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Die Schweiz hat keine Verfassungsgerichtsbarkeit. Welche Rechtsmittel haben wir, wenn Verfassungsartikel wie beispielsweise Artikel 74 Umweltschutz gebrochen wird?
Da steht in Absatz 1: Der Bund erlässt Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen.
In Absatz 2 steht: Er sorgt dafür, dass solche Einwirkungen vermieden werden. Die Kosten der Vermeidung und Beseitigung tragen die Verursacher.
Trotz dieses Artikels haben wir einen massiven Biodiversitätsverlust und Metaboliten von Pestiziden und anderer Chemikalien im Trinkwasser.
Was können wir tun?
Lieber T. F., es gibt in der Schweiz schon auch eine Verfassungsbeschwerde, siehe https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/…de#art_116. Aber die Hürden für Beschwerdeführer:innen sind sehr hoch, und die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts ist sehr klein. Um eine überaus komplexe Frage sehr vereinfacht zu beantworten. Vielleicht meldet sich noch eine andere, fachkompetente Verleger:in zu Ihrer Frage?
Ich möchte zuerst allfällige Missverständnisse ausräumen: Wir haben in der Schweiz nicht keine, sondern eine beschränkte Verfassungsgerichtsbarkeit. Was mit der fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit jeweils gemeint ist: Akte der Bundesversammlung können nicht vor Bundesgericht angefochten und auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüft werden. Dazu gehören insbesondere auch die Bundesgesetze. Weder können diese abstrakt nach deren Erlass auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüft werden, noch spielt eine allfällige Verfassungswidrigkeit im Rahmen eines Verfahrens zu einem konkreten Anwendungsfall eine Rolle. Bundesgesetze müssen vom Bundesgericht und den anderen rechtsanwendenden Behörden angewendet werden.
Hingegen ist es normal, dass in normalen Rechtsverfahren die Verletzung (auch) von Verfassungsbestimmungen gerügt wird.
An das Bundesgericht gelangt man mit einem konkreten Anfechtungsobjekt, nicht «einfach so». Man hatte ursprünglich also eine Verfügung, eine Bewilligung, oder einen kantonalen Erlass, gegen die/den man vorging. Oder, im Umweltrecht wichtig: Man macht geltend, dass eine Behörde nichts tut, obwohl sie etwas tun müsste, und verlangt eine Verfügung, mit welcher die Behörden zum Tun zu verpflichten seien (so etwa die Klimaseniorinnen mit ihrem «Begehren um Einstellung von Unterlassungen im Klimaschutz). Wichtig: Ich muss persönlich, mehr als die Allgemeinheit und in schutzwürdigen Interessen betroffen sein, um legitimiert zu sein. Dann durchläuft man den Instanzenzug, bis man zur letzten Instanz Bundesgericht gelangt.
(Ich beziehe mich hier nun immer auf das Bundesgericht, denn was man bei diesem vorbringen kann, muss man zwingend auf kantonaler Ebene auch vorbringen können.)
Mit Beschwerde am Bundesgericht kann die Verletzung u.a. von Bundesrecht gerügt werden, was auch der häufigste Fall ist. Die Bundesverfassung ist Bestandteil des Bundesrechts.
Jetzt kommt das grosse Aber: Es kann nur die Verletzung von «justiziablen Verfassungsnormen» gerügt werden. Das sind insbesondere die Grundrechte (Individualrechte, teilweise identisch mit den Menschenrechten gemäss Menschenrechtskonvention), einige Verfahrensrechte, dazu diverse weitere anerkannte «verfassungsmässige Recht des Privaten». Welche dies sind, hat sich über die Jahrzehnte in der Rechtsprechung entwickelt. Es geht darum, dass die Verfassungsbestimmung dem Einzelnen direkt einen Anspruch vermitteln muss. Nicht zu diesen verfassungsmässigen Rechten gehören daher alle Normen, die organisatorischer oder programmatischer Natur sind: Wer muss was machen.
