Serie zum feministischen Streik – Folge 1

«If I could only be sure», Video Still, Johanna Hullár/ecal, Hungary, 2020

Ich fordere, den Nachwuchs in Ruhe arbeiten zu lassen

Warum Unternehmen Berufs­einsteigerinnen besser schützen müssen? Weil sie davon profitieren, logisch. Und noch wichtiger: weil es selbst­verständlich sein sollte. Serie zum feministischen Streik, Folge 1.

Von Theresa Hein (Text) und Johanna Hullár (Bild), 12.06.2023

Vorgelesen von Dominique Barth
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Erinnern Sie sich noch an Ihren Berufs­einstieg? An das erste Praktikum, die ersten Wochen der Ausbildung, später den ersten festen Job?

Bei mir dauerte es etwas, bis mir auffiel, dass sich meine Erfahrungen beim Berufs­einstieg von denjenigen der männlichen Ausbildungs­kollegen unterschieden. Erst im Gespräch mit anderen Frauen kam ich darauf, was es war: Ich war eine junge Frau.

Kurz vorweg: Ich habe das, was ich im Journalismus gelernt habe und immer noch lerne, Männern wie Frauen aller Alters­gruppen zu verdanken. Junge Menschen brauchen erfahrenere Menschen, Mentorinnen und Mentoren, auf die sie sich verlassen können. Bei mir handelte es sich dabei um Personen, die nicht im Traum darauf gekommen wären, mich in eine unangenehme, unprofessionelle Situation zu bringen. Ich hatte Glück, oder den richtigen Instinkt für Menschen, denen ich vertrauen konnte. Warum das auch wieder ein trügerischer Gedanke ist, darauf komme ich noch.

Sexismus und die daraus resultierende Verunsicherung erlebte ich trotzdem zuhauf.

Serie zum feministischen Streik

Es ist wichtig, Probleme zu benennen. Noch besser ist es, Lösungen zu präsentieren. In der Woche des feministischen Streiks stellen sechs Republik-Autorinnen konkrete Forderungen. Zur Übersicht.

Sie lesen: Folge 1

Ich fordere, den Nachwuchs in Ruhe arbeiten zu lassen

Folge 3

Ich fordere eine fe­mi­ni­sti­sche In­ter­na­tio­na­le

Folge 4

Ich fordere, dass wir Care-Arbeit als Arbeit benennen

Folge 5

Ich fordere die Ent­zau­be­rung der Klein­fa­mi­lie

Folge 6

Ich fordere, Werk und Künstler zusammen­zudenken

Debatte

Was fordern Sie?

Mir fällt zum Beispiel der Tag ein, an dem in der Ressort­küche eines grossen deutschen Nachrichten­magazins vier Männer über fünfzig herum­standen, und ich (da war ich Praktