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Danke!! Und hier verstehe ich für einmal, dass Sie anonym posten. Die verbale Aggression mancher Linken ist nämlich nicht besser als die der Rechten. Noch schlagen linke weniger oft zu als rechte, aber wenn die Hysterie weiter zunimmt, weiss man nie.
Die Linke schadet sich politisch auch selber massiv, wenn nur noch die immer kleinere Minderheit zählt und die normalen Menschen der Mehrheit nie Thema sind.
Die "normalen" Menschen der Mehrheit müssen kein Thema sein, weil sie eben die Norm sind, nach denen ohnehin alles ausgerichtet ist und weil sie als Mehrheit in einer Demokratie auch politisch die Macht haben.
Aber offensichtlich hat eine kleine Gruppe (ha!) dieser Mehrheit Angst, eigene Privilegien zu verlieren, sobald die "Norm" breiter wird.
Liebe_r Anonymous, die Vehemenz, mit der Sie kommentieren, spricht eigentlich nicht dafür, dass Ihnen das Thema egal ist. Aber angesichts der Heftigkeit, mit der über diese Fragen seit geraumer Zeit an den unterschiedlichsten Orten gestritten wird: Darf ich fragen, worauf sich Ihre Einschätzung stützt, dass die Diskussion lediglich ein "akademisches Elfenbeinturmproblem" sei?
Danke für den Text und das Einordnen Dani Graf.
IMHO: Identität ist in meiner Erfahrung nur dann ein Problem, wenn die eigene persönliche Identität im Unbewussten bleibt. Denn dann ist Freiheit ein Fremdwort und der Zugang zu einem liberalen Verständnis nicht einfach oder die Türen weit offen für „Identity Politics“.
Ideologie sei so etwas wie Mundgeruch, habe ich neulich gelesen: den nehme man auch nur am andern wahr.
Für Filterblasen gilt wohl das gleiche: Sie sehen auf der Linken wie auf der Rechten jeweils eine Filterblase. Daraus muss man schliessen, dass Sie sich selber filterblasenfrei in der Mitte positionieren. Um bei dem einprägsamen Vergleich zu bleiben: was macht Sie so sicher, dass Sie keinen Mundgeruch haben?
(Wobei das Problem sowieso nicht mehr jeweils eine Filterblase zu sein scheint, sondern deren Vervielfachung und die zunehmende Abwehr dazwischen. Hüben wie drüben. Oder, wie Watzlawick in seinem Klassiker 'Anleitung zum Unglücklichsein' schreibt: noch mehr desselben.)
Dass Sie sich doch entschieden haben, mit Klarnamen zu posten, finde ich prima.
Die Dosis macht das Gift. Natürlich spielen die erwähnten Identitäten eine Rolle und man muss deshalb auch darüber sprechen dürfen. Es besteht allerdings die Gefahr einer Übersensibilisierung, so dass die Identität zu oft als Erklärung für ein Ereignis beigezogen wird. Dies sieht man rechts, wo die Identität von Straftätern zu oft als Erklärung für seine Tat herhalten muss (“keine Überraschung, dass es ein Eriträer war”). Und man sieht es links, wo die Identität von Opfern zu oft als Erklärung für ihre Erlebnisse herhalten muss (“der statistisch nicht erklärbare Lohnunterschied muss von Diskriminierung herrühren”). In beiden Beispielen kann es aber auch ganz andere Erklärungen geben. Das heikle an der Identitätspolitik ist ihre Neigung, neutrale Deutungen von Gegebenheiten aus ideologischen Gründen auszublenden.
Sie reden nicht von Identität, Herr M., sondern im einen Fall von Nationalität und im andern von Geschlechtszugehörigkeit. Natürlich sind beides Aspekte von Identität, aber mehr nicht. Was entmenschlichend wirkt, ist gerade diese Reduktion: nichts als schwarz, jüdisch, schwul, weiblich, weiss, alt etc., unabhängig durch wen und wozu diese Reduktion geschieht. Dadurch geht das menschlich Verbindende verloren. Dagegen wehren sich Betroffene zu recht. So wie wir es richtig stellen möchten, wenn in Urlaubsgesprächen die Schweiz auf Käse, hohe Berge, Uhren und Schokolade reduziert wird. Das sind Klischees, die der Realität in keiner Weise gerecht werden, und wenn Menschen als Klischee wahrgenommen und behandelt werden, schmerzt sie das. Das ist nicht schwer zu verstehen.
