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Guten Morgen Herr Strassberg,
Ich frage mich, ob Ihr Rat, unsere politische Theorie doch lieber beim „So nicht“ zu belassen, ein zukunftstaugliches Konzept darstellt..
Beinhaltet die trotzige Aussage denn nicht auch die Frage: wenn schon nicht so, wie denn sonst? Also die Frage nach der gerechten und nachhaltigen Utopie und ihrer Umsetzung?
Sollen sie doch spotten in ihren Leitartikeln, sollen sie doch unsere Utopien als Werbestrategien missbrauchen, der Moment wird unweigerlich kommen, wo uns unsere Kinder und Enkel fragen werden: Was habt ihr eigentlich gegen das Unmenschliche und Selbstmörderische GETAN?
Auch glauben heisst zweifeln…
Herzlichen Dank an die Republik und Herrn Strassberg.
Lieber Herr K. S., ja, wie denn sonst? Viele meiner Augenblicke, Utopien in meiner Homepage wollen so geschrieben sein und müssten denn getan werden!
Meinen Enkelkindern gewidmet!
Anstelle von - so nicht, schreibe ich – ich will nicht!
https://poesie-der-augenblicke.ch/empoereteuch/
https://poesie-der-augenblicke.ch/Grossmutter/
und etwas zur Erheiterung...
https://poesie-der-augenblicke.ch/kommode/
Ich gehe davon aus, dass sich Hoffnung anders beschreiben lässt, wenn sie nicht als Gefühl, sondern als Haltung verstanden wird.
Sie haben ja schon einmal eine Kolumne zur Hoffnung geschrieben. Und wie damals empfinde ich Ihre Sicht auf das Gefühl der Hoffnung als deprimierend. Hoffnung ist an und für sich doch ein positives Gefühl, welches uns motivieren kann, täglich aufzustehen und sich für eine gute Zukunft einzusetzen. Ohne Hoffnung verschwindet doch auch jeder Grund, überhaupt etwas zu tun. Dabei sollte die Hoffnung natürlich auf realistischen Einschätzungen der Situation beruhen. Bei allen möglichen Zukunftsszenarien richtet die Hoffnung aber den Blick auf die Erreichung eines besseren als des hypothetisch schlechtesten Szenarios. Konkret hoffe ich z.B. dass es der Weltgemeinschaft gelingt, wenn nicht das Temperaturanstiegsszenario von 1,5 Grad zu erreichen, dann zumindest 2 oder 2,5 Grad und es zudem gelingt, den Menschen in den durch den Klimawandel bedrohten Weltgegenden zu helfen, sie umzusiedeln und ihnen anderswo eine Lebensgrundlage bieten zu können. Ohne diese Hoffnung, dass die Menschheit irgendwie doch „den Rank“ kriegt, bliebe ja nur Versinken in Depression bis hin zu Suizid oder im Gegenzug eine „Nach-mir-die-Sintflut“-Mentalität, mit einem Lebensstil, der ein Morgen überflüssig macht. Nur dank der Hoffnung auf eine realistische Lösung wache ich jeden Morgen positiv auf und versuche im Alltag mein Scherflein für eine lebenswerte Zukunft beizutragen.
Was Ihr Beispiel von todkranken Personen betrifft, welchen gesagt wird „sie dürften die Hoffnung nicht verlieren“. Solche Sprüche sind Ausdruck von Unsicherheit und es ist verständlich, wenn die Kranken sie als Hohn auffassen und sich nicht ernstgenommen fühlen. Jedoch kann auch in einer solchen Situation Hoffnung eine Stütze für die Kranken sein. Auch da natürlich eine realistische Hoffnung. Nicht die Hoffnung auf Wunderheilung sondern vielleicht die Hoffnung auf noch ein paar gute schmerzfreie Tage, darauf, mit den Lieben schöne Stunden verbringen zu können und zum Schluss die Hoffnung, friedlich sterben zu dürfen.
