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Als Bücherwurm habe ich schon als Kind die Bücher nach der Dicke ausgesucht. Je dicker - desto besser! Tolstois „Krieg und Frieden“ aus der elterlichen Bibliothek habe ich in der 9. Klasse gelesen und sogar mit einem Vortrag in der Schule versucht die Klassenkameraden dafür zu begeistern. Wohl mit mässigem Erfolg. ;-)
Das Hauptargument für gute (!) dicke Bücher ging im Artikel aber vergessen: Nehmen einen die Handlung und die Personen eines Buches richtig gefangen, werden diese wie zu richtigen Freunden. Der Moment des Umblätterns der letzten Seite ist deshalb auch ein Moment des Abschiednehmens, welcher bei dicken Büchern noch hinausgezögert werden kann!
Liebe H. W., vielen herzlichen Dank für diese tolle Beschreibung des Lebens mit Romanfiguren. Sie haben natürlich recht, das mit den Charakteren, die man wie Mitmenschen empfindet, habe ich eher K. abgehandelt. Was Sie beschreiben, würde ich vielleicht sogar noch ausweiten. Es gibt in grosser Literatur ja auch die Figuren, die man nicht unbedingt als Freund:innen haben möchte, und die einen trotzdem faszinieren oder jedenfalls lange beschäftigen können – bis hin zu identifikatorischen Momenten selbst bei objektiv unsympathischen oder moralisch fragwürdigen Charakteren. Dostojewski zum Beispiel war darin ein Meister. Da wird einem, in gewisser Weise, eher das Buch selbst zum Freund als die Figur. Und dann gibt es natürlich den grossen Bereich der Ambivalenzen. Bei Ferrante zum Beispiel: Lila ist in meinen Augen eine der grossartigsten, faszinierendsten Figuren überhaupt in der Literatur. Das liegt aber gerade nicht daran, dass sie immer nur die «geniale Freundin» wäre. Wie sympathisch sie der Leserin ist, wird wahrscheinlich durch die Tetralogie hindurch stark schwanken. Anders gesagt: In der Literatur sind wir mit «freundschaftlichen» Empfindungen womöglich ein ganzes Stück grosszügiger als im «richtigen» Leben.
Danke, Daniel, für die Ehrenrettung des unzeitgemässen Wälzers! Sie rief eine mir liebe Kindheitserinnerung zurück. Lustvoll übertrat ich die unsichtbare Grenze zum hinteren Bereich der Schulbibliothek, wo sich die Regale mit den Büchern für Erwachsene befanden – und die für uns Kinder Tabu waren. Neugierig, aber auch etwas ehrfürchtig ging ich die Regale auf und ab und bestaunte vor allem die dicken Bücher. Wer konnte nur so viel schreiben? Wie wichtig musste das sein, was darin geschrieben stand? Welche Welten sind darin verborgen?
Die Bücher konnten früher daher nicht dick genug sein. Vor allem die Fantasy und SF-Bücher befriedigten zu Beginn die Neugierde, unendliche Welten zu erkunden und möglichst lange in diesen zu verweilen. Die Bibliothekarin, deren Blick vermeidend man sich zuvor zu den «verbotenen Büchern» schlich, erlaubte später gar, gewisse Bücher für Erwachsene zu lesen. Ich suchte mir dann Wälzer aus von John Grisham, Tom Clancy oder Stephen King.
Später wurde das Bild natürlich differenzierter: Nicht alles, was gross ist, ist auch entsprechend wichtig. Wieviel komplexer und dichter ist etwa der Tractatus logico-philosphicus oder manch Ge-dicht!
Dennoch reizen mich nach wie vor dicke Bücher, die wie Gipfel herausragen. Denn aus Schreiber:innensicht mag es um eine «Ästhetik der Überforderung» gehen, aus Leser:innensicht hingegen geht es, mir zumindest, auch um eine «Ästhetik der Herausforderung». Und um das Lesen als (innere) Welterschliessung.
