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Ende Januar ist meine Schwägerin aus Senegal uns in der Schweiz besuchen gekommen. Wir haben fristgerecht für Mitte Dezember das Visumgesuch auf der schweiz.Botschaft in Dakar eingreicht. Zuuerst wurde es abgelehnt, weil "Arbeiten für Familie" bewilligungspflichtig sei. Wir erklärten, dass es um Familienbesuch, nicht Arbeit gehe. Dann wurde es abgelehnt wegen unklarer Begründung des Aufenthaltes. Ich legte Rekurs ein beim Staatssekretariat für Migration, musste 13 Fragen über meine Schwägerin und uns beantworten inkl. Kopie Lohnabrechnungen und Betreibungsregister-Auszug. Rekurs nach 3 Wochen stattgegeben. Auf dem Flughafen in Dakar wurde meiner Schwägerin die Echtheit des Visums angezweifelt, bei der Einreise in die Schweiz wurde sie auf Kokain gefilzt, musste sich nackt ausziehen. Endlich ist sie mit über 1 Monat Verzögerung angekommen. Wenn ich die Familie in Senegal besuchen will, kauf ich ein Ticket, nehme meinen Pass und reise hin. In Senegal werde ich mit freundlichem Lächeln willkommen geheissen. Das bedeuten institutioneller Rassismus und weisse Privilegien.
Ein leidiges und bekanntes Thema: die Beamten scheinen oft zu vergessen, dass die Schweizer Bürger das Recht haben Gäste einzuladen und dass die Verwaltung die Pflicht hat die nötigen Prozesse speditiv und freundlich zu erledigen.
Die Botschafts- und Verwaltungsrealität zeigt leider ein anderes Bild: selbst ernannte «Richter», unklare Kompetenzen, unfreundliche und schleppende Verläufe - und die latente Einstellung, dass alles was vom Ausland kommt prinzipiell mit Verbrechen zu tun hat.
Es würde mich freuen, in der Republik mehr zu diesem Thema zu lesen.
Struktureller Rassismus fängt in dem Moment an, wo wir akzeptieren, dass unser Zugang zu immer billigerem Fleisch höher zu gewichten ist als Lebensraum, Kultur und Gesundheit indigener Völker im Amazonas. Er geht dort weiter, wo wir unseren Zugang zu billigen T-Shirts höher gewichten als eine Kindheit, Schulbildung und Gesundheit von Kindern in Bangladesch. Unser gesamter Alltag, unsere Lebensweise, unser Konsum - fast alles basiert auf der Grundannahme, dass unsere Wünsche und Bedürfnisse höher zu gewichten sind als die Interessen aussereuropaischer Menschen und Kulturen.
Ich denke es bringt für die Rassismus-Diskussion nichts, wenn nun alle möglichen Übel dieser Welt auf angeblichen Rassismus zurückgeführt werden. Billige T-Shirts werden gekauft, weil sie billig sind, unabhängig davon, wer sie produziert hat. Ob es den Produzent(inn)en der T-Shirts besser gehen würde, wenn man die T-Shirts nicht kaufen würde, ist dann nochmals ein anderes Thema.
Natürlich werden die nicht aus Rassismus gekauft. Aber dass man Kinder nicht in Fabriken schuften lässt, gilt für unsere mitteleuropäischen Kinder seit 1830 (GB) bzw 1877 (CH).
Dass wir diese Selbstverständlichkeit nicht für alle Kinder einfordern, sondern nur für die, die gleich aussehen, wie wir - wie soll man das anders nennen als Rassismus?
Ich habe häufig das Gefühl, dass in der Schweiz die Verantwortung auf andere Nationen abgeschoben wird. Man stehe schliesslich nicht an der Front, schwinge die Peitsche nicht selbst, lasse keine Gifte ins eigene Abwasser. Das machen die anderen. Wir reden uns ein nur die neutralen Mittelsmänner zu sein.
Ich bin gespannt, wie gegen die Konzernverantwortungsinitiative argumentiert werden wird.
Ja gerade in der Schweiz ist das Prinzip nur für sich selbst verantwortlich zu sein sehr verbreitet und dementsprechend hassen es viele Schweizer wenn andere angeblich nicht nur vor ihrer Tür wischen. Eine Verantwortung einzufordern lösst bei vielen ein Gefühl der Schuld aus wobei sie instinktiv mit Ablenkung, Leugnung oder Abwehr reagieren.
Ich denke viele haben ein grosses Problem mit der Ambivalenz theoretisch falsch gehandelt zu haben und trotzdem nicht schuldig, kein schlechter Mensch sein zu müssen. Sie möchten lieber gar nicht in ein Verhältnis der Verantwortung gezogen werden.
So ist die Schweizer Neutralität für mich letzlich wenig mehr als eine schöne Phrase. Keiner kann letzlich wirklich neutral sein, wenn er auf irgendeine Art beteiligt ist. Wir können militärisch Neutral bleiben, aber solange wir mit einem Partner handeln, gemeinsame Projekte realisieren oder ihn unterstützen ist es eine Farce uns vormachen zu wollen unsere Pflichten seien vor der eigenen Tür erledigt. Immer wenn wir mit jemandem interagieren beziehen wir Stellung, ob nun durch Taten oder deren Unterlassung...
Wie gut gibt es die Republik! Gerade die Möglichkeit ein Schwerpunkt-Thema aus mehreren Perspektiven und über eine längere Zeit zu be- und vier arbeiten, ist für mich zu einem unverzichtbarem Wert geworden.
Klar bewegen wir uns als LeserInnen der Republik auch in einer Filterblase. Diejenigen, die vom Lesen dieser Artikelserie am ehesten profitieren und ihre Gesinnung hinterfragen könnten, werden wir hier wohl eher nicht antreffen, oder irre ich mich da?
Mit der Fernsehserie ‚Roots‘ aufgewachsen, bin ich, obwohl nie wirklich direkt konfrontiert, für dieses Thema stark sensibilisiert.
Hilfreich ist für mich jeweils das Prinzip das ‚Rollen-/ Perspektiven-Wechsels. Sich einmal, so intensiv wie es halt geht, in die Situation des anderen, der divergenten Gruppe zu versetzen, hat eine ungemein Einsicht gebende und läuternde Kraft.
Der von Ihnen beschriebene Rollen- und Perspektivenwechsel ist nicht nur hilfreich, sondern ohnehin eine Grundvoraussetzung eines gelungenen Miteinanders - sowohl in der individuellen Begegnung, als auch bei der etwas abstrakteren Solidarisierung mit Gruppen oder Menschen, welche nicht unmittelbar in unserer zeitlichen und räumlichen Nähe sind. Ich wage zu behaupten, es handelt sich dabei um eine Fähigkeit und Kompetenz, welche weit mehr noch in der Bildung gefördert werden müsste.
Eine spannende Unterscheidung, welche mir in diesem Zusammenhang relevant erscheint und mir erst kürzlich bei der Lektüre von Bregmann's Buch: Im Grunde gut aufgefallen ist, wäre die zwischen Empathie und Mitgefühl. Empathie ist immer sehr konkret und z.B. auf ein Kind in Gefahr gerichtet. Insofern kann Empathie auch zu einer starken Ausgrenzung führen, weil man sich eben nur ganz spezifisch mit jemensch identifiziert. Mitgefühl hingegen hat eine universelle Dimension und die Praxis von Mitgefühl fordert von uns die Auseinandersetzung mit Reflexen, Habitus und Mustern. Ein Fokus auf Mitgefühl anstatt von Empathie könnte auch berüchtigten Aussagen, wie: "Ich bin kein Rassist, ich habe auch Freunde, die Schwarz sind." vorbeugen.
Dies würde einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten um sowohl individuellen, als auch strukturellen Rassismus stark zu vermindern.
@A. B.
Ich versuche es mit einer kurzen Analogie: die Unterdrückung der Frauen wird vom Feminismus auch nicht nur auf der Ebene individueller Angriffe (sexistische Äusserungen, sexuelle Belästigung etc.) bekämpft, sondern auch auf struktureller Ebene (Rollenbilder, Lohnungleichheit, Verteilung von Reproduktionslasten etc.). Deshalb wäre es ebenso falsch, Rassismus nur durch die Elimination rassistischer Übergriffe bekämpfen zu wollen, denn diese sind sozusagen nur die sichtbaren Eruptionen der zugrundeliegenden strukturellen Probleme.
Klar, einverstanden: der Rassismus von Menschen manifestiert sich nicht nur in ihren individuellen „Übergriffen“, sondern auch in ihren rassistischen Geschäftspraktiken, Anstellungskriterien, Policies, SOPs, Hausordnungen, Gesetzen, Vergütungspraktiken, Zulassungsbedingungen, Erziehungssystemen, Philosophien etc. etc. Das war schon immer so und liegt in der Natur der Sache. Rassistische „Systeme“ werden aber immer durch Menschen geschaffen, durch Menschen aufrecht erhalten, von Menschen toleriert, und können nur durch Menschen wieder abgeschafft werden. Das beginnt immer mit dem Gerechtigkeitssinn von einzelnen Menschen, die, wenn sie genügend zahlreich sind, entsprechende Veränderungen herbeiführen können. Auf diese Weise (wenn auch nur langsam) hat unsere Gesellschaft in den letzten 200 Jahren im Kampf gegen Rassismus schon grosse Fortschritte erzielt, und wir sind damit noch nicht am Ende. Was genau bringen uns jetzt aber diese neuen Theorien zu dieser Sache? Was nützt es, plötzlich so akribisch zwischen zwei Arten von Rassismus zu unterscheiden, die eine davon als uninteressant und nicht besonders wichtig abzutun, und zur anderen eine ganze komplizierte Theorie zu basteln? Kämen wir nicht gleich weit, wenn wir weiterhin schlicht und einfach von Rassismus sprechen und in einfachen, für alle nachvollziehbaren Begriffen darüber nachdenken und sprechen würden?
Ihr Eindruck, dass individueller und struktureller Rassismus zwei Seiten derselben Medaille sind und damit nicht als zwei unabhängige Dinge betrachtet werden können, ist völlig richtig. Falsch ist jedoch der Vorwurf, dies werde gemacht. Die Autor*innen schreiben schon am Anfang des Artikels von Diskursen (z.B. das SVP „Schäfchenplakat“), in denen das „Bild der nicht assimilierbaren, aussereuropäischen, barbarischen anderen bedient“ wird. Natürlich ist der Fall der SVP Plakate ein Fall von unverblümtem individuellem Rassismus, doch das Bild, auf das zurückgegriffen wird, ist historisch-strukturell verankert. Die Autor*innen schreiben in diesem Zusammenhang von einem „Archiv“: „Solche Bilder sind Teil von historischen Mustern, die das Schweizer Selbstverständnis seit dem 19. Jahrhundert mitgeprägt haben. Sie sind damit Teil eines unmissverständlichen und unhinterfragten Archivs, das in zeitgenössischen Debatten immer wieder hervorgezogen werden kann, um Schwarze Menschen und People of Color zu entmenschlichen, zu dämonisieren und als in der Schweiz nicht zugehörig zu erklären.“ Dieses Archiv ist in den Köpfen der Menschen abgelegt und das ist der Punkt, wo struktureller und individueller Rassismus zusammenkommen.
