Die Republik ist nur so stark wie ihre Community. Werden Sie ein Teil davon und lassen Sie uns miteinander reden. Kommen Sie jetzt an Bord!

DatenschutzFAQErste-Hilfe-Team: kontakt@republik.ch.



Danke für das wichtige Thema und die Recherche!
Deckt sich so ziemlich mit Schilderungen, die ich selber gehört habe.
Unverständlich für mich ist, dass weibliche Opfer nicht automatisch von weiblichen Polizistinnen befragt werden, sondern das erst einfordern müssen. Sollte doch Standard sein, ebenso wie eine spezielle Ausbildung für den Umgang mit Gewaltopfern oder der automatische Einbezug einer entsprechend geschulten Fachperson.
Die Schwelle, eine Vergewaltigung anzuzeigen, vor allem, wenn der Täter aus dem eigenen Umfeld stammt, ist ohnehin sehr hoch. Sich überhaupt jemandem anzuvertrauen, denn es steht meistens bald die Idee im Raum, man habe selbst irgendwas falsch gemacht. Und viele Frauen glauben das insgeheim selber auch. Wenn dann aber noch solche Erfahrungen dazu kommen und die schlechten Aussichten, dass die Täter überhaupt bestraft werden am Ende - warum sollte man sich das antun?
Deshalb finde ich es ganz wichtig, dass das Thema immer wieder sehr offen angesprochen und diskutiert wird!

79
/
1

Ein toller Artikel der auch die Hintergründe aus Sicht der Polizei aufzeigt.
Ich persönlich sehe aber nicht die Polizei in der Rolle der Opferbetreuung. Nur zum Beispiel die Frage was die Frau getragen hat, muss unbedingt gestellt werden können. Dies aber nicht in Kontext einer Mitschuld des Opfers, sondern in Bezug auf die Ermittlung des Täters und des Tatmotives.
Ebenso ist es auch eine Aufgabe der Polizei den genauen Tathergang zu ermitteln und die Rechte des Beschuldigten zu wahren.
Die Schaffung einer unabhängigen Fachstelle (ob innerhalb oder ausserhalb der Polizei) wo sich Opfer melden können und während des Verfahrens betreut werden, würde ich unbedingt befürworten. Wunder sollte man von dieser Stelle aber auch keine erwarten.

3
/
18

Erkennen Sie die Asymmetrie nicht, die Sie hier aufstellen, Herr Stauffacher?

  • Die Polizei müsse das Opfer nicht "betreuen".

  • Aber die Polizei müsse die Rechte des angeblichen Täters "wahren".

Aber was heisst hier "Opferbetreuung"?

Dass sie als Opfer einer Sexual­straftat das Recht hätte, eine Vertrauens­person bei sich zu haben, weiss sie nicht. Sie hätte auch verlangen können, von einer Frau befragt zu werden. Auf beide Punkte müsste Vanessa vor einer Befragung gemäss der Schweizerischen Strafprozessordnung hingewiesen werden.

Sie fragt auch nach einem Notfall­psychiater. Doch der Polizist habe ihr geantwortet, sie solle sich nicht so aufspielen und müsse nicht meinen, jetzt noch Anforderungen stellen zu können, erzählt sie.

Es geht hier also auch um handfeste Rechte, Strafprozessordnung und Persönlichkeitsrechte (etwa physische und psychische Integrität). Die, wie Sie mir wohl beipflichten, ebenfalls gewahrt werden müssten.

Und inwiefern ist die Frage, was das Opfer getragen hat, für "die Ermittlung des Täters und des Tatmotives" relevant? Es sei denn, der Täter hätte ein Kleidungsstück gestohlen?

Selbst wenn jemand splitterfasernackt wäre, wäre dies keine Einladung zur Übertretung von Grenzen. Rechtfertigt also das Handeln des Täters nicht oder macht das Opfer sogar mitschuldig (was Sie ja nicht sagen).

39
/
2

Erstaunlich wie sie den hypothetischen Beschuldigten aus meinem Beispiel schon zu einem Täter umdeuten.
Was hat er/sie genau gemacht um von ihnen vorverurteilt zu werden?
Und ich habe sogar ausdrücklich geschrieben, dass die Bekleidung des Opfers absolut NICHT relevant ist bezüglich einer allfälligen Mitschuld des Opfers, sondern bezüglich der Ermittlung des Täters und des Tatmotives.
Irgendwie versuchen sie jedesmal wenn ich etwas von ihnen lese mir etwas unterzuschieben. Sind ihre Argumente so schlecht, dass sie darauf angewiesen sind?

