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Überaus lesenswert! Harte Kost zwar, ohne jeden besänftigenden Optimismus, aber erhellend in der Klarheit der Analyse. Und dem Hinweis darauf, was es persönlich braucht - hartes Training für Interventionen im sozialen Nahraum!

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Vielen Dank Sibylle Berg für das dringliche Interview. Heitmeyers Buch ist wirklich sehr zu empfehlen. Auch wenn es durch die Verschränkung von Empirie und Theorie etwas zu "technisch" sein könnte.

Heitmeyer steht vor der Sphinx, die fragt "Warum handeln Menschen gegen ihre eigenen Interessen?". Die Antwort wäre: Weil es der Mensch ist. Der für Macht Strukturen schafft, die dann ihn beherrschen.

In unserer neoliberalen Konkurrenzgesellschaft mit dem kapitalistischen "Wachstumszwang" (M. Binswanger) agieren wir im Gefangenendilemma.

Wir verraten einander, ja wir verraten uns selbst, anstatt zu kooperieren. Denn es gilt, die*der Ehrliche, die*der Integere ist der Dumme. Und vergessen dabei, dass wir kein Nullsummenspiel spielen.

Es gilt also eine "Umwertung der Werte" zu vollziehen. Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit über Machterhalt und Profitmaximierung - und nicht umgekehrt. Kommunikation und Kooperation über Kooption und Konkurrenz - und nicht umgekehrt.

Ja, es gibt keine "einfache Gegengifte". Doch dürfen wir uns nicht durch die scheinbare Alternativlosigkeit und gefühlte Ohnmächtigkeit lähmen lassen. Oder gar den "Weg in den eigenen Hass" gehen. Denn dies führt nur zu "Ressentiment" - der Selbstvergiftung durch gehemmte Rache - oder zu Linker Melancholie (Wendy Brown).

Es braucht, wie Heitmeyer sagt, die alte Tugend des Mutes - oder wie man heute etwas zu spezifisch sagt, die Zivilcourage.

Um sich dem nicht auszuliefern, muss man sich meines Erachtens auf die Reich­weiten des eigenen Tuns besinnen. Also auf seinen Alltag, und dort massiv die Stimme erheben, damit man morgens noch in den Spiegel sehen kann – ohne zu erschrecken.

Das heisst, wir dürfen nach der Schreispirale der Autoritären nun nicht selbst in die Schweigespirale fallen, sondern - da widerspricht sich Heitmeyer ein wenig selbst - ebenfalls unsere Stimmen erheben - und eine andere, eine menschenfreundliche Normalität etablieren und leben.

Dazu braucht es Multiplikatoren. Seien es Intellektuelle oder Influencer. Aber auch Demonstrationen, Streiks und andere gewaltfreie Widerstandsformen. Die weh tun. Die nicht mehr von "kapital­getriebenen Akteuren" gefeiert werden können.

Vor allem braucht es neue inklusive Gemeinschaften und resonante Öffentlichkeiten mit einer "Kultur der Anerkennung". Und warum nicht auch - in der Republik (?) - "Wutplätze" für Jugendliche.

Und letzten Endes geht es nicht ohne Organisation. Und zwar eine Internationale. Die sozusagen einen neuen Marshall Plan - diesmal als World Recovery Program - und einen globalen Green New Deal entwirft. So dass der autoritäre neoliberale Kapitalismus auf ein gesundes Mass geschrumpft und eingehegt werden kann. Damit wir gemeinsam dem "Wachstumszwang" entfliehen können. Und uns menschlichen und nicht-menschlichen Erdenbewohner*innen ein lebensfähiges, nicht-prekäres Leben ermöglichen können.
Wir müssen uns nur der Dringlichkeit dessen bewusst werden - und es wollen.