Das Archiv (das übrigens noch mehr beinhaltet als die „Nicht-Assimilierbarkeit,“ und das „Barbarentum“ der „aussereuropäischen Anderen“) ist auch in den Köpfen derjenigen, die gar nicht rassistisch sein wollen. Zwei Beispiele dazu: 1) Mir (als weissem Mann) ist es schon passiert, dass ich eine Schwarze Person unwillkürlich auf Englisch angesprochen habe, im Gespräch merkten wir dann, dass wir beide Schweizerdeutsch sprechen. 2) Der niederländischen Anthropologieprofessorin Gloria Wekker wurde vor einem Workshop, den sie leiten sollte, von einem Teilnehmer die Jacke abgegeben, da er davon ausging, sie sei vom Bedienungspersonal. In beiden Fällen war es den Weissen nachher sehr peinlich, es war nicht bewusster Rassismus. Dennoch waren auch ihre Reaktionen vom kolonialen Archiv geprägt. Im ersten Fall wurde automatisch davon ausgegangen, dass die Person nicht von hier ist, allein aufgrund ihrer Hautfarbe. Mein Englisch hat vermittelt, dass die Person ja wohl kaum Zürcher*in sein kann. Im zweiten Fall ist allein aufgrund von Wekkers Hautfarbe davon ausgegangen (und vermittelt) worden, dass sie ja wohl kaum Professorin und Leiterin des Workshops sein kann, sondern zum Servicepersonal gehören muss.
Auf solche Beispiele wird gerne entgegnet, dass dies aber „statistisch gesehen“ nun einmal häufiger so sei, und deshalb einfach den wahrscheinlichsten Fall antizipiert wurde. Dies könne ja nicht rassistisch sein. Diese Antwort ist aber aus verschiedenen Gründen problematisch. Einerseits ändern die Motivationen der Reaktionen nichts an ihrer Wirkung. In beiden Fällen wurde das Gegenüber ausgeschlossen oder erniedrigt, was diskriminierend ist. Weiter kann man sich gerade im zweiten Fall fragen, weshalb es immer noch so ist, dass nichtweisse Menschen in der Niederlande öfter im Niedriglohnsektor arbeiten statt z.B. als Professor*innen. Die Reaktion widerspiegelte also auch eine strukturelle Benachteiligung im Arbeitsmarkt. Und zuletzt wurde die Reaktion in beiden Fällen allein aufgrund eines äusserlichen Merkmals ausgelöst (der Hautfarbe), was an sich schon problematisch ist. Oft wird zur Verteidigung angefügt, man könne die Hautfarbe ja nicht übersehen, das könne ja nicht rassistisch sein. Doch Menschen könnten eigentlich auf ganz viele Arten in unterschiedliche Gruppen eingeordnet werden. Man könnte sie z.B. nach Haarfarbe oder nach Grösse unterscheiden und sie aufgrund dieser Merkmale beurteilen und entsprechend behandeln. Auch diese Merkmale sind unübersehbar. Doch das wird nicht gemacht. Wir haben kein Archiv in unseren Köpfen, das diese Attribute bedeutungsvoll macht (wobei es durchaus Kontexte und „Kulturen“ geben mag, in denen diesen Merkmalen Bedeutung zugeschrieben wird). Aufgrund der kolonialen Vergangenheit gibt es aber ein solches Archiv für Hautfarben und so wird mit Schwarzsein Fremdheit (auch im Sinne von „nicht-zu-uns-gehörig“, "nicht-hierher-gehörig"), fehlende Bildung, „Nicht-Assimilierbarkeit,“ „Barbarentum“ usw. verbunden. Es zeigt sich also, dass die Geschichte auch heute im individuellen Handeln vorhanden ist und reproduziert wird. Struktureller, historisch tradierter Rassismus und individueller Rassismus sind untrennbar. Das heisst aber nicht, dass wir – wie Sie vorschlagen – „nur“ individuellen Rassismus bekämpfen können und getrost auf die „abstrakt wirkenden Theorien und Begriffe“ verzichten dürfen. Individueller Rassismus ist ohne ein Verständnis von strukturellem Rassismus gar nicht verständlich. Die Theorie ist zudem auch nicht so schwierig zu verstehen, wie ich finde.
Dies soll allerdings kein Plädoyer für „Farbenblindheit“ sein, also das Ziel, die Hautfarbe von Menschen zu übersehen. Das Archiv gibt es nun einmal, die koloniale Vergangenheit kann nicht ungeschehen gemacht werden. Es ist, wie Herr Rebosura ebenfalls schon erwähnt hat, aber auch keine Entschuldigung. Für das Archiv in unseren Köpfen können wir nichts, es ist jedoch unsere Verantwortung, strukturellen und individuellen Rassismus und ihre Verschränkungen anzuerkennen, zu thematisieren, zu reflektieren und abzubauen, um rassistische Diskriminierung in allen seinen Facetten zu bekämpfen. So verstehe ich den im Artikel geforderten Anti-Rassismus.
