Die Republik ist nur so stark wie ihre Community. Werden Sie ein Teil davon und lassen Sie uns miteinander reden. Kommen Sie jetzt an Bord!
Ohne das aktuelle System zu beschönigen, gleichwohl die Frage: Was wäre denn die Alternative?
Zur Erinnerung: Bis Ende 2010, zu Zeiten der kantonalen StPO, gab es Kantone, in denen „gewöhnliche“ Justizbeamte, als Mitarbeitende des Untersuchungsrichteramtes 4 Wochen Untersuchungshaft anordnen konnten. Ohne richterliche Überprüfung. Und ohne Verteidigung der ersten Stunde. Mit dieser wahrhaft skandalösen Praxis war dank der eidgenössischen StPO (und dem nun kritisierten heutigen System) endlich Schluss.
Dass eine richterliche Haftüberprüfung zu erfolgen hat, steht ja ausser Frage. Aber was genau müsste sich ändern?
Geschätzter M. B., die Richter:innen, die die Anträge auf U-Haft prüfen, müssten die Argumente beider Seiten anhören, ernst nehmen und dann ihren Entscheid sorgfältig begründen. Nicht einfach die Anträge durchwinken. Und es muss stets geprüft werden, ob es nicht mildere Massnahmen gäbe (wie im Artikel erwähnt), z.B. Schriftensperre, Rayonverbot, Electronic Monitoring, etc. All das geschieht offensichtlich nicht, wenn fast 100 Prozent der Haftanträge gutgeheissen werden (mit meist schnöden, lapidaren "Begründungen"), und dies schon seit Jahren. Anwält:innen pflegen zu sagen: Es ist einfacher, einen Freispruch zu erwirken, als eine U-Haft zu verhindern. Beste Grüsse, Brigitte Hürlimann
Lieber Herr B., danke für Ihre Frage. Meine Kollegin Brigitte Hürlimann hat ja bereits mit gewohnter Sorgfalt und Sachkenntnis geantwortet. Von meiner Seite vielleicht noch das: Es ist unbestritten, dass staatliche Zwangsmassnahmen stets verhältnismässig sein müssen. Sie sind es aber nicht immer. Beispiel U-Haft-Dauer: Da genehmigen die Zwangsmassnahmengerichte in sehr vielen Fällen die von den Staatsanwaltschaften beantragte lange Haftdauer - obwohl eine kürzere durchaus möglich wäre.
Besten Dank für die Antworten.
Gerne möchte ich Sie dazu anregen zu prüfen, wie viele Haftentscheide der Zwangsmassnahmengerichte eigentlich von den oberen Gerichten gekippt (oder gekürzt) werden und ob es kantonale Unterschiede gibt. Zumindest mit meiner Berufserfahrung als Staatsanwalt deckt es sich schon nicht ganz, dass einfach alles „durchgewinkt“ wird. Ich hätte eher die Behauptung gewagt, dass das Problem vielschichtiger ist. Es greift meines Erachtens auch zu kurz, allein von der „Gutheissungsquote“ allenfalls darauf zu schliessen, dass die Haftanträge ungenügend geprüft, die Gegenseite nicht angehört oder Ersatzmassnahmen nicht in Erwägung gezogen worden seien. So erscheint das Fallbeispiel im Artikel freilich krass. Aber widerspicht es denn der Praxis des Bundesgerichts?
Ich erlaube mir ausserdem zu bedenken zu geben, dass das Stellen eines Haftantrages aufwändig ist. Ich jedenfalls tue mir dies nur dann an, wenn ich mir angesichts der Gerichtspraxis eine hohe Wahrscheinlichkeit ausrechne, dass der Antrag gutgeheissen wird. Und wenn nun tatsächlich in 90 % meiner Anträge Haft angeordnet wird, heisst dies also was genau? Dass ich den Fall sorgfältig geprüft habe oder dass ich der Willkür verfallen bin?