So wie ich Hoffnung verstehe, als Gefühl auch selber kenne und bewusst auch immer wieder versuche zu erhalten, ist es eine Hoffnung, die auf der realistischen Einschätzung des Ist-Zustandes beruht, aber dann davon ausgehend das Anpeilen einer möglichst positiven Entwicklung unterstützt und die Energie dafür liefert, sich dafür einzusetzen.
Wie Herr Strassberg vorausgesehen hat, leiten Sie aus dem Plädoyer gegen die Hoffnung Lethargie ab. But this misses the point. "Lasst alle Hoffnung fahren, ist keine Aufforderung zur Resignation, sondern lediglich zur Illusionslosigkeit, und dient somit der Prävention der Verzweiflung".
Natürlich kann man unter dem Wort "Hoffnung" etwas ganz anderes verstehen, so dass etwa mit der "realistischen Einschätzung" die Dimension des "Zweifels" eliminiert wird. Doch dann spricht man entweder aneinander vorbei oder über etwas ganz anderes.
Doch auf welcher "realistischen Einschätzung" beruht Ihre Hoffnung, "dass es der Weltgemeinschaft gelingt, wenn nicht das Temperaturanstiegsszenario von 1,5 Grad zu erreichen, dann zumindest 2 oder 2,5 Grad und es zudem gelingt, den Menschen in den durch den Klimawandel bedrohten Weltgegenden zu helfen, sie umzusiedeln und ihnen anderswo eine Lebensgrundlage bieten zu können"?
Das Problem an der Hoffnung - erst recht ohne Zweifel! - ist auch, wie Spinoza schreibt, "daß wir leicht glauben, was wir hoffen, aber schwer, was wir fürchten, und daß wir von dem einen mehr, von dem andern weniger, als recht ist, halten. Und hieraus ist allerlei Aberglauben entstanden, von dem die Menschen allerorten aufgeregt werden." "Aberglauben" wie das religiöse Himmelreich, politische Utopien, Ziele der Geschichte. Doch gerade der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
Nicht "ohne Hoffnung", sondern durch Verzweiflung, "bliebe ja nur Versinken in Depression bis hin zu Suizid oder im Gegenzug eine "Nach-mir-die-Sintflut"-Mentalität, mit einem Lebensstil, der ein Morgen überflüssig macht."
Wenn wir JETZT das Richtige tun, nicht um ein ungewisses Ziel in der Zukunft erreichen zu müssen, sondern aus der gegenwärtigen Haltung "Ich will SO nicht leben", dann erlangen "Zuversicht", dh die "Lust, entsprungen aus der Idee eines zukünftigen oder vergangenen Dinges, bei welchem die Ursache des Zweifelns geschwunden ist" und womöglich "Freude", also die "Lust, verbunden mit der Idee eines vergangenen Dinges, welches unverhofft eingetroffen ist."
Mehr können wir in unserer begrenzten Existenz nicht hoffen.
Vielen Dank, Anonym 2, dass Sie sich so intensiv mit meinem Beitrag auseinandergesetzt haben. Jedoch bin ich nicht mit all Ihren Schlussfolgerungen einverstanden.
"Lasst alle Hoffnung fahren, ist keine Aufforderung zur Resignation, sondern lediglich zur Illusionslosigkeit, und dient somit der Prävention der Verzweiflung".
Ich plädiere nicht dafür, dass man das unmögliche Erhoffen und somit in einer Blase der Illusion leben und die Realität negieren soll. Im Gegenteil. Aber wenn man die jetzige IST-Situation versucht realistisch einzuschätzen (augrund von vorhandenem Wissen und Erfahrung), so weit dies möglich ist und davon ausgehend Szenarien für die Zukunft entwickelt, braucht es die Hoffnung, dass diese erreicht werden können, um überhaupt mit der Umsetzung dahin zu beginnen.
Wenn wir JETZT das Richtige tun, nicht um ein ungewisses Ziel in der Zukunft erreichen zu müssen, sondern aus der gegenwärtigen Haltung "Ich will SO nicht leben", dann erlangen "Zuversicht", dh die "Lust, entsprungen aus der Idee eines zukünftigen oder vergangenen Dinges, bei welchem die Ursache des Zweifelns geschwunden ist" und womöglich "Freude", also die "Lust, verbunden mit der Idee eines vergangenen Dinges, welches unverhofft eingetroffen ist."