Sie geben sich die Antwort auf ihre Frage ja bereits selbst: Um Rassismus «nicht nur in ihren individuellen ‹Übergriffen›, sondern auch in ihren rassistischen Geschäftspraktiken, Anstellungskriterien, Policies, SOPs, Hausordnungen, Gesetzen, Vergütungspraktiken, Zulassungsbedingungen, Erziehungssystemen, Philosophien etc. etc.» aufzuzeigen, zu kritisieren und zu transformieren.
Und diese «komplizierte Theorie zu basteln» ist notwendig, weil das Systemische – wie Sie ja selbst sagen – «in der Natur der Sache» liegt.
Ich bin den Autorinnen und Autoren der drei Beiträge in der heutigen „Republik“ sehr dankbar, dass mit unterschiedlichen Sichtweisen die komplexen Zusammenhänge zwischen individuellem und strukturellem Rassismus in der Schweiz so gut dargestellt werden und auch die geschichtliche Dimension ihren Platz hat.
Rassistische Verhaltensweisen wurden uns als Angehörige der älteren Generation früh eingeimpft. Ich erinnere mich, wie wir in der Primarschule in den fünfziger Jahren unter Anleitung der Lehrerin das Spiel spielten, in dem eine dafür bestimmt Schülerin oder Schüler rief: „Was weit dr mache, we dr schwarz Ma chunnt?“ und alle andern antworteten: „Usrisse u flie!“ und davon rannten, um sich nicht fangen zu lassen.
Als Kind dachte ich bei diesem Spiel, jedoch immer an einen Kaminfeger oder an den schwarzen Tod (Menschen mit Pestmasken). Ich habe mit diesem Spiel keine POC in Verbindung gebracht. Zudem stellte ich als Kind fest, dass POC anders aussehen als ich. Was an sich kein Rassismus ist. Es fiel mir einfach auf, dass diese andere Haare haben, andere Hautfarbe, etc. und das weckte für mich als Kind mein Interesse an diesen Menschen. Vor allem fiel mir immer auf - wohl aufgrund des Farbkontrastes - dass diese Menschen für mein Empfinden "weissere" Zähne hatten und daraus folgten Fragen an meine Mutter (warum haben diese Menschen schönere Zähne als wir?). Auch staunte ich als Kind, dass die Handinnenfläche bei POC Menschen, heller sind als die Handoberfläche. Ich fand das einfach verwunderlich. Ich muss hier anmerken, dass ich eher aus konservativem Elternhaus stamme. Mit diesem Beispiel möchte ich aufzeigen, dass ein Kind nicht automatisch, wenn von "schwarze Maa" oder so etwas in der Art an POC denkt.
Mag sein, dass viele der Aussagen, die in diesem Artikel gemacht werden, in Geisteswissenschaften als Wahrheit gelten, aber sie bleiben weit unterhalb dieses anspruchsvollen Niveaus. Sie sind nicht im wissenschaftlichen Sinn wahr (empirisch ausreichend belegt, methodisch so formuliert, dass sie auch widerlegt werden können), auch dann nicht, wenn sie von zwei Wissenschaftlerinnen vertreten werden. In Uni-Seminaren und unter Gleichgesinnten mögen sie möglicherweise als Wahrheit gelten, kraft sozialen Konsenses in der In-Gruppe. Dann präsentiere ich halt hier mit mir eine Person, die nicht dieser In-Gruppe angehört und die sagt: Ich glaube das nicht, es ist nicht wahr. Es sind Prämissen einer totalitären Ideologie (Critical Race Theory), keine Erkenntnisse. Am liebsten würde ich den Kopf schütteln, auf Berndeutsch ein verärgertes "So ne Seich!" grummeln und interessantere Dinge lesen. Aber man darf nicht mehr unwidersprochen hinnehmen, dass die Terminologie und die Ideen dieses totalitären Gedankenguts in die Alltagssprache diffundieren und unsere sozialen Institutionen (Universitäten, Arbeitgeber, politische Institutionen, etc) vergiften. Man darf es nicht mehr, weil wir inzwischen in den USA beobachten können, zu welcher Gefahr diese Ideologie für die offene Gesellschaft werden kann. Hier bitte keine hämischen Trump-Kommentare. Ich bin alles andere als ein Trump-Fan und es ist mir bewusst, dass der offenen Gesellschaft auch von anderer Seite Gefahr droht – nur eben auch, und nicht zu knapp, von den ideologischen Strömungen, die uns die beiden Autorinnen hier als Propaganda andrehen wollen.
Bereits der Anreisser reizt zum Widerspruch: «Zum ersten Mal prangert eine breite Öffentlichkeit den strukturell verankerten Rassismus in der Schweiz an». In keiner Art und Weise, das ist eine leere Behauptung. Die breite Öffentlichkeit in der Schweiz spricht sich gegen Rassismus aus, ja, 99% der Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz, mit Ausnahme einiger unverbesserlicher Hohlköpfe, sind keine Rassisten. Sie sprechen sich gegen Rassismus aus und sie geben sich aufrichtig Mühe, Rassismus entgegenzutreten und sich nicht rassistisch zu verhalten. Aber es gibt keine breite Öffentlichkeit, die «strukturell verankerten Rassismus anprangert» – zum Glück noch nicht und hoffentlich nie. «Strukturell verankerter Rassismus» ist ein Konzept aus einer fragwürdigen Ideologie (Critical Race Theory), das man nicht anprangern, sondern ablehnen muss. Der Anreisser sollte lauten: «Weiterhin lehnen Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz das totalitäre Konzept eines strukturell verankerten Rassismus in der Schweiz ab. Sie stehen als Individuen in ihrer offenen Gesellschaft gegen Rassismus ein.»