Und das systematische Nachdenken über «vermeintlich äussere Faktoren» wie den Umfang der Bücher hat auch aus Rezensent:innensicht seine Vorteile: Man kann über Bücher sprechen, die man nicht (alle) gelesen hat: Eine Rezension von ca. 10 Seiten zu über 10'000 Seiten mehrerer doorstopper!
Aber mehr braucht es vielleicht auch nicht, um die Türe so weit zu öffnen, so dass Leser:innen über deren Schwelle lustvoll treten wollen.
Dicke Bücher faszinieren mich sehr. Als Jugendlicher konnten meine Fantasybücher nicht dick genug sein. Heute bin ich aus Zeitgründen natürlich auch froh um 200 Seiten-Romane.
Trotzdem stehen bei mir im Regal ein paar knapp 1000 Seiter, die noch gelesen werden wollen.
Für mich funktionierts am Besten, wenn ich mir bewusst Zeit dafür nehme und eine Plan mache, genau wie im Text; 100 Seiten pro Woche oder so.
So habe ich immerhin den „Infinite Jest“ von David Foster Wallace geschafft - innerhalb von 2 Ferienwochen, täglich 100 Seiten. Es war ein Kampf, aber eine tolle Erfahrung.
gerne gebe ich einen Tipp zu einem sehr lesenswerten Wälzer einer tollen Schriftstellerin:
Nino Haratischwili, Das achte Leben
Nur lieber nicht lesen, wenn man heisse Schokolade liebt.....
Kann ich nur bestätigen. Lesen!
Ein Buch auf die Brust sinken lassen und dösend die Geschichte weiterspinnen. (Funktioniert besser mit schweren, gebundenen Büchern).
Danke für den Artikel und ebenfalls: danke für all diese Kommentare und Erfahrungen. Mehr und mehr öffnet sich für mich auch noch ein Folgethema: Wiederlesen?! ja oder nein?. Es gibt Bücher (gerade auch Wälzer), die waren seinerzeit meine Familie, mein Beistand, meine Freundin. Ich frage (mich): kann das noch einmal so sein? Ich habe zum Teil eine Art Scheu, diesem einstmals wichtigen Schatz wieder zu begegnen und... ja eben!
Liebe D. M. - ich lese liebe Bücher gerne mehrmals, es ist interessant, wie unterschiedlich das Leseerlebnis sein kann. Mit zunehmender Lebenserfahrung wird der Blick ein anderer, die Perspektive eine andere. Es gibt Klassiker:innen, bei denen mir schon auf den ersten Seiten das Herz und der Verstand aufgehen, sei ich nun 20, 40 oder 60. Camus gehört dazu, George Eliot (ist ein männliches Pseudonym für eine englische Schriftstellerin 1819-1880), Gotthelf, Maupassant, um nur einige zu nennen.
Und dann gibt es jene, die uns lange und intensiv begleiten, die dann halt irgendwann zur Lesebiographie gehören, die im Büchergestell stehen, wie ehemalige Klassenkamerad:innen, mit denen die gemeinsame Geschichte abgeschlossen ist, für die man aber einen wohlwollenden Blick hat und mit denen uns viel Erinnerung und Entwicklung verbindet.
Ich verstehe Ihre Scheu gut, das Wagnis der Begegnung lohnt sich aber, auch wenn es nicht mehr 'so' sondern anders ist.
Übrigens: George Eliot passt gut zum Thema Wälzer, der Roman 'Daniel Deronda' hat etwa 1000 Seiten.
Edit: Tippfehler
Als Buchhändlerin arbeite ich nicht mehr, aber eines ist geblieben ,die Liebe zu Büchern. Als Viel- und Schnellleserin bevorzuge ich Wälzer. Besonders angetan bin ich von Fantasybüchern, je dicker desto besser. Aus Bequemlichkeit bin ich übrigens schon vor Jahren aufs E-Book umgestiegen, bin doch mehr als einmal vor Schreck und Schmerz erwacht, als ein dicker Wälzer beim Einschlafen aufs Gesicht geknallt ist.
