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Meines Wissens geht es bei der Sache um Alkoholverkauf in Migros-Filialen viel weniger um den Willen des heiligen Gottlieb als um Menschen, die sich von einer Alkoholsucht befreit haben und in Migros-Läden selber einkaufen konnten ohne harte Willensprobe und grossen Bogen am Alkoholregal vorbei.
Für soziale Institutionen war es toll, Kunden Gutscheine geben zu können für ein Geschäft, wo sie den Betrag nicht für Alkohol zweckentfremden konnten.
Das mag sich heutzutage quantitativ nicht mehr rechnen. Aber einen grossen Laden in der Nähe zu haben, der keinen Alkohol anbietet, war Qualität.
Das ist tatsächlich das beste Argument gegen die Alkoholeinführung. Aber - so schlimm das klingt - es geht den Gegner nicht darum, Alkoholiker zu schützen, sondern ein Alleinstellungsmerkmal eines Unternehmens: https://nicht-mein-bier.ch/wissenswertes/
Ein weiteres gutes Argument hat Bolliger auch erwähnt: „ Es gibt nicht unendlich Platz im Migros-Regal. Wenn die Leute Markenprodukte wollen, muss dafür anderes weichen.“ Und wohin mit Bieren, Weinen, Schnäpsen? Meine Frau argumentiert: mehr Qualitäts-Bioprodukte, einheimisch und günstig wie in Aldi und Lidl. Alkohol hat es im Denner nebenan.
Schade, wenn solche Texte mit fehlender Überprüfung auf simple Rechtschreibfehler publiziert werden. Liest das niemand gegen?
Und ich frage mich: "... Chocolat Frey die beste Schokolade der Schweiz produziert" - wie wird das definiert? (das habe ich mich schon während der damaligen Werbekampagne gefragt). Überlegung dazu: Wenn 50% der Bevölkerung (Migros-Kunden) nur dieses eine Produkt kaufen können und der andere Teil der Bevölkerung beim Mitbewerb eine grosse Auswahl an Marken haben, muss zwangsläufig die Marke "Frey" einen höheren Marktanteil haben. Ist es deshalb die Beste oder Beliebteste Schokolade?
(Transparenz: Ich bin kein regelmässiger Migros-Kunde, finde die Grundprinzipien wie kein Alkohol, keine Zigaretten aber gut, wobei das durch die Zukäufe von Denner und Pick Pay dazumal schon aufgeweicht wurde)
Über das Problem, was (trockene) Alkoholiker beim Einkaufen haben, habe ich tatsächlich noch nie ernsthaft nachgedacht. Ja, da würde für diese vermutlich gar nicht so kleine Personengruppe effektiv etwas wegfallen.
Es wurde erwähnt, dass die Genossenschaft in Genf den Alkoholverbot nicht in den Statuten hat. Wird dort Alkohol verkauft?
Nein, dort wurde das Alkoholverbot im Geschäftsreglement festgehalten. Deswegen ist dort als einziger Genossenschaft nur eine einfache Mehrheit nötig um das Verbot zu kippen.
Dutti war eben nicht ein reiner Betriebswirtschafter, wie sie heute im Management zu finden sind. Auch in diesem Artikel ist dieser enge Blickwinkel der Betriebsökonomen sichtbar.
Sich für Volksgesundheit, Kultur und das Zusammenleben in der Gesellschaft zu engagieren, sprengt den Rahmen eines Ökonomen, der nur seine Bilanz verbessern will. Das ist das grossartige Vermächtnis, das es zu bewahren gilt.
Die Verfügbarkeit von Alkohol einzuschränken ist, wissenschaftlich erwiesen, eine der wirksamsten Präventionsmassnahmen. Das weiss man erst, seit Dutti nicht mehr lebt, darum eben ist die Bezeichnung Visionär passend.
Ich trinke gerne Wein. Ich arbeite in einer Weinhandlung. Soviel vorweg.