Darauf, dass mein Anfechtungsobjekt Art. 74 BV verletze, kann ich als Private mich daher nicht beziehen. Die Norm sagt, dass der Bund Vorschriften zu erlassen hat und für die Vermeidung von Einwirkungen zu sorgen hat. Das ist eine organisatorische, programmatische Norm. Ich habe keinen individuellen, einklagbaren Anspruch darauf, dass der Bund dies tut. Darum muss ich mich darauf beziehen, dass die Untätigkeit z.B. mein Recht auf Leben und Unversehrtheit verletzt, dies ist ein justiziables Grundrecht (Art. 10 BV).
Nun zur Verfassungsbeschwerde nach Art. 113 ff. Bundesgerichtsgesetz: Diese ist nur möglich gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen, also nicht beispielsweise in Bundesverfahren, und sie ist nur subsidiär möglich, wenn die normale Beschwerde nicht zulässig ist. Weil zum Beispiel der nötige Streitwert nicht erreicht ist, oder wegen einer Ausnahmebestimmung im betreffenden Thema der Weiterzug an das Bundesgericht ausgeschlossen ist. Sprich, der Anwendungsbereich ist eher klein. Nach Art. 116 Bundesgerichtsgesetz kann «die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten» gerügt werden. Das ist genau das oben Geschriebene: nur justiziable Verfassungsnormen, also Grundrechte, bestimmte Verfahrensrechte, und die von Praxis und Rechtsprechung etablierten Verfassungsnormen, die dem Einzelnen einen direkten durchsetzbaren Anspruch vermitteln wollen. Der Name «Verfassungsbeschwerde» bedeutet also nicht, dass damit beliebig jede Verfassungsverletzung geltend gemacht werden kann.
Sorry, das war lang, und spätabends. Kolleginnen und Kollegen mögen mir deshalb verzeihen, falls einiges etwas ungenau ist.
Edit, Nachtrag: Auch für die NGOs mit Verbandsbeschwerderecht ist Art. 74 BV als organisatorische Norm nicht direkt justiziabel. Wo überall und wie weit das Verbandsbeschwerderecht geht, würde nun aber meine Nacht allzu kurz werden lassen.
Gemäss diesem Artikel, auf allen Ebenen klagen, auch Einsprachen machen und weiterziehen*! Bundesrat, Verwaltung, Kantone und Gemeinden verletzen diese Grundsätze i.A. auf allen Ebenen. Die Gerichte sind zwar politisch besetzt, müssen aber wenigstens bei uns die Gesetze beachten und sie handeln langfristiger, nicht mit Blick auf die nächsten Wahlen.
Aber die Gesetze werden von Parlamenten verabschiedet, also entsprechende ParlementarierInnen wählen, in diesem Fall also grüne. Damit verändert sich mit der Zeit auch die Zusammensetzung der Regierung. Auch wenn Grün hier nur das kleinere Übel darstellt und die Klimakrise nicht lösen wird, siehe Deutschland. Aber besser wäre es.
*Ich hatte diesbezüglich einen ganz kleinen Erfolg, konnte einige Bäume retten und Parkplätze verhindern.
Ich verstehe nicht, wie in Ihrem Beispiel die Verfassung gebrochen sein soll bzw. was mit einer Verfassungsgerichtsbarkeit anders sein soll.
Bei den Klimaseniorinnen kann ich aus der Beschreibung im Urteil des Bundesgerichts in etwa herauslesen, was in Bezug auf das Co2 Gesetz gefordert wird und mit den Aussagen im Interview abgleichen. Die eine Forderung, „ Sie beantragten, das Reduktionsziel gemäss Art. 3 Abs. 1 des CO2-Gesetzes vom 23. Dezember 2011 (SR 641.71) sei zu korrigieren“, scheint mir mit dem Deutschen Entscheid halbwegs übereinzustimmen und eher besser mit dem Urgenda Fall.