Der Spielraum mit Ersatzmassnahmen ist leider beschränkt, weil diese - namentlich bei Fluchtgefahr - nur in wenigen Fällen eine geeignete Alternative sind. Entweder muss die Herkunft der beschuldigten Person geklärt sein und sie muss eine effektive Wohnadresse in der Schweiz haben (Schriftensperre, Electronic Monitoring) oder sie muss über (legal erworbenes) Geld verfügen (Kaution).
Wenn sich die Praxis durchsetzen könnte, dass zu lange oder nicht ausreichend gerechtfertigte U-Haft Aussicht auf eine erfolgreiche Klage einer finanziellen (nicht nur symbolischen) Entschädigung durch den Staat hätte, würde das 'Durchwinken' entschieden ausgebremst, da man plötzlich bilanzieren könnte, wer denn für Urteile zuständig war, die später überdurchschnittlich hohe Entschädigungszahlungen zur Folge hatten.
Für Diebstahl und Landsfriedensbruch war die Rumänin vier Monate lang eingesperrt. Gemäss im Artikel genannter Zahlen hat das allein schon 24'120 Franken gekostet; welchen finanziellen Aufwand die beteiligten amtlichen Stellen verursacht haben, kann nur geschätzt werden, er dürfte wohl beträchtlich sein.
Überlegenswert ist auch, welche Delikte begangen werden müssten, bis man zu einer vier Monate langen, unbedingten Strafe verurteilt würde. Es müsste schon etwas Happiges sein, vielleicht ein Millionenbetrug oder ein Einbruch mit viel Sachschaden.
Im beschriebenen Fall wurde m.E. unverhältnismässig agiert. Hätte man die Frau auf freiem Fuss gelassen, wäre sie schlimmstenfalls abgehauen, was ja wohl auch keine Tragödie gewesen wäre.
Gibt es in diesem spezifischen Fall eine Haftentschädigung für die Frau für die 4 Monate in U-Haft?
Und wenn nein, wieso nicht?
Im beschriebenen Fall war es tatsächlich so: Die Frau sass 129 Tage in Untersuchungshaft und wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 130 Tagessätzen verurteilt. Sie erhielt keine Haftentschädigung, weil die 130 Tagessätze die 129 Hafttage gewissermassen - um es unjuristisch zu formulieren - aufhoben. Die Frage ist natürlich: Fiel das Strafmass genau so aus, damit der Staat der Frau keine Haftentschädigung zahlen musste?
Nein, wenn die Strafe gleich lang oder länger als die abgesessene Untersuchungshaft dauerte, nicht. Auch nicht, wenn die Strafe bedingt ausgesprochen wurde. Leider ist es nicht unüblich, dass Strafen „ergebnisorientiert“ ausgesprochen werden, so dass genau keine Entschädigung ausgerichtet werden muss.
Das heisst in diesem Fall sind die Tagessätze der Geldstrafe ausschlaggebend?
Das führt dann aber "bedingte" Strafen etwas ad-absurdum, oder nicht?
Die Strafe ist zwar bedingt, die Bestrafung wurde aber bereits abgesessen (in Form von U-Haft), wird aber so wie ich das in diesem Fall verstehe trotzdem nicht angerechnet?!?
Wie wäre das bei einem hypotetischen Rückfall? Müsste sie dann trotzdem die Geldstrafe zahlen? Und wäre damit doppelt bestraft, sprich Geldstrafe + U-Haft?
Ich arbeite in diesem System und bin immer etwas irritiert darüber, wie einfach sich die Rollen von gut und böse verteilen lassen. Als Staatsanwältin verhafte ich nicht in vielen Fällen, es gilt die Unschuldsvermutung. Wenn eine Verhaftung erfolgt, besteht in ca. 95% der Haftfälle Fluchtgefahr, d.h. der Beschuldigte soll für die Zeit der Untersuchung zur Verfügung stehen. Meistens sind Ausländer davon betroffen. Wiederholungstäter werden nur bei schweren Vergehen oder Verbrechen gegen Leib und Leben oder bei Drogenhandel u.ä. verhaftet. Meistens sind hier wohnende Beschuldigte davon betroffen. Wenn Verdunkelungsgefahr besteht, werden verhaftete Beschuldigte meistens entlassen, sobald Parteien und Zeugen befragt sind und die notwendigen Beweise gesichert sind (zB. Hausdurchsuchungen). Haftfälle sind aufwändig, das soll klar betont werden. Ich persönlich stelle nur einen Haftantrag an das Zwangsmassnahmengericht, wenn ich davon ausgehe, dass er gutgeheissen wird. Bei uns werden auch fast alle Anträge gutgeheissen, jedoch wird die Haftdauer oft gekürzt und somit wird dem Antrag dann teilweise nicht entsprochen. Darüber lese ich aber nichts im Text. Nach 10 Tagen Haft ist ein notwendiger Verteidiger Pflicht, der Beschuldigte steht nicht einfach alleine einem Machtapparat gegenüber. Die beste Variante für uns wäre die Möglichkeit, selber Haft für 10 Tage anzuordnen und erst danach Haftantrag an ein Haftgericht zu stellen. Diese Variante würde dann aber eine notwendige Verteidigung von Beginn weg erfordern.
Der Verhaftung entgeht zu 100%, wer sich nicht strafbar macht. Ein Tatverdacht muss ja auch gegeben sein, um eine Haft zu begründen.
Nachtrag nach den kritischen Bemerkungen: Der zweitletzte Satz war tatsächlich nicht mein Ernst, sondern mit einem ironischen Touch gemeint, was aber offensichtlich nicht ankam. Ich anerkenne, dass das deplatziert war und entschuldige mich dafür.
Der Verhaftung entgeht zu 100%, wer sich nicht strafbar macht.
Geschätzte Frau M., das kann ja nicht ihr Ernst sein. V.a. im Ausländer-Recht macht man sich allzu schnell strafbar. Im geschilderten Fall hat sich eine psychisch angeschlagene Person strafbar gemacht u sass wegen dieser „Bagatellen“ fast 130 Tage in Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Das ist krass unverhältnismässig und diskriminierend.
Danke für die interessanten Hinweise aus der Praxis. Der Vorschlag, dass die StA selber für bis zu 10 Tage Haft anordnen darf, ist zwar aus StA-Perspektive sicher verständlich; ich halte ihn aber nicht für zweckführend: um Artikel 5(4) EMRK (und 5(1)(c)...) kompatibel zu bleiben, müsste ja jeder Beschuldigte dann trotzdem auch während dieser 10 Tage die Möglichkeit haben, beim ZMG Antrag auf Haftentlassung zu stellen - und hätte ja keinen Grund, dies nicht zu tun - also gäbe es dann trotzdem Haftverhandlungen.
Ich sehe hier die Gefahr einer ähnlichen Entwicklung wie bei Strafbefehlen - natürlich kann man immer aus Effizienzgründen der StA mehr ("erstinstanzliche") Kompetenzen geben, aber sie bleibt nun mal kein unabhängiges Gericht und gerade bei Haft >24/48 Stunden halte ich das schon für sehr relevant. Eine U-Haft von nur schon 5-7 Tagen kann einige Konsequenzen mit sich bringen (psychische Gesundheit, Probleme mit dem Arbeitgeber, etc. etc.) und sollte m.E. nicht von einer Strafverfolgungsbehörde selbst angeordnet werden können.
Danke für Ihre Ausführung, Frau M. Da sind einige Punkte darin, die ich nachvollziehen kann. Oder die es sich sicher lohnt, auch anzuhören und zu berücksichtigen. Den zweitletzten Satz hätten Sie jedoch problemlos weglassen können.
Einen solchen Satz von einer Staatsanwältin lesen zu müssen, macht mich eher nachdenklich. Er schmälert auch mein Vertrauen in Ihre ersten Zeilen. Einen solchen Satz würde ich eher gewissen populistischen Politikern zuordnen.
Der Verhaftung entgeht zu 100%, wer sich nicht strafbar macht.
Oder wer sich nicht erwischen lässt, die richtigen Beziehungen hat, beruflich die richtige Position inne hat, den richtigen Familien angehört und der Pass spielt sicher auch eine Rolle.