3
/
17

Herzlichen Dank für die Recherche.
Als Mitarbeiter einer Kantonspolizei schmerzen solche Artikel natürlich immer, was sie jedoch nicht weniger wichtig macht.

Ich würde trotzdem gerne eine Antithese zu "Problem 4: Jeder Kanton geht anders vor" aufstellen. Meine (etwas traurige) Vermutung ist, dass die Situation schlimmer wäre, gingen alle Kantone gleich vor.

Das "Berner Modell" ist meiner Meinung nach sogar ein sehr gutes Beispiel dafür. Da das entscheidende Organ (der Regierungsrat) Kompetenz hat über alle Aspekte die vom Entscheid betroffen sind, war es massiv einfacher, diesen entscheid umzusetzen. Dadurch kann (könnt / sollte) er für andere Kantone als Beispiel dienen. Eine nationale Änderung wäre mit sehr viel mehr Aufwand verbunden gewesen und (dies lässt sich erahnen durch die Untätigkeit vieler anderer Kantone) wäre vermutlich in seinen Anfängen gestorben.

"Alle machen es gleich" kann auch heissen, alle machen es schlecht, und zu zeigen, dass es einzelne Kantone gibt, die es richtig machen müsste meiner Meinung nach als Hinweis gedeutet werden, dass es vermutlich nicht wahnsinnig gut liefe, wenn es alle gleich machen würden. Das Problem ist vielmehr, dass die anderen Kantone nicht nachziehen.
Spannend wäre jetzt, bei den einzelnen Kantonen nachzufragen, ob sie sich am "Berner Modell" orientiert haben, und weshalb nicht.

33
/
0

Vanessa zittert weiter, ihr wird schlecht. Ihre Schwester bittet den Beamten erfolglos um ein Temesta. Vanessa kennt ihren Körper und weiss, dass sie sich mit dem Medikament schnell beruhigt hätte.

Temesta musste ich googeln. Ergebnis: Es handelt sich um ein Psychopharmaka, das früher unter dem Namen Lorazepam bekannt war. Wenn Venassa das Medikament kennt, leidet sie vermutlich an einer Angst- und Panikstörung. Das Medikament hat ausserdem erhebliches Missbrauchs- und Suchpotenzial.

https://de.wikipedia.org/wiki/Lorazepam

5
/
19
Karin A. Wenger
Freie Journalistin
·

Lieber Herr S., danke für Ihren Hinweis.
Vanessa hatte vor Jahren bereits einmal ein Trauma erlebt.
Ihre Schwester rief im Spital Vanessas Psychiaterin an, diese empfahl die Einnahme von Temesta.
Liebe Grüsse,
Karin Wenger

21
/
0

Was genau möchten Sie denn damit sagen, Herr S.?

14
/
1

Wenn Venassa das Medikament kennt, leidet sie vermutlich an einer Angst- und Panikstörung.

Diese Vermutung würde ich so nicht anstellen. Möglicherweise kennt Vanessa Temesta von Vater oder Tante. Von ihrer besten Freundin. Wir wissen es nicht. Es spielt keine Rolle.

10
/
4

Klar!

Vanessa kennt ihren Körper und weiss, dass sie sich mit dem Medikament schnell beruhigt hätte.

3
/
3
· editiert

Temesta gehört zur Stoffklasse der Benzodiazepine ('Benzos'), deren erste Vertreter Librium und Valium von den Rolling Stones schon in den Sechzigern als Mother's little Helper besungen wurden. Mittlerweile weiss man mehr über das Suchtpotenzial, verschrieben werden Benzos aber immer noch gern bei Zuständen erhöhter Spannung.

2
/
1

Männer werden nicht vergewaltigt?

4
/
14

Dies wurde im Beitrag leider nicht erwähnt. Und auch dass es für Männer noch ein viel grösseres Tabu ist als für Frauen.

5
/
1

Ja, den Gedanken kann ich nachvollziehen und wird in meiner Wahrnehmung selten thematisiert. Vielleicht war gerade das noch grössere Tabu Grund, warum es hier fünf Frauen sind.

Sie müssen zugeben, das macht die Recherchearbeit von Miriam Suter und Karin A. Wenger keinen Deut weniger eindringlich.

17
/
0

Dies passiert überraschenderweise viel häufiger als angenommen. Das Amerikanische CDC findet in Ihren Umfragen, dass im Jahr zuvor ähnlich viele Männer wie Frauen gegen ihren Willen Sex hatten. Es sind auch hauptsächlich Frauen die sich an Männern vergehen.