Was bedeutet es für mich persönlich, wenn in der Migros Alkohol verkauft wird? Nichts. Wenn Migros auf dem Alkohol-Markt bestehen, sprich: Umsatz und Gewinn erwirtschaften will, ist das Sortiment bereits vordefiniert. Die übliche Billigware, No-Name-Produkte neben ein paar wenigen Marken-Teasern. Billig-Wein, Billig-Bier und Billig-Schnaps. Das bedeutet für die Einkäufer*innen, dass sie Produkte finden müssen, die sonst niemand hat, damit sie Fantasiepreise bei gewinnbringenden Margen anbieten können. Da wünsche ich schon jetzt: viel Glück.
Wenn Migros neu Alkohol anbietet, kann wirklich nur der Massenkonsum bedient werden. Der Markt für das mittlere und obere Preissegment ist besetzt.
Wenn Migros Alkohol verkauft, dann werden die anderen Anbieter mit ihren Schrott-Sortimenten leiden: In erster Linie Denner und COOP (ja, COOP. In meiner Jugend hiess es noch, beim Konsi gibts guten Wein. Dieses Erbe hat man verspielt und macht so wohl gutes Geld).
Würde die Migros-Basis sagen: Da machen wir nicht mit!, wäre das immerhin ein mutiger Schritt. Aber eben: Mit Verweigerung macht man kein Geld.
Vielen Dank für diesen Einblick, Herr S. Ich muss zugeben: Aus dieser Perspektive habe ich die Sache noch nicht betrachtet. Heisst das, falls die Alkoholeinführung in einigen Migros-Genossenschaften durchkommt, dass sie dort dann aus Ihrer Sicht vor allem auf Quantität statt Qualität setzen müssen?
Ja. Ein Grossverteiler kann nicht auf Qualität setzen, hier geht es um Masse und günstigen Preis. Der Markteintritt von Migros bedeutet: Noch mehr Primitivo, noch mehr billige Spanier und noch einen Händler, der bei den einfachen Bieren und beim Eidechsliwein den Preis drückt. Aus der Sicht des Kunden braucht es sicher keinen weiteren Masse-Anbieter.
Lieber U. P. S., sie werfen einen interessanten Punkt auf. Obwohl ich es nicht nur so pessimistisch sehe. Auch Detailhändler wie Coop verkaufen sehr exklusive Weine (die teuerste Flasche gibt es da für sagenhafte 935 Franken, was mich als Weinfreund schon wieder ärgert, aber die ganze Weinspekulation ist ein anderes Thema). Und ja, die Hälfte aller Weinverkäufe in der Schweiz geht auf das Konto der Detailhändler - aber die andere Hälfte wird nach wie vor durch andere Weinhandlungen abgesetzt. Und meine Erfahrung ist die: Auch bei den kleineren Weinhändler gibt es die Leidenschaftlichen, die sich voll und ganz dem Wein verschreiben - und solche, die ein eher mediokres Angebot haben. Auch kleine Weinhandlungen brauchen Marge, und auch da habe ich schon gelinde gesagt fragwürdige Angebote entdeckt. Die Gleichung Detailhändler = böse und Weinhändler = gut ist für mich zuwenig differenziert.
Gleichzeitig muss man sehen, dass viele Menschen einfach mal gerne eine Flasche Wein trinken, ohne übermässig Geld dafür auszugeben. Das ist wie in jedem Produktsegment: Es gibt die Kenner, und es gibt die breite Masse. Und jede hat ihre eigenen Bedürfnisse, das würde ich nicht verurteilen.
Und vergessen wir eines nicht: Manch sehr guter Weinproduzent wäre nicht überlebensfähig, wenn er nur Weine im obersten Segment herstellen würde. Viele machen eine ganz andere Rechnung: Sie produzieren einerseits Top-Weine, sind aber andererseits auch im Massengeschäft tätig, weil das ihre Betriebsgrundlage sichert.