Habe ich keinen Glauben daran, dass ich im JETZT etwas ändern kann um in Zukunft etwas Gutes zu erreichen, weshalb sollte ich dies tun? Es ist bequem, mit dem Flugzeug in die Ferien zu fliegen. Nur wenn ich die Hoffnung habe, dass mein Flugverzicht etwas bringt, habe ich überhaupt die Motivation, darauf zu verzichten. Ein "SO NiCHT" hat nur eine Wirkung, wenn es auch eine Alternative dazu gibt. Wenn die Alternative für einen bequemen Flug eine unbequeme Busfahrt oder gar keine Fahrt ist, ich hingegen keine Hoffnung habe, dass mein Verzicht irgendetwas Gutes bewirkt, und sei es nur eine Vorbildfunktion, warum dann nicht fliegen? Wenn es ja eh nichts ändert? Nur dank der Hoffnung, dass die Klimakatastrophe noch irgendwie eingeschränkt werden kann, kann ich mich dazu motivieren, im JETZT etwas zu tun, was mir unter Umständen in der Zukunft etwas bringt. Der Zweifel ist immer noch Teil der Hoffnung. Auch beim Versuch einer realistischen Einschätzung der Situation bleibt der Zweifel selbstverständlich immer noch präsent. Alles andere wäre wieder das Sich-vorspielen einer Illusion - aber die Hoffnung ist nicht irgendwo aus der Luft gegriffen sondern kann mit Wissen/Erfahrungswerten begründet werden. Wennn alles optimal läuft, dann ist dieses Sezanrio denkbar, und darauf beruht meine Hoffnung und in zweiter Instanz meine Handlungen. Hoffnung bedeutet nicht, Zweifel und Enttäuschung zu eliminieren, aber zu glauben, dass Schwierigkeiten überwunden werden können. Nach dem Motto "mit dem Schlimmsten rechnen, aber das Beste erwarten". Falls Plan A nicht funktioniert und die Hoffnung enttäuscht wird, gleich wieder aufstehen und Plan B umsetzen. Falls auch diese Hoffnung wieder enttäuscht wird, bleibt immer noch Plan C. Hoffnung heisst für mich nicht jammern und die bestehenden Probleme beweinen sondern nach vorne schauen und diese Probleme überwinden. Die Hoffnung ist der Motor, der einen immer wieder aufstehen lässt.
Ich verstehe, dass ich nicht auf Hoffnung setzen soll. Hoffen möchten wir in Bedrängnis, in schwierigen Zeiten. Strassbergs Tipp zum Schluss: jetzt "so nicht zu sagen" zu allem, was uns im Leben bedrängt. Eine sehr brauchbare Alltagsübung scheint mir und wer weiss, ab und zu mit heiteren oder befreienden Empfindungen verbunden. Eine Kraftquelle, gratis, ohne Ressourcenverbrauch, ohne Ausbeutung anderer.
Fast am Ende vom Jahr stelle ich fest, dass ich tatsächlich mal teilweise einer Meinung mit Herrn Strassberg bin, auch wenn ich es weniger eloquent formuliere. - Der einzige tatsächliche Moment für etwas ist "Jetzt". Eine andere Option habe ich nicht. Im "Jetzt" "so nicht" zu handeln/sagen/sein ist (für mich persönlich) tief in der jüdisch-christlichen Tradition verwurzelt.
(Letztlich drückt das tatsächlich dann wieder etwas aus, was man als Hoffnung bezeichnen könnte, allerdings: keine auf eine zeitlich messbare Zukunft gerichtete, sondern eine auf eine "Dimension", die für mich unverfügbar ist. - (Was die Kirchen damit angestellt haben steht dann auf einem ganz anderen Blatt.))
Unabhängig davon: Ganz grossen Dank für die Erinnerung an den Engel von Klee und ruhige Tage zwischen den Jahren Ihnen. Herzlich, AB
Edit: Rechtschreibung, Hervorhebung.