Dass beim Versuch, die Problematik sichtbar zu machen, gelegentlich übertrieben wird, dem stimme ich zu. Wie Frau P. hoffe ich aber, dass sich das
im Chor der Gemeinschaft aller Interessengruppen
ausbalanciert. Diesen Chor sollten wir zulassen und aushalten im Wissen darum, dass es nicht angeht, für andere zu definieren, was deren Problem sei. Oder eben nicht sei. Aggressive Abwehr ist kein gutes Rezept.
P.S. Kompliment zur Eingangsgrafik!
Der Analyse stimme ich grundsätzlich zu. Ich bin überzeugt, dass dies sogar die Mehrheit tut. Das Latente "es ist jetzt mal gut" würde ich nicht aus der Abwehr ableiten. Gerade SchweizerInnen setzen sich politisch ständig mit Gruppeninteressen auseinander. Sogar der oberste Repräsentant der Reformierten Kirche in der Schweiz ist mittlerweile offen für die Ehe für Gleichgeschlechtliche. Natürlich ist das einer Entwicklung, eines ständigen Engagements der Vertreterinnen dieser Gruppen geschuldet. Die braucht es. Das eigentliche Problem der momentanen "Reaktanz" sehe ich in ebendieser: Es gibt so eine Art "Mittelwert" der Verhältnismässigkeiten, die relativ gut funktioniert in einer Demokratie, in der direkt alle Interessengruppen aktiv mitreden können. Es gitb dazu keine scharf umrissenen Prozentzahlen. Spürbar wird sie aber, wenn der "Mittelwert" länger überschritten wird: Wenn viele Leute - sogar die "eigenen" - finden, ein Thema werde überproportional bewirtschaftet und renne eh offene Türen ein.
Auch psychologisch erklärbar ist, dass dies die betroffenen Gruppen und ihre engagiertesten Verbündeten nicht finden, sogar nie finden: Eigene Interessen unterliegen stets der Verzerrung eines fehlenden Abstandes, alle Menschen agieren und denken aus einer Position heraus. Das ist gut so, aber nur im Chor der Gemeinschaft aller Interessengruppen kann es sich ausbalancieren. Das ist das eigentliche Geschehen im Moment. Dass es einige Gruppen und Intellektuellen ausnutzen, um ihre eigenen Agenden grösser herausragen zu lassen, ist ebenso psychologisch unvermeidbar.
Die Identitären sind also nur rechts ein Problem? 1850: wir freien Schwaben werden uns nie von einem Preussen regieren lassen. 1916: es geht um die Verteidigung deutscher Werte gegen die Franzosen. 2010: gegen die Islamisierung des Abendlandes. Die wollen Ihre kleinen Gruppen, in denen sie sich wohlfühlen, Linke wollen stattdessen innerhalb einer grenzenlosen Gesellschaft ihre kleinen Grüppchen, wo alle Jahre ein paar Buchstaben und Zeichen dazu kommen zu LGBTIQ+&?*U bis jeder Freundeskreis sein eigenes Ding sein will. Die Rechten machen es geographisch, die Linken hald bezüglich persönlicher Vorlieben.
Lieber Herr B., dass Identitätsfragen nur auf der politischen Rechten ein Problem seien, steht nun gerade nicht in dem Text.
Ja, das ist mir letzthin auch klar geworden, als ich erklärte, es komme nicht darauf an, wo ein Mensch herkomme, sondern darauf, wo dieser Mensch hin wolle.
Auch wenn meine Zuordnungen von "Gut" und "Schlecht" der rechtsnationalen Zuordnung diametral entgegen steht, steckt auch in meiner "alternativen" Zuordnung das "darauf ankommen" drin.
Muss es das?
Ja, ich denke schon. Mit gewissen Typen vertrage ich mich einfach nicht, und diese Typen denken halt meistens "rechtsnational".
Dass ich zu diesen Typen auf Abstand gehe hat ebenso mit Entscheidungen zu tun, wie wenn ich gewisse Berufsfelder und Tätigkeiten meide.
Ich gehe nicht so weit, zu sagen, dass es diese nicht brauche, vielmehr kann ich sie sogar als sehr nützlich und wichtig ansehen, wie zum Beispiel den Metzger.
Aber ich selber kann das nicht und will das nicht machen.
Ich sehe im gespiegelten Verhalten von linken Gewerkschaftern im Vergleich zu SVP'lern aber eine Möglichkeit des gegenseitigen Verstehens!
Wir sind AUCH gegen DIESE arrogante Grosskotz-Big Business-EU, die uns den Lohnschutz verweigern und kaputt schlagen will!