Interessanterweise ist die Diskrepanz zwischen Frauen und Männern viel grösser, wenn man dieselbe Erhebung nicht für das letzte Jahr, sondern für das ganze Leben macht. Anscheinend gehen Frauen und Männer unterschiedlich mit diesem traumatisierenden Verbrechen um.

4
/
7

In der Schweiz können nur Frauen vergewaltigt werden. Bei Männern spricht man von sexueller Nötigung.

9
/
2

Finden Sie das korrekt?

3
/
0

Genau. Und da beginnt doch schon die Problematik. Hilfe für betroffene von sexualisierter Gewalt sollte nicht daran scheitern, wie nun die genaue Bezeichnung dessen lautet, was einem wiederfahren ist. Auch nicht, welche Kleidung getragen wurde und ob ein alkoholisches Getränk im Spiel war.

2
/
0

Doch, natürlich.

1
/
2
Freund
·

Vielen Dank für die Recherche. Es erstaunt mich immer wieder, wie wenig allgemein über Trauma bekannt ist. Das gilt nicht nur für Polizei. Und das sollte meines Erachtens dringend geändert werden.

Ich habe eine Freundin (um Ihre Privatsphäre zu schützen ist mein Kommentar anonym), die manchmal bei kleinsten Ereignissen (Beispiele: Gewalt im TV, Berührung im Bett verbunden mit einem bestimmten Ausatmen, bestimmte Körpergerüche) innerhalb von Sekunden dissoziiert. Sie hat auch schon sehr negative Erlebnisse gehabt bei Ärzten und sogar bei Frauenärztinnen, wo sie, obwohl sie auf ihre Probleme hingewiesen hat, ruppig und grob angefasst worden ist, was ihr Schmerzen verursachte, was sie zum Glück sofort sagen konnte. Die Antwort darauf war, sie solle nicht so empfindlich sein und sich entspannen.

Gerade in Bereichen wie Medizin und Polizei ist es meines Erachtens absolut essentiell, geschultes Personal zu haben und bedürftige Menschen an diese zu verweisen. Dazu braucht es wahrscheinlich auch eine zumindest oberflächliche Schulung des gesamten Personals oder ganz klare Anweisungen, damit heiklen Situationen erkannt werden und der Anspruch auf geschultes Personal in jedem Fall und ohne vorherige Entblössung/Verletzung möglich ist.

Mir kommt zu den Geschichten oben ein Vergleich in den Sinn, der etwas krass ist (Triggerwarnung), aber für mich die Ignoranz und das fehlende Wissen ziemlich gut darstellt. Stellen sie sich vor, Sie erleiden einen Sturz von einem Baum, liegen regungslos am Boden, jemand ruft den Notruf, die Rettungskräfte kommen und sagen," bewegen Sie zuerst mal ihren Kopf, drehen sie sich auf die Seite, winkeln Sie Ihre Beine an - was, Sie spüren Ihre Beine nicht? Sie müssen schon mit uns zusammenarbeiten, wenn wir Ihnen helfen sollen!"

16
/
0

Inhaltlich noch keine Stellungnahme, dafür möchte ich mir mehr Zeit lassen, hier nur schnell die Frage nach einem möglichen Tippfehler:

Zusätzlich fragen wir die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizei­direktorinnen und -direktoren (KKJPD) an. Der General­sekretär antwortet: «Ich empfehle Ihnen, sich mit Ihren Frauen an die Konferenz der Kantonalen Polizei­kommandanten oder an das Schweizerische Polizei-Institut in Neuenburg zu wenden.» Womit wir wieder am Anfang stehen.

Sollte beim Fettdruck nicht Fragen stehen?

2
/
0
Karin A. Wenger
Freie Journalistin
·

Liebe Frau J. Danke fürs aufmerksame Lesen. Nein, das Zitat stimmt so.
Herzlich,
Karin Wenger

10
/
0
· editiert

Was für eine despektierliche Formulierung! Sie mit Ihren Frauen.... wie die Henne mit ihren Küken. Auch keine Ausnahme, dass jene, die sich auf die Seite der Opfer stellen, die Missachtung ebenfalls zu spüren bekommen, die Gewaltopfern unabhängig vom Geschlecht oft entgegenschlägt.
Ergänzend vielleicht noch zu den Hilfsangeboten: auch Frauenhäuser können im Bedarfsfall nützliche Adressen vermitteln.
Und zum Berner Modell: auch St. Gallen führt am Kantonsspital eine gut vernetzte Stelle für Soforthilfe nach sexueller Gewalt. Wie schon im Artikel aufgeführt, ist keine Strafanzeige notwendig, damit eine einfühlsame und beweiskräftige rechtsmedizinische körperliche Untersuchung durchgeführt werden kann. Ein ähnliches Angebot gibt es vermutlich auch in anderen Kantonen.

