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Handke ist der manierierteste Autor, den ich kenne. In meinem Online-Literaturmagazin tell habe ich die ersten 100 Seiten von "Die Obstdiebin" einer [stilanalyse] (https://tell-review.de/hundert-seit…e-99-test/) unterzogen und dabei die gehäufte Verwendung von zwei Formulierschablonen gefunden, die auch in einer von Christine Lötscher zitierten Passage vorkommen.
Mindestens 7 Mal gibt es allein auf den ersten 100 Seiten von "Die Obstdiebin" Formulierungen à la "nicht und nicht" (ohnehin eine Marotte aus der untersten Stilschublade). Krönung: "das zu Tuende ging und ging mir nicht und nicht auf".
Und mindestens 8 Mal benutzt Handke eine Variante von "gleichwelchem". Mein Lieblingszitat aus dieser Modellbaureihe: "frei von jedweder Bedeutung oder von gleichwelchem Bedeuten".
Das grenzt an Selbstparodie. Und ist definitiv nicht nobelpreiswürdig, aus rein stilistischen Gründen.
Ohne jedes vertiefte Sachverständnis muss ich sagen, dass ich die zitierten Passagen auch unmöglich fand. Da strengt sich einer furchtbar an, um poetisch und tiefsinnig zu wirken. Ausserdem kann man Pilze sehr wohl züchten.
Sie scheinen Handke literarisch für "Qualschrott" zu halten. Immerhin entpuppen Sie sich in Ihrem Kommentar nicht als politische Hetzerin. Vielleicht haben Sie sich zu Herzen genommen, was Ihnen Lars Hartmann am 24.10.2019 erwiderte: "In Ihrer politischen Einschätzung muß ich Ihnen widersprechen: ich habe alle diese Texte Handkes zum Jugoslawienkrieg gelesen und ich sehe und finde darin nichts Problematisches. Im Gegenteil ist Handke für diesen Nobelpreis auch moralisch aufgrund dieser Schriften geeignet, weil er eine Sichtweise anbringt, die vom Gros der damals öffentlich Geäußerten abweicht und eine Position ins Spiel bringt, die ebenfalls mitzudenken ist. Leugnung von Massakern und Genozid gibt es bei Handke nicht, sehr wohl aber eine differenzierte Sicht, daß hier in diesem Krieg nicht einfach mit dem Mustern schwarz/weiß zu arbeiten ist. Und auch im nachhinein stellt er klar – man lese nur „Tage und Werke“, die Seiten 35 ff. Man kann in der Beurteilung und in den Details von Handkes Sichtung durchaus unterschiedlicher Meinung sein, moralisch fragwürdig sind sie nicht – zumal man ja bei einem solchen Urteil zunächst mal angeben muß, was da die einzelnenBegriffe überhaupt bedeuten und wer wie festlegt was moralisch und was fragwürdig ist. Dieses aber steht nicht per se fest und auch nicht, weil das Gerücht über die Handke-Texte zu Serbien inzwischen an die Stelle der Sache selbst getreten ist. Eine wie ich finde unheilvolle Tendenz." Ich befürchte, dass Sie nun Handke rundweg als Schriftsteller diskreditieren wollen, statt ihn politisch in Frage zu stellen. Hauptsache ist für Sie, dass Handke - von Ihnen - geächtet wird.
Wieso Ächtung? Das Wort "Qualschrott" ist auch ein wenig ironisch gemeint. Ich habe heute auf [https://tell-review.de/vorgetaeuschter-tiefsinn/] (tell) einen weiteren Text veröffentlicht, wo ich meine literarischen Vorbehalte und die manch anderer formuliere (von Reich-Ranicki über Dzevad Karahasan bis zu Wolfram Schütte und Peter von Matt/Adorno).
Was finden Sie denn an Handkes Prosa gut? Haben Sie mir einen Lesetipp?
Ach ja? Wer Handkes Unsäglichkeiten verurteilt ist ein politischer Hetzer? Interessante Idee. Ich nenne so etwas Nebelpetarde.
18.06.2003:
Der Tag an dem mein Geist erwachte. Der Tag, an dem ein Satz etwas in mir veränderte. Es war der Tag, an dem Peter Handke bei der Verleihung seines Ehrendoktors in Salzburg der Öffentlichkeit, mit den mir unvergesslichen Worten, angewidert den Rücken kehrte:
"Es sei die Frage, ob die Öffentlichkeit nicht mehr Idioten herausbringe, als die vielen, die im Verborgenen arbeiten würden. Deshalb wolle er nicht länger ein Idiot sein und niemals wieder in der Öffentlichkeit auftreten."