Ihr Beispiel
Trotz dieses Artikels haben wir einen massiven Biodiversitätsverlust und Metaboliten von Pestiziden und anderer Chemikalien im Trinkwasser.
fällt aus meiner Sicht eher unter das Umweltschutzgesetz. Diesem fehlen Elemente wie ein Reduktionsziel, das angegangen werden könnte.
Wenn es eine Verfassungsgerichtsbarkeit gäbe: Wie würden Sie begründen, dass das Umweltschutzgesetz die Verfassung verletzt bzw. was scheint für sie Klagbar?
Nun, offensichtlich weicht der Zustand der Biosphäre in der Schweiz von einem natürlichen Zustand ab und wir sehen uns mit einer Menge schädlicher oder lästigen Einwirkungen konfrontiert. In diesem Sinne ist das Ziel von Artikel 74 nicht erfüllt. Zudem gilt der Rechtsgrundsatz, dass der Kerngedanke eines Verfassungsartikels über alle Stufen der Rechtsordnung zum Ausdruck kommen muss. Auch dieser Grundsatz ist nicht erfüllt. Ansonsten hätten wir kein Artensterben, kein Gift im Trinkwasser …
Wenn es ein Verfassungsgericht gäbe, könnte ich einklagen, dass unsere Gesetze und Verordnungen das Ziel von Artikel 74 nicht herbeiführen.
Super Artikel. Endlich ein Klimaartikel, der einfach Freude macht. Viel Erfolg, liebe Klima Seniorinnen!
Wunderbar, ich jauchze vor Freude! Mir gefällt die Klarheit von Roda Verheyen. Und wieder einmal zeigt sich hier: es sind die Frauen, die den konstruktiven Weg durch diese Krise vorangehen: Maja Göpel, Ulrike Herrmann, Luisa Neubauer und Roda Verheyen. (Grosses Sorry an alle konstruktiv vorangehenden Männer!).
Sehr gut hat mit der Hinweis auf den alternativen IPCC-Bericht, an dem sich Schweizer Gerichte orientieren, gefallen!
Liebe Frau Z., herzlichen Dank fürs Feedback und den Verweis auf weitere wichtige Stimmen. Es gäbe da natürlich noch sehr viele Namen zu ergänzen, aber ich möchte Ihrer Liste zumindest noch Friederike Otto hinzufügen, weil ihre Arbeit so gut zu der von Roda Verheyen passt, obwohl die wissenschaftlichen Backgrounds jeweils ganz verschiedene sind. Otto ist Physikerin und eine der wichtigen Vertreterinnen der sogenannten Attribution Science, die mit wissenschaftlichen Methoden den Zusammenhang von Extremwetter und Klimawandel ermittelt. Unser Interview mit ihr finden Sie hier.
Guten Morgen, ich habe diesen Beitrag verborgen, weil er so in etwa das Gegenteil von konstruktiv war. Melden Sie sich hier gerne kritisch, aber diese Art von Polemik bitte nicht. Danke.
Ja... es sind mehrzeitlich Frauen die Veränderung vorantreiben.
Sehr interessant. Vielen Dank für diesen Einblick in diesen Bereich der Bemühungen, die Klimaerwärmung in den Griff zu bekommen. In demokratischen Systemen ist das wahrscheinlich der effizienteste Weg, die Politik endlich zum Handeln zu bringen.
Ich wollte kürzlich dem Verein KlimaSeniorinnen beitreten. Ging nicht, nur Frauen im Pensionsalter sind zugelassen. Aber man kann spenden. Auf deren Website ist die IBAN angegeben.
Wir werden die Krise zusammen schaffen. Packen wir es an, Frauen und Männer. Sofort.