Liebe Frau M., besten Dank für Ihren Beitrag aus Sicht der Staatsanwaltschaft. Dazu noch das: Offenbar ordnen die Zwangsmassnahmengerichte in Ihrem Kanton «oft» eine kürzere Haftdauer an, als sie die Staatsanwaltschaft beantragt hat. Im Kanton Zürich ist das aber nicht der Fall: Hier entschieden die Gerichte (zumindest 2021) in lediglich drei Prozent der Fälle auf eine verkürzte Haftdauer.
Der Verhaftung entgeht zu 100%, wer sich nicht strafbar macht. Ein Tatverdacht muss ja auch gegeben sein, um eine Haft zu begründen.
Lese ich das richtig? In 100% aller Fälle, in denen Sie erfolgreich U-Haft beantragen, landen diese vor Gericht - und es gibt keinen einzigen Freispruch?
Frau M.,
Die Praxis und die vielen mir aktenkundig bekannten Fälle sprechen das Gegenteil, was sie in ihrer "Verteidigungsrede" und "Schönfärberei" über die Staatsanwaltstätigkeiten schreiben. Leider nur leere Worthülsen und Floskeln. Insbesondere auch die Verniedlichung und Verharmlosung eines "Machtapparates" ist erschreckend für eine Staatsanwältin.
Es zeigt sich leider einmal mehr, dass die Staatsanwaltschaften und die Gerichte mit deren Juristen keine kritische Reflektion und KEINE SELBSTKRITIK ihrer Tätigkeiten kennen. Ein Handeln im Elfenbeinturm.
Die Kompetenzen der Staatsanwaltschaften müssen drastisch reduziert und auf ihren unmittelbaren Verfassungsauftrag gekürzt werden. Das sind ausschliesslich: Untersuchung von Straftaten und danach Antragstellung an ein Gericht. KEINE Entscheidungskompetenzen, auch nicht auf Untersuchungshaft oder anderweitige Anordnungen.
Zudem muss die Institution "Staatsanwaltschaft" (einseitig anklageerhebende Partei) komplett von sämtlichen Gerichten (Entscheidungsträger) vollumfänglich getrennt werden.
Am schweizerischen System irritiert mich immer etwas, dass die Zwangsmassnahmengerichte gesetzlich gewollt unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen (ich weiss, die Republik hat dazu schon berichtet). Dass dies nicht zwingend ist, zeigt etwa der Vergleich mit meinem Wohnsitz- und Arbeitsland England, wo der äquivalente erste Termin vor dem Magistrates' Court öffentlich stattfindet, und die Frage U-Haft versus Haftentlassung (allenfalls mit Auflagen) öffentlich verhandelt wird. (Haftbeschwerden zu einem höheren Gericht werden dann teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt). Irgendwie bekommen es die Staatsanwalts-Vertreter hier auch hin, dem Gericht genügend Informationen für einen U-Haft-Antrag zu geben, ohne dass z.B. laufende Ermittlungen gefährdet würden...
Spannend! Danke für den Hinweis!
Leider ein längst überfälliges, sehr düsteres Thema unseres "Rechtstaates". Dazu zählt auch die fehlende Unabhängigkeit sowie das system- und verfassungswidrige Handeln der Staatsanwaltschaft und des Obergerichtes:
Bei einer erfolgten Strafanzeige von begangenen Straftaten (Offizialdelikte) von Staatsbediensteten müssen die Staatsanwaltschaften bei der Ermächtigungsbehörde (in Zürich die 3.Strafkammer des Obergerichtes) untertänigst anfragen, ob sie eine Strafuntersuchung überhaupt an die Hand nehmen dürfen, obschon eine Straftat als Offizialmaxime verfassungsgemäss zwingend untersucht werden muss (müsste). Die Ermächtigungsbehörde entscheidet danach, ohne (!) dass sie irgendwelche Fakten kennt (es ist noch gar nicht ermittelt und keine Beweisaufnahme erfolgt) "aus dem hohlen Bauch". Dabei stützt sie sich einzig einseitig
auf die "Empfehlung" der Staatsanwaltschaft. Dabei muss (müsste) sie in diesem summarischen Verfahren bei kleinstem Verdacht, bei dem ein Straftatbestand vermutet (!) werden kann, für eine Strafuntersuchung entscheiden. Dies leider kaum je der Fall.