Finde das ständige, beinahe reflexhafte Sich-auf-Dutti-Berufen, das Werweissen darüber, wie sich Duttweiler, nunmehr seit sechzig Jahren tot, wohl zur geplanten Schleifung des MIGROS-Alkoholbanns positioniert hätte und ob der MIGROS-Säulenheilige bei einem OUI in seiner Gruft rotieren würde oder nicht, nachgerade etwas läppisch. Das Alk-Plebiszit mag zwar bloss einen Nebenschauplatz der MIGROS-Konzernpolitik betreffen, ist aber dessen ungeachtet wirtschaftspolitisch von nicht unbeträchtlicher Bedeutung, erhält doch mit den M-Genossenschaftern ein Stimmvolk von respektabler Dimension die Gelegenheit, seine Meinung zu einer wirtschaftlichen Grundfrage kundzutun, zur Frage nämlich, ob vorgeblich unverrückbaren marktwirtschaftlichen Sachzwängen wie Profitmaximierung und schrankenlosem Wettbewerb stets bedingungslosen Vorrang eingeräumt werden soll oder nicht. Ein Alleinstellungsmerkmal wie der Verzicht auf das Geschäft mit potentiellen Suchtmitteln wie Alkohol oder Tabak, welches gewissermassen in der DNA der MIGROS verankert ist, sollte unter keinen Umständen leichtfertig über Bord geworfen werden. Habe mein überzeugtes NON bereits eingelegt und nach getaner Arbeit mit einem richtigen, d.h. alkoholhaltigen Feierabendbier (gekauft im DENNER – einer MIGROS-Tochter, ich weiss !) begossen ...
Oh wie wahr. Weil die Migros ihr grösstes Problem, die völlig aus der Zeit gefallene Struktur nicht lösen kann, tun die Regionalfürsten und der "Zentralrat" einfach das, was ihnen erlaubt ist – und manchmal noch ein bisschen mehr. Eine klare Strategie kann es so natürlich nicht geben. Als ehemaligem Migroskind blutet mir schlicht das Herz.
... wusste vor allen anderen, dass Wirtschaftskartelle keine Zukunft haben.
Tatsächlich? Da hätte ich jetzt gerne die Meinung der Produzenten und Lieferanten, unter anderem der Bauern, zu unserem Grossisten-Duopol.
Hallo Herr W., ich lasse Ihren Einwand nur halb gelten. Migros und Coop besitzen zwar eine ungeheuerliche Marktmacht, aber es handelt sich nicht um ein Duopol nach Kartellrecht. Insbesondere mit dem wachsenden Marktanteil von Aldi und Lidl nimmt der Einfluss auf die Produzenten und Lieferanten ab. Im Text ist (umgekehrt) von Wirtschaftskartellen (Produzenten) die Rede, die durch Absprachen verhindern, dass bestimmte Händler nicht mehr beliefert werden.
Herr Albrecht, was wäre denn genau ein "Duopol nach Kartellrecht"?
Im Kartellgesetz ist der Begriff so nicht definiert. Aber ich gehe davon aus, dass sowohl Migros wie Coop als "relativ marktmächtige Unternehmen" gelten dürfen, demzufolge unter das Kartellgesetz fallen.
Auf Wikipedia werden Migros und Coop amüsanterweise explizit erwähnt, als Beispiel für ein Quasi-Duopol. Aber letztendlich ist die Frage, ob die beiden ihre marktbeherrschende Stellung ausnützen. In der Vergangenheit sind solche Fälle verbürgt, entsprechend würde mich die Situation heute interessieren. Aus praktischer Sicht, nicht gesetzlich oder wirtschaftstheoretisch.
PS: Der oben zitierte Satz ist mir einfach ins Auge gesprungen, schon klar dass er auf die damalige Situation zugeschnitten ist ;-)
Glückliches Land, das keine grösseren Sorgen zu kennen scheint, als über den (unnötigen) Alkoholverkauf in der Migros zu diskutieren.
Auch wenn die Titanic - obwohl, für einen korrekt haarsträubenden Vergleich wäre die Schweiz ja eher das Beiboot C (63+2Pers.) auf Deck 8, aber item. Wenn jetzt also die Titanic auf den Eisberg zusteuert, so sind doch trotzdem Entscheide über die Verpflegung der Jazzband zu fällen, sowie an jedem Dienstag ein Inventar des Tiefkühllagers durchzuführen!
Vielen Dank, Herr N., für Ihre schrägen Bilder. Sie geben meine Stimmungslage angesichts der bedrohlichen Probleme, die auf uns zukommen, die wir aber, eingelullt von Hintergrundmusik und träger Zerstreuung, lieber auf die Seite schieben, sehr genau wieder.
Spät, aber doch – hier noch ein Einwurf zur Debatte über den Artikel zur Migros-Abstimmung. Als Mitglied der Genossenschaft Project R und als ihr Fan – besonders auch wegen dieses Aspekts – hatte ich wohl gehofft, dass die Republik anders als die anderen Medien darüber berichtet. Denn wohl zum ersten Mal überhaupt fand letzte Woche eine Arena dank der Migros-Abstimmung eine Arena über eine Unternehmensentscheidung statt. Es ist tatsächlich historisch, dass eines der 500 grössten Unternehmen der Welt eine Frage – besonders eine so folgenreiche – direktdemokratisch und sogar föderalistisch löst. Anstatt also noch mehr über das Thema Alkohol und Dutti zu lesen, hätte ich es spannend gefunden, das Thema einmal von einer hoffnungsvollen Warte anzugehen. Wir könnten uns etwa fragen, ob sich die Migros-Demokratie vertiefen lässt – quasi als alternatives «Alleinstellungsmerkmal» -- vielleicht auch als eine Strategie, um «Boden gutzumachen» auf ihre Konkurrenten (von denen wir notabene weder demokratisch noch moralisch irgendetwas erwarten). Die Abstimmung kann uns auch Anlass dazu bieten, auch in anderen Genossenschaften (Coop, Raiffeisen, Mobiliar) mehr Mitsprache einzufordern. Ich denke da etwa an statutarisch verankerte Klimaneutralität, wie einst der Verein Detailwandel bei Coop per genossenschaftlicher «Volksinitiative» zur Abstimmung bringen wollte.
Hier noch eine etwas längere Version:
Aus der Ferne und leider mit etwas Verspätung möchte ich gerne ein paar Gedanken zum Artikel und zum Thema teilen. Vorneweg: Als Genossenschaftsrat der Migros Genf (und ehemaliger von Project R) sowie als Forscher zum Thema Genossenschaften und Unternehmensdemokratie habe ich den Prozess intensiv verfolgt und bin nah dran. Trotzdem wird mir das Resultat der Abstimmung persönlich relativ egal sein: Das wirklich Bedeutungsvolle liest sich für mich bereits im vierten Absatz:
Ob das so bleibt, entscheiden die über 2 Millionen Migros-Genossenschafter in diesen Tagen. Noch bis am 4. Juni dürfen sie in den Filialen oder per Post abstimmen.
In der gesamten Mediendebatte und öffentlichen Diskussion zur Alkohol-Abstimmung bekommt die Besonderheit der Migros und die Person Duttis viel Aufmerksamkeit. Die Frage, wie zentral das Alkoholverbot für die Identität des Unternehmens Migros ist, können Kund:innen bis nächste Woche selber entscheiden. Von Dutti scheint vor allem überliefert zu sein, dass er wohl durchaus mit beiden Abstimmungsergebnissen hätte leben können.