5
/
1
Theologe
·

Das alles spricht doch klar für eine dringende Umkehr der Beweislast. Kein deutliches Ja heisst nein. Beschuldigte müssen dann ihre Unschuld sprich Einvernehmlichkeit in allen Details belegen. Und lernen dabei vielleicht sogar etwas.

16
/
7

Wie soll das genau funktionieren?

Wenn sich nun beide gegenseitig beschuldigen, aber niemand beweisen kann, dass es ein deutliches Ja gegeben hat, verurteilt man dann beide?

4
/
2
Theologe
·
0
/
0

Ihr Forderung, auf Rechtsstaatlichkeit zu verzichten, passt zu Ihrer Bezeichnung als Theologe. Genau so lief es ja traditionell in der Kirche.

6
/
7
Theologe
·

Wo fordere ich Verzicht auf Rechtstaatlichkeit?

4
/
3

Merci für den Kommentar.
Auch ich würde mir Befragungen wünschen die davon ausgehen dass mögliche Sexualpartner aktiv zustimmen müssen.
Derzeit werden von Opfern von Sexualdelikten Heldentaten im Abwehrkampf erwartet die bei Opfern anderer Straftaten nicht zur Diskussion stehen, etwa ob das Opfer eines Raubes sich auch mannhaft gewehrt habe, der Täter könne ja sonst auf die Idee kommen er wolle ihm sein Geld ohnehin schenken.

1
/
0
· editiert

Eigentlich will ich ihnen beipflichten. Aber gegen den Vorwurf des sexuellen Fehlverhaltens kann man sich auch heute schon kaum wehren, er kann ein Leben oder eine Karriere zerstören, ganz ohne Schuldspruch. Gäbe es irgendwie einen Mittelweg?

8
/
8
Theologe
·

Seit 2500 Jahren werden Gesetze so gemacht, dass Frauen erst ihre Aufrichtigkeit belegen müssen und dann erst für ihnen angetanes Unrecht Gehör finden. Der Vorwurf von Fehlverhalten hängt auch heute noch über jeder Frau, die sich heute rechtlich zur Wehr zu setzen wagt. Das sollte zu korrigieren sein. Wir sprechen vom rechtlichen Rahmen und gehen von einem Rechtsstaat aus.

16
/
2

Es ist wichtig, dass die „Republik“ sich diesem Thema in den beiden Artikeln so eindrücklich und fundiert zuwendet.
Folgende Gedanken gehen mir dabei durch den Kopf:

  • Es ist schwer zu ertragen, dass auf der einen Seite in der (in einem gewissen Mass sicher notwendigen) Terrorismusbekämpfung Massnahmen und eingesetzte Mittel überborden und dadurch elementare Menschenrechte ausgehebelt werden, auf der andern Seite das gesellschaftlich viel grössere Problem sexualisierter Gewalt oft immer noch bagatellisiert und ausgeblendet wird.

  • Das heisst, dass das Verhalten der Polizei immer auch Ausdruck der gesellschaftlichen Einordnung eines Problems ist. In keiner Weise will ich damit Fehlverhalten von Polizistinnen und Polizisten entschuldigen. Ich meine damit nur, dass Verbesserungen kaum möglich sein werden, wenn nicht das diesbezügliche gesellschaftliche Bewusstsein sensibilisiert wird.

  • Es ist unverständlich, dass das Berner Modell nicht Schweiz weit angewendet wird. Für solch extrem belastende und schwierige Situationen braucht es zwingend gut ausgebildete Leute verschiedener Fachrichtungen, die sorgfältig zusammenarbeiten. Das braucht menschliche und finanzielle Ressourcen, kann aber mithelfen, sehr viel zusätzliches Leid und unnötige Folgekosten zu vermeiden. Es darf nicht sein, dass jeder Kanton dieses Problem qualitativ so verschieden anzugehen scheint.

  • Der Spardruck bei der Polizei und anderen involvierten Institutionen ist für Verbesserungen in diesem Bereich sicher nicht hilfreich. Gestresste Beamtinnen und Beamte unter Zeitdruck können keine gute Arbeit leisten.

  • Die Antworten der verschiedenen Polizeiorgane sind äusserst unbefriedigend. Niemand scheint so richtig zuständig sein zu wollen, Verantwortung wird weiter- und abgeschoben.