in einem summarischen Verfahren darf sich die Erächtigungsbehörde auch nicht zu den einzelnen beanzeigten Straftaten äussern. Dies hinderte den zürcher Oberrichter M jedoch nicht (aktenkundig), auf über acht Seiten sich ausführlich zu den einzelnen beanzeigten Straftaten sehr abschätzig (verläumderisch) im Detail zu äussern. Sein ablehnendes Pamphlet sandte er zudem als Kopie an die beanzeigten Personen! Ziel der zürcher Oberrichter M, O, V war ganz offenkundig, den Anzeigeerstatter bei den beanzeigten Personen und deren Behörde zu verunglimpfen und zu diskreditieren. Leider kein Einzelfall.
Der Strafanzeige-Einreichender hat ab dem Einreiche-Zeitpunkt nur noch ein Anhörungsrecht, das "Ermächtigungsverfahren" ist ein rein verwaltungsinternes Administrativverfahren; Verfahrensbeteiligte sind einzig die antragstellende Staatsanwaltschft sowie die Ermächtigungsbehörde. Nicht Verfahrensbeteiligt sind in einem Ermächtigungsverfahren die beanzeigten Personen; sie sind erst ab einer Strafverfahrenseröffnung Verfahrensbeteiligte. Damit soll verhindert werden, dass beanzeigte Personen Beweismittel entfernen, abändern oder sich absetzen.
Anklageerhebende Instanz ist zudem der Staat und nicht der Anzeigeerstatter (Opferschutz).
Die Ermächtigungsbehörde erteilt in den allermeisten Fällen keine Erlaubnis (Ermächtigung) den beanzeigten Straftatbestand zu untersuchen. Staatsbedienstete (Beamte) brauchen sich nicht vor einer Untersuchung (allfälliger) Straftaten zu fürchten. Prof.Dr.Franz Ricklin: " Vor einer Aufklärung verschont". Das Bundesgericht gab auch unumwunden zu, dass das Ermächtigungsverfahren den (einzigen) Zweck folgt, Staatsbedienstete vor einer Untersuchung ihrer Straftaten und vor einer Strafverfolgung zu schützen. Gemäss Rieda/Fiolka klarerweise verfassungwidrig!
Fehlende Gewaltentrennung und Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften:
Das Obergericht ist auch Aufsichtsinstanz über die Staatsanwaltschaften. Kommt es in seltenen Fällen zu einem Strafverfahren, ist danach das Obergericht wiederum (nicht-neutrale, befangene) urteilende Instanz und die Staatsanwaltschaft andererseits mutiert zur anklageerhebenden Partei. Die Staatsanwaltschaft sollte sich nun von ihrer eigenen Aufsichtsbehörde, von ihrer Ermächtigungsbehörde als nun angeblich "neutrale, unbefangene Instanz", in Personalunion (!) beurteilen lassen. Eine Staatsanwaltschaft wird selbstredend auch nie andere Anträge stellen, als ihre Ermächtigungsbehörde vorgängig in einem "Summarischen Entscheid" signalisiert hat (siehe auch 8-seitiges Pamphlet des ZH-Obergerichtes).
Willkür und einseitig parteiische "Urteile" und "Handlungen" sowohl der Staatsanwaltschaften wie auch der Gerichte sind vorprogrammiert.
Die Verbandelungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften sind vollständig (!) zu entflechten. Die Kompetenzen der übermächtigen (keine Gewaltentrennung, einseitig-parteiisches Verhalten) Staatsanwaltschaften sind zu beschränken! Das verfassungswidrige "Ermächtigungsverfahren" ist ersatzlos abzuschaffen!
Gibt es eine Statistik, welche die Tage Untersuchungshaft in Relation zur effektiven Strafe setzt?
Vor allem auch in Bezug auf bedingt ausgesprochenen Strafen scheint hier ein krasses Missverhältniss zu bestehen bzw. eine Vorbestrafung stattzufinden.