«... und dem Rassismus in der Schweiz, der sich vor allem entlang der Frage der Staatsbürgerschaft zeige» – Rassismus dehnen die Autorinnen jetzt schnell, schnell auf «Fragen der Staatsbürgerschaft» aus. Bei diesem lockeren Umgang mit dem Konzept Rassismus müssen sie sich nicht wundern, wenn ich ihnen ideologische Propaganda vorwerfe. Zur Erinnerung: Die Schwarzenbach-Initiativen wurden durch die CH-Bevölkerung abgelehnt. Die Bevölkerung der Schweiz hat eben gerade «richtig» (in meinem Sinn, und zweifellos auch im Sinn der Autorinnen) entschieden. 50 Jahre später dann die Stirne in Falten legen und deklamieren, "ja schon, aber es war knapp, und überhaupt, dass man darüber gesprochen hat, und dann all die Traumata, die das verursacht hat - struktureller Rassismus!" und so weiter und so fort – das ist unredlicher AgitProp.
«Wer Rassismus nur auf die Frage nach dem Pass einschränkt, übernimmt im K. die individualisierte und ahistorische antirassistische Sichtweise: Denn diese Perspektive verkennt die vielfältigen Formen des vom Staat ausgehenden Rassismus.» Entbehrt jeder Grundlage, das ist eine rein ideologische Behauptung. Es gibt keine vom Schweizer-Staat ausgehende Form von «strukturellem Rassismus», schon gar nicht «vielfältigen». Niemand verkennt hier irgend etwas, ausser den Autorinnen.
«Black Lives Matter zeigt einen Antirassismus, der darauf abzielt, die Schweizer Gesellschaft so zu verändern, dass Schwarze Menschen und People of Color nicht mehr exotisiert, entmenschlicht und kriminalisiert werden.». Schwarze Menschen und People of Color werden in der Schweiz nicht entmenschlicht und nicht kriminalisiert – das ist ideologische Kampfrhetorik, die völlig unberechtigt ist und einen Umbau der Schweizer Gesellschaft weder begründet noch rechtfertigt, schon gar nicht in eine Richtung, wie es sich Critical Theory so gerne wünschen würde.
Weil es ohne Aktivismus heute ja nicht mehr geht, hier noch etwas AgitProp von meiner Seite:
Lassen Sie sich nicht im Kampf für das Gute in eine Ideologie einspannen, die in ihrer totalitären Tendenz unsere offene Gesellschaft in der Schweiz gefährdet.
Stehen Sie als Individuum gegen Rassismus ein, halten Sie sich wenn Sie mögen an diese Prinzipien. Vergessen Sie das Konzept von «strukturellem» oder «systemischen Rassismus» (mehr dazu: systemic rassism). Lassen Sie sich nicht einreden, man müsse die Schweiz wegen «strukturellem Rassismus» umbauen.
Lassen Sie sich nicht unterjubeln, Sie seien rassistisch. Kaum jemand ist Rassist, Sie schon gar nicht.
Genau! Aussagen zum strukturellen Rassismus sind so unwissenschaftlich, dass sogar das Wissenschafts-Journal «Nature» schreibt:
We recognize that Nature is one of the white institutions that is responsible for bias in research and scholarship. The enterprise of science has been — and remains — complicit in systemic racism, and it must strive harder to correct those injustices and amplify marginalized voices.
At Nature, we will redouble our efforts to do so, and commit to establishing a process that will hold us to account on the many changes we need to make.
In addition, we commit to producing a special issue of the journal, under the guidance of a guest editor, exploring systemic racism in research, research policy and publishing — including investigating Nature’s part in that.
Together with the rest of the research community, we must listen, reflect, learn and act — and we must never shirk our responsibility to end systemic racism.
Ihre Aussage «Ich glaube das nicht, es ist nicht wahr» bringt ihre Denk- und Argumentationsweise auf den Punkt: «Wenn ich es nicht glaube, dann ist es nicht wahr». Pointiert formulierte Christian Morgenstern «Die unmögliche Tatsache» so:
Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.
Doch auch wenn Sie vor dem strukturellen Rassismus die Augen verschliessen, löst er sich nicht in Luft auf.
Guten Tag Herr Rebosura
We recognize that Nature is one of the white institutions that is responsible for bias in research and scholarship. The enterprise of science has been — and remains — complicit in systemic racism, and it must strive harder to correct those injustices and amplify marginalized voices.
Merci, dass Sie dieses Zitat bringen, besser könnten Sie meine Bedenken nicht auf den Punkt bringen. Lassen Sie sich diese Perle von Neusprech noch einmal auf der Zunge zergehen: «white institution», «complicit in systemic racism» (beachte: «complicit»), «strive harder». Der ganze ideologische Kram, «full throttle».
Puh, Herr Rebosura, Sie schiessen sich aber zünftig ins Knie: Wenn ich meinen Punkt illustrieren möchte, hätte ich kein besseres Zitat finden können! Das sind genau die Auswüchse der Critical Race Theory in den USA, die ich in der Schweiz nicht sehen möchte.
Viele Grüsse
K. G.
Siehe auch «Thousands of scientists go on strike to protest systemic racism in STEM». Und das Editorial des Wissenschaft-Journals «Science» «Time to look in the mirror»:
The U.S. scientific enterprise is predominantly white, as are the U.S. institutions that Science's authors are affiliated with. The evidence of systemic racism in science permeates this nation. [...] It is time for the scientific establishment to confront this reality and to admit its role in perpetuating it.