Aber wir sind deswegen nicht grundsätzlich gegen Europa, wie Ihr!
Wir sind FÜR den Lohnschutz, weil wir FÜR ein soziales und ökologisches Europa sind!
In der NZZ gibt es wenig über die Identitätspolitik in der Schweiz aber einiges über die USA und etwas über Deutschland. Erst nachdem ich im Wikipedia die Identitätspolitik gelesen habe, dass ich als Behinderter mitgemeint bin.
Ein Beispiel ist, wie die SBB mit rollstuhlfahrende Kolleg*innen umgeht. Ein weiteres ist, dass ein ehem. SP Nationalrat mir im Zusammenhang des Detektivgesetzes schrieb, dass ich froh sein könne, eine Rente zu erhalten.
Ich vermute, dass die Identitätspolitik der Behinderten in der Schweiz kaum im Radar ist, weil die Mehrheit schaut, dass die Identitätspolitik möglichst klein bleibt und die ständige Angst vor der Kürzung der Rente bestens disziplinierend wirkt.
Die Kultur-Identität hat sehr viel mit "Oberfläche" zu tun.
Sie ist also mehr Schein, als Sein.
Das Sein liegt in der Tiefe. Wer das Sein entdecken will, muss sich vertiefen, an etwas dran bleiben, nicht nur schwimmen, sondern tauchen.
Wenn ich Schweizer Mundart spreche, dann wirke ich unwillkürlich so, wie ein einfacher Bauer, weil meine Sprache so rhythmisch und geräuschvoll ist, wie das Knacken von dürren Ästen und das Rascheln von Laub beim Durchstreifen eines Waldes.
Wenn ich dagegen richtig gut französisch spreche, wirke ich sofort gebildet, mondän, geradezu höfisch, mit meiner gepflegten und melodiösen Sprache.
Italienisch wiederum bringt noch mehr Temperament und "das Feuer des Südens" mit ins Gaukler-Spiel des Scheins.
Und so weiter.
Die Sprache macht -ähnlich wie die Kleider- Leute.
Aus gewöhnlichen Menschen werden mit Ausdrucksweisen und Kleidern Rollen. Ein Schauspiel von Maskeraden und Dramatisierungen entwickelt sich und macht das Leben aufregend, spektakulär und wichtig!
Und genau in diesem Oberflächen-Kult der Identitäten und Eitelkeiten liegt auch das (selbst-) zerstörerische Sucht-Potential! Führen und Ver-führen durch Schein und Rollen.
Irgendwann beginnen wir zu glauben, dass wir die Rolle SIND, die wir spielen und nicht dieses im Grunde völlig andere, umbegreifbare, rätselhafte und faszinierende Etwas der menschlichen Natur, das eher wie eine riesige, formlose Amöbe ist.
Dann könnte vielleicht die Nacktheit Abhilfe schaffen!
Nackt wirden Menschen wieder zu dem, was sie ur-eigentlich sind: Tiere unter Tieren und Pflanzen, mit ihren Instinkten, Ängsten, persönlichen Erinnerungen, aus sich selbst heraus das Leben greifend und begreifend, und reproduzierend...
[...] oder den Chancen einer Bewerbung, in denen das Bild eine Frau mit oder ohne Kopftuch zeigt [...]
Es ist m. M. n. lächerlich dieses Beispiel in Zusammenhang mit Rassismus und Diskriminierung zu bringen: Ich stelle eine Frau mit Kopftuch in meinem Kreativbetrieb deshalb nicht ein, weil diese Person es nicht begriffen hat, dass Religion – genauso wie Sexualität – Privatsache ist. Aus demselben Grund würde ich jemand nicht anstellen, der ein «Jesus loves you»-Tatoo auf dem Hals trägt oder seine BDSM-Präferenz mit Kleidung, Tatoos oder Schmuck manifestieren muss. Sexualität und Religion hat am Arbeitsplatz – vorallem in Funktionen mit Kundenkontakt – nix zu suchen, auch nicht in Form eines Kopftuches.
Wenn hingegen im Bewerbungsdossier unter «Hobbys» steht, «Freiwilligenarbeit in der Moschee/in der Freikirche» oder «Organisieren von BDSM-Partys» habe ich damit nicht im geringsten ein Problem.
«Religion is like a Penis: It's Ok to have one. It's Ok to be proud of it. But please don't whip it out in public and start waving it around. And PLEASE don't try to shove it down my childrens throat.»