Es gibt einen (nicht ganz aktuellen) Beitrag, der das untersucht bzw. völlig beiläufig erwähnt hat (Frédéric Clausen/Daniel Fink, Untersuchungshaft im freien Fall, S. Fall, in: Daniel Fink/Peter Schulthess (Hrsg.), Strafrecht, Freiheitsentzug, Gefängnis – Ein Handbuch zur Entwicklung des Freiheitsentzugs in der Schweiz, Bern 2015, 193).
Dort wurde unter Bezugnahme auf die statistischen Angaben des BfS betreffend die Anrechnung von Untersuchungshaft an eine spätere Verurteilung festgestellt, dass von allen Verurteilungen mit einer angerechneten Untersuchungshaft lediglich 33 % zu einer Verurteilung mit einer unbedingten oder teilbedingten Freiheitsstrafe führten. Das bedeutet, dass in 2/3 der Fällen, in denen es zu Untersuchungshaft kam, wurde der Beschuldigte danach zu einer vollbedingten Strafe verurteilt. In dieser Statistik nicht enthalten sind all jene Fälle, in denen Untersuchungshaft angeordnet worden war, es aber zu einem Freispruch kam! Eine Statistik, welche die Zahl der Freisprüche/Einstellung nach vorbestehender Untersuchungshaft erfasst, ist mir hingegen nicht bekannt.
Der Grund ist, dass sich die Gerichte mit Billigung durch das Bundesgericht weigern, die Frage des möglichen bedingten Vollzugs zu prüfen. Selbst wenn also alle im Umzug wissen, dass Person X selbst im Verurteilungsfall lediglich zu einer bedingten Strafe verurteilt werden wird, hilft dies nicht zwingend weiter. Und weil die bedingte Strafe regelmässig genau so hoch ausfällt, wie die erlittene Untersuchungshaft, besteht kein Anspruch auf Entschädigung. (Zugegebenermassen: Auch hierzu gibt es dummerweise keine Statistiken, weil dies gar niemand wirklich wissen will. Zumindest niemand, der die tatsächliche Entscheidungsmacht hat...). Und bei einem Freispruch gibt's zwar eine Entschädigung, aber diese fällt lächerlich gering aus für das "Sonderopfer" das vom Inhaftierten verlangt (abgenötigt) wurde. Dass die Person vielleicht wegen der Haft die Stelle verloren hat? Geschenkt.
Vieles, was im Haftrecht schief läuft, ist letztlich keine Frage des Gesetzes. Und nicht einmal des gesetzgeberischen Willens. Es liegt einzig an der Praxis der Gerichte, namentlich des Bundesgerichts.
Am Rande sei erwähnt, dass meine Kritik sich nicht gegen die Staatsanwaltschaften richtet. Die meisten Haftentlassungen werden von den Staatsanwaltschaften verfügt. Aber wenn sich diese querstellen, dann ist der Gang ans Gericht - wie die Statistiken zeigen - weitgehend aussichtslos. Meine Erfahrung bezieht sich allerdings primär auf die Gerichte des Kantons Zürich. Bei uns heisst das Zwangsmassnahmengericht (namentlich des Bezirksgerichts Zürich) denn auch der "Haftomat". Man kann reinwerfen, was man will. Unten kommt Untersuchungshaft raus. In anderen Kantonen scheint die Sache zumindest etwas besser zu funktioneren.
Lieber Herr B., so viel ich weiss, gibt es dazu keine Statistik. Im Kanton Zürich dauerte es im Übrigen elf Jahre, bis die Zwangsmassnahmengerichte erstmals Zahlen zu ihren Entscheiden zusammenstellten.
Elf Jahre ! Geheimniskrämerei und Transparenzverhinderung!
Gemäss Bundesverfassung und auch zürcher Staatsverfassung sind die Behörden und auch Gerichte zu (voller) Transparenz verpflichtet. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn der Staat (Spionage, Militär) akut gefärdet ist.
Der Artikel wird im übrigen auch im Blog von Konrad Jeker auf strafprozess.ch intensiv diskutiert. Hoffe, dass mein Hinweis hier ok ist.
Besten Dank für den Tipp, M. S.. Solche Hinweise sind hier absolut in Ordnung.
Was mich in diesem Kontext noch interessieren würde: In wieviel Prozent der Fälle von Festgehaltenen prüft, aber verzichtet die Staatsanwaltschaft schlussendlich auf einen Antrag auf Untersuchungshaft? (Ich nehme an diese Zahl gibt es nicht - aber damit würde man relativieren können, ob die Staatsanwält:innen genaue Arbeit leisten)
Diese Zahl wird meines Wissens nicht erhoben. Vielleicht würde es sich aber lohnen, die Anzahl aller Verhaftungen der Polizei der Anzahl Haftanordnungen des Zwangsmassnahmengerichts gegenüber zu stellen.
Zu bedenken ist, dass die Polizei verdächtige Personen 24 Stunden lang festhalten kann, ohne die Staatsanwaltschaft informieren zu müssen. Erst wenn die Polizei der Ansicht ist, dass die Person nicht frei gelassen werden soll, muss die Staatsanwaltschaft entscheiden. Diese kann die Person sodann nochmals 24 Stunden lang festhalten. Erst danach entscheidet das Zwangsmassnahmengericht.
48 Stunden können in einigen Fällen reichen, die Kollusionsgefahr zu beseitigen. Flucht-, Fortsetzungs- und Ausführungsgefahr liegen naturgemäss auch nach 48 Stunden immer noch vor. Ersatzmassnahmen sind in dieser Frist zumeist nicht zu organisieren. Bei Fortsetzungs- und Ausführungsgefahr wird zunächst ein psychiatrisches Gutachten benötigt, das in der Regel erst nach 3 Monaten vorliegt, weshalb auch eine Entlassung nicht vorher erfolgen kann.
Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: Ich würde sagen, dass ich in weniger als der Hälfte der mir gemeldeten Verhaftungen einen Haftantrag ans Zwangsmassnahmengericht stelle.
Für mich sieht dieses System einfach wie eine Jobmaschine aus.
Die Tatsache, dass die Verhandlungen geheim, die Ergebnisse zu praktisch 100% voraussehbar sind, dass eine Statistik erst erstritten werden musste, lässt für mich nur einen Schluss zu: Die Juristen/innen, welche den Gesetzgebungsprozess massgeblich beeinflussen, haben sich hier bequeme Nebeneinkünfte geschaffen.
In einem Gewerbe, das auch sonst durch exorbitant überteuerte Leistungen auffällt, ist diese Vermutung leider keinesfalls abwegig.
Das Rechtssystem ist in meinen Augen ein Selbstbedienungsladen, der dringend reguliert werden müsste, um den Dienst an der Gesellschaft wahrnehmen zu können, der doch so wichtig ist.
Um die Geschichte von Brian noch besser zu verstehen, vor allem die detaillierte Vorgeschichte seit seiner Kindheit, hier der Link zu Human Rights Schweiz «Von Anfang keine Chance»:
https://www.humanrights.ch/de/berat…n-chronik/
Wenn ich mir so alles zusammenreime – hyperaktives Kind, andere Hautfarbe, ungerechte und z.T. brutale Behandlung als Kind – werden seine Reaktionen und Handlungen erklärbar. Das heisst nicht, dass ich sie gutheisse. Doch die Gesellschaft und die Medien haben ihn im Stich gelassen und sollten sich bei ihm entschuldigen. Es geht nur noch ums Rechthaben nicht um Gerechtigkeit. Und ich denke einem Kind mit weisser Hautfarbe, wäre dies nicht passiert.
Soeben einen interessanten aktuellen Beitrag in strafprozess.ch gelesen, der zum Thema passt: https://www.strafprozess.ch/nochmal…sdelikten/
Isch hab Polizei! https://www.youtube.com/watch?v=PNjG22Gbo6U
(Link zu Satire-Beitrag von Jan Böhmermann)
Guten Tag! Könnten Sie bitte noch kurz ausführen, was uns erwartet, wenn wir den Link anklicken? (Hier zur Erinnerung unsere Handhabung mit Links.) Besten Dank.
Der beitrag zeigt eine seite der problematik und blendet die andere völlig aus. Ich bin etwas enttäuscht, da der artikel so etwas polemisch wirkt und die kritik wenig hand und fuss hat. Die statistischen vergleiche sind nur beschränkt in der lage, das juristische rational zu beurteilen, denn es handelt sich ja um entscheidungen und die sind nicht zufällig.
Die eigentlichen misstände sind nicht unbedingt die anordnung von zwangsmassnahmen, sondern dass die möglichen sicherungsmassnahmen und die strafen wenig spielraum für individuelle behandlung bieten. Aber einfach die gerichte und die stawa anzukreiden ohne überhaupt zu erklären, wiso man die leute genau einsperrt, ist etwas billig. Die juristische argumentation ist komplex, weil sie vieles versucht zu berücksichtigen. Wenn man deren rational nicht teilt, ist das eine sache. Wenn man sich aber nicht wirklich damit auseinandersetzt, geht die kritik ins leere.
Herr B., auch wenn sie nun die Stawa in Schutz nehmen wollen und von "juristisch komplex" und "die Kritik gehe ins Leere" sprechen. Der Republikbeitrag ist fundiert und zeigt deutlich auf einen der ettlichen wunden Punkte im verbandelten, verfilzten und schwarzen System "Staatsanwaltschaften, Juristen und Gerichte".
Ein weiterer verfassungswidriger Punkt ist das "Ermächtigungsverfahren", das wohl einer Überprüfung durch den EGMR nicht standhalten dürfte.
Es ist leider so, dass die Schweiz erst durch massiven Druck von Aussen oder durch einen Schubser aus Strassburg sich bewegt (Witwer-Rente). Die schweizer Juristen sind primär statische Bewahrer [ihrer pfründe] und keine selbstkritischen Reformierer.
Hallo T. F.. Danke für Ihre Antwort. Ich möchte niemanden in Schutz nehmen, aber für mich wirk der Artikel etwas einseitig. Es werden vor allem Statistiken dazu verwendet, um die Durchwinkpraxis mancher Zwangsmassnahmengerichte zu kritisieren. Da gibt es m.E. auch viel zu kritisieren, aber es wäre wohl auch interessant zu hinterfragen, weshalb das denn so sein könnte. Theoretisch sollten sich Stawa und ZG immer einig sein, weil die Stawa auch unabhängig untersuchen muss; sie ist verpflichtet, be- und entlastende Beweise zu suchen aber offensichtlich vertraut man ihr nicht genug, um ihr die Anordnung gewisser Zwangsmassnahmen selbst zu überlassen. Wenn nun das eigens dafür eingesetzte Gericht seine Aufgabe nicht richtig erfüllt, dann würde mich interessieren, wieso. Sind die Richterinnen korrupt? Sind sie unfähig? Sind sie überlastet? Ist es ein Fehler im System?
Ihre Beschreibung der schweizer Juristen ist wahrschienlich zutreffend. Es ist schliesslich auch primäre Aufgabe des Rechts, die Ordnung zu bewahren. Die normativen Vorgaben müssen im demokratischen Rechtsstaat vom Gesetzgeber kommen, dem ein deliberativer gesellschaftlicher Prozess zu Grunde liegt. Juristinnen und insbesondere Gerichte sträuben sich davor, politische Entscheide zu treffen, weil sie dafür nicht gemacht sind. So auch im Fall der diskriminierenden Witwer-Rente: Die Diskriminierung wurde bereits vom Bundesgericht festgestellt (humanrights.ch: "Da diese Ungleichberechtigung jedoch vom Gesetzgeber – also vom Parlament – gewollt war, konnte das Bundesgericht daran nichts ändern. Die Diskriminierung bestand also weiterhin."). Soll das Bundesgericht entgegen dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers entscheiden? Soll es das Urteil des EGMR antizipieren?
Republik AG
Sihlhallenstrasse 1
8004 Zürich
Schweiz