Russland dopte seine Athleten schon vor Sotschi systematisch – «Putin wusste alles»

Neue Dokumente zeigen: Das staatliche Dopingprogramm in Russland läuft schon seit mindestens zehn Jahren. In Sotschi 2014 soll Präsident Wladimir Putin persönlich das System der Dopingvertuschung angeordnet haben, sagt Whistleblower Grigori Rodschenkow.

Von Sylke Gruhnwald, Carlos Hanimann, Grit Hartmann, Hajo Seppelt und Florian Wicki, 29.01.2018

Der Dopingskandal der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 hat die Welt erschüttert: Russland orchestrierte ein staatliches Dopingprogramm und vertuschte es, indem es während der Spiele die Urinproben von russischen Athletinnen und Athleten austauschte. Mit 33 Medaillen führte Russland den Medaillenspiegel an – ein Rekord. Nachträglich wurden Russland wegen des Dopingskandals jedoch 14 Medaillen wieder aberkannt.

Ein Dokument, das dem Rechercheverbund der ARD-Dopingredaktion, des schwedischen Fernsehens SVT, der britischen «Sunday Times» und der Republik vorliegt, zeigt jetzt, dass Russland schon vor Sotschi 2014 über ein staatliches Dopingprogramm verfügte. Das Dokument soll aus US-amerikanischen Ermittlungsunterlagen stammen. Demnach wurden bereits 2008 und 2012 bei den Sommerspielen in Peking und London russische Athletinnen und Athleten systematisch gedopt.

Whistleblower: «Es kam von ganz oben, vom Präsidenten»

Erstmals redet nun auch Whistleblower Grigori Rodschenkow aus dem FBI-Zeugenschutzprogramm – und erhebt neue, schwere Vorwürfe gegen Russlands Staatsspitze: «Natürlich kam es von ganz oben, vom Präsidenten. Nur der Präsident konnte den Geheimdienst FSB für so eine Spezialaufgabe verpflichten.»

Der ehemalige Leiter der Dopingkontrolllabors von Moskau und Sotschi floh 2015 in die USA, nachdem das russische Staatsdoping aufgeflogen war – er fürchtete um sein Leben. Der russische Präsident Wladimir Putin nannte den Whistleblower einen Überläufer, der Ehrenpräsident des russischen olympischen Komitees forderte seine Erschiessung, Russland sucht ihn per internationalem Haftbefehl.

«Ich weiss, dass Putin vollständig und im Detail von Sportminister Mutko informiert wurde. Mutko sagte mir, dass Putin sich an meinen Namen gut habe erinnern können», sagt Rodschenkow. Putin habe alles wissen wollen: «Seine Herangehensweise war so: ‹Sag mir, was dein Problem ist. Und wir werden alles tun, um es zu lösen.›»

«Wir hatten alles unter Kontrolle»

Grigori Rodschenkow bestätigt dem Rechercheverbund aus ARD-Dopingredaktion, SVT, «Sunday Times» und der Republik auch die Echtheit des Dokuments, das ein russisches Dopingprogramm für die Sommerspiele in Peking und London belegt. Glaubt man dem Whistleblower, hat es sich so zugetragen: «Vor Peking war es ganz einfach. Das ganze Leichtathletik-Nationalteam war gedopt. Zwischen Peking 2008 und London 2012 haben wir unsere Strategie des Vertuschens geändert. Wir hatten alles unter Kontrolle.» Für die Winterspiele in Sotschi sei die Strategie schliesslich perfektioniert worden, mit Unterstützung des russischen Inlandgeheimdienstes FSB.

Der Pressestab von Wladimir Putin äussert sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen von Rodschenkow.

Die Olympischen Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang beginnen am 9. Februar und enden am 25. Februar.

Die Mitarbeit an «Geheimsache Doping» wurde aus dem Etat für grosse Recherchen, grosse Geschichten und grosse Ideen der Project R Genossenschaft realisiert.

Debatte: Wie viel Spass machen dopingverseuchte Winterspiele?

Am 9. Februar beginnen die Olympischen Winterspiele in Südkorea. Im Vorfeld sorgen spektakuläre Enthüllungen beim Doping für Aufsehen. Die Recherchen führen bis tief in die Schweiz hinein. Diskutieren Sie mit der Autorin Sylke Gruhnwald und dem Autor Carlos Hanimann – hier gehts zur Debatte.

Die Kooperation

Zur «Geheimsache Doping» recherchieren Reporterinnen und Reporter der ARD-Dopingredaktion, des schwedischen Fernsehens SVT, der britischen Zeitung «Sunday Times» und der Republik. Die ARD zeigt den zweiteiligen Film «Geheimsache Doping: Das Olympia-Komplott. Der scheinheilige Kampf gegen den Sportbetrug». Gemacht haben den Film Hajo Seppelt, Grit Hartmann, Edmund Willison und Jürgen Kleinschnitger (Teil 1, Teil 2). Die Republik berichtet zeitgleich mit den Partnern in mehreren Teilen über das russische Staatsdoping – und die Verbindungen in die Schweiz.
Teil 1: Der «Plan Sotschi»
Teil 2: Die Akte Bern
Teil 3: Falsche Flaschen