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Wenn Naturwissenschafter (also „Nerds“) Zeitungsinterviews geben, sind sie in den allermeisten Fällen bemüht, ihre oft komplizierten Forschungsthemen in einfache, für nicht naturwissenschaftlich trainierte Normalbürger verständliche Worte zu fassen. In meiner Wahrnehmung tun dies Geisteswissenschafter (ebenfalls „Nerds“) viel seltener, so auch in diesem Artikel. Warum bloss? Was mich an diesem Interview ebenfalls irritiert, ist das sehr ideologisch gefärbte Vokabular, das darin ausgiebig verwendet wird, und das erst recht dazu führt, dass ich mich begrifflich etwas abgehängt fühle. Als nicht-Marxist weiss ich, ohne tiefere Nachforschungen zu betreiben, nicht so recht, was ich mir unter so abstrakten Begriffen wie „autoritärer Kapitalismus“ oder „kapitalistische Gewaltdemonstration gegenüber Leiden“ genau vorstellen muss. Das ist aber nicht der Grund, wieso der Artikel für mich ungeniessbar ist, sondern der überbordende, deprimierende Kulturpessimismus, von dem das gesamte Gespräch durchdrungen ist. Dieser ist objektiv gesehen nicht angebracht, und zudem völlig nutzlos.

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Ich las eher einen "Pessimismus des Verstandes und einen Optimismus des Willens" (A. Gramsci) heraus. Aber die Wahrnehmung ist natürlich subjektiv. Zumindest ist es ein Artikel, der mich "hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch" (T. Eagleton) stimmt. Und sich aus einem wissenschaftlichen Realismus und politischen Idealismus speist.

Zudem denke ich, dass man auch als Nicht-Marxist genügend Beispiele dafür findet, wie kapitalistische Unternehmen und Strukturen aus Profitinteresse Gewalt und Leid an Mensch und Natur verursachen. Und sich dabei entweder autoritärer Regierungen bedienen oder post-politisch und -demokratisch eigenmächtig agieren.

Die Frage ist nun, wie wir den kapitalistischen Markt - der in Grenzen sein kann - politisch einhegen und den zerstörerischen Potentialen und Wirkungen der "Kolonialisierung der Lebenswelt" (Habermas) begegnen können.

Als ein "Gegengift" von notwendigerweise vielen wird die Bildung genannt. Doch Bildung zu was?

Dazu passt das ganze Gramsci-Zitat:

Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens. - Gefängnishefte, H. 28, §11, 2232

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immer wieder gut, michel, von dir auf die aktualität gramsci's hingewiesen zu werden. marcí

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Wenn sie die genannten Begriffe tatsächlich nachschlagen müssen, nehme ich an, dass sie genau diese Mechanismen anwenden um sich zu bereichern und ihren Reichtum dafür einsetzen um mit den Schattenseiten des Kapitalismus nicht in Berührung zu kommen...

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Ich werde den Eindruck nicht los, dass Heitmeyer ein eher verzerrtes Bild der Wirtschaft hat. Er sagt: “Der neoliberale Kapitalismus hat in den vergangenen Jahrzehnten einen ungeheuren Kontroll­gewinn erzielt, das heisst, er konnte seine Prinzipien überall ungehindert durchsetzen mit immer neuen «Land­nahmen» in der Ökonomie und damit in die Gesellschaft eindringen.” Diesen angeblichen Kontrollgewinn lässt sich statistisch schwer erhärten. Beispielsweise ist die Staatsquote so hoch wie noch nie und die Anzahl Gesetz und Paragraphen, die wir zu befolgen haben, wächst täglich. Wenn überhaupt, wird unser Leben zunehmend vom Staat und seinen Vorgaben geprägt, und nicht umgekehrt. Vielleicht verstehe ich seine Aussage auch falsch, aber mir scheint es Heitmeyer etwas zu einfach zu machen, wenn er den Kapitalismus als Wurzel allen Übels darstellt.