Hätte er sich doch nur daran gehalten.
Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Hau den Peter! Angesichts der zum Teil gehässigen, zum Teil halbwegs Nachsicht suggerierenden Handke-Schelte beschleicht mich zunehmend das Gefühl, dass hier irgendwie etwas faul ist. Hat man tatsächlich einen derartigen miesen Typen mit dem Nobelpreis für Literatur geadelt?
Was mich immer wieder stutzen liess, war die diese "Man weiss ja, dass er ....Attitüde". Klar, er hat Milosevic und die serbische (damals noch jugoslawische Führung verherrlicht, das Massaker von Srebrenica verharmlost und relativiert, eben, man weiss es ja. Oder man kriegt immer wieder völlig aus dem Zusammenhang gerissene Passagen aus Interviews mit Handke zu lesen, die aufzeigen sollen, was für ein verruchter Kerl er doch ist (besonders übel vor ein paar Wochen im Tagesanzeiger). Fast durchwegs fehlen indessen die Belege, d.h. die inkriminierten Äusserungen von Handke in den Zusammenhängen, in denen er sie gemacht hatte, die die Anschuldigungen gegen ihn tatsächlich rechtfertigen würden.
Nun gebe ich gerne zu, dass ich Handkes Werk nicht besonders gut kenne und ausser dem "Kaspar" und der "Angst des Tormannes" nichts von ihm gelesen habe, insbesondere nicht "Die winterliche Reise", dass ich also nicht befugt und kompetent bin, in dieser Sache ein Plädoyer für oder wider ihn zu halten. Muss ja auch nicht sein. Trotzdem habe ich mal ein bisschen recherchiert und bin auf einige Texte (Interviews mit ihm, Texte über ihn zur Problematik) gestossen, die ich hier zur Lektüre empfehle (sie bieten in der Tat guten Diskussionsstoff):
https://www.hintergrund.de/medien/k…er-handke/
https://www.mdr.de/kultur/thorsten-…e-100.html
https://www.diepresse.com/5707804/k…but-zollte
https://www.ots.at/presseaussendung…e-kritiker
https://www.news.at/a/interview-pet…k-11178431
http://www.cnj.it/home/it/informazi…enica.html
Man sieht: Allzu einfach darf man es sich nicht machen!
An dieser Stelle möchte ich noch von einer Erfahrung berichten, die ich zur Zeit des Krieges in Jugoslawien gemacht habe. Eine deutsche Journalistin (Zeit oder Spiegel, genau weiss ich das nicht mehr) hat eine längere Reportage aus dem Kriegsgebiet publiziert, u.a. in der damals durchaus noch lesenswerten Weltwoche, und dabei in berührender Weise die entsetzlichen von den Serben begangenen Gräuel in einem bestimmten Gebiet erzählt. Dafür hat sie von allen Seiten höchstes Lob und Anerkennung für ihren Mut und ihr Engagement erhalten. Bis sich nach zwei, drei Wochen ein ebenfalls deutscher Journalist meldete und einwandte, dass da einiges nicht stimmen könne, schon in geografischer Hinsicht, denn er kenne die Gegend sehr gut. In der Folge ging dieser Journalist selber (wie Handke...) auf die Reise und kam mit dem vernichtenden Ergebnis zurück: Das Wesentliche erstunken und erlogen! Zuerst Verteidigung der Journalistin, Gegenrede, Meinung, Gegenmeinung, bis dann der Radio-Sender SWR 2 die beiden zu einem Streitgespräch einlud, das ich mit grosser Spannung mitverfolgte. Dreimal dürfen Sie raten. Die Journalisten wurde zunehmend in die Enge getrieben, behalf sich mit Ausflüchten und Ablenkungsmanövern, bis sie zugeben musste, dass sie selbst gar nicht an all diesen Orten war und alles aus dritter Hand erfahren hatte (man lese dazu das Handke-Interview des letzten Links). Am Ende musste sie sich öffentlich entschuldigen. Solche Streitgespräche gibt's leider allzu selten, Ausnahme etwas das zwischen Sandro Benini (TA, Mainstream) und dem ehemaligen Schweizer Botschafter in Venezuela, Walter Suter, über Chavez.
