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Der Artikel zum Traurigen Vorfall beginnt mit "Am vergangenen Montag werden im Frankfurter Haupt­bahnhof ein 8-jähriger Junge und seine Mutter vor einen einfahrenden ICE gestossen. (...) Der mutmassliche Täter versuchte auch, eine 78-jährige Frau aufs Gleis zu stossen."
Mir fällt schon seit einiger Zeit auf, wie der Gebrauch des Worts "mutmasslich" zu einem Ritual unter Journalisten zu verkommen scheint. Zum Beispiel hier in diesem Artikel: warum wird der Täter hier als mutmasslich bezeichnet? Ist nicht bekannt, ob es die gleiche Person war, welche Mutter und Kind und auch die 78-jährige Greisin gestossen hat? Dann hätte man wohl anstelle von "Der mutmassliche Täter" auch einfach "Jemand" schreiben können. Oder ist nicht klar, ob es überhaupt einen Täter gegeben hat?
Es leuchtet mir unmittelbar ein, dass bei einem Verhafteten von einem "mutmasslichen Täter" zu sprechen ist, solange nicht fest steht, dass man den Richtigen verhaftet hat. Aber bei einer Schilderung eines Tathergangs kann doch sicher nicht derjenige, der die Untat begeht, ein mutmasslicher Täter sein.

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Ich danke Ihnen für den Kommentar, Herr P. Eine Journalistin ist keine Richterin, und sollte sich demnach auch nicht wie eine verhalten. Sie wissen das natürlich, trotzdem will ich das hier betonen. Solange kein Urteil vorliegt, müssen wir von einem mutmasslichen Täter schreiben (oder einem Beschuldigten, Verdächtigen etc.). Das sieht vielleicht plump aus, aber ist aus einer rechtsstaatlichen Perspektive immens wichtig. Auch wenn die Staatsanwaltschaft eine Person in U-Haft setzt und Details zum Tathergang preisgibt. Das Urteil ist in dieser Diskussion zentral. Erst dieses bestimmt letztlich, ob der Verdächtige "der Richtige" ist, wie Sie schreiben. Das müssen wir respektieren.

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Der Artikel im New Yorker über Dershowitz sieht nicht einfach, wie die "Republik" meint, "hinter die Fassade". Zum ersten ist er schlecht, langfädig, repetitiv und geschwätzig. Der New Yorker war einst ein Kultmedium, heute kocht er offenbar auch nur noch mit Wasser.

Zum zweiten bedient er (und dies sicher nicht ganz naiv) antisemitische Stereotypen. Der orthodoxe Judenbub aus Brooklyn, der intelligenter als alle ist, aber halt auch sehr triebhaft, kommt in der Person von Epstein und Dershowitz gerade zwei Mal vor. Der triebhafte, intelligente und verschlagene Jude, der sich am Fernsehen in den Vordergrund drängt), schöner könnte auch der Stürmer Dershowitz nicht beschrieben haben. Ich bin immer misstrauisch, wenn Journalisten Menschen beschreiben, die prototypisch Fremdstereotypen entsprechen.

Zum dritten hat der Artikel auch nicht viel Essenz. Dershowitz sagt, dass er nur zu seiner Frau sexuelle Beziehungen unterhält. Der New Yorker weiss eigentlich nichts anderres. Er berichtet darüber, dass die Scheidung von der ersten Frau sehr hart gewesen sei und diese dann Selbstmord gemacht habe. Was hat dies mit dem Fall Epstein zu tun? Er berichtet darüber, dass Dershowitz in seinen Vorlesungen sehr oft über Vergewaltigungsfälle geredet habe und sich Harvard-Studentinnen beklagt hätten. Der Klassiker: triebhafter Jude gegen puritanische Studentin. Von irgendwelchen Belästigungen von Studentinnen ist aber nichts bekannt. Und dass ein Strafprozesslehrer gerade die Vergewaltigungsfälle prominent behandelt, weil dort die Unschuldsvermutung am gefährdesten ist, ist eigentlich nachvollziehbar.

Man kann Deshowitz nicht einmal vorwerfen, dass er ein Jury-Verführer und Blender sei, er war Berufungsanwalt und hatte es damit mit extrem gut ausgebildeten zweitinstanzlichen Richtern zu tun, wo er nur rechtlich stringent und nicht emotional argumentieren konnte. Der Vorwurf, dass er unsympathische Klienten vertreten hat und Schuldigen zu Freisprüchen verholfen hat, ist mit Bezug auf einen Strafverteidiger dorch eher kindlich.

