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Schade, dass diese Serie nicht mit einer spannenden, aktuellen, jüngeren Stimme der S. Literatur wie zum Beispiel Melinda Nadj Abonji eröffnet worden ist.
Seien wir nachsichtig und verständnisvoll mit dem alternden privilegierten ETH-Professor, aber wenn wir ihn trotzdem ernst nehmen wollen, dann erscheint halt ein seltsamer Text mit fragwürdigen Gedankensprüngen. Beispielhaft schaue ich mir mal den zweiten Abschnitt etwas genauer an. Zwar sehr pauschalisierend, aber scheinbar mitfühlend beschreibt Muschg das Elend von "Landflüchtigen" in den "Millionenstädten der südlichen Halbkugel", um dann eben schnell im nächsten Satz sarkastisch folgendes festzustellen: "und wenn sie untergehen, leisten sie immerhin ihren Beitrag gegen die Übervölkerung der Erde." Ob es wirklich sarkastisch gemeint ist, erschliesst sich allerdings aus dem Kontext nicht und das macht den Abschnitt etwas irritierend. Dann spricht der Autor vom Ende der Willkommenskultur und das bringt ihn zur den Abschnitt abrundenden Erwähnung, dass die Ostseeküste Deutschlands in der Coronakrise keine Touristenströme aus anderen Regionen mehr will; letztlich stellt diese Assoziation zum Thema Grenzen eine hässliche und unnötige Wegwendung vom Versagen einer moralisch geleiteten Willkommenskultur für Flüchtlinge zu einer epidemologischen Banalität dar. Schnellschnell wieder einmal die Empörung über das Ende der Willkommenskultur abholen, um sich damit das Krönchen der moralischen Instanz aufzusetzen, ist zwar nicht originell, mag aber auch noch drei, vier Jahre nach dem Ende dieser Willkommenskultur noch angehen; jedoch diese Empörung mit der Empörung darüber zu kombinieren, dass ein Strandausflug für die HamburgerInnen zur Zeit nicht drinliegt, das will nicht recht zueinander passen.
Noch ein Nachtrag zur analysierten Zeile in Keats' Ode to a Nightingale. Muschg behauptet, die Zeile würde sprachlich korrekt so lauten: 'Now more than ever it seems rich to die.' Das stimmt nicht. Sprachlich korrekt lautet die Zeile: 'Now more than ever does it seem rich to die.' Der Ausdruck 'more than ever' verlangt bei Frontstellung die Umkehr von Subjekt und Verb. Zur Zeit von Keats (ihn bitte nicht als "der arme Dichter" bezeichnen, es ist ein Klischee) war es allerdings durchaus noch verbreitet, diese Umstellung auch ohne Hilfsverb 'do' vorzunehmen. Das Adjektiv 'rich' ist deshalb sinnfällig, weil die Kollokation mit 'life' üblich ist (somebody led a 'rich life'). Wenn Muschg schon über die Wichtigkeit von Nuancen in der Sprache schreibt und flugs noch wohlfeil gegen die heutige Zeit der Suchmaschinen polemisiert, sollte er die Nuancen korrekt umschreiben.
Ach kommen Sie, Plague Recovery Councillor (wer ist das nicht heute?), sich aber so zu nennen ist dann schon etwas speziell. Plague wurde für die Pest verwendet--kann man heute recyceln, hat aber trotzdem den Anruch von Sensationalismus. To teach the teacher ist eine Besserwisserei erster Güte, scheint Ihnen aber wenigstens Spass zu machen. Ich erlebte Professor Muschg als grossartigen Lehrer, wir lasen Shakespeare in Englisch, es war unvergesslich, seine Kenntnis auch der englischen Literatur ist umfassend. Sein Text ist ein schönes Beispiel von "thinking outside of the box", wo wir ja alle drin sind. He led a rich life--ich kenne die meisten seiner Bücher, habe neulich sein erstes sehr gerne wieder gelesen, es lohnt sich immer, sich mit seinen Texten zu befassen.
Blattschuss! Und wieder einen von den alten Säcken niedergestreckt! Ganz grosses Kino, werter Märchentantenonkel. Mit der Satzstellung mit und ohne Hilfsverb zur Zeit von Keats kenne ich mich nicht aus, aber wenn einer mit 36 an TB stirbt, finde ich es nicht ganz unangebracht, ihn arm zu nennen.
Alles gefällt mir an Muschgs Brief auch nicht, und an der Passage mit den Flüchtlingen bin ich auch hängengeblieben, aber Ihre besserwisserische und kleinliche Kritik schlägt der alte Mann um Längen. Vielleicht ist er sogar noch Raucher! Wollen Sie ihn nicht deswegen auch grad noch massregeln, wenn Sie schon dabei sind, oder dass er sich mit seinen 86 Jahren überhaupt noch aus dem Haus getraut?
Widerlicher Kommentar, und die konzertierte Zustimmung aus dem Hintergrund macht ihn kein bisschen besser, Sie Märchentantenpestonkel.
Werte Frau J.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Replik.