C. R. hat in dieser Debatte m.E. einen wertvollen Kontrapunkt gesetzt. Ja, der ehemalige Pazifist und deutsche Aussenminister hat ab 2002, also nach seinen humanitären Einsätzen in Serbien zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen erhalten, darunter die Ehrendoktorwürde und Ehrenbürgerschaften ... da macht man besser keinen Aufstand, schliesslich war er nie "frei von jedweder Bedeutung oder von gleichwelchem Bedeuten". Oder so. Seit Andreas Zumach ihm sein völkerrechtswidriges Verhalten vorgehalten hat, sprich Joschka kein Wort mehr mit ihm.
Ist doch schön, wenn man sich so gut fühlen kann ... sagt Hagen Rether.
Sehr langer und ziemlich irrelevanter Versuch, Handke schönzureden bzw. von ihm abzulenken. Was soll Ihre lange Rede zu einem journalistisch unsauberen Artikel? Relativiert diese in irgendeiner Weise serbische Kriegsverbrechen? Sicher haben auch die kroatische und muslimische Kriegsverbrechen begangen, das ist hinlänglich belegt. Aber es ist auch zweifelsfrei erwiesen, dass keine Kriegspartei so systematisch ethnische "Säuberungen" durchgeführt hat, wie die serbische Seite; der Genozid der Männer von Srebrenica war da nur der grauenvolle Schlusspunkt. Wer so etwas relativieren möchte, argumentiert sich ins Abseits.
Mich interessiert weniger, welche Positionen Handke politisch vertritt, und mehr, ob er gute Argumente vorbringt und aufrichtig argumentiert. Wenn letzteres zutrifft, sehe ich auch kein Problem mit dem Nobelpreis, welcher sich primär an der handwerklichen Leistung des Trägers orientieren sollte, und nicht an seiner Ideologie. Ich finde es zum Beispiel richtig, dass Fritz Haber 1918 den Chemie-Nobelpreis erhalten hat. Er hat zwar den deutschen im ersten Weltkrieg geholfen, Giftgas zu entwickeln, aber den Preis erhalten hat er für ein Herstellungsverfahren für Dünger, ohne welches heute vermutlich nicht halb so viele Menschen existieren würden. Demnach ist es folgerichtig, auch Handke den Preis nicht vorzuenthalten. Überhaupt drohen politisch motivierte Preisvergaben, den Ruf des Nobelpreises zu untergraben. Beispielsweise halte ich die Vergabe des Friedensnobelpreises an Obama für einen Missgriff - vor allem, weil er zu einen Zeitpunkt verliehen wurde, zu dem Obama sein Amt erst gerade angetreten hatte und es noch unklar war, ob und was er als Präsident leisten würde. Viele seiner damaligen Friedensversprechen (etwa die Schliessung von Guantanamo) hat er dann auch gar nie eingelöst.
Herr M., wenn Sie Fritz Haber, der als Erfinder und der erste praktische Anwender chemischer Massenvernichtungswaffen an mehreren Kriegsfronten gilt, bemühen müssen, um die Richtigkeit der Entscheidung betr. Peter Handke zu begründen, spricht das weder für Sie noch für P. Handke.
M.E. sollte in diesem Zusammenhang die erste Ehefrau von Fritz Haber nicht unerwähnt bleiben. Clara Immerwahr war die erste promovierte Chemikerin Deutschlands und übte sehr dezidiert Kritik an der Tätigkeit ihres Mannes, die sie als Perversion der Wissenschaft bezeichnete. Es gilt als sehr wahrscheinlich, obwohl nicht erwiesen, dass ihr Selbstmord 1915 als ultimativer Protest betrachtet werden muss.
Ob sich Peter Handke für Ihre Schützenhilfe bedanken würde? Ich bezweifle es.
Kennen Sie ein besseres Beispiel als Haber, um das zugrundeliegende Dilemma zu illustrieren?
Es zeigt doch schön auf, dass der Nobelpreis auch in der Vergangenheit eher die Leistung des Trägers ausgezeichnet hat, als seine Gesinnung. Insofern ist mein Kommentar auch keine "Schützenhilfe" für Handke. Im Gegenteil: ich drücke damit ja aus, dass auch ein verdienter Nobelpreis Handkes nicht viel über die Qualität seiner politischen Gesinnung aussagt.
Das Beste, was ich bisher über die Nobelpreisverleihung an Handke gelesen habe, gerade, weil die Autorin eben nicht platt für oder gegen Handke Stellung nimmt, sondern ausserordentlich differenziert argumentiert.
Die im 18. Jahrhundert unter anderem mit der Entdeckung der Alpen als Sehnsuchtsgebiet aufgekommene Verehrung der vormenschlichen (oder menschenleeren Natur) als das gute System, das sich frei von menschlicher Korruptheit selber regelt, hat sich im 19. Jahrhundert trivialisert und ist bis heute banal geblieben , so dass schliesslich Musil vom Edelochsentum des ungekochten Naturgenusses sprechen konnte. Vermutlich fühlen sich sogar die technologisch höchstgerüsteten Bergsteiger, die am Gipfel des Everest Schlange stehen, der Natur nahe, die als Idee weit über der brodelnden menschlichen Schlechtigkeit und Verdorbenheit im Unterland steht. Handkes Haltung zur Natur ist aber, wie die Autorin zeigt, weit differenzierter und poetischer. Er sucht im Wald vor Paris nach Pilzen er baut sich aber keine Hütte in Walden. Dass selbst in einem Pilzsammlertext seine Haltung zum Strafgerichtshof durchscheint, ist allerdings verstörend.
Die Frage ist einfach (und die Autorin stellt sie nicht, was ihren Beitrag so wertvoll macht), ob dies ein Grund sein kann. Handke, dessen Sprachbeherrschung zumindest im deutschsprachigen Raum niemand ernsthaft in Frage stellt, den Nobelpreis nicht zu verleihen. Mir gefällt es auch nicht, wenn er sich als Halbslowene, als Tschusch, (mit allen Konsequenzen, die das im Kärnten der 50-er und 60-er Jahre hatte) so intensiv mit "den" Serben identifiziert und dabei Sre Brenica ausblendet. Wenn Handke aber nur das denken und sagen würde, was ich denke und sage, dann wäre er Verfasser von Bastei-Romanen geworden,
Handke identifiziert sich im Übrigen anders als zum Beispiel Doderer, der der NSDAP beitrat (und dennoch einer der grössten deutschsprachigen Romanciers ist), nicht mit rassistischen anti-albanischen Ideologien, die in Serbien verwurzelt sind, sondern stellt sich gegen die historisch bedingte Serbenverachtung der deutschen und österreichischen Politik und Gesellschaft, die für ihn die gleichen Wurzeln wie die Slowenenverachtung in Südkärnten (oder Nordslowenien) hat.
Die Literatur steht nicht über der Politik und die Autorin hat völlig Recht, dass das Politische bei Handke nicht einfach ein kleiner blinder Fleck ist, den man ausblenden kann, Wer aber (zumindest den deutschsprachigen Lesern) so intensive Spracherlebnisse verschafft, der verdient den Preis. Eine andere Diskussion ist, ob die Kriterien für den Preis zu eurozentrisch sind,.
In diesem sehr differenzierten Artikel wird das Spannungsfeld von Person und Werk deutlich aufzeigt. Solche Spannungsfelder, denke ich, müssen wir auszuhalten versuchen und können sie nie ganz auflösen. Heidegger ist ein Beispiel unter vielen.
Es kommt aber doch noch etwas dazu, auf das die Autorin zu recht hinweist. In der Geschichte über den Pilznarren wird sehr eindrücklich aufgezeigt, wie politisch vermeintlich Apolitisches sein kann. Der Pilznarr findet in der Natur Zugang zu letztgültigen Wahrheiten, die ihm (dem Pilzsammler, damit auch dem Autor) einen Standpunkt jenseits von Gut und Böse zu geben scheinen. Diese ursprüngliche und wilde Natur steht weit über allen ethischen Konflikten und über aller Moral. Und so relativiert sie auch Kriegsverbrechen. Damit befinden wir uns im Zentrum einer Menschen verachtenden rassistischen und faschistischen Ideologie.
Unter diesem Gesichtspunkt scheint es mir sehr berechtigt, die Verleihung des Nobelpreises an Handke in Frage zu stellen.
In der Frage, ob man Kunstwerk und KünstlerIn trennen kann, glaube ich, einen leicht verzweifelt anmutenden Wunsch darauf ausmachen zu können, etwas geniessen können zu wollen, das ein Mensch geschaffen hat, dessen politische Haltung oder moralisches Betragen abgelehnt wird.
Und gerade deswegen ist die Frage falsch gestellt: Es gab vermutlich nie unpolitische Kunst (immerhin ist das Private politisch, oder?), aber ganz gewiss gab es nie Kunst, die vom Künstler, von der Künstlerin zu trennen oder als von ihm/ihr getrennt zu betrachten wäre, der oder die ja letztlich die Diskurse – ob durch bewusste oder unbewusste politische Haltungen oder einen sogar bewusst unpolitischen und damit erst recht politischen Habitus aussagekräftig gefiltert – in seiner/ihrer fiktiven Realität bündelt.
Nein, wenn wir völlig ehrlich mit uns selber wären, wenn wir davon ausgehen, dass der Autor bei der Veröffentlichung seines Werkes nicht gerade tot ist, aber zumindest die alleinige Deutungshoheit über selbiges verloren hat, ist die Frage eine andere: Kann ich Kunst akzeptieren (es geht nicht einmal ums Gutfinden), hinter der eine meines Erachtens ruchbare moralische politische Haltung steht – bewusst oder unbewusst präsent? Oder noch mehr heruntergebrochen: Ertrage ich Kunst, die oder deren SchöpferIn ich für unmoralisch halte?
Damit befinden wir aber komplett auf der Seite der Rezeption oder genauer in der Sphäre der Empfindungen der Rezipienten. Und das wiederum heisst: Die Frage hat mit der ästhetischen Seite eines Kunstwerks nichts zu tun, sondern findet lediglich in der moralischen Wahrnehmung der Rezipienten (und dort stets auch immer längst nicht bei allen gleich) statt. Infolgedessen ist die Frage eine individuelle oder zumindest ist meine Haltung hierbei keine objektivierbare, sondern im besten Fall eine intersubjektiv mehrheitsfähige.
Zweifellos kann man (und muss man) Handkes Haltung mindestens streckenweise als bar jeglicher Faktenbasis, als politisch höchst fragwürdig kritisieren; natürlich darf man sein poetologisches Verfahren oder sein Werk – deswegen oder aus anderen Gründen – schwierig, moralisch oder politisch problematisch und/oder einfach schlecht finden; selbstverständlich soll man die Verleihung des Literaturnobelpreises an ihn zweifelhaft oder schlicht falsch finden dürfen – aber können wir bitte aufhören, diese Meinungen am Werk selber oder an der überholten Frage des Verhältnisses von Werk und KünstlerIn festmachen zu wollen, und uns eingestehen, dass es dabei einzig und allein um unsere persönlichen moralischen Empfindungen geht? Darin läge ja auch weder etwas Verwerfliches noch etwas, was den Wert dieser Empfindungen in irgendeiner Weise schmälern würde.
Etwas vom Besten, das zur Frage (Autor-Werk) - auch heute - zu lesen ist: Carolin Emcke, 2006, als Handke der Heinrich-Heine-Preis verliehen werden sollte:
"Handke hat neben seinem außergewöhnlichen, beeindruckenden Œuvre an literarischen Meisterwerken auch eine Anzahl an kontroversen Texten zu Serbien geschrieben. Der Literat Handke ist ohne diese Veröffentlichungen nicht zu haben - und nicht auszuzeichnen."
Und weiter bei Emcke schon damals die glasklare Analyse der Handk'schen Selbstverleugnung. = Wie macht man das, "keine Meinung" nicht und nicht äussern?:
"Eigentlich dürfte es den Text (Besuch bei Milosevic in Den Haag) nicht geben - oder allenfalls in einer Schublade des Schriftstellers. Denn Handke, so schreibt er selbst, hat "erst einmal für sich selber" bezeugt, "nein, festgehalten". Selten hat es einen Text gegeben, der mit einer solch taktischen Selbstverleugnung eines Autors beginnt. Es ist die wortgewaltig verkleidete Heuchelei von einem, der es nicht lassen kann, Vorwürfe und Anklagen zu äußern, aber beleidigt ist, wenn jemand es wagt, auf ihn einzugehen. Es ist ein Geschrei in der Öffentlichkeit, das vorgibt, leise und besinnlich zu flüstern.
Nur "Unbenutzbares" will Handke über den Prozess gegen Milosevic schreiben, "je unbenutzbarer, desto besser", er möchte sich ausdrücklich nicht zur Frage der Schuld oder Unschuld des Angeklagten äußern, weil das nicht "meine Sache ist"."
https://www.spiegel.de/kultur/liter…19661.html
Vielleicht hat Handke ja die rhetorische Figur des "man-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen" bereits vor 20 Jahren unwillentlich erfunden und angefangen, den Grundsatz zu unterwandern, dass zum Schreiben und Reden - gerade im öffentlichen Raum - auch Selbstverantwortung gehört.