Bleiben also eigentlich nur die Anschuldigungen von Frau Giuffre. Nun, Frau Giuffre hat bereits bei Epstein und Dershowitz abkassiert, ihre Geschichte an Zeitungen verkauft und will es nun noch einmal wissen. Eigentlich nicht das Profil des typischen traumatisierten Missbrauchsopfers. Wieso - ohne irgendwelchen anderen handfesten Beweise - der New Yorker so stark auf sie abstellt, ist unerfindlich. Nicht ganz unerfindlich, Dershowitz ist politisch unkorrekt hat sich als Demokrat für die Wahl von Justice Kavanaugh eingesetzt (wie übrigens auch die American Bar Association) und das macht ihn im polarisierten Amerika zur Unperson (für die Linke, für die Rechte ist er wahrscheinlich zu elitär und zu wenig fromm). Demontage einer Ikone der Jurisprudenz gestützt auf das Zeugnis einer Golddiggerin, das ist nun etwas billig.

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· editiert

Die politischen Motive des New Yorker kenne ich nicht, aber Epsteins Verhaftung, der Rücktritt von Acosta, die anstehende Klage von Giuffre gegen Dershowitz wegen Verleumdung und seine medialen Auftritte machen eine Aufarbeitung der Vorgeschichte in der Presse nachvollziehbar. Die Sache ist aktuell. Das würde in der hiesigen Presse von rechts bis links - mit unterschiedlicher Erwähnung und Gewichtung der Details - wohl auch nicht anders gehandhabt.

Bezüglich Langfädigkeit des Artikels teile ich Ihr Urteil, aber dass Geld, Macht und Geilheit (im Fall von Epstein) zu Selbstüberschätzung und damit -gefährdung führen können, ist weder spezifisch jüdisch noch scheint mir das Nachzeichnen des Geschehens speziell antisemitisch. Aber vielleicht bin ich diesbezüglich nicht hellhörig genug, da nicht selber betroffen. Das mag sein. Der Gegensatz aber, den Sie zwischen der 'Ikone der Jurisprudenz' und der gierigen 'Golddiggerin' auftun, ist nun ebenfalls eine Gegenüberstellung zweier stark werthaltiger Stereotype, wie Sie sie ja eigentlich dem Artikel im New Yorker vorwerfen.

Bei mir hat der Text eher den Eindruck einer tragischen Geschichte hinterlassen, in der sich 'die Wahrheit' über das Vorgefallene zwischen den sich vervielfachenden Aussagen und involvierten Anwälten zunehmend verflüchtigt.
Mir ist am Ganzen vor allem ein Satz im Gedächtnis geblieben: Wer sich zu Hunden legt, steht mit Flöhen auf. Soweit ich es verstanden habe, kreidet der Artikel Dershowitz weniger an, dass er unsympathische Klienten vertreten und Schuldigen zu Freisprüchen verholfen habe, sondern eher, dass er es an Distanz zu einem seiner Mandanten und dessen Vorliebe für junge Mädchen/Frauen mangeln liess. Ist das üblich, dass man 'Freunde' in Strafverfahren vertritt, die am Ende, wenn man ihnen nichts mehr nützen kann, weil selber angeklagt, über einen sagen: XY is out of his mind?

Wer in dieser verworrenenen Geschichte nun genau was zu verantworten hat, dröseln hoffentlich die Gerichte auf, und restlos wird dieser ganze Schlamassel vielleicht nie geklärt. So aus der Ferne zu einem eindeutigen Urteil kommen zu wollen, scheint mir aber etwas gewagt. Grundsätzlich können auch Ikonen stolpern.

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Liebe Frau J., ich teile Ihre Kritik an meiner Kritik weitgehend. Vielleicht habe ich zu stark mit Stereotypen gearbeitet. Damit es keine Missverständnisse gibt, es ist selbstverständlich, dass gerade bei Dershowitz, der die mediale Öffentlichkeit liebt, diese Geschichte von den Medien aufgenommen werden darf und vielleicht sogar muss. Das war nicht meine Kritik (aber das haben Sie auch nicht behauptet). Ihre Hoffnung, dass die Gerichte dies aufdröseln können, teile ich eher nicht.

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