Ich mag Rebecca Solnits Konzeption von Hoffnung.
Hope locates itself in the premises that we don’t know what will happen and that in the spaciousness of uncertainty is room to act.
Paraphrasiert in etwa so:
Wie die Zukunft aussieht, ist mit Unsicherheit behaftet - eine Vielzahl an Szenarien ist möglich. Optimismus und Pessimismus begründen sich mit Prognosen. ("Wenn es so weitergeht wirds gut/schlecht...")
Hoffnung aber, bezieht sich auf den Bereich des Ungewissen. Sie ist der Anspruch/die Strategie/die Haltung/das Projekt, daran zu arbeiten, dass aus der Ungewissheit etwas schönes wird.
Hope, in this deep and powerful sense, is not the same as joy that things are going well, or willingness to invest in enterprises that are obviously headed for early success, but, rather, an ability to work for something because it is good, not just because it stands a chance to succeed.
Hoffnung ist also nicht einfach ein Gefühl. Es ist der Entscheid, auf Ungewissheit zu setzen, zu sagen: "so nicht" - und danach zu handeln.
Rebecca Solnits "Hope in the Dark" ist auch eines meiner Lieblingsbücher im Regal. Wer mich außerdem inspiriert hat zu diesem Thema ist Carola Rackete. Ich erinnere mich an die Zeit, als sie "Handeln statt Hoffen" veröffentlichte. In unseren Diskussionen verteidigte ich die Hoffnung als wichtige Haltung im Angesicht der Klimakrise, genau wie Rebecca Solnit. Irgendwann im Gespräch wurde mir klar, dass auch Carola nur eine bestimmte Art von Hoffnung ablehnt, nämlich einen Optimismus à la "wird schon alles gut werden".
Mit dieser Einschätzung stimme ich überein:
"Wer nur hofft, bleibt passiv. Wir können nicht länger darauf hoffen, dass die Politik die richtigen Entscheidungen für uns als Menschheit trifft. Das wurde mir bei meinem Besuch am Hambacher Tagebau wieder klar. Wir hoffen in Europa zu viel auf technische Lösungen, einen CO2-Preis oder ein Tempolimit. Viel wichtiger wäre es, das ganze Bild im Auge zu behalten: Ohne einen Systemwandel werden wir die Klimakrise nicht stoppen können." - Carola Rackete, im Dezember 2020
Betriebswirtschaftlich betrachtet hat sich die Produktpalette meiner Seele stark verändert. Während das Produkt Hoffnung seit ich weiss Hochkonjunktur in meiner Seele hatte, ist die Nachfrage danach in den letzten Jahren stark gesunken.
Als Bewirtschafter meines eigenen Seelenbetriebes macht mir das zunehmend Sorgen, weil ich der schwindenden Nachfrage nichts entgegen zu setzen habe. Im Gegenzug breitet sich das Produkt Sprachlosigkeit aus, fast inflationär und benötigt unglaubliche Ressourcen, welche wiederum dem Produkt Hoffnung fehlen. Mein Seelenbetrieb ist angeschlagen, Angebot und Nachfrage haben sich verschoben. Das Produkt Hoffnung wird zunehmend zum Nischenprodukt, etwas für Liebhaber, währenddem die Sprachlosigkeit zum billigen Massenartikel wird.
Ich hadere mit meinem Seelenbetrieb, irgendwann ist mir der Gedanke gekommen, dass sie ein Leck hat, meine gute Seele. Und aufgefallen ist mir das, als mir neulich aufgefallen ist, dass mir schon lange nicht mehr der Satz „s‘chunt scho guet“ über die Lippen kam. Der Markt wirds richten, denke ich, aber eben, mit Hoffnung gehe ich in Zeiten von Energieknappheit, sorgsam um.
Betriebswirtschaftlich gesprochen: Inventar von dem machen, was 'scho guet isch'.
Lieber Herr A.,
„Meine gute Seele“ . Sie sagen es : Das sind SIE. Eine gute Seele oder wenn Sie das lieber hören: ein guter Mensch.