Wunschlose Unglückswahl oder die Angst der Leserin vor dem Literaturnobelpreiskomitee
Der Literaturnobelpreis ist, wie alle Preise, der Versuch, den Leser*innen Sicherheit bei der Wahl ihrer Lektüre zu vermitteln. "Kauf dieses Buch," flüstern die Preisvergebenden, "weil wir wissen, welche Bücher lesenswerter als alle anderen sind." Allerdings nährt sich die Kompetenz, bestimmte Bücher auszuzeichnen, aus der Unsicherheit der Lesendengemeinde und ist auf die Bereitschaft dieser Gemeinde angewiesen, sich vor ihrer Kompetenz in den Dreck zu werfen und ihr adelndes Urteil dankbar huldigend anzunehmen. Wie wir alle wissen, hat das Literaturnobelpreiskomitee mit den unappetitlichen Vorgängen rund um Jean-Claude Arnault sein Vertrauen komplett verspielt und der Versuch, sich mit Peter Handke reinzuwaschen, stösst bei der Lesendengemeinde auf wenig Lust, sich vor ihrer angeblichen Kompetenz aufs Neue in den Dreck zu werfen und ihr adelndes Urteil wiederum dankbar huldigend anzunehmen. Einerseits traurig, dass es gewisse Verbindlichkeiten nicht mehr gibt, anderseits befreit machen wir uns auf neue Leseentdeckungsreisen und lassen den Handke im Gestell modern.
PS
Schon die völlig verfehlte opportunistische Auszeichnung von Bob Dylan für sein Werk, und ich schreibe dies als Bob Dylan Fan, komplett fehl am Platz, weil Bob Dylans Werk ein poetisch-musikalisches, nicht aber ein poetisches ist, hätte Warnung genug sein sollen, dass hier eine Jury am Werk ist, der es letztlich um sich selbst und um mehr Geltung für sich selbst geht, nicht um die Wahl ausserordentlicher Weltliteratur.
PPS
Frage an die Autorin: Wem hätten Sie den diesjährigen Preis verliehen? (Ich frage, weil ich Ihnen ein gutes Urteil zutraue.)
PPPS
Elena Ferrante
Die Diskussion um den Nobelpreis für Peter Handke ist natürlich nicht von seinen kontroversen, politischen Positionen im Jugoslawien-Konflikt zu trennen.
Der unübersichtliche jugoslawische Bürgerkrieg ab 1990 fand in einer der ethnisch kompliziertesten Regionen Europas statt, mit einer bereits furchtbar gewaltätigen Vorgeschichte (1. WK, 2. WK). Die Berichterstattung in den grossen Medien ab 1990 (vor allem in Deutschland und Österreich) halte ich wiederum recht beispielhaft für das, was N. Chomsky "Manufacturing Consent" nennt. Handke hat sich (auch in einzelnen Positionen, die ich durchaus nicht teile) vor allem gegen diesen "Consent" aufgelehnt.
Zeitweilig muss man in der Diskussion heute aber fast den Eindruck bekommen, PH sei so etwas wie ein "Auschwitzleugner". So durfte er z.B. unwidersprochen auf "standard.at" (im redaktionellen Teil, notabene, und ohne Beleg) als "Genozidapologet" bezeichnet, also als ein "Befürworter einer Genozidideologie". Ich halte dies für eine strafrechtlich relevante Verleumdung.
Unter diesem Licht (Komplexität, Schuldfrage, etc) empfinde ich einen Teil der gegenwärtigen Kritik an Handkes politischen Positionen nur noch masslos.
In die Debatte zur literarischen Qualität Handkes möchte ich mich nicht einmischen, ich bin nicht Germanist. Zu seinen politischen Äusserungen habe ich eine klare Haltung. Er ist ein Verharmloser und Irrläufer. Statt sich den Fragen zu stellen, die er provoziert, sagt er lieber "ich bin ein Schriftsteller, komme von Tolstoi, von Homer, von Cervantes, und lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen." Interessanterweise verteidigt kaum jemand hier seine politischen Stellungnahmen.