Wie Sie sehen, Herr G. konfrontieren sich auch Wissenschaftler*innen mit der Realität des strukturellen Rassismus und verschliessen nicht die Augen vor ihr. Wie sonst könnten sie noch in den Spiegel schauen?
Guten Tag Herr Rebosura
Wie sonst könnten sie noch in den Spiegel schauen?
Ha, ha, am Morgen sag ich auch manchmal: Kenn ich nicht, wasch ich nicht! (kleiner Scherz am Rande)
Schauen Sie, ich habe doch ausführlich argumentiert, dass ich die Entwicklung in den USA schlecht finde. Sie müssen mich nicht mit Zitaten updaten. Ich finde die Entwicklung in den USA ja gerade wegen dieser Zitate krank. Also liefern Sie mir doch bitte nicht noch weiteres Material von dieser Sorte, wenn Sie mich davon abbringen wollen. Kommen Sie, ich versuche es mit einer Motivation, die Sie kennen werden: Do better!
Viele Grüsse
Karl
Das scheint mir eine sehr einseitige Sicht auf die Schweizer Geschichte zu sein. Klar gibt es diesen Rassismus, und ja auch der Bund hat dies nicht aufgearbeitet, z.B. wenn die Schweiz 150 Jahre Kolonialvertrag mit Japan (einer von vielen ungleichen Verträgen, siehe https://de.m.wikipedia.org/wiki/Ungleiche_Verträge ) im Jahr 2014 fröhlich gefeiert hat.
Dennoch ist es auch Teil der Schweizer Geschichte, dass dank Religionsfreiheit viele Flüchtlinge in der Schweiz neue Existenzen aufbauen konnten, so geschehen z.B. in der Uhrenindustrie in Neuchatel und Region.
Es wäre jetzt wichtig nicht nur aufzuarbeiten, sondern gleichzeitig auch vorwärts zu schauen: Sind wir bereit, dass öffentliche Gebäude und Tramhaltestellen auch Chinesisch angeschrieben werden oder erwarten nur wir Englische Beschriftungen, wenn wir ausserhalb Europas herumreisen? Sind wir da offen und ehrlich genug einen Schritt auf andere Bevölkerungsgruppen zuzugehen? All die Deutschschweizer, die sich weigern Sitzungen auf Hochdeutsch zu halten im Wissen, dass dies für einige Teilnehmende schwer verständlich ist? Es gibt zu tun, doch sollte diese Arbeit differenziert angegangen werden.
Ich denke, die Schweiz sollte sich auf ihre Religionsfreiheit nicht allzuviel einbilden. Religionsfreiheit für Juden gab es erst, nachdem Frankreich massiv Druck ausgeübt hat. Und für Muslime bleibt die Religionsfreiheit eingeschränkt (z. B. Minarettverbot).
Ich denke nicht, dass die Geschichte der Religionsflüchtlinge, insbesondere der Hugenotten, als Hinweis für fehlenden Rassismus in der Schweiz gedeutet werden kann. Auch wenn ich die geschichtlichen Details nicht kenne, so vermute ich doch, dass für die Aufnahme dieser Menschen auch praktische Überlegungen eine Rolle spielten, stärkten diese Flüchtlinge doch die Macht der protestantischen Orte in der alten Eidgenossenschaft. Rassismus gab es im Laufe unserer Geschichte sicher immer. Ich denke da an die Verfolgung von Juden und anderer Minderheiten durch das ganze Mittelalter hindurch.
... und weniger weit zurückliegend: rassistische Politik gegenüber Roma, Verfolgung der jenischen Minderheit, rassistische Migrationspolitik, Antiislamismus. Und neben all diesen "modernen" Rassismen hat sich der Antisemitismus in unserem Land über Jahrhunderte gehalten.
In letzter Zeit lese ich immer wieder, dass ein «ahistorischer und individualisierter Anti-Rassismus» hoch problematisch sei, und dass der Rassismus in unserer Gesellschaft nur dann effektiv bekämpft werden könne, wenn wir uns alle intensiv mit dem herrschenden «strukturellem Rassismus» und seinem ganzen, mehr oder weniger weit zurückgehenden historischen Kontext auseinandersetzen würden.
Als Laien in diesen Fragen irritiert mich, dass in Artikeln und Aufsätzen, in denen diese Thesen kolportiert werden, kaum je eine sorgfältige, differenzierte, auch offensichtliche Gegenargumente berücksichtigende Begründung dafür mitgeliefert wird, sondern all das als mehr oder weniger offensichtliche Tatsache hingestellt wird. Oder einfach lapidar darauf verwiesen wird, dass dies wissenschaftlich erwiesen sei, ohne die wesentlichen Elemente dieses Beweises im Detail zu erklären und kritisch zu diskutieren. Für mich als jemanden, der diese Themen nicht jahrelang erforscht hat, ist das ein Problem, weil diese Thesen so gar nicht meiner «naiven» Intuition entsprechen. Und mein Eindruck ist, dass es vielen anderen Leuten auch so geht wie mir.
Ich teile zwar die Meinung, dass die koloniale und rassistische Geschichte der Schweiz und deren Nachwirkungen bis in die heutige Zeit sorgfältig und schonungslos aufgearbeitet und der breiten Öffentlichkeit vermittelt werden sollte. Aber wieso diese Aufarbeitung eine zwingende, unvermeidbare Voraussetzung für die Überwindung von Rassismus in unserer heutigen Zeit sein soll, leuchtet mir nicht auf Anhieb ein. Das müsste mir mal jemand genauer erklären.