In Indien sagen die Menschen von jemanden der gestorben ist, er hat seinen Körper verlassen. Die Seele ist das was bleibt.
Sie haben Illusionen verloren, wie wohl vielen von uns in diesem Jahr.
Doch Sie sind derjenige der Worte für Herr Berezovskiy findet, ihm Trost spendet, für ihm und alle Leidenden wünscht……! Das Bestmögliche eben.
Ich möchte IHNEN wünschen:
dass Sie weiterhin Trost, Ruhe und Freude finden in Ihrem Haus.
In der schönen Juralandschaft.
Eine stille bescheidene Heiterkeit, sodass Ihre Gabe des Mitgefühls weiter strahlen kann.
Für mich ist Hoffnung eine Haltung (siehe M. I. weiter unten), und sogar eine sehr aktive. Indem ich offen und aufmerksam in Betracht ziehe, etwas Schönem, etwas Gutem zu begegnen, begegne ich ihm auch, bereite ihm sozusagen den Weg und gebe ihm Raum. Als alltägliches Beispiel: heute morgen an der renaturierten Schüss (Fluss durch Biel/Bienne) habe ich einen Eisvogel gesehen. Ich war offen für alles Lebendige - Tiere, Menschen - und mit Aufmerksamkeit und Bedächtigkeit unterwegs. Das schuf den Raum für diese wunderschöne Begegnung, die mich jetzt durch den Tag trägt. Und bestärkt mich in dieser hoffenden, offenen Haltung, jederzeit Schönem und Guten begegnen zu können. In was für einer Situation auch immer.
Natürlich hätte ich heute morgen auch stolpern und mir ein Bein brechen können. Dann hätte ich aber sicher schnell Hilfe bekommen.
Danke! Es ist einfach wunderbar, noch etwas umnebelt vom Traum (oder schnurrt da irgendwo ein Käterchen?), einen so klugen Text lesen zu dürfen!
Ganz herzlichen Dank! Das macht mir Hoffnung
Vielen Dank Herr Strassberg für ihre unterscheidungstheoretische Inspiration, deren Schlussfolgerung ich jedoch nicht in jeder Hinsicht nachvollziehen kann.
Klar ist: So wie Gesundheit ohne die Möglichkeit der Krankheit nicht zu haben ist - man könnte nicht gesund sein, wenn es keinerlei Krankheiten gäbe -, so gibt es auch keine absolute Hoffnung, also Hoffnung, die für sich alleine steht - ohne den Aspekt der Furcht, von der sie sich unterscheidet.
Gemäss dem Formenkalkül von Spencer Brown (vgl. dazu u. a. die Aufsätze in Baecker, Dirk (1993). Probleme der Form. Suhrkamp) ist jeder Begriff in eine Unterscheidung eingebunden und somit grundsätzlich paradox. Hoffung ist entsprechend die "Einheit der Differenz von Hoffnung und Furcht". Es bleibt nun dem Beobachter überlassen, diese Paradoxie aufzulösen, indem er sich der Hoffnung verschreibt (bei Spencer Brown "marked state") und damit die Furcht ("unmarked state") ausblendet. Das geschieht jedoch immer vor dem Hintergrund der Möglichkeit, auf die andere Seite der Unterscheidung zu wechseln ("cross") und sich statt der Hoffnung der Furcht hinzugeben.
In Hinblick auf die Umweltprobleme pendeln viele (wohl die meisten) von uns zwischen den beiden Seiten der Unterscheidung - je nachdem, welche Informationen wir aus dem gewinnen, was gerade geschieht. Die individuelle Prädisposition (sei diese nun genetisch oder sozialisiationsbedingt) führt zu eher hoffnungs- oder zu eher furchtbezogenen Ausprägungen dieser Beobachtungen. Entscheidend ist, dass eine ausschliessliche Fokussierung auf einen der Pole des "Furcht/Hoffnung-Kontinuums" lähmend wirkt und so aktuelles Handeln unwahrscheinlich macht.