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Die Staatsquote hat per se nichts mit der Kontrolle zu tun. Länder mit hoher Zufriedenheit in der Bevölkerung haben meist eine Staatsquote von ca 50%, Länder in denen es nur für das reichste Perzentil gut läuft haben Staatsquoten von 30% und tiefer. Von daher ist die Schweiz mit nahezu konstant 30% immer an der Grenze zum Absturz.
Ausserdem verwechseln sie eine hohe Regulierungsdichte mit einer eingeschränkten Freiheit. Je nachdem wie die Regulierungen ausgestaltet sind, können sich daraus für einzelne Akteure neue Freiräume ergeben. Für grosse Kapitaleigner ist die Regulierungsdichte in den letzten 20 Jahren z.B. erheblich gesunken. Deklarationspflichten für Kapitalverschiebungen wurden aufgehoben, Steuern massiv gesenkt oder gar abgeschafft, teure Buchhaltungsauflagen vereinfacht, etc. Gestiegen sind aber die Verwaltungsaufgaben des Staates, da er seine schwindenden Einnahmen bei mit penibler Kontrolle der Masse der weniger ergiebigen Steuerzahler auszugleichen versucht und immer kleinlichere Kopfgebühren einkassiert. So sind die Abfall und Wassergebühren immens gestiegen, was nur für die ärmeren Bevölkerungsschichten spürbar wird. Für die Reichen ist das weit unter der Wahrnehmungsgrenze.
Der Kapitalismus ist das Ende jeder Solidarität. Er verlangt die bedingungslose Unterordnung aller Beteiligten unter die Regeln der Gewinnmaximierung, bzw. der laufenden Effizienzsteigerung. Nur die reichsten paar % der Bevölkerung leisten sich einen dekadenten, protzig verschwenderischen Lebensstil, der Rest muss sich laufend mehr einschränken, oder mehr leisten um das Niveau zu halten.
Ja, ich denke sie verstehen das ziemlich falsch. Vermutlich gehören sie zu den Vermögenden und leben darum in einer
Filterblase. Vielleicht sollten sie mal ein Jahr versuchen mit 3500.- im Monat durchzukommen?

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lieber luzius, deiner aussage: "Diesen[r] angebliche[n] Kontrollgewinn lässt sich statistisch schwer erhärten" kann ich nicht völlig zustimmen. wenn du das fast durchweg euphorische lob der reagan/thatcher politik aus den den vorherrschenden wirtschaftswissenschaften als statistisch relevanten parameter mit einbeziehst, sieht die bilanz bereits ganz schön anders aus.

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Hier kann ich nur zustimmen. Der Begriff des Kapitalismus ist nicht definiert und in westlichen Demokratien, sicherlich der in der CH, ist es die Sache der Politik zur eigenen Legitimation für eine gerechte und faire Verteilung der Mittel und den sozialen Ausgleich zu sorgen. Erfüllt eine gewählte Elite diese Aufgabe nicht mehr, dann gibt es Korrekturmöglichkeiten mit politischen Instrumenten, die dann Erfolg haben, wenn sie von gut organisierten Gruppen, zB Naturschutz (Weber) eingesetzt werden. Man lese dazu Mancur Olson.
In der Schweiz entziehen sich diverse Sektoren total dem Druck des globalen Kapitalismus, und somit bauen wir für wesentlich höhere Kosten, kaufen Lebensmittel zu horrenden Preisen, und bezahlen für mobile Kommunikation an Staatsbetriebe schwindelerregende Beträge. Diese Strukturen werden regelmässig von 40% der Stimmbürger bestätigt. Sehe keine globalen Kapitalisten - sondern Bauernfänger im eigenen Land.

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Wo kaufen SIE denn ein ?

Gerade weil die Lebensmittel so billig sind, braucht es Subventionen .

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Ja, nicht gerade ein Optimist oder Konformist. Ein ebenfalls wichtiger Hinweis ist die Verknappung von Anerkennung. Auch da kann jede und jeder von uns gegensteuern und Anerkennung geben. Manchmal geht das sogar gratis und hie und da kommt etwas zurück.

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Das geht eigentlich immer gratis, und ähnlich wie Liebe ist Anerkennung etwas, das mehr wird, wenn man es weggibt.