Und auch die akribische Unterteilung zwischen «individuellem Rassismus» und «strukturellem Rassismus» als zwei unterschiedliche Dinge leuchtet mir nicht sofort ein. Nach meiner Intuition sind dies zwei sich gegenseitig bedingende, untrennbare Seiten der gleichen Medaille. Ich kann mir (als Gedankenexperiment) keine Gesellschaft vorstellen, in der es keinen individuellen Rassismus mehr gibt, in der struktureller Rassismus jedoch weiter fortbesteht. Und ich kann mir auch keine Gesellschaft vorstellen, in der individueller Rassismus in einem signifikanten Ausmass vorkommt, sich dieser aber nicht in strukturellem Rassismus niederschlägt.
Dies würde aber bedeuten, dass man den immer noch existierenden Rassismus in unserer Gesellschaft sehr wohl weiterhin dadurch bekämpfen könnte, indem man sich einfach «nur» auf den individuellen Rassismus konzentriert und versucht, diesen immer wieder aufzuzeigen und mit der Zeit abzubauen. Dieses Vorgehen hätte den enormen Vorteil, dass es ohne abstrakt wirkende Theorien und Begriffe auskäme, und somit auch für normale, in diesen Fragen unbedarfte Menschen wie mich problemlos nachvollziehbar wäre.
Wenn mir, wie bisher schon, immer wieder an konkreten Beispielen aufgezeigt wird, wie in meinem Umfeld (in meiner Familie, meinem Quartier, bei meinem Arbeitgeber, in der Schule meiner Kinder, in der Politik meiner Kommune, meines Kantons oder des Bundes, etc.) Individuen oder Institutionen (bewusst oder unbewusst) rassistisch denken und handeln, und dadurch «andersfarbige» Menschen unfair behandeln, ernsthaft verletzen, diskriminieren oder benachteiligen, vermag das mein Denken und (auch wirtschaftliches und politisches!) Handeln signifikant zu beeinflussen. Schwer verdauliche, teilweise irritierende und für mich intuitiv nicht auf Anhieb plausible Theorien über «strukturellen Rassismus» haben nicht die gleiche unmittelbare Wirkung auf mich.
Deshalb bräuchte ich eine viel bessere, ernsthaftere und sorgfältigere Erklärung, wieso diese sperrigen Theorien nützlich und wichtig sind, meine Aufmerksamkeit verdienen und mein Denken und Handeln beeinflussen sollten. Je länger ich auf eine solche Erklärung warten muss, desto grösser werden meine Zweifel.....
Sehr geehrter Herr B., für jemand, der sich als ‚normaler, in diesen Fragen unbedarfter Mensch‘ mit einer „‚naiven’ Intuition“ bezeichnet, für den die Theorien über den „strukturellen Rassismus“ „abstrakt“ wirken und ‚schwer verdaulich‘ sein sollen, haben Sie einen sehr tiefen Einblick in die Mechanik desselben:
Nach meiner Intuition sind [individueller und struktureller Rassismus] zwei sich gegenseitig bedingende, untrennbare Seiten der gleichen Medaille.
Das Problem ist also, dass das man das eine nicht ohne das andere „lösen“ kann. Man also sowohl das eine als auch das andere problematisieren muss. Weil sie – wie Sie intuitiv richtig erkennen! – sich eben wechselseitig bedingen. (Und gerade wenn sich zwei Ebenen wechselseitig bedingen, bleibt doch die analytische Trennung der Ebenen richtig und wichtig.)
Eine soziale „Struktur“ können Sie, vereinfacht gesagt, als eine Menge von „Regeln“ vorstellen. Gesellschaftliche „Normen“ also, an denen sich einzelne Handlungen, Gedanken und Äusserungen orientieren. Diese werden auch als „Gewohnheiten“, „Muster“ und „Habitus“ internalisiert und verkörpert. Und mithin als „Tradition“, „Kultur“ und „Moral“ weitergegeben. (Darin können Sie – wie in anderen Kontexten ja auch – auch die Notwendigkeit der „Vergangeheitsaufarbeitung“ sehen.)
Diese Normen wirken daher „natürlich“, „selbstverständlich“ und „logisch“. Doch sind sie alles andere als das, nämlich arbiträr, kontingent und letztlich auch veränderbar. Doch wie wir alle durch Neujahrsvorsätze wissen: Eine einzelne Handlung zu verändern ist einfacher als eine Regel qua Norm und Gewohnheit. Deshalb bedarf sie intensiverer und kontinuierlicherer Arbeit.
Sie stellen somit letztlich eine falsche Alternative auf. Es geht nicht darum entweder individuellen Rassismus zu bekämpfen oder strukturellen, sondern – gerade weil sie sich wechselseitig bedingen! – sowohl als auch.
Abstraktion hat immer ihre Tücken. Ich verstehe es folgendermaßen: wenn die Autoren von Globi ein diskriminierendes, von kolonialen Stereotypen geprägtes Setting für ihre Geschichten wählen, ist das individueller Rassismus. Wenn es aber keinem Lektor oder Herausgeber als rassistisch auffällt und deshalb nicht publiziert wird, dann ist das struktureller Rassismus. Das lässt sich auf Schulbücher (neben den geschichtlichen Inhalten), Radosendungen, Rekrutierungsverfahren, oder eben Polizeipraktiken, SOPs aller Art, bis hin zur Formulierung wissenschaftlicher Fragestellungen übertragen. Ist übrigens m.E. analog zum Problem der fehlenden Gleichberechtigung der Geschlechter.