Walter Benjamins Angelus Novus wählt nun das, was Spencer Brown als Wechsel in den "unmarked space" beschreibt: er wendet sich von der Unterscheidung "Hoffnung/Furcht" ab. Er tut dies vor dem Hintergrund der Unterscheidung "Zukunft/Vergangenheit", indem er die beiden Zukunftsperspektiven "Hoffnung" und "Furcht" ausblendet und sich der Vergangenheit zuwendet. In den zitierten Worten von Walter Benjamin:
"Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füsse schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schliessen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm."
Meine Frage an Sie, Herr Strassberg: Wie kommen Sie auf der Basis dieses Zitats zu der Schlussfolgerung des "So nicht" und des "Ich will nicht mitmachen, ich will keine Komplizin sein." Beide Aussagen stehen ja konsequenterweise wieder in direktem Bezug zu der jeweils anderen Seite der Unterscheidung, in deren Kontext sie bezeichnet werden: "So nicht / also anders" resp. "keine Komplizin sein / einen anderen Weg gehen".
Der durch den Sturm des Fortschritts getriebene Engel möchte ja "die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen", doch er ist dazu gezwungen, sich dem Sturm zu ergeben und die Katastrophe handlungs- und machtlos zu beobachten. Ich kann der zitierten Stelle keine Zuversicht im Sinne des "anders möglich" entnehmen, das im "so nicht" aufscheint.
Vielleicht geht es halt doch nicht ohne den Funken Hoffnung, der in der Zuversicht des "anders Möglichen" enthalten ist und uns zum aktuellen Handeln befähigt, auch wenn die Hoffnung nie ganz ohne ihre Gegenseite, die Furcht, zu haben ist.
Vielen Dank, lieber Herr Hafen, für Ihre differenzierte Kritik, auf die ich gerne eingehen möchte. Ich verstehe Benjamin so, dass der Engel der Geschichte die Toten wecken und das Zerschlagenen zusammenfügen will, aber es nicht kann. Er "kann" sich nur in die Zukunft treiben lassen, aufgeschreckt über all die Trümmer, die er in der Vergangenheit sieht. Dieses sich treiben lassen ist eine Reaktion eine gewählte Möglichkeit. Das heisst: Ja, es gibt sie, die Zuversicht, auf das andere Mögliche oder wie es bei Spinoza heisst: die Heiterkeit (Laetitia, meist falsch mit Lust übersetzt) Doch diese bezieht sich nicht auf eine "bessere" Zukunft, und schon gar nicht auf eine irgendwie planbare Zukunft, sondern auf das jetzt, auf die heiter-widerständige Haltung, die man jetzt einnehmen kann.
Lieber Herr Strassberg. Vielen Dank für Ihre Antwort. - Aus dem "Gefängnis" der Unterscheidung des "Wollens-aber-nicht-Könnens" auszubrechen mit heiterer Gelassenheit; das wäre in der Tat segensreich.
Wunderbar, wie Sie, Herr Strassberg, dem Ritual von Kirche, Politik und Medien - auch in dieser Zeitung! - zu Weihnacht und Sylvester mit etwas Erbaulichem, d.i. Gemüt Erhebendes, fromme Gedanken Weckendes und zum Guten Aufmunterndes, das Kalenderjahr, das eine Katastrophe nach der anderen auftürmte, abzuschliessen, mit Skepsis begegnen!
Wie Sie erwartet haben, wird Ihnen in dieser Kommentarspalte entgegnet, dass man ohne Hoffnung in Lethargie und Depression versinke. Doch gerade die Hoffnung - und ihre Enttäuschung - ist die Voraussetzung für das Umschlagen in Verzweiflung und damit auch von der Liebe (in das Hoffnungsgebende) in Hass (in das Enttäuschende).