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Was ich vergessen habe: Wirklich tolles Interview, clevere Fragen, vielen Dank!

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Das interview ist gut, es kratzt schon an einigem, aber ich denke der Kern der Problematik ist noch nicht klar genug erreicht. Denn eine Art von Gewaltmonopol gibt es auch im Denken, nämlich als offizielle Beglaubigung der Grundannahmen in den fundamentalen Fragen, etwa als Axiomatik oder Paradigmen. Darin steckt immer eine gewisse Willkür (z.B. der Glaube, Materie müsse aus Teilen aufgebaut sein, was motiviert ist vom Manipulieren-Können, oder der Mensch sei grundsätzlich so-und-so, womit man ihn schablonisieren kann). Deshalb gibt es keine heutige Wissenschaft, die auf absolut sicheren Grundlagen aufgebaut wäre - nicht einmal die Physik und sogar nicht die Mathematik. Die Sehnsucht nach Ordnung und Überschaubarkeit steht Pate für viel Zweifelhaftes. Damit soll gewiss nicht einer Wissenschaftsfeindlichkeit das Wort geredet werden, sondern einer kompromisslosen Methodologie und Klärung der Kategorien, was leider nicht üblich ist. So sollte man sich nicht wundern, wenn dubiose Denkformen herrschen, die durch Anwendung in Handlungen zu sinnlos paradoxen Situationen führen. Extremisten und Hooligans, aber auch einige so genannte Verschwörungtheoretiker (weil sie am offiziellen Diskurs zweifeln), sind zu Projektionsfiguren geworden, auf die man die eigene Ungenauigkeit und damit Denkschuld abwälzen kann. Das ist gewiss umso leichter, je mehr man sich hinter irgend einem Gruppengefühl verschanzen kann - etwa auch als bürgerliche Selbstgerechtigkeit. Dabei ist nicht zu vergessen, dass es auch in Krisen jeweils Gewinner gibt, die es nicht mögen, wenn man ihnen ihren Vorteil entzieht. Es gibt Leute (Stichwort 'Faktor D'), deren Geschäfts­modell es ist, Illusionen und Konflikte zu säen - bisweilen auch mit offener Gewalt. Das hat übrigens auch dann nicht immer mit Verschwörung zu tun, wenn es kollektiv in Gruppen auftritt, sondern nur zu oft mit gemeinsamen fundamentalen Glaubensgebäuden. Der Glaube an das globale Finanzsystem und seine Zwänge ist so ein Beispiel - und wer bemüht sich schon mal, das wirklich ganz zu durchschauen? Durch die weitgehend geheimgehaltene strukturelle Grundlegung in Verschuldungsverhältnissen erzeugt es vielfältige Spannungen, die sich sozial entladen. Am gefährlichsten ist, nicht selber ganz ernsthaft und umfassend zu denken. Am gefährlichsten ist, nicht selber ganz ernsthaft und umfassend zu denken. Die gemeinsame Aufgabe besteht darin, mit Autorität und Anmassung adäquat umgehen zu lernen, sich nicht von Illusionen leiten zu lassen - auch nicht von den hier erwähnten.

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Es tut immer wieder gut zu lesen, dass kluge Fragen, erhellende und anregende Antworten zur Folge haben. Ein dickes MERCI an Sibylle Berg für Ihre Kolumne, Sie sind grossartig mit Ihren Nerds zusammen!

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Herzlichen Dank, Frau Berg, für dieses erhellende Interview. Effektiver oder vermeintlicher Kontrollverlust ist ein starker Treiber für Ressentiments und meines Erachtens ein Hauptgrund für das Erstarken nationalistischer, roher Parteien wie der AfD, der Lega in Italien oder der FPÖ.

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Lustig, wie hierzulande in Voten wie dem ihren (und ähnlichen), vorliegend sogar mit (abschliessender?) Aufzählung, immer gerne auf Parteien im Ausland verwiesen wird. Nein, schon klar: Bei uns gibt's ja schliesslich keine "nationalistische, rohe Partei", nid wahr?

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