Wir müssen also vom (monokausalen) Entweder-Oder-Denken wegkommen und zu einem (multiperspektivischen) Sowohl-als-auch-Denken übergehen. Denn blendet die eine Seite die individuellen Gründe aus und entlastet so das Subjekt von seiner Verantwortung, indem es zu einem passiven Objekt der Gesellschaft verdinglicht wird, so die andere Seite die strukturellen Gründe, womit die kontingenten wie historischen Machtverhältnisse des Systems unsichtbar gemacht und als (‚natürliches‘ oder verhängnisvoll) Gegebenes hingenommen werden. Damit wird die Gesellschaft – also wir alle, jede*r Einzelne – von ihrer Verantwortung entlastet, so dass sie – oder zumindest das Juste milieu – mit Fingerzeig auf einzelne Rassist*innen ihre eigenen Hände in Unschuld waschen kann, anstatt sich mit ihrem je eigenen Beitrag zur Reproduktion dieser Machtverhältnisse und diskriminierenden Strukturen zu konfrontieren und auseinanderzusetzen.
Was ist Rassismus? Ist es nur eine auf Menschen anderer Hautfarbe angewandte Diskriminierung? So verstehe ich den Artikel.
Ist es auch eine auf Menschen anderer Religionen oder Ethnien bezogene Ungleichbehandlung? Im Alltag hört man oft mal: Bewerberinnen mit -ic oder -oglou werden diskriminiert oder nicht in ein Lokal gelassen. Das sei rassistisch.
Auch wenn es auf Jahrhunderte alte soziale Tradierung beruhende Vorurteile sind, die mal religiös (1492), mal rassenanthropologisch (19./20. Jh.), mal geschlechtlich (immer) mal ökonomisch oder identitär salonfähig gemacht werden, ist es sinnvoll, der analytischen Schärfe Willen, nicht alle Diskriminierungen mit dem gleichen Etikett zu versehen.
Ich stelle nicht in Abrede, dass POC in ihrem Alltag in der Schweiz und überhaupt in Europa rassistische Erfahrungen machen. Wenn selbst Secondos die Frage gestellt bekommen, woher sie eigentlich kommen, dann müssen sich POC diese Frage und vieles andere mehr noch viel häufiger anhören. Das ist leider die Realität (hier gibt man sich in den meisten Fällen die Mühe, die Namen der vermeintlich oder tatsächlich zugezogenen korrekt auszusprechen; in GR bekommen die Migranten ungefragt griechische Namen...)
Wir können über die gemeinsamen historischen Wurzeln des weissen Rassismus in den USA, GB, Südafrika, Griechenland und der Schweiz reden. Ich habe kein Problem damit. Aber so zu tun, als hätten wir h e u t e quantitativ und qualitativ das gleiche Problem wie die USA – das ist der Eindruck, der sich mir bei der Lektüre des Artikels einstellt – ist gelinde gesagt eine Verharmlosung der Zustände dort wie auch der Zustände in Südafrika. Es ist eine ahistorische Gleichsetzung von Realitäten. Ich fürchte, dass damit niemandem gedient ist.
Ist es nicht etwas unfair, wenn Sie einen Artikel allein aufgrund ihres Eindruckes kritisieren? Denn nirgends wird im Artikel nahegelegt oder gar behauptet, dass «wir h e u t e quantitativ und qualitativ das gleiche Problem wie die USA» hätten.
Wenn ihnen nun das geschilderte Ausmass quantitativ und qualitativ derart gross erscheint, so dass dieser Eindruck entsteht, dann vielleicht nur, weil ihnen selbst dieses Ausmass unbekannt war.
Es handelt sich also nicht um eine «Verharmlosung der Zustände» und «ahistorische Gleichsetzung von Realitäten», sondern um die Anerkennung ihrer Existenz.
Kommen Sie, Herr Rebosura, Sie haben sich bereits stundenlang hier abgemüht, jetzt lassen Sie doch den Herrn Vernakis mal für ein paar Stunden in Ruhe, schalten Sie den PC aus, geben Sie ihre Woke-Wache an an einen Fellow-Aktivisten weiter und gönnen sich ein Feierabend-Bier! Ist das ein Vorschlag?
Ja, es ist unfair, weil ich meine Alltagserfahrung mit dem inflationären Gebrauch des Rassismus-Begriffs auf den Artikel projiziert habe.
Es ist in der Tat eine Sache, zu schreiben, dass Black Lives Matter "einen Antirassismus [zeigt], der darauf abzielt, die Schweizer Gesellschaft so zu verändern, dass Schwarze Menschen und People of Color nicht mehr exotisiert, entmenschlicht und kriminalisiert werden" und eine andere Sache zu behaupten, dass wir Zustände wie in den USA oder in Südafrika haben.
ich möchte auf das Buch hinweisen von Hans Fässler: REISE IN SCHWARZ - WEISS Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei. Erschienen 2005 im Rotpunkt Verlag.
Oje. Das ist grad bitzli viel auf einmal. Nach einigem Überlegen bin ich deshalb zum Schluss gekommen, mir jetzt ein Bier zu gönnen - so wie Sie es gestern Herrn Rebosura ungefragterweise empfahlen. Sendungsbewusste Menschen, die Kataloge vorlegen, in denen mehr als zehnmal steht "das ist falsch", sind mir zu anstrengend. Das erinnert mich dann fast ein wenig an eine evangelikale Erweckungspredigt (die gipfelt bei Ihnen ja dann auch folgerichtig mit der Erlösung "Du Bruder/Schwester, du bist keine Rassistin") .
Meine Überzeugungen sind fest, aber mein Eifer ist mässig.
Republik AG
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