Der leichte Wälzer, welchen man ohne Probeme schafft, weil er gut geschrieben eine rasante Geschichte voller Details erzählt? Ja, den gibt es: Isaac Asimovs „Foundation Trilogie“!
Herzlichen Dank für Ihre Lektüreerfahrungen und die vielen tollen Buchhinweise!
Den letzten „Wälzer“, Crossroads von Jonathan Franzen (immerhin 823 Seiten) habe ich bewusst nicht gelesen sondern als Hörbuch genossen. Besonders bei Hörbüchern schätze ich sehr umfangreiche Werke, weil die Figuren Zeit haben sich zu entwickeln. Ich war fast schon ein wenig traurig, als das Hörbuch zu Ende war. Umso mehr freue ich mich dass Crossroads der erste Teil einer Trilogie ist.
In meiner Kindheit hatte ich nur Zugang zur Katholischen Bibliothek. Herumstöbern war leider nicht möglich, denn es gab nur einen Schalter, wo der Herr Kaplan die Bücher herausgab, die er für meinem Lebensalter als angemessen betrachtete.
Bis ich in der Schweiz kam, habe ich nie ein Buch zu Gesicht bekommen, das auf den Index stand. Am ersten Buch, das ich in Basel las, kann ich mich gut erinnern. Es war Lucrezia Borgia. Die Unfehlbarkeit des Papstes fand damit ein Ende, sowie die einfache Absolutheit, das es nur eine Wahrheit gibt.
Einen Wälzer, der mich immer wieder begeistert ist: India after Gandhi von Ramachandra
Guha. Guha beschreibt alle Regionen, alle Politische Strömungen, alle Religionen chronologisch, parallel und faszinierend, ohne jeh den roten Faden zu verlieren. Der Untertitel heisst: The History of the World's Largest Democracy. Das erstaunlichste Buch, das ich kenne.
Unter meinen Lieblingsbücher zählen vor allem Oblomov, Die Schlucht und Briefe von einer Weltreise von Gontscharow.
Uns sonst Gedichten, Gedichten, Gedichten.....halt Wälzer in Kleinformat.
Vielen Dank für den Hinweis auf Ramachandra Guha. Gerade heute, wo ich mich mehr und mehr frage, ob das, was da abgeht, überhaupt noch Demokratie ist?. Meine Grosseltern und in der Folge meine Eltern (lange vor meiner Planung, Entstehung oder gar Auslieferung) haben in Indien gearbeitet: im Bundesstaat Karnataka. Selber war ich dann auch einige Zeit vor Ort und so mischen sich in mir diese diversen Indien. Mit Ihrer Anregung halte ich wieder Ausschau nach meinem Exemplar von India after Gandhi; müsste in einem Überseekoffer im Keller sein... also nicht mehr heute Abend, denn.. wer weiss, was mir da noch begegnet und was da geschieht!
Noch faszinierender als einsame 1000 Seiten Wälzer finde ich persönlich lange Serien von Wälzern. Einer der Spitzenreiter ist sicher Asimovs Foundation Zyklus, wo sich je nach Ausgabe und Ansicht 13-16 Wälzer aneinanderreihen und die über einen Zeitraum von fast 40 Jahren herausgegeben wurden. Zum Glück, konnte ich die Bücher in einem Rutsch durchlesen, was mir ein recht vergnügliches Jahr bescherte. Da ich damals noch keine Kinder hatte, war auch die erforderliche Zeit problemlos verfügbar.
Aber auch Dan Simmons Hyperiongesänge und Endymion, damals je zwei Bücher, oder Das Lied von Eis und Feuer von George R. Martin, 10 Bücher in deutsch, welches unglücklicherweise nie ganz fertig wurde, oder der Der Armageddon-Zyklus von Peter F. Hamilton, sieben Bücher zwischen je 600 und 1000 Seiten, sowie die John-Finch Reihe von Gerd Schilddorfer, waren sehr tolle Leseerfahrungen.