  • Was ich aber bei verschiedenen Antworten der Polizeistellen verstehe, ist die Aussage, dass man sich zu den Fällen ohne genaue Kenntnis der Details nicht äussern kann. Das ist richtig, wenn man eine Situation seriös und gerecht beurteilen will. Das Dilemma bezüglich Anonymität und Persönlichkeitsschutz ist offensichtlich. Unabhängige und niederschwellige Beschwerdestellen in allen Kantonen sind, denke ich, eine mögliche Lösung.

9
/
1

Von welchem Spardruck sprechen Sie?

1
/
4

Ich lasse mich gerne eines besseren belehren; aber so viel mir bekannt ist, ist auch die Polizei im Rahmen der neoliberalen Ideologie eines möglichst schwachen Staates mit sog. „schlanken“ Strukturen nicht von Sparmassnahmen verschont, zumindest in Teilbereichen, auch wenn diese Sparmassnahmen sicher weniger ausgeprägt sind als im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich.

10
/
2
Freund
·
· editiert

Vielleicht ein nächstes Thema für einen Artikel?
Wie befreien sich betroffene von einem Trauma?
Gerade im Bereich Sexualität, einem Thema, das auch heute noch sehr schambehaftet ist und für viele eine riesige Überwindung braucht, sich zu äussern. Wenn sie sich überwinden, sind die betroffenen oftmals so verletzlich, dass es schnell zu einer Grenzüberschreitung oder einer neuen Verletzung kommen kann,
Dieses Thema betrifft wohl sehr viele Menschen und es ist sehr schwierig darüber zu sprechen.

70 Prozent von knapp 300 vergewaltigten Frauen gaben in einer schwedischen Studie an, dass sie während des Über­griffs eine Bewegungs­losigkeit erlebt hatten.

Eine Studie des Instituts GFS Bern (...): Darin gab jede achte Frau ab 16 Jahren in der Schweiz an, Geschlechts­verkehr gegen ihren Willen erlebt zu haben. Das sind hochgerechnet 430’000 Frauen. Die Hälfte der Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebten, gaben an, mit niemandem über den Vorfall gesprochen zu haben. Bei den Gründen, wieso sie keinen Kontakt mit der Polizei aufgenommen hatten, gaben 58 Prozent der Frauen an: Angst, dass man mir nicht glaubt.

Es ist ein Tabuthema. Es leiden sehr viele Menschen an den Folgen eines Übergriffs.
Gerade im Bereich der Sexualität empfinde ich es als unglaublich schwierig an geeignete Therapiemöglichkeiten zu kommen. Die gängigen Sexualtherapien sind meistens auf nicht traumatisierte Menschen ausgerichtet und die Psycholog*innen wiederum sind auch oft nicht kompetent. (Triggerwarnung:) Meine Freundin und ich waren einmal zusammen bei einer Psychologin. Sie schilderte ihr Problem, sie habe oft Schmerzen beim Sex und sie verkrampfe sich, was das Problem noch schlimmer mache. Die Psychologin wandte sich an mich und meinte, das ist Vaginismus. Sie müssen richtig zustossen beim Eindringen, wenn sie zu zögerlich und zurückhaltend sind, wird sich das nur verschlimmern.

Die nächste Psychologin teilte uns mit, sie hätte zu wenig Wissen in diesem Themenbereich und sie müsse zuerst Rücksprache halten mit ihrer Supervision, in der nächsten Sitzung sagte sie, sie hätte vergessen, Rücksprache zu halten. Weiterführende Adressen haben wir nicht erhalten. Sextherapie war zu krass, das war wie Hürdenlauftraining für jemand, der gerade beginnt, den gebrochenen Fuss wieder zu belasten.

Die nächsten Psychologen waren Männer und in vielen Bereichen hilfreich, aber das Thema Sexualität wurde nicht mehr zur Sprache gebracht.

Falls hier im Forum geeignete Literatur, Anlaufstellen, Therapieformen bekannt sind, her damit! Vielen Dank im Voraus.

8
/
1
· editiert

Mir fällt spontan sexological bodywork ein, als Therapiebereich. Meistens verbunden mit Körperarbeit, aber auch nur Gespräche sind möglich. Kann aber niemand bestimmtes empfehlen, soo gut kenne ich mich auch nicht aus, aber die Suchmaschine Ihrer Wahl bringt sicher Ergebnisse.

edit: falls das unter "Sextherapie war zu krass, das war wie Hürdenlauftraining für jemand, der gerade beginnt, den gebrochenen Fuss wieder zu belasten" fällt, dann sorry für den nicht hilfreichen tipp. ansonsten zu Ihrem Beitrag, vor allem zu den Erfahrungen mit Psycholog*innen, fehlen mir die Worte. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Freundin alles Gute!