Aber in sehr vielen Zuschriften finden sich unterschiedlichste Argumentationslinien, die darauf hinauslaufen, einen Raum zu schaffen, in dem nur der" reine Künstler ", losgelöst von seiner Existenz als reale Person betrachtet und gewürdigt wird. Kunst als ästhetische Qualität, bar jeder gesellschaftlichen Bezüge. In einer solchen Betrachtungsweise wird Picasso zum grossen Maler "obschon er Kommunist war". Lässt sich seine Kunst verstehen, wenn sein politisches Engagement ausgeblendet wird? Wird die Bildhauerkunst eines Arno Breker abgelehnt, weil er ein schlechter Bildhauer war? Oder doch eher, weil seine Kunst durch faschistischen Dogmen in eine Schablone gezwängt wurde? Der Kunstbegriff der hier durch viele verteidigt wird, gehört ins 19. Jahrhundert. Kunst entsteht nicht als "reine Ästhetik" in einem hermetisch abgeschlossenen Raum. Sie entsteht in Interaktion mit gesellschaftlichen Verhältnissen - ob bewusst oder unbewusst. Dasselbe gilt für die Kunstrezeption. Insofern ist es unausweichlich, dass im vorliegenden Fall die Auszeichnung des Schriftstellers Handke auch als Auszeichnung der Person Handke wahrgenommen wird.
"Arno Breker"
Das ist genau die Linie, an der ich allerschwerste Zweifel habe.
Ich glaube zunächst einmal, dass man das Nazireich mit seinen umfassend eliminatorischen Genozidplänen niemals mit einer Bürgerkriegssituation vergleichen kann. Milosevic war kein Hitler, und "die Serben" waren keine Nazis.
Zudem meine ich, unsere Beurteilungen kommen ohnehin zu früh. Wir müssen zunächst vorsichtig bleiben:
https://www.faz.net/aktuell/politik…57176.html
"Die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien ist offiziell beendet. Die Historiker fangen gerade erst an. " (Janaur 2019)
In diesem Sinne auch hier:
https://www.sn.at/politik/weltpolit…g-27998152
"Es klingt, als wäre das ein normaler Krieg, in dem man sich einfach anschauen kann, wer wofür verantwortlich war. Das war im Fall von Exjugoslawien nicht der Fall", betonte hingegen Manfred Nowak, Jurist und Leiter des Ludwig Boltzmann Institutes für Menschenrechte. "Die jugoslawischen Kriege waren ein Mittel zum klaren Ziel - ethnische Säuberung, und zwar auf allen Seiten. Da waren viele Akteure miteinbezogen", erläuterte Nowak.
.....
Zgonjanin hat sich in seinem Werk um Ausgewogenheit bemüht, wie er versicherte. "In Medien wurde so oft und so viel über serbische Verbrechen berichtet. Ich wollte nicht nur auf das fokussieren." Untersucht wurde die Verantwortung eines kroatischen und von drei serbisch-jugoslawischen Generälen. Auf Nowaks Frage, warum im Buch keine bosniakischen Generäle unter die Lupe genommen wurden, erklärte Zgonjanin: "Ich bin davon ausgegangen, dass dort eine vollkommene Straflosigkeit geherrscht hat und das wäre nicht interessant für die Forschung."
Ich glaube zwar aufgrund dessen, was ich in all den vergangenen Jahren gelesen habe, dass serbische Milizen sich mehr Schuld aufgeladen habe in diesem Konflikt, und dass in Srebrenica ein Verbrechen mit genozidaler Absicht stattgefunden hat.
"Den Serben" die tatenmässig grössere Schuld für die Katastrophe zuzuschieben halte ich aber für nicht gerechtfertigt. Im Gegenteil: daraus folgt nur eine "zwar haben die andern auch, aber"-Relativierung der Verbrechen der Gegenpartei. MaW: diese sind weit zu gross, zum sie unter den Tisch zu kehren.
Wikipedia zu Kroatienkrieg:
"Ein weiterer entscheidender Punkt war die Verfassungsreform, die am 25. Juli 1990 übernommen wurde und wonach die serbische Minderheit in Kroatien den Status als konstituierendes Volk verlor.
...
Erschwerend kam noch die öffentliche Darstellung von Ustascha-Symbolen, die Diskriminierung von Serben, vor allem im Beruf, das brutale Vorgehen der kroatischen Polizei, die Verharmlosung serbischer Opfer im Zweiten Weltkrieg und schließlich eine um sich greifende „Serbophobie“ hinzu."
https://www.spiegel.de/spiegel/prin…99049.html
"Die Fairness gebietet es festzustellen", erinnert sich der damalige Bonner Jugoslawien-Botschafter Hansjörg Eiff, 62, daß vor Tudjmans Wahlsieg "serbische Destabilisierungsversuche in Kroatien nicht eigentlich nachweisbar sind". Erst danach prallten die "Bedrohtheitshysterien" (Eiff) der Volksgruppen aufeinander.