Aktuell freue ich mich auf jede Neuerscheinung von Harald Kaup, dessen A.D. Reihe nun schon seit 10 Jahren auf etwa 30 Bücher angewachsen ist, und wo die recht vielen Protagonisten zum Teil bereits in dritter Generation auftauchen. Dass der Autor es geschafft hat, diese Geschichte bis heute praktisch frei von internen Logikfehlern zu halten, nötigt mir einigen Respekt ab. Ausserdem hat er meine, in einer Rezension geäusserte Kritik, dass die Politik gegenüber dem Militär marginalisiert sei, umgehend aufgenommen und mehrere Bände zu politischen Themen eingefügt.
Man kann hier deutlich die Lernkurve des Autors verfolgen. Die ersten Bände waren noch recht holperig geschrieben, was sich im Lauf der Zeit deutlich verbesserte.
Vielen Dank für den Artikel! Es ist tröstlich hier zu erfahren, dass ich nicht der einzige bin, der dicke Bücher liest und liebt. Ich finde im Text und den Beiträgen einige Titel aus meiner Bibliothek, von Stefano d'Arrigoüber Peter Nadas bis David Foster Wallace. Als weitere Empfehlungen könnte ich anfügen: Thomas Mann (Zauberberg und Jakob und seine Brüder), William Gaddis (The Recognitions), Navid Kermani (Dein Name), John dos Passos (U.S.A.), Clemens J. Setz (Die Stunde zwischen Frau und Gitarre) oder Uwe Tellkamp (Der Turm).
Viel Vergnügen beim Wälzen!
Wer nach den geschätzt 20‘000 Seiten noch Platz für eine weitere ästhetische Zumutung hat, dem empfehle ich die Buchserie Trisolaris des chinesischen Autors Cixin Liu, in vielerlei Hinsicht Horizont-erweiternd (auf ca. 1600 Seiten). Vielleicht ist es doch nicht so sinnvoll, unsere Position so lautstark ins Universum hinauszuposaunen.
Es hat mich sehr gefreut zu sehen, dass einige Kommentatoren auch Dan Simmons Hyperion Cantos und Asimovs Foundation erwähnten - sehr gute Klassiker der SciFi.
Es stimmt schon, die berühmteste Szene im "Don Quixote von la Mancha", der Kampf gegen die Windräder, kommt im ersten Viertel des Buches vor. Ich hab es mal auf Seite 350 (von 1011) geschafft, und habe mir mal vorgenommen, den Rest noch zu bewältigen. Es ist nämlich ein unheimlich lustiger Roman!
Aber im Moment habe ich einen andern in Arbeit: "Der Glaspalast" von Amitav Ghosh. Seeehr empfehlenswert und "nur" 600 Seiten!
Oh, grandios! Mansplaining und manspreading als Lebenswerk! Hier werden in gut lesbarer Länge überlange Werke der Literatur ironisiert und eingeordnet. Es gab eine Phase in meinem Leben, wo ich nichts mit über 200 Seiten Umfang lesen mochte--und ich habe das gut überlebt. XS statt XXL ist keine so schlechte Strategie. In der Kürze lässt sich alles sagen, was auch exzessiver Länge glaubt bedürfen zu müssen. Bestsellernde Long-Reader sind eher die Ausnahme, GsD. Zürcher Maler, Zeichner und Autor Alex Sadkowsky schrieb mit 1902 Seiten wohl den längsten Roman eines Schweizers: Die chinesische Wespe: Die Geschichte einer Liebe. 3 Bände, publiziert 2000 - 2008, selbst bei Literaturexperten weitgehend unbekannt. Hand aufs Herz, der dies Schreibende hat auch erst einen Drittel gelesen, schreibt selbst nur Kurztexte. Niemand hat in jüngster Zeit den Papier-verschleiss von Monsterbüchern beklagt. Ich darf dies hier nachholen. Danke für das Ungaretti-Zitat am Schluss. Paradox: Ein Haiku kann mehr sagen als ein Sumo-Text. Das Leben ist zu K. für zu lange Texte.
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