Wobei man noch ergänzen müsste, dass Spinoza noch schreibt: "Wenn nun der Zweifel bei diesen Affekten schwindet, so wird aus Hoffnung Zuversicht, aus Furcht Verzweiflung…" Hoffnung ohne Zweifel ist also erstmal Zuversicht, doch da keine Hoffnung ohne Furcht, so wird daraus, im Falle der (wiederholten) Enttäuschung, Verzweiflung. Spinoza sagt auch "daß wir leicht glauben, was wir hoffen, aber schwer, was wir fürchten, und daß wir von dem einen mehr, von dem andern weniger, als recht ist, halten. Und hieraus ist allerlei Aberglauben entstanden, von dem die Menschen allerorten aufgeregt werden."
Angesichts der Katastrophen und Ungewissheit dient die nüchterne Illusionslosigkeit der Prävention der Verzweiflung und dem Aberglauben sowie dem stoischen Widerstand gegen das Schlechte, Bestehende.
Oje, das war dann doch wieder etwas Erbauendes. Danke trotzdem, Herr Strassberg.
Einverstanden mit Frau I. Hoffnung kann mehr sein als ein Gefühl: bspw. eine religiöse Haltung („Glaube, Hoffnung, Liebe“) oder ein philosophisches Prinzip (Ernst Bloch, zum grösseren Teil nach Benjamins Suizid und vor demselben Hintergrund geschrieben). Und eine Utopie ist nicht dasselbe wie eine Illusion.
Was soll dieser Artikel bewirken? Mir beibringen, dass sich schon in der Vergangenheit ein paar Kluge Gedanken zur Hoffnung gemacht haben? Das wäre banal. Oder ist die Botschaft «So nicht!»? Auch das wäre banal und lässt mich das «Sondern so!» vermissen.
Das ist eben die Kunst: Sich nicht zu einem "sondern so" verführen lassen. Das ist alles andere als banal.
Lieber Herr Strassberg
Ich fühle mich fast geschmeichelt, dass Sie auf meinen bescheidenen Beitrag reagieren. Meine Frage, was Ihr Artikel bewirken soll, haben Sie nicht beantwortet. Und, bitte verzeihen Sie mir, wer seine Kunst rechtfertigt, hat ein Problem. Denn: Kunst entsteht immer im Betrachter.
Vielen Dank, für die erhellenden, Philosophie-historisch angereicherten Zeilen! Die Frage die für mich dennoch bleibt: Geht es nicht auch mit einem hoffnungsvollen “so nicht” mit Start im Heute? Ich meine schon.. Und dass sich nicht alle angestrebten Ziele erreichen lassen, das sagt einem irgendwann die Lebenserfahrung.
Ruth Klüger schrieb in ihrem Buch "weiter leben":
"Zwar sagt man, daß die Hoffnung am Leben erhält. Aber in Wirklichkeit ist Hoffnung ja die Kehrseite der Angst, und die Angst kann schon den Eindruck vermitteln, daß sie am Leben erhält, denn man spürt sie wie Sand auf der Zunge und wie ein Rauschgift in den Adern. Das Prinzip Angst sollte es heißen, nicht das Prinzip Hoffnung, nur läßt sich aus diesem Prinzip nicht viel Erbauliches gestalten.
Tadeusz Borowski, ein genialer junger Pole, der nach dem Krieg den Kopf in den Gasofen steckte, nachdem er den Gaskammern entgangen war, meinte, daß nur die Verzweiflung mutig macht, die Hoffnung aber feig. Zum Thema Hoffnung in Auschwitz schrieb er:
Die Hoffnung ist es, die den Menschen befiehlt, gleichgültig in die Gaskammer zu gehen; die sie davon abhält, Aufruhr zu planen; Hoffnung macht sie tot und stumpf. … Die Hoffnung treibt sie dazu, um jeden weiteren Tag des Lebens zu kämpfen, weil es gerade der kommende Tag sein könnte, der die Freiheit bringt. … Noch nie war die Hoffnung stärker als der Mensch, aber noch nie hat sie soviel Böses heraufbeschworen wie in diesem Krieg, wie in diesem Lager. Man hat uns nicht gelehrt, die Hoffnung aufzugeben. Deswegen sterben wir im Gas."