Lieber Lorenzo Moret, es hat für diese spezifische Klage einen spezifischen Grund, dass nur Frauen zugelassen sind. Die Klägerinnen müssen eine besondere Betroffenheit geltend machen, und es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Seniorinnen mehr unter den Hitzesommern gelitten haben als die Senioren. Das ist der Grund. So, wie ich den Verein und die Klägerinnen einschätze, wollten sie die Männer nicht ausschliessen, es war für diese Klage schlicht notwendig.
Vielen Dank Frau Hürlimann für Ihren hoffnungsvollen Artikel und die erklärende Antwort an Herr Moret. Ich bin im Vorstand der KlimaSeniorinnen und wir freuen uns sehr, wenn Männer und jüngere Frauen als Unterstützer und Unterstützerinnen dem Verein beitreten und uns auf diese Weise ideell und/oder finanziell unterstützen. Vielen Dank auch dafür!
www.klimaseniorinnen.ch
Es gibt auch die Klima-Grosseltern...
Wo und wie das?
www.klimagrosseltern.ch Jahresbeitrag 30.- tätig in fast allen Regionen der Schweiz, Mitglieder sind herzlich willkommen!
Das ist (Klima-)Journalismus wie ich ihn brauche. Am Anfang steht die Frage, ob Klimaschutz eine Aufgabe für die Politik oder die Justiz sei. Die neuste Entwicklung in der Schweiz (Zusammenschluss von Wirtschaft und Bauernverband zur Verhinderung von Klimazielen, Tagi von gestern, - das sichtbare Resultat (srf):
Das Parlament einigt sich auf die Ausrichtung der Agrarpolitik in den nächsten Jahren ohne zusätzliche Klimaziele.
Das Interview ist wie eine Folie, die wir über das Rechts- und Politikgeschehen in der Schweiz punkto Klimaschutz halten können - um zu verstehen, was in der Schweiz läuft und wo Aenderungen erwirkt werden können und müssen.
Frau Verheyen im Interview:
Ich höre von meinen Anwaltskolleginnen, dass sich die Schweizer Gerichte von wegweisenden internationalen Klimaurteilen nicht beeindrucken lassen.
Zu den Klimaseniorinnen, deren Klage am 29.März am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angehört wird:
Die Begründung des letztinstanzlichen Gerichts ging so sehr an allem vorbei, was der Weltklimarat beschrieben hatte und von der Klägerschaft vorgetragen worden ist. Zu schreiben, man lehne die Klage heute ab, weil der Schweizer Staat noch so viel Zeit habe, um irgendwelche Massnahmen zu ergreifen – das kann man nicht rechtfertigen.
Ein Urteil gegen Shell hat grosse Bedeutung, was die privaten Unternehmen betrifft: Ein Distriktgericht in Den Haag hat 2021 Shell dazu verurteilt, seinen globalen Ausstoss von Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 um 45 Prozent zu senken.
Auch Unternehmen haben die grundlegenden Menschenrechte zu achten. Sie geniessen keine Sonderrechte, was ihre klimaschädlichen Emissionen betrifft.
Ein ganz konkreter Vorschlag, wie eine rationale Auseinandersetzung, eine Reaktion auf den Klimawandel aussehen könnte:
Jeder Staat muss sich an ein schlüssiges CO2-Budget halten, das sich wissenschaftlich aus den Pariser Zielen ableiten lässt. Und jeder grosse Emittent muss das Gleiche tun. Wenn das alle täten, gäbe es keinen Konflikt mehr darüber, wer als Erstes tätig wird.
Ernüchterung gestern über die wenig zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik in der Schweiz und Aufbruchstimmung nach dem Interview. Danke.
Und nochmals Frau Verheyen:
Als die ersten Klimaklagen kamen, war absehbar, dass die Erfolgsaussichten gering sind – das ist immer so, wenn es um etwas Neues geht.
sehr spannender Artikel. Es ist so wichtig, auch diese Ebene zu nutzen. Und klar und gut begründet Grenzen aufzuzeigen ... denen die sich winden und nicht verbindlich genug festlegen wollen (und müssten). - Meine Sorge: der rechtliche Weg durch die Instanzen dauert so lange, wird der grosse Tanker noch schnell genug zu stoppen sein, bevor zuviele der Kipp-Punkte gekippt sind?
Ja, der Weg durch die juristischen Instanzen dauert sehr lange. Ich habe allerdings den Eindruck, auf der politischen Schiene geht's nicht schneller... Leider! Aber wie es Frau Verheyen sagt: Es braucht das Engagement beider Staatsgewalten. Offensichtlich.
Dass die Folgen der fortschreitenden Erderwärmung und das Massenartensterben eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen bedeuten ist klar. Machen sich Politiker*innen in der Schweiz strafbar, wenn sie mit ihrem Stimmverhalten im Parlament Massnahmen zur Eindämmung dieser Gefahr verhindern?
In Artikel 11 des Strafgesetzbuches «Begehen durch Unterlassen» steht:
1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden.
2 Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund:
a.des Gesetzes;
b. eines Vertrages;
c. einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder
d. der Schaffung einer Gefahr.
3 Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte.
In Artikel 12 «Vorsatz und Fahrlässigkeit», Absatz 3 lesen wir:
Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.
Was sagen die Jurist*innen die hier vielleicht mitlesen dazu?
Unter anderem um solchen (mit Verlaub, juristisch doch ziemlich wilden) Ideen Einhalt zu gebieten, gibt es die Immunität nach Art. 162 BV.
Also: Nein, Sie können nicht die Polizei losschicken, wenn eine Abstimmung nicht in Ihrem Sinn ausgeht.
"Polizei losschicken, wenn eine Abstimmung nicht in Ihrem Sinn ausgeht." Ui, würde eine solche Ansicht vertreten, verriete sie einen autoritären Charakter dahinter. Und gäbe allen recht, die bei den Grünen eine "Öko-Diktatur" wachsen sehen. Sollen tatsächlich in faschistischer Manier unliebsame PolitikerInnen verklagt und eingesperrt werden? Ist das der Weg, den wir beschreiten wollen?
Gross. Das Klimalabor, wie es aufgezogen wird, die Interviews, die Fragen, selbstermächtigend, hoffnungsvoll, motivierend, die weiterführenden Kommentare, hier ist etwas am entstehen das einen Unterschied ausmachen wird.
Vielen herzlichen Dank für dieses schöne Kompliment, das uns sehr motiviert!
"Wir alle haben ein Recht auf Zukunft. Eine Ermutigung."
Danke Frau Verheyen schon nur für den verheissungsvollen Titel Ihres Buches.
Das "Wir alle" stärkt die Gemeinschaft und die " Ermutigung" schafft Hoffnung, die zum Handeln anregt.
Vielen Dank für dieses gut geführte, klare und eindrückliche Interview.
Wie gut gibt es die KlimaSeniorinnen.
Zu hoffen bleibt, dass viele Schweizer sich durch das mutige Handeln beeindrucken lassen und endlich endlich endlich bereit sind Verantwortung ernst zu nehmen.