Andererseits schien er davon auszugehen, dass die Migros nicht für immer daran festhalten würde: «Vielleicht als Allerletztes wird dann doch in den nächsten fünfzig Jahren der Weinverkauf eingesetzt.»
Nicht nur um das Vermächtnis des Migros-Gründers zu schützen, ist darum erstmal wichtig zu sehen: Wer ist denn «die Migros»? In vielen Kommentaren zur Abstimmung lese ich einen Widerspruch heraus, wo zum einen «die Migros» kritisiert wird, weil «sie» Alkohol in den Regalen einführen will. Gleichzeitig ignorieren wir beinahe, dass es letztlich wir sind (oder mindestens 2 Millionen Bewohnerinnen), die letztlich darüber abstimmen. Ja noch mehr: Viele berufen sich auf Gottlieb Duttweiler um gegen eine Abstimmung zu argumentieren, obwohl dieser eine solche selbst einmal herbeigeführt hatte.
Warum? Weil Dutti ganz andere Fragen relevant fand.
Wenn es uns also so wichtig ist, das Erbe Duttis zu verteidigen, sollte es uns mindestens ein Anliegen sein, eine Abstimmung zu ermöglichen. Genau das war seit der Einreichung seitens der Zürcher Delegierten denn auch das Anliegen, wie der Artikel hervorhebt.
Eine Zürcher Delegierte fand darauf¬hin, dass diese neue Ausgangslage die Statuten der Migros strapazieren würde. Damit war der Zeitpunkt gekommen, wieder die Grundsatzfrage zu stellen. Gemeinsam mit vier weiteren Delegierten leitete sie den Abstimmungsprozess ein.
Aus dem (ausnahmsweise einmal nicht nur machtlosen) Genossenschaftsrat der Genfer Migros kann ich berichten, dass viele seiner Mitglieder bewusst nicht für den Alkoholverkauf abstimmten, sondern für eine Abstimmung über den Alkoholverkauf. Damit wollten die Delegierten, Genossenschaftsräte und Verwaltungen ermöglichen, dass die Mitglieder diese wichtige Entscheidung selber machen können – ähnlich wie es hier im Project R passiert. Dass die meisten Genossenschaften daraufhin auch ein «Ja» zur Abstimmungsfrage selbst empfohlen haben, täuscht nicht darüber hinweg, dass darüber jedes Mal ein aus freien Kund:innen besetzter Genossenschaftsrat befinden musste. Dieser ganze Aspekt kommt im Artikel (wie in praktisch allen Artikeln zum Thema) kaum vor. Stattdessen wird die Migros für diese Struktur kritisiert:
Duttweiler ist aber auch verantwortlich für das Hauptproblem der Migros: ihre dezentrale, komplizierte und teure Struktur. Sie sorgt unter anderem dafür, dass bei dem Grossunternehmen vieles politisch statt geschäftsorientiert entschieden wird. Was wiederum dazu führen könnte, dass es bald in Zürcher Filialen Alkohol zu kaufen gibt, an den Standorten in Winterthur (die zur Genossenschaft Migros Ostschweiz gehören) hingegen nicht – oder umgekehrt.
Aber anstatt «der Migros» abwechselnd vorzuwerfen, dass sie entweder zu profitgierig, geschichtsvergessen und undemokratisch sei oder zu wenig wie andere Grossunternehmen funktioniere, sollten wir mindestens anerkennen, dass es hier überhaupt eine Möglichkeit gibt, mitzuentscheiden. In der ständig abstimmenden Schweiz fällt uns wohl gar nicht mehr auf, wie ungewöhnlich das eigentlich ist, dass es bei der Abstimmungsarena für einmal nicht um den Staat geht. Andererseits kennen wir es ja nur zu gut, wenn es in jedem Kanton unterschiedliche Regeln gibt – nicht zuletzt zum Alkohol: Genfer Migrolinos sind zum Beispiel heute schon die einzigen, die keinen Alkohol verkaufen – weil das dort für Tankstellenshops verboten ist.