0
/
0
Freund
·

Vielen Dank für Ihre Antwort und Ihre mitfühlenden Worte. Bodywork fällt wohl tatsächlich in die Kategorie, grundsätzlich sehr interessant, für meine Freundin wohl aber eine massive Überforderung. Soweit ich den Beschrieb richtig gelesen habe, fehlt leider der Trauma-Aspekt im Angebot.

0
/
0
Freund
·
· editiert

Ich habe soeben folgenden Übersichtsartikel von Bornefeld-Ettmann P. und Steil R. aus dem Jahr 2017 zum Thema "Sexuelle Dysfunktionen bei Frauen mit Posttraumatischer Belastungsstörung" gefunden.
Er bestätigt meine Annahmen, dass das Thema in der Bevölkerung weit verbreitet und in der Fachwelt kaum beachtet ist. Hier einige (für mich) wichtige Passagen daraus, falls das Thema noch andere interesssiert:

Eine Vielzahl an Untersuchungen zeigt, dass Frauen, die sexuellen Kindesmissbrauch (d.h. sexuelle Gewalterfahrung vor dem 18. Lebensjahr) erlebt haben, sexuelle Dysfunktionen entwickeln [z.B. Stephenson et al., 2014]. Aber auch Frauen, die im Erwachsenenalter sexuelle Gewalt erlebt haben (z.B. Vergewaltigung), leiden danach nicht selten unter sexuellen Dysfunktionen [van Berlo und Ensink, 2000]. Unter sexuellen Dysfunktionen werden im Wesentlichen Beschwerden bzw. Einschränkungen verstanden, die den Erregungszyklus [kaplan, 1974] bezüglich der Bereiche Lust (Appetenz), Erregung und Orgasmus betreffen. Zusätzlich werden bei Frauen auch Schmerzen im Genital- und Beckenbereich (Dyspareunie) und unwillkürliche Verkrampfungen oder Verspannungen des Beckenbodens und der Vaginalmuskulatur (Vaginismus) hierzu gezählt.

Trotz der hohen Prävalenzen werden sexuelle Beschwerden bzw. Dysfunktionen innerhalb der Psychotherapie nach wie vor nur wenig berücksichtigt [Hoyer, 2013]. Dies hat unterschiedliche Gründe, wie Vorbehalte seitens der Therapeuten, ein vermeintlich zu schambesetztes Thema anzusprechen, oder unklare Zuständigkeitsbereiche. Zudem werden sexuelle Dysfunktionen häufig als sekundäres Problem angesehen und deshalb in der Behandlung nicht berücksichtigt [Hoyer, 2013].

In einer Meta-Analyse von O'Driscoll und Flanagan [2016] wurden sexuelle Funktionsstörungen und deren Ansprechen auf eine traumaspezifische Behandlung analysiert. Dabei zeigte sich, dass eine Erfassung sexueller Beschwerden im Rahmen von Studien zur Psychotherapie der PTBS nur äußerst selten vorgenommen wird, wodurch nur 5 Studien analysiert werden konnten. Die Analyse der Daten ergab, dass sich die Dysfunktionen im Verlauf einer traumaspezifischen Behandlung ohne gezielte Behandlung sexueller Dysfunktionen nicht verbesserten. Zudem wurden sexuelle Dysfunktionen in keiner der Studien nach einem gängigen Diagnosesystem diagnostiziert.

O'Driscoll und Flanagan [2016] schlagen 4 zentrale Elemente zur Intervention bei sexuellen Dysfunktionen im Rahmen einer PTBS-Behandlung vor: 1) Psychoedukation: Hiermit sollen Patienten die biologischen Zusammenhänge zwischen PTBS und sexuellem Funktionieren verstehen lernen, Emotionen normalisiert und die Behandlungsmotivation durch einen offenen Umgang mit der Thematik erhöht werden. 2) Entspannungstraining: Dadurch soll die Erwartungsangst verringert und durch eine Beruhigung der Amygdalaaktivität die Wahrscheinlichkeit sexueller Dysfunktionen reduziert werden. 3) Sensate Focus [gemäß Masters und Johnson, 1970]: Sensate Focus beschreibt ein 5-stufiges Vorgehen zur Behandlung sexueller Dysfunktionen, das als Paar durchgeführt wird. Durch Sensate Focus soll langsam die Intimität zuM. P.artner aufgebaut und Angst reduziert werden. Durch ein langsames Vorgehen, das sich zunächst auf Berührungen konzentriert und den Geschlechtsverkehr an sich ausspart, wird das Vertrauen erhöht. Dabei besteht die so genannte «Vetoregel», durch die jegliche Handlungen unterbrochen werden können. Dadurch soll Vermeidungsverhalten abgebaut und die Betroffenen langsam gegenüber angstbesetzten Stimuli exponiert werden, wodurch sich eine Habituation ergeben soll. Dabei können auch Strategien zur kognitiven Umstrukturierung bezüglich negativer Grundannahmen zu Sexualität angewendet werden [O'Driscoll und Flanagan, 2016]. 4) Exposition: Da eine Exposition gegenüber angstbesetzten Situationen in der PTBS-Behandlung als wirksam befunden wurde [Powers et al., 2010] und generell die Methode der Wahl bei Angststörungen ist [Craske, 2015], gilt dies möglichweise auch für den Abbau von Angst vor Sexualität, wobei dazu noch keine Befunde vorliegen.