Fürs Zuhören - Gegen die Angst
Als Nachtrag zu diesem hervorragenden wie konzisen Artikel nur so viel:
Bedenkenswerte Hinweise, wie eine pluralistische Gesellschaft der Singularitäten solidarisch das "universalistische Projekt" weiterführen könnte, gibt m. E. Isolde Charims Republik-Artikel "Was tun gegen die Auflösung der Gesellschaft?".
Die neueste Podcast-Folge der Ezra Klein Show trägt den Titel "The original meaning of 'identity politics'" mit Keeanga-Yamahtta Taylor als Gast - hörenswert!
Der Artikel ist ein - teilweise berechtigter - Rundumschlag, auf den man gar nicht antworten kann, ohne selbst in diese Verallgemeinerungsfalle zu tappen. Ich gehe deswegen vom vorletzten Absatz aus:
Auf dem Weg dahin …
Das „Universale“ ist kein Projekt und kann auch keines sein. Gemeint ist wohl - Beispiele werden genannt - die Anwendung, resp. Umsetzung universaler Prinzipien, z. B. der Menschenrechte, wie etwa nach der Französischen Revolution. Es ist völlig korrekt, dass diese Umsetzung mehr als nur unvollkommen war, die Beispiele sind genannt. Im Hintergrund steckt dabei die Frage: Wer ist ein Mensch? Sie ist nicht so absurd, wie es den Anschein hat, immerhin gab es damals noch allenthalben die Sklaverei. Aber in letzter Konsequenz muss man doch anerkennen, dass das Konzept der Menschenrechte (als eine Grundlage des “Universalen“) mit einschliesst, dass die Aberkennung dieser Rechte zuletzt immer auch die Aberkennung des ‚Menschseins‘, des status eines Menschen bedeutet. Soweit so gut. Wenn es nun darum geht, den real existierenden und im Einzelnen verschiedenen Menschen die gleichen Rechte zu geben, dann kommen unsere Ordnungen, unsere Begriffssysteme etc. ins Spiel. Aktuell z. B. die binär strukturierte Geschlechterordnung (männlich - weiblich), die angeblich biologisch definiert und festgelegt ist. Oder die nicht mehr so brandaktuelle grammatische Ordnung der Geschlechter, die jetzt quasi biologisch organisiert sein soll, obwohl sie das empirisch einfach nicht ist (was nicht heisst, dass es keine Zusammenhänge gibt). Nur um das zu verdeutlichen: Ich habe persönlich noch nie die Forderung gehört, ‚das Mädchen‘ müsste eigentlich auch in Einzahl ‚die Mädchen‘ heissen, obwohl das Geschlecht hier doch einigermassen geklärt ist. Das hängt damit zusammen, dass in der deutschen Grammatik der Diminutiv offenbar dazu führt, jedes Ding zur Sache zu machen und ihm das Geschlecht zu bestreiten. Also: Die begrifflichen Ordnungen und die sprachlichen Ordnungen sind nicht deckungsgleich. Aus den höchst realen Folgen solcher Unterschiede und Zuschreibungen entstehen einige der Konflikte, die von den Autorinnen angesprochen werden.
Damit wäre ich beim „Differenz markieren“ und der Frage, worin denn die Differenz besteht: Ist es - um das ‚einfachste‘ Beispiel zu nehmen - der Unterschied von Mann und Frau und als Folge davon der Satz: „die Frauen müssen die gleichen Rechte haben wie die Männer“ also hinsichtlich der Rechte muss die Differenz getilgt werden, oder ist die Folge der Satz: „die Frauen müssen - wie in diesem Fall die Männer - in den Genuss der vollen Menschenrechte kommen“? Der Unterschied scheint minimal zu sein, ist aber für die Diskussionsführung sicher mitentscheidend. Geht es um ein „Ich will dasselbe“ oder um einen wirklichen Schritt hin zur Universalisierung? Die Universalisierung ist ein Projekt des humanistischen Denkens, das auf dem Gemeinsinn, dem „sens commun“ beruht. Das Recht auf den Zusammenschluss Gleichgesinnter gehört zweifellos zu den Menschenrechten. Die Gruppen, die da „Differenz markieren“ und sich so definieren (oder hin und wieder auch definiert werden), müssen das ungehindert tun können. Ihre Forderung nach Gleichberechtigung entsteht in der Regel aus Diskriminierungserfahrungen, kann aber selbst nicht auf der Differenz beruhen, wenn ihr Ziel universalistisch sein soll. Das jedenfalls wäre der Aufklärung geschuldet.
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