Ich glaube, es gibt spannende Stimmen der S. Literatur, die es verdient hätten, diese Serie zu eröffnen, wie Fleur Jaeggy, Melinda Nadj Abonji, Thomas Hürlimann, Alex Capus, Evelyne Hasler, Christian Kracht. Oder Janine Massard, Franz Hohler, Peter Bichsel, wenn es jemand aus der älteren Generation sein soll, AutorInnen, deren Haupttätigkeit das kreative Schreiben darstellt.
Die Romane von Adolf Muschg zähle ich nicht zu den herausragenden Werken der S. Literatur, aber das ist Geschmacksache und darüber lässt sich bekanntlich nicht streiten.
Es freut mich aber von ganzem Herzen, wenn Menschen an Muschgs Brief Gefallen finden und er sie zum Nachdenken anregt. Ich versuchte in meiner Replik einfach beispielhaft zu begründen, weshalb mich der Brief nicht überzeugte. Es ist unvermeidlich, dass verschiedene Menschen verschieden auf Texte reagieren. Ich habe einfach formuliert, was mir am Text missfiel. Es tut mir Leid, wenn ich auf Sie wie eine gallige Giftspinne wirke. Ich möchte Sie nicht verärgern. Doch das Forum lebt von der offenen Auseinandersetzung. Ihre recht heftigen Aggressionen mir gegenüber stimmen mich allerdings schon etwas nachdenklich. Ich finde dabei, dass Ihr Text mehr über Sie selbst als über meinen Beitrag aussagt. Ihre Begriffswahl mit 'massregeln', 'alten Sack niederstrecken' und 'widerlicher Kommentar' ist dieses Forums unwürdig und wirkt abstossend. Glauben Sie mir, liebe Frau J., dieser Tonfall steht Ihnen nicht und er schadet dem Forum und auch der Republik. Letztlich kann ich Ihnen nur empfehlen, meine Texte gar nicht zu lesen, wenn sie derart heftige negative Gefühle bei Ihnen auslösen, gerade in Lockdown-Zeiten, wo wir alles auch etwas gelassener sehen könnten.
ich empfinde die benannte Assoziation bezüglich Grenzen nicht als eine „hässliche Wegwendung“ von dem Versagen einer wie auch immer geleiteten „Flüchtlingskultur“, wobei ich diesen Begriff schon gern ersetzt oder ergänzt hätte durch „Flüchtlinge-Aufnahme-Kultur“, sondern (empfinde ich) die Parallele zwischen den dunklen Spots auf der Südhalbkugel und der Ostseeküste gerade treffend und eher den geschilderten Sachverhalt hässlich. Noch deutlicher wird dieses zurecht von Ihnen bemängelte kulturelle Versagen daran, dass tausende Erntehelfer für Spargel ins Land gelassen werden, und nur 50 - in Worten: fünfzig - allein gestrandete Kinder aus den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland eingeflogen werden können...
Ich bin dankbar für den Muschg’schen Brief und hoffe, dass viele über ihn nachdenken werden.
Wunderbar und brilliant.... Danke für diesen Beitrag.
In der aufdringlichen und unübersichtlichen Flut von Aufmerksamkeit heischenden News über Corona, die in mir ein Verstopfungsgefühl auslösen, ein wohltuender, aus inneren Distanz geschriebener Text, der Akzente setzt und durch seine gezielten Fragen zur Orientierung beiträgt. Besonders überrascht und gefreut hat mich, dass er mit einem Gedicht von Paul Celan über die Zeit schliesst.
In der Tat habe ich nun im ungewohnten Corona-Zeitempfinden endlich Zeit gefunden, das Jahrhundertwerk von Jean Gebser, 'Ursprung und Gegenwart' (geschrieben in den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts!) zu lesen. Was Zeit jenseits der quantitativ messbaren Zeit eigentlich ist und was das mit der Krise unserer Zivilisation zu tun hat, bildet darin eines der Hauptthemen. https://www.chronos-verlag.ch/node/…ght=gebser
„... über die verbleibenden Aussichten - und Deine Ansichten darüber - will ich Dich gerne vernehmen.“
Das würde ich mir gerne leihen als eine neue, zärtlichere und rücksichtsvollere Variante von „Los! Erzähl‘ schon!“, die allgemein in den Alltag Einzug nehmen sollte ...
Lieber Adolf, alles was ich in deinem Brief lese berührt mich . Froh darüber, dass unser Jürg diese Zeit nicht auch noch miterleben muss, bin ich gewiss, dass er ebenso empfinden würde wie ch: heimatliche, die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Ich grüsse dich aus der Vergangenheit, die durch diesen Brief ganz Gegenwart wird.
Adolf Muschg, Du hast in vielem recht. Aber was schlägst Du den ganz konkret vor? Nur zu sagen, schreiben, was alles „nicht gut“ ist genügt nicht. Was würdest Du den vorschlagen, wenn Dich Berset anrufen würde? Er wird Dich kaum anrufen aber ich traue ihm zu, dass er Deinen Vorschlag vernehmen würde. Mit herzlichem Gruss
Republik AG
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