Danke für das gut geschriebene und informative Interview! — Ich bin über den Ausdruck „Umweltsünder“ gestolpert. Mir scheint das ein Fall von ungenauer Sprache und von Verharmlosung. Der „Umweltsünder“ steht in einer Reihe mit dem „Temposünder“ und dem „Steuersünder“ und in allen diesen Fällen scheint mir das Wort verwendet, um drastischere Bezeichnungen zu vermeiden. Die Herkunft des Wortes aus der christlichen Theologie legt es nahe, hier „bloss“ moralische (statt rechtliche) Übertretungen zu vermuten. Das halte ich aber in allen drei Fällen für ungenau. Steuerbetrug, Geschwindigkeitsüberschreitung und Umweltverschmutzung sind keine „Kavaliersdelikte“ (ein anderes Schmunzelwort aus dem Werkzeugkasten der Verunklärung). Was meinen Sie? Liege ich hier falsch? Herzlich, Andreas Cremonini
Lieber Herr Cremonini, herzlichen Dank – sehr interessanter Punkt! Und ja, kann ich gut nachvollziehen, insbesondere das mit den theologischen Anklängen. (Weil wir bei den sprachlichen Feinheiten sind: Sie meinen das Wort «Klimasünder», oder?) Allerdings kommt die Bedeutung eines Wortes ja nicht allein durch die Konnotationen seiner einzelnen Bestandteile zustande, sondern durch den Kontext seiner Verwendung (mit Wittgenstein: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch). Und da findet das Wort «Klimasünder» im Diskurs vor allem dort Verwendung, wo von denjenigen Institutionen die Rede, die am stärksten zu schädlichen Emissionen beitragen – also genau die gegenteilige Implikation von Worten wie «Kavaliersdelikt». (An der Stelle im Interview steht das Wort «Klimasünder» ja auch in direktem Konnex zur juristischen Verantwortung.) Aber wie gesagt: eine sehr interessante Beobachtung und eine wichtige Erinnerung daran, dass es immer auch auf die Wahl einzelner Wörter ankommt. Hätten Sie denn einen Vorschlag für ein besseres Wort an dieser Stelle?
Lieber Herr Graf, ja genau, es ging mir um den Ausdruck "Klimasünder". Ich verstehe Ihren Punkt mit Wittgenstein, die anschliessende Frage ist dann, wie wir die Sprachspiele rund um das Wort "Sünde" im Kontext der Klimakatastrophe analysieren sollen. Der späte Wittgenstein war der Ansicht, dass wir den alltäglichen Gebrauch der Worte nicht korrigieren, sondern lediglich beschreiben sollen. Die gewöhnliche Sprache legt in seinen Augen die "Grammatik", die Gebrauchsweise und somit die Bedeutung der Ausdrücke fest. Das scheint mir in vielen Fällen interessant und hilfreich, in anderen aber politisch (oder psychologisch) naiv. Unsere Alltagssprache ist immer auch ein Ort der Kompromissbildung, ein Kampfplatz, auf dem sich verschiedene (politische, moralische, psychologische etc.) Kräfte tummeln und (gesellschaftliche, persönliche, ökonomische...) Konflikte ausgetragen werden. Darum scheint mir die Verwendungsweise des Wortes Sünde im Kontext der Klimakatastrophe nicht harmlos oder sprachgeschichtlich zufällig, sondern motiviert. Ich würde also nicht sprachanalytisch im Sinne des späten Wittgensteins, sondern diskursanalytisch nach Foucault (oder ideologiekritisch im Sinne der Frankfurter Schule) argumentieren. Mir ist schon klar, dass eine solche diskurs- oder ideologiekritische Herangehensweise immer hypothetisch (d.h. strategisch unterstellend und in diesem Sinne problematisch) ist. Nicht zufälligerweise gehört sie zu den sog. "Hermeneutiken des Verdachts". Aber fragen wir einmal so: Nehmen wir also an, der Ausdruck "Sünde" im Kontext der Klimadiskussion sei nicht neutral, sondern ein Symptom (für eine bestimmte Konstellation von Interessen oder Konflikten), was lernen wir über die Funktionsweise des Klimadiskurses, wenn wir dieser Spur folgen? Meine Vermutung war eben, dass sich darin eine bestimmte Verharmlosung klimaschädlichen Verhaltens abzeichnet, mit der wir (auch vor uns selbst) die Folgen solchen Verhaltens verdecken wollen. Folgen wir dieser Spur weiter, dann lässt sich etwa auch der Handel mit CO2-Emissionen (oder die CO2-Kompensation eines Fluges) als Ablasshandel fassen (eine Parallele, die schon vielfach gezogen wurde). Dahinter steht die Vorstellung, dass klimaschädigendes Verhalten wieder gut gemacht werden kann durch das Verrichten (oder Verrichtenlassen) guter Werke. Die (lässliche) "Sünde" steht also in einem engen Bezug zur Möglichkeit von Busse und Vergebung. Setzen wir das in Bezug zur Klimadiskussion in den Wissenschaften, so wird klar, was daran die Verzerrung ist. Der Ausstoss von CO2 ist kein (moralischer, theologischer) Fehltritt, sondern eine Schädigung des Weltklimas und der Lebensmöglichkeiten der folgenden Generationen. – Und noch zu Ihrer Frage: Ich würde den Ausdruck "Klimaschädiger" bevorzugen. Er besitzt eine deutliche hörbare rechtliche Konnotation und scheint mir das, was wir in Bezug auf das Klima wisssen, neutral zu beschreiben.