Aber mehr noch – ist das alles nicht die eigentliche Headline? Es ist historisch, dass eines der 500 grössten Unternehmen der Welt eine Frage – besonders eine so folgenreiche – direktdemokratisch und sogar föderalistisch löst. Anstatt noch mehr über das Thema Alkohol und Dutti in der Migros zu lesen, wäre es doch spannend, das Thema aus einer hoffnungsvollen Warte anzugehen. Wir könnten uns etwa fragen, ob sich die Migros-Demokratie vertiefen lässt – quasi als alternatives «Alleinstellungsmerkmal» - gerade auch als Strategie um «Boden gutzumachen» auf ihre Konkurrenten (von denen wir notabene weder demokratisch noch moralisch irgendetwas erwarten). Die Abstimmung kann uns zudem Anlass dazu bieten, auch in anderen Genossenschaften (Coop, Raiffeisen, Mobiliar) mehr Mitsprache einzufordern. Ich denke da etwa an statutatisch verankerte Klimaneutralität, wie es einst der Verein Detailwandel bei Coop per genossenschaftlicher «Volksinitiative» zur Abstimmung bringen wollte. Inspiration könnte unsere eigene Genossenschaft sein: Anders als beim abgewürgten «Projekt C» gelingt es dem Project R bisher hervorragend, demokratische Partizipation in der Genossenschaft zu ermöglichen. Als Mitglied und Fan – besonders auch wegen dieses Aspekts – hatte ich wohl gehofft, dass die Republik anders als die anderen Medien darüber berichtet.
Schön, von dir zu lesen, lieber Samuel – und dann erst noch so. Herzlichen Dank für diesen sehr inspirierenden Beitrag!
Lieber Samuel, vielen Dank für deinen profunden und kompetenten Kommentar, dem ich nur beipflichten kann. Ich fragte mit ähnlicher Stossrichtung (ernsthaft, was jedoch in der Satire unterging):
Was ist denn nun besser: Ein föderalistischer Genossenschaftsbund oder eine zentralistische Aktiengesellschaft?
Warum wird ohne zu hinterfragen vorausgesetzt, dass «zentralistisch und agil» immer das Bessere ist? Zumal die Republik bzw. ihr Verlag Project R ebenfalls als Genossenschaft organisiert ist.
Vielleicht wäre als follow up tatsächlich ein konstruktiver long read über Genossenschaften angebracht.
P.S. Wie in der Redaktion darf auch für den Dialog gelten: Es kommt nicht darauf an, den ersten Beitrag zu schreiben, sondern den definitiven ;-)
Danke, Michel. Ja, diese Frage bringt es wirklich auf den Punkt. Was wollen wir denn nun eigentlich von und mit der Migros? Soll sie mehr sein wie andere Unternehmen oder eben doch nicht? In welchen Aspekten? Warum macht es möglicherweise Sinn, dass vermehrt Unternehmensentscheidungen "politisch" getroffen werden?
Ganz nebenbei könnte auch unser irgendwie paradoxes Verhältnis dazu aufgearbeitet werden. Manchmal wirkt es fast so, als wäre die Migros irgendwie ein einst gut erzogener, nun vom Pfad abgekommener Sohn, den man zwar lieb hat aber eigentlich noch viel lieber kritisiert. Ohne anzuerkennen, dass es durchaus Wege zu ergründen gäbe, ihn wieder mehr an seine Erziehung zu erinnen - diese Möglichkeit einem aber noch viel absurder erscheint, als ihn für immer gehen zu lassen (dahin wo man ihm immerhin weiter etwaw vorhalten kann).