es ist ein Wahnsinn, wie abstrakt, illusionslos, rational wir heute in der Welt sein sollten. Keine Hoffnung, keine Illusion, kein Trost,— nichts mehr ist erlaubt! Früher waren die Menschen identifiziert mit den Göttern und den schönen (und auch weniger schönen) Geschichten. Heute: wir waren auf dem Mond! Wir wissen, dass wir nicht viel wissen, nicht mal, was es bedeuten würde, wenn es das alles (Welt, Natur, Leben, Bewusstsein, Intelligenz etc) tatsächlich gäbe.. Weder wissen wir, was Leben ganz eigentlich ist, noch, ob Welt je angefangen hat, oder gar enden wird. Im Alten Testament heisst es: "du sollst dir kein Bildnis machen"! Also: die wussten längst, dass wir nichts wissen. Besteht denn die HOffnung immer noch darin, dass wir werden wissen können? Ich finde es so herrlich, in etwas zu sein, von dem wir nichts wissen, nie wissen werden, und sind doch wie die Verrückten aktiv am Forschen und Diskutieren. Auch das Hoffen ist schön! (Und Spinoza ist absolut genial, erste Hälfte 17. Jhdt!) .. und ist wesentlicher Türöffner zur Psychoanalyse. Aber Freud zitiert ihn nicht. Auch CG Jung zitiert ihn nicht. Bin froh, dass Daniel Strassberg ihn zitiert. Er verdient mehr Ruhm! )
Zugestanden: wenn Hoffnung zur Folge hat, die (unerträgliche) Gegenwart nicht schonungslos zur Kenntnis zu nehmen, weil es ja morgen besser werden kann, ist sie gefährlich. Allerdings entsteht beim "so nicht" ein entsprechendes Problem. Das "So nicht!" für sich gibt noch keine Gewähr, dass es in der Zukunft ein "anders" gibt. Kann ich mit dem blossen "So nicht!" (weiter) leben?
Zwei Dinge kommen mir zu Hoffnung in den Sinn:
Jean Anhouil's Antigone, die sagt: "Je suis là pour vous dire non". Vielleicht typischerweise die Antwort einer Frau: Widerstand und Gehorsamsverweigerung.
Und dann Joanna Macy, die schon 1987, nach Tschernobil, den verwirrenden Satz "hope is a killer" geäussert hat. In ihrem letzten Buch "Hoffnung durch Handeln" mit dem Untertitel 'dem Chaos standhalten, ohne verrückt zu werden', das sie zusammen mit Chris Johnstone veröffentlicht hat, führt sie dies weiter aus. Hoffnung im Sinn von 'beruhige dich, die Menschheit hat bis jetzt noch immer eine Lösung für ihre Probleme gefunden' ist toxisch.
Die Verbundenheit jeglichen Lebens zu sehen, sich berühren zu lassen vom Leiden, realistisch zu sehen, wie es ist und trotzdem mit der Absicht zu handeln das Richtige, Lebenserhaltende zu tun, im Wissen darum, dass es "ein Tropfen auf den heißen Stein" ist, dafür plädiert sie.
Danke für den neuerlichen Denkanstoss.
Spinoaza ist ein Ethiker, sein Hauptwerk ist "Ethik". In dieser Idee eines klugen und bewussten Umgangs mit unsern eigenen Affekten liegt Hoffnung, oder nicht? nämlich die, dass Neid und Machtgier und Krieg verschwinden könnten, wenn wir selbst reflektiert sind. Ist Spinoza ein simpler Idealist oder reiner weltfremder Theoretiker?
Hoffnung ist die Fortsetzung der eigenen Ansprüche. Hoffnung bringt das individualpsychologische Gleichgewicht zum Überleben in aushaltbaren Bandbreiten im Verhältnis zu den Ansprüchen. Aber ab und zu wird das Hoffen illusorisch und zerfetzt Ansprüche. Die dann zu überarbeiten wären, um dem Trüb- oder Wahnsinn zu entgehen. So pendelt der Mensch zwischen Hoffen und Bangen in dem, was er will und nicht zu können glaubt. Und beides ist illusorisch und auch manchmal selbst gemacht. Je nach Person und Ort und finanziellen Möglichkeiten.
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