Danke für den Beitrag. Ich habe an den Solothurner Filmtagen den Film État
de nécessité (https://www.solothurnerfilmtage.ch/…-necessite) von Stéphane Goël gesehen. Er beschäftigt sich mit der Frage nach den Möglichkeiten des zivilen Ungehorsams angesichts der Klimakrise. Da in den Gerichtsälen in der Schweiz nicht gefilmt werden darf, traten nach der Vorführung 4 Anwält:innen auf die Bühne des Theaters Solothurn und hielten dort ihre Plädoyers. in französischer Sprache hier teilweise zu sehen. (https://www.rts.ch/docs/13519102-pl…limat.html) Total erhellen. Es waren dabei auch Anwältinnen, die die Klimaseniorinnen in Strassburg vertreten. Eine der anwesenden Anwältinnen engagiert sich für La Marche bleu. Der Marche Bleue findet vom 1. bis 21. April von Genf nach Bern statt und soll Lösungen für den Klimawandel popularisieren. (https://lamarchebleue.ch/).
Vielen Dank für den zweiten Link! Die Plädoyers sind ziemlich beeindruckend, vor allem Raphaël Mahaim und Irène Wettstein, und habe danach den Film auch noch geschaut. État de nécessité ist leider nicht mehr direkt verfügbar auf RTS, aber man kann ihn hier gratis anschauen mit deutschen Untertiteln: https://www.playsuisse.ch/fr/show/1903791
und auch leierhafte beschämte zuversichtliche Grossmutter -
Herzlichen Dank an Frau Roda Verheyen und die Republik!
„ich glaube, der Gerichtshof für Menschenrechte wird den Klimaseniorinnen recht geben“ wie wohl doch diese Aussage tut!
Liebe Frau Roda Verheyen, wie ich lese höre, werden Sie zum gegebenen Zeitpunkt am Gerichtshof in Strassburg anwesend sein mit den Klimaseniorinnen. Wie wäre es, wenn Sie zum Auftakt der Unerschütterlichen folgendes Video -
Astronaut Alexander Gerst - präsentieren würden…
https://www.youtube.com/watch?v=eEPzwQdp27Y
Ich wiederhole es wo ich nur kann -
Umweltschutz Menschenschutz Tierschutz kann nur Hand in Hand mit Abrüstung geschehen!
Ich schäme mich, wenn ich in die Augen der Erdenkinder blicke!
Kinder haben ein Recht auf ein unbeschwertes unversehrtes Leben!
Ihnen habe ich meine Poesie gewidmet -
https://poesie-der-augenblicke.ch/Grossmutter/
Jeder Staat muss sich an ein schlüssiges CO2-Budget halten, das sich wissenschaftlich aus den Pariser Zielen ableiten lässt. Und jeder grosse Emittent muss das Gleiche tun. Wenn das alle täten, gäbe es keinen Konflikt mehr darüber, wer als Erstes tätig wird. Damit würde auch die Diskussion, ob in einem Land mehr getan wird als in einem anderen, versiegen. Und es wäre endlich das geschafft, was wir seit Jahren brauchen: die Einhaltung von Völkerrecht und Menschenrecht.