Therapiestudien zu Behandlungsformen, die gezielt die Behandlung sexueller Dysfunktionen in die Behandlung der PTBS integrieren, stehen noch aus und wären sinnvoll, um hierzu genauere Aussagen machen zu können. Zudem wäre es wichtig, die Wirksamkeit einzelner Interventionen im Rahmen von Psychotherapiestudien genauer zu untersuchen.

Insgesamt lässt sich sagen, dass sexuelle Dysfunktionen durch die Therapeuten unbedingt angesprochen werden sollten, und zwar nicht nur bei Patienten/innen mit PTBS nach sexueller, sondern auch mit PTBS nach anderen Arten von Traumatisierung.

0
/
0

Ich kenne jemand, dem Ehrverletzung vorgeworfen wurde. Der einvernehmende Polizist machte zeitlichen Druck. Offenbar wollte der Polizist in den Mittag und abschliessen. Der Beschuldigte wollte genau antworten, das Protokoll genau lesen. Die Zeit reichte nicht. Also musste ein zweiter Termin festgesetzt werden. Das stiess deM. P.olizisten sauer auf. Als der Beschuldigte sagte, er müsse aufs WC, reagierte der Polizist säuerlich. Der Beschuldigte sagte, dann mache ich hier in die Hosen. Die Polizei sollte stets unvoreingenommen vorgehen. Jeder ist subjektiv, macht sich schnell eine Meinung. Professionell ist es jedoch, diese für sich zu behalten und sich neutral zu verhalten.

8
/
2

Sie liefern gute Gründe, wieso sich alle Beteiligten in einem Strafverfahren von einer Anwältin oder einem Anwalt begleiten lassen sollten.

3
/
2

Treffend.

3
/
1
Maria Minelli
·

Ein gewalttätiger Übergriff hinterlässt seine Spuren im autonomen Nervensystem. Wie es gelingen kann, diese Spuren verblassen zu lassen, um wieder die volle Bandbreite des Lebensflusses auskosten zu können, sich nicht eingrenzen zu lassen, hängt von vielem ab.
Unter anderem davon, ob ein von Gewalt betroffener Mensch die Gelegenheit hat und nutzt den Schock- und Starrezustand überwinden zu lernen.
Dazu braucht es das Vertrauensverhältnis zu einer ausgebildeten Traumatherapeutin und eine Herangehensweise an das Problem, die es erlaubt in ganz kleinen Portionen zu arbeiten, so dass keine Retraumatisierung stattfinden kann.
In einer Bedrohungssituation haben wir Menschen grundsätzlich drei Optionen: Kampf, Flucht oder Totstellen (Schockstarre). Die Wahl der Strategie ist selten vom freien Willen abhängig. Da läuft ein unbewusstes Programm ab.
Selber bin ich einige Male an einer Vergewaltigung vorbeigeschrammt. Irgendwie ist es mir gelungen mich zu entziehen, wegzulaufen, zu schreien.
Später im Leben habe ich gelernt derart unmissverständlich NEIN zu sagen, dass mir das nie wieder passiert ist. Gelernt habe ich das beim Verein selbstsicherheit.ch in einem Frauen Basiskurs. Es gibt dort auch Kurse für Kinder, Jugendliche und Männer.
Ich habe diesen Kommentar zuerst der Redaktion geschickt, weil Werbung hier im Dialog nichts zu suchen hat und wurde ermuntert, es in diesem Fall dennoch zu tun. Danke.

6
/
0

Einvernahmen im Bereich Sexualstrafrecht sind belastend. Sie gehören für BefragerInnen und OpfervertreterInnen zum Anspruchvollsten ihrer Arbeit. Dies zeigen die erschreckenden Beispiele im Artikel, wo Fehler passierten. BefragerInnen stehen vor dem Dilemma, ein Opfer nicht unnötig zu belasten; sie müssen aber unangehm und Stress auslösende Fragen stellen, um an Informationen zu gelangen, die als Beweismittel dienen (ohne Beweismittel > keine Verurteilung). Bewertende / beurteilende Fragen durch BefragerInnen haben meiner Meinung nach hier keinen Platz. Das ist nicht ihre Aufgabe. Es gibt noch viel Luft nach oben um verbesserte Einvernahmebedingungen zu schaffen.