Ich bin in Metaphern sichtlich weniger geübt, teile aber deine Schlussfolgerung: ein long read wäre wirklich toll zu lesen. Ganz im Sinne des definitiven Beitrags :-)
Selenski wird in der Wirtschaft als Nervensäge gehandelt. Er fordert seit drei Monaten: Kauft kein Öl bei dem, der in der Ukraine Krieg führt, uns tötet, das Land verwüstet. Offenbar kann das die Wirtschaft nicht, also zahlen wir unseren Teil des Krieges an Russland. Abhängigkeit, fast schon sklavisch.
Vor 11 Tagen feierte die Schweiz ihren Overshoot-Day 2022. Wir hier verzehren ab dem 13.5.22, was die Natur nicht im gleichen Jahr nachbilden kann. Und wenn alle Menschen unseren Wohlstand hätten, dann bräuchten wir ca. drei Planeten. Das macht die US -Demokratie und -Wirtschaft besser, wären alle im US-Wohlstand, so bräuchte es ca. 5 Planeten. In den letzten 60 Jahren verlagerten wir den Overshoot-Day in Richtung mehr oder weniger Planeten-Bedarf, die wir meines Wissens nicht haben? Abhängigkeit, fast schon sklavisch.
Im frühen 20. Jahrhundert demonstrierten Frauen in den Schweizer-Städten gegen den Alkoholismus. Sie forderten öffentliche Massnahmen gegen das Geschäft mit der Zerstörung ihres Lebens, ihrer Familien, verbunden mit Verarmung in Krankheit und Elend. Sie forderten VERZICHT auf etwas, das ihr Leben in Würde und die Zukunft ihrer Kinder in Gesundheit unmittelbar physisch bedrohte, aber eben auch Wirtschaft war, mit lukrativen Geschäften, Gewinn und Alkohol-Steuern für den Staat. Alkoholkonsum als Volkskrankheit, das war Abhängigkeit, fast schon sklavisch.
Als Arzt erkenne ich ein ähnliches Muster in den drei Erscheinungen: Ein Verhalten führt zu Abhängigkeit, (fast schon) sklavischer, es gibt Leute, die sich benehmen wie Nervensägen, sie haben recht: naturwissenschaftlich. Aber unsere neuronale-geistige-psychische Abhängigkeit macht, dass wir den Krieg weiter (mit)zahlen, den Overshoot-Day immer noch eher in der gleichen Richtung wie bisher verschieben und mit dem Konsum von Rauschmitteln für unser Neuronen all das vergessen können....
Ja, ich meine, die Migros-Abstimmung hat eine symbolische Dimension.
Von einem Mitglied eines anderen «Pseudo-Parlaments» eines anderen «kleinen Königreiches», äh, ich meine einer «Republik» (welche eigentlich eine «zentralistische und agile» AG ist): Mit geradezu häretischer Ironie dekonstruiert Albrecht Duttis Heilsgeschichte, um stellenweise selbst wieder in diese zurückzufallen.
So haben wir die heilige Familie: Pater, Patriarch und Patron, ja Zeloten, Volksheiligen und Messias Dutti, dann Gottes Kinder, äh, ich meine Duttis Kinder, vulgo «Migros-Kinder», und die heilige Mutter Adele, der auf das Kind des protestantischen heiligen Geistes des Kapitalismus, Dutti, schaut.
Aber auch die scholastische Haarspalterei beim dogmatischen Disput zur «Frage des Alkohols»: «Solange es nicht unter dem grossen orangen M geschieht, ist es orthodox». Wie um die wortgetreue Interpretation des schriftlichen Kanons gerungen wird, oder die mündliche Überlieferung exegetisch ausgeschlachtet wird. Gottlieb steh uns bei, es droht das Schisma! Wo bleibt nur die historisch-kritische Methode? Wo das modernisierende Konzil?