Danke für dieses Plädoyer. Eigentlich wäre es so einfach! Wie erreichen wir, dass dieses Konzept bei der Politik und den Klimakonferenzen ankommt und angepackt wird?
Was ich durch den ausserordentlich verdankenswerten Beitrag von Frau R. begriffen habe über das Funktionieren der Schweiz: wer etwas ändern will, braucht eine Mehrheit, Einsicht der Bevölkerung, einen Meinungsumschwung. In der Schweiz werden Veränderungen über langwierige politische Prozesse ausgehandelt. Bis jetzt gilt: für Rücksichten auf den Klimaschutz ist noch Zeit. Sehr bald finden wieder Wahlen statt und da werden ganz andere Themen bewirtschaftet, von denen sich die einzelnen Parteien einen Zuwachs an Wählerstimmen erhoffen. Es bleibt mir nichts anderes übrig als in meinem Alltag an diesem Meinungsumschwung zu gunsten des Klimaschutzes zu arbeiten. Danke an Frau Hürlimann, ich habe erst heute im Journal den Beitrag von Frau R. gelesen.
Irgendwo in den Dialogbeiträgen fragte jemand nach anderen Fällen, neben den Klima-Seniorinnen und dem Huaraz Fall, der im Artikel ebenfalls erwähnt wird. Habe mich in der Zwischenzeit bei Prof. Malte Gruber (vormals Uni Luzern, nun Uni Giessen) schlau gemacht, der sich aus Rechtsphilosophischer Perspektive mit dem Thema auseinandersetzt (womit ihm für die nachfolgende Liste gedankt sei).
Einer der jüngsten erfolgreichen Fälle ist:
Vereniging Milieudefensie et al. v. Royal Dutch Shell PLC (The Hague District Court, C/09/571932 / HA ZA 19-379 [26 may 2021], in englischer Fassung abrufbar unter: https://uitspraken.rechtspraak.nl/i…:2021:5339
Weitere Fälle:
Urgenda Foundation v. The State of the Netherlands (Ministry of Infrastructure and Environment) (The Hague District Court, C/09/456689/HA ZA 13-1396 [24 june 2015])
Seehunde in der Nordsee v. Bundesrepublik Deutschland (Verwaltungsgericht Hamburg, 7 VG 2499/88).
River Ganges and Yamuna Case: Mohammad Salim v. State of Uttarakhand et al. (High Court of Uttarakhand, Writ Petition (PIL) 126/2014, [20 march 2017]) and Lalit Miglani v. State of Uttarakhand et al. (High Court of Uttarakhand, Writ Petition (PIL) 140/2015 [30 march 2017]); aufgehoben durch den Supreme Court of India, State of Uttarakhand et al. v. Mohammed Salim et al. (Special Leave to Appeal (C) No. 016879/2017 [7 july 2017])
Punjab and Haryana High Court, Court on its own motion v. Chandigarh Administration, CWP No. 18253 of 2009 and other connected petitions of 2 March 2020, granting personhood to Sukhna Lake in Chandigarh (India)
River Atrato Case: Center for Social Justice Studies et al. v. Presidency of the Republic of Colombia et al. (Verfassungsgerichtshof Kolumbien, Urteil vom 10. November 2016, T-622/2016, in spanischer Fassung abrufbar unter: https://www.corteconstitucional.gov…622-16.htm)
Sierra Club v. Rogers C. B. Morton (US Supreme Court, 405 U.S. 727 [19 april 1972])
Das Datum des letzten Falles zeigt: irgendwann muss irgendwer mal anfangen, damit etwas erreicht wird.
Republik AG
Sihlhallenstrasse 1
8004 Zürich
Schweiz