «Subversivenjäger» Ernst Cincera und seine Spitzel Karteikarten über TV-Mitarbeiter angelegt und kritische Sendungen registriert haben.

1977: Die Generalsekretäre der eidgenössischen Departemente formulieren Bedürfnisse an das öffentliche Radio und Fernsehen: «Regierung und Verwaltung möchten aus ihrer Isolation herauskommen und das Gespräch mittels der Massenmedien mit dem Bürger aufnehmen.» Es gehe nicht darum, versicherten sie, eine «Sendung des Bundes» einzuführen, aber die Bundesbehörden würden sich Sendungen wünschen, in denen sie ihre Probleme und Themen darlegen könnten.

1978: 25 Jahre nach Start des Sendebetriebs werden 1,9 Millionen TV-Konzessionäre gezählt.

1979: Erste weibliche Präsentatorin bei der «Tagesschau» (Therese Bernhard).

Lesen Sie jetzt in Episode 4: «Die 1980er bis heute: endlich ein Verfassungsartikel für das Fernsehen»

Quelle der Videos: SRF/Telepool, YouTube

Wie das Fernsehen wurde, was es ist

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