....
"In einer der schärfsten Interventionen seiner Amtszeit plädierte Pérez gegen eine "frühzeitige, selektive und unkoordinierte Anerkennung" Sloweniens und Kroatiens. Sie könne, wie der Generalsekretär am 14. Dezember 1991 in einem Schreiben an Genscher erläuterte, zur "Ausweitung des gegenwärtigen Konflikts führen". Auch Lord Carrington sagte voraus, die unabgestimmte Bonner Anerkennungspolitik werde die "Zündschnur" des Krieges nach Bosnien-Herzegowina verlegen."
Die politische Seite von Peter Handke hat - mit seiner zum Teil geradezu tollkühnen Art - zumindest einen Verdienst daran, dass die Diskussion nach ca. 30 Jahren nicht nur in Kreisen von Historikern stattfindet.
Den Zusammenhang zwischen Breker und Milosevic, bzw. zwischen deutschem Faschismus und serbischem Ultranationalismus konstruieren Sie. Ich habe nichts derartiges behauptet.
Statt einen Beitrag zum Literaturnobelpreisträger Peter Handke zu verfassen, zitiere ich von WSWS: "Die Tiraden von Handkes aggressivsten Gegnern gleichen dem Gezeter von Verbrechern, die versuchen, ihre eigenen Spuren zu verwischen.
Der Nato-Krieg gegen Jugoslawien vor zwanzig Jahren kennzeichnete den Übergang eines ganzen Milieus deutscher Intellektueller und wohlhabender Kleinbürger, das sich früher pazifistisch gegeben hatte, ins Lager des deutschen Militarismus. Seine Verkörperung fand dieses Milieu im ehemaligen Straßenkämpfer Joschka Fischer.
Als grüner deutscher Außenminister bemühte Fischer zynisch den Satz „Nie wieder Auschwitz“, um die Bombardierung Belgrads zu rechtfertigen, das bereits Hitlers Wehrmacht in Schutt und Asche gelegt hatte. Die Grünen ebneten damals den Weg für den ersten internationalen Kriegseinsatz der Bundeswehr. Inzwischen sind solche Einsätze Alltag – von Afghanistan bis Mali." Hoffentlich leidet wegen politischer Hetze nicht das literarische Ansehen von Handke.
Etwas vom besten, das zur Frage (Autor-Werk) - auch heute - zu lesen ist: Carolin Emcke, 2006, als Handke der Heinrich-Heine-Preis verliehen werden sollte:
"Handke hat neben seinem außergewöhnlichen, beeindruckenden Œuvre an literarischen Meisterwerken auch eine Anzahl an kontroversen Texten zu Serbien geschrieben. Der Literat Handke ist ohne diese Veröffentlichungen nicht zu haben - und nicht auszuzeichnen."
Und weiter bei Emcke schon damals die glasklare Analyse der Handk'schen Selbstverleugnung. = Wie macht man das, "keine Meinung" nicht und nicht äussern?:
"Eigentlich dürfte es den Text (Besuch bei Milosevic in Den Haag) nicht geben - oder allenfalls in einer Schublade des Schriftstellers. Denn Handke, so schreibt er selbst, hat "erst einmal für sich selber" bezeugt, "nein, festgehalten". Selten hat es einen Text gegeben, der mit einer solch taktischen Selbstverleugnung eines Autors beginnt. Es ist die wortgewaltig verkleidete Heuchelei von einem, der es nicht lassen kann, Vorwürfe und Anklagen zu äußern, aber beleidigt ist, wenn jemand es wagt, auf ihn einzugehen. Es ist ein Geschrei in der Öffentlichkeit, das vorgibt, leise und besinnlich zu flüstern.
Nur "Unbenutzbares" will Handke über den Prozess gegen Milosevic schreiben, "je unbenutzbarer, desto besser", er möchte sich ausdrücklich nicht zur Frage der Schuld oder Unschuld des Angeklagten äußern, weil das nicht "meine Sache ist"."
https://www.spiegel.de/kultur/liter…19661.html
Vielleicht hat Handke ja die rhetorische Figur des "man-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen" bereits vor 20 Jahren unwillentlich erfunden und angefangen, den Grundsatz zu unterwandern, dass zum Schreiben und Reden - gerade im öffentlichen Raum - auch Selbstverantwortung gehört.
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