Kritik wird weniger an Dutti im Himmel geübt, sondern vor allem am ehemaligen Statthalter auf Erden, Papst, äh, Patron Bolliger laut, der zur Ostkirche übergelaufen ist, wo er nun Wasser zu Wein verwandelt bzw. Wasser predigt und Wein trinkt. Denn dieser hätte, so die Suggestion, nicht mehr universalistische Interessen im Sinn, sondern seine eigenen. Doch schlimmer wiege sein Sakrileg die heiligen USP's, die «Kultprodukte» vernachlässigt, ja zum Verschwinden gebracht zu haben.
Hier wird es unter Berufung der Worte und Autorität Duttis jedoch wieder spekulativ-exegetisch:
Kein Mensch kann sagen, wie Dutti auf die heutigen Herausforderungen reagiert hätte. Was von ihm überliefert ist, legt nahe, dass er die Eigenmarken höher gewichten würde als den Alkohol.
«Gillette, Nivea und Rivella» – Die unheilige Dreifaltigkeit! Die Apokalypse naht! Alte Migros-Kundinnen, die sich bücken müssen – Gehts noch?! Wo bleibt die Kardinaltugend der Caritas? Der Respekt vor den Elders?! Aber so lange die heiligen Glacés tabu bleiben, ist für mich alles gut. Denn die Kinder! Es geht nur um die Kinder (welche mit Spielzeug-Aktionen getauft, äh, «kundengebunden» werden)!
«Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Duttis. Amen.»
Kritisiert wird auch die Kirche als Institution und Ekklesia. Einerseits wird bewundernd die sozialrevolutionäre Maxime des heiligen Dutti, dass «Profite den Kundinnen zugutekommen müssen» und «die Idee vom sozialen Kapital» wiedergegeben. Aber auch der «spektakuläre Einzelfall», die Verwandlung einer AG in eine Genossenschaft, welche eine föderalistische «Miniatur-Eidgenossenschaft» sein soll.
Andererseits plagt die Mini-Eidgenossenschaft wie die Maxi-Eidgenossenschaft der «Reformstau» und ein «Flickenteppich». Besser sei dagegen mehr Zentralismus und damit Agilität, um im neuen Geist des Kapitalismus und dessen neuen Kirchen und Sekten bestehen zu können. Doch dann hätten Päpste, äh, Patrons mehr zu sagen – oder etwa nicht?
Die Duttiologische Fakultät schlägt ein «Ständemehr» an, doch stattdessen bleibt es bei der genossenschaftlichen Zweidrittelmehrheit. Das Ständemehr bewirkt aber in der Maxi-Eidgenossenschaft:
Ein demokratierechtliches Problem liegt darin, dass beim Ständemehr eine Stimme aus dem Kanton Appenzell Innerrhoden (15'000 Einwohner, eine halbe Standesstimme) 40,95-mal mehr Gewicht hat als eine aus dem Kanton Zürich (1'228'600 Einwohner, eine Standesstimme).
Eine kleine regionale Genossenschaft hätte also de facto mehr Stimmen als eine grosse, eine Stimme in Ersterer zählt also mehr, als in Letzterer.
Was ist denn nun besser: Ein föderalistischer Genossenschaftsbund oder eine zentralistische Aktiengesellschaft?
Hoffentlich bleibt auch in der Republik alles so, wie es ist. – oder doch nicht? ;)
An diesem Artikel scheint mir einiges historisch fragwürdig. Die von einem Unternehmer als AG gegründete Migros soll volksnäher gewesen sein als die aus Konsumgenossenschaften entstandene Coop? Wohl mag Coop (von Cooperstive) ihre sozialdemokratischen bis sozialistischen Wurzeln schon länger vergessen haben. Jedoch: Coop als elitäre, überteuerte Firma vs. volksnahe, kulturfördernde Migros? An dieser Darstellung habe ich doch starke Zweifel.
Hm. Da scheint sich ein kleiner Bias eingeschlichen zu haben: Wahrscheinlich ist es nicht nur 9% der Abstimmenden egal, sondern wenn es mir egal ist, stimme ich nicht ab…
Republik AG
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