Seitens Opfervertretung ist eine psychologische Vorbereitung auf Einvernahmen unumgänglich. In jedem Kanton gibt es Opferberatungsstellen (nach dem Opferhilfegesetz), die u.a. an spezialisierte Anwält*innen verweisen können.

5
/
0

Falls, wie ich den Eindruck vermittelt bekommen habe, jeder und jede Polizist/in in die Lage kommen kann, eine Erstbefragung zu machen, dann Gnade Gott den Opfern. Selber habe ich nur Erfahrungen mit den Schreibfähigkeiten von Polizisten bei Verkehrsübertretungen gemacht. Ich musste mich jedes Mal wehren und mir vorbehalten, dass ich den Text korrigieren dürfe, sonst würde ich nicht unterschreiben. Unvergessen der Polizist, der schriftlich festhielt: "Der Lenker wahr über eine ausgezogene Sicherheitsline gefahren." Das war zwar wahr, ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ebenso wahr ist, dass der Polizist NIE einen halbwegs differenzierten Bericht schreiben könnte. Frage: Wie handhabt die Polizei solche Ausgangslagen. Ich als Polizist würde jedem Opfer eindringlichst abraten, Anzeige zu machen, falls ich damit verhindern könnte, dass ich mehr als drei Worte schreiben muss. Vielleicht war der Polizist im letzen geschilderten Fall ein solch funktionaler Analphabet, weshalb er das Opfer aufforderte den Fall selber schriftlich festzuhalten.

10
/
6

Vielen Dank für diesen Artikel. Es gibt darin zwei Ungenauigkeiten: Die Normen zum Schutz des Opfers im Strafverfahren wurden 2011 vom Opferhilfegesetz in die Schweizerische Strafprozessordnung verschoben. Und es muss keine Anzeige gemacht werden, um finanzielle Leistungen der Opferhilfe in Anspruch nehmen zu können. Die Anzeige ist gerade keine Voraussetzung dafür.

1
/
0
Karin A. Wenger
Freie Journalistin
·
· editiert

Guten Tag. Können Sie uns die Textstellen zitieren, auf welche Sie sich beziehen? Vielen Dank und liebe Grüsse, Karin Wenger

2
/
0

Frage 14 an die Polizeifachleute und S. 11 ganz unten; „noch keine Anzeige“ impliziert die Notwendigkeit dazu.

1
/
0
· editiert

Es ist richtig, dass es keine Strafanzeige braucht, um Leistungen der Opferhilfe in Anspruch zu nehmen, aber sobald es über Beratung hinaus auch finanzielle Unterstützung braucht, für einen Anwalt, Notunterkunft oder Psychotherapie, muss dargelegt werden, dass man Opfer einer strafbaren Handlung wurde. Das hat dann für Betroffene ebenfalls zur (unangenehmen) Folge, dass sie einmal mehr erzählen müssen, was ihnen geschah.

0
/
0

Das müssen die Opfer tatsächlich. Die Opferberaterin darf sich aber vorerst auf die Schilderungen des Opfers verlassen. Finanzielle Leistungen gibt es nur, wenn die geschilderte Tat einen Tatbestand erfüllt und nur für unmittelbar durch die Tat hervorgerufene Bedürfnisse.

0
/
0
J'aime rire
·

Ich habe vor Jahren mal einen Spielfilm gesehen, von dem ich leider den Titel nicht mehr weiss. Es ging darin zu Beginn auch um eine polizeiliche Einvernahme einer Frau, die vergewaltigt worden war. Der Polizist zeigte so die Haltung: Sie haben es ja provoziert, machen Sie nicht so ein Drama, geben Sie zu, es hat Ihnen gefallen (so genau weiss ich es nicht mehr!). Dann wird er aber selber in einer Tiefgarage von zwei Typen überfallen und vergewaltigt. Nun erlebt er selber das Erniedrigende der polizeilichen Befragung und der ärztlichen Untersuchung, die Scham vor seinen Mitmenschen. Ich weiss nicht, ob ich den Film heute noch überzeugend finden würde, aber damals hat er mich sehr beeindruckt!

4
/
4

Auf Netflix findet man auch eine sehr sehenswerte Mini-Serie zu dem Thema, "Unbelievable".

0
/
0