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Was mir fehlt in den Romanen der "flirrenden Paranoia" des Klimawandels, sind die Beschriebe der ökonomischen Verhältnisse, der Machtpolitik der Profiteure, der Systeme der Ausbeutung z.B. bei der Baumwollproduktion, der Finanzindustrie und der Mehrheitspolitik mit ihrer Konsumwut in vielen Ländern, welche den Klimawandel nie ernst nahm, obwohl man alles seit Jahrzehnten weiss. Politik scheint auch da überfordert. Money makes the world go 'round und die Politik rennt gedankenlos schnüffelnd hinterher. Genau wie in der Pandemie.
Merkwürdiger Versuch der Zeit, eine Feuilleton-/Literatur-Debatte zu starten, in dem man einen Mangel behauptet (und dabei die Kriterien willkürlich so setzt, dass ein Gros der Bücher, nämlich die Eco- bzw. Climate Fiction mir nichts, dir nichts ausgeschlossen wird). Gibt es doch bereits eine mittlerweile gut gefüllte Datenbank für Eco Fiction, ein Climate Fiction Festival und eine längere Debatte zu «Literatur und Klimakatastrophe».
Aber natürlich, könnte man sagen, machen diese nur einen Bruchteil aus von der Gesamtproduktion von neuen Büchern (im deutschsprachigen Raum ca. 100'000/Jahr). Die Frage ist also, was die Minimalbedingung wäre: 10%, 25%, 50%, 75%, ja 100%? Bräuchten es also – sei es top-down oder bottom-up – analog zum «Sozialistischen Realismus» eine Art «Ökologischen Realismus»?
Anyway, danke für die Lesetipps, Christine Lötscher, die sich gut einreihen in die bereits zuvor von Ihnen und anderen gegebenen! Meiner wäre T. C. Boyles Ein Freund der Erde (2000), das aufgrund zweier Zeitebenen eine gute (satirische) Brücke schlägt zwischen der Macht und Ohnmacht (des Aktivismus) in der Gegenwart und der nahenden dystopischen Zukunft – in der nebenbei auch der (jung-)alte weisse Mann ad absurdum geführt wird.
Und, gerade für die, welche «Beschriebe der ökonomischen Verhältnisse, der Machtpolitik der Profiteure, der Systeme der Ausbeutung» vermissen und auch ökoaktivistische Militanz, kann ich Kim Stanley Robinsons Das Ministerium für die Zukunft (2020/21) empfehlen (Rezension der Zeit).
Ja, und mir fällt die norwegische Schriftstellerin Maja Lunde ein. Sie hat bereits 3 Romane zum Thema geschrieben, der vierte und letzte ist wohl auch kurz vor der Vollendung. Parallelgeschichten erzählen von Schicksalen in verschiedenen Zeitabschnitten im Verlauf des Klimawandels. Der erste Roman heisst „Die Geschichte der Bienen“, die deutschen Namen der anderen habe ich grad nicht im Kopf. Teilweise sehr deprimierend (weil realistisch), aber meines Erachtens sehr lesenswert.
Die Klimakrise bzw. ihre Auswirkungen hat bereits vor über 20 Jahren Doris Lessing in ihren beiden "Mara und Dann"-Romanen beschrieben - wobei sie sich vor allem auf die durch das Klima erzwungene Migration in Afrika konzentriert. Ebenfalls mit den Auswirkungen der Klimaveränderung und der zerstörten Umwelt beschäftigen sich Margaret Atwoods "Das Jahr der Flut" und "Oryx and Crake". Allerdings spielen diese Bücher nicht im Hier und Jetzt, sondern sind in einer Zeit angesiedelt, in der die Schäden bereits angerichtet sind. Insofern werden sie der Forderung nicht gerecht, die heutige Situation zu spiegeln.
Danke für diesen interessanten und informativen Text! Spannend auch die Tipps der Leser. Sich mit Utopien und Dystopien auseinander setzen ermöglicht ja erst den Umgang mit der Gegenwart. Und offenbart viel (so entnehme ich den Beschreibungen) über unser menschliches Verhalten.
Vielen Dank, Frau Lötscher.
Alam erzählt wie mit wackligen Kameras, die so nah an den einzelnen Figuren dran sind, dass jeder Überblick unmöglich scheint.
Die Fiktion ist Teil der täglichen Auseinandersetzung über Dinge, die jeder auf seine Weise verstehen wird. Und obwohl ich nicht in einem Roman lebe, öffnen sich um mich herum kurze und lange Kapitel.
Wie beim Blick in ein Kaleidoskop.
Wer Französisch kann, sollte sich unbedingt den Roman "Après le Monde" der Neuenburger Autorin und Schweizer Literaturpreis-Trägerin Antoinette Rychner zu Gemüte führen. Er spielt nach dem Weltuntergang 2022 und ist ziemlich beklemmend.
Ich hoffe, dass sich endlich ein deutschsprachiger Verlag zur Übersetzung überwinden kann.
Wenn ich eine Empfehlung zum Genre machen kann: „Die Flut“, von J. G. Ballard (The Drowned World, 1962): https://www.diaphanes.net/titel/die-flut-7060
Ich würde Bernd Ulrich Kurt Martis "Ruhe und Ordnung - Aufzeichnungen Abschweifungen 1980-1983" empfehlen...
Ulrich meint ja in der Zeit:
"Wie eine katastrophische Zukunft aussehen könnte, ist auch ein spannendes Thema, aber wie die zugleich drohende und beginnende Zukunft die Gegenwart beeinflusst, das ist möglicherweise noch spannender. Und beunruhigender."
Weil es ein Tagebuch ist, schreibt Marti eigentlich nur über Einflüsse auf seine Gegenwart. Dass diese Gegenwart schon schon vierzig Jahre zurückliegt macht es zusätzlich beunruhigend.
"Und dann stehe ich vor einer Klasse 15- und 16jähriger - mein Gott! Noch nie ist die Lage von Erwachsenen, die Jugendliche unterrichteten so absurd gewesen." (September 1981)
Marti ist weder jung noch weiblich, er kennt auch die Berichte des IPCC und das Ausmass der Biodiversitätskrise nicht. Es ist beklemmend, wie aktuell seine Reflexionen trotzdem wirken.
Kurz: Die Textform, die Art der Auseinandersetzung mit Themen, scheint mir was zu taugen. Gerade heutzutage :)
Viel mehr als die immer neue Erzählung von der Infiltration des Lebens durch vergangenes und verdrängtes Unheil interessiert uns hier die fehlende Erzählung von der Infiltration unseres gegenwärtigen Lebens durch ein drohendes, schon beginnendes, aber vielleicht noch begrenzbares Unheil aus der Zukunft. (Bernd Ulrich, Zeit)
Lieber Bernd
Damit kein falscher Eindruck entsteht:
Das Tagebuch hat auch lauter anderen Plunder drin. Dinge wie Traumprotokolle, theologisches Gekritzel und auch Überlegungen zu Weltkriegen. Diese Infiltration des Lebens durch vergangenes und verdrängtes Unheil könnte dich langweilen.
Danke für die Anregungen und Informationen. Auch ich möchte noch eine Empfehlung in die Runde schicken. 1979 schrieb Jean Hegland eine Novelle Lichtung ( into the woods), eine Geschichte zweier Schwestern, welche in einer Waldlichtung wohnen und in einer postapokalyptischen Welt versuchen weiter zu leben und überleben.
Herzlichen Dank allen Kommentierenden für die vielen interessanten Literaturhinweise!
Besser spät als nie: Lydia Millets "A Children's Bible" wurde bisher nicht erwähnt. Vielleicht weil noch unübersetzt. Hat mich sehr beeindruckt. Millet ist Naturwissenschafterin und arbeitet sie am Center for Biological Diversity in Tucson. Interview: https://lithub.com/lydia-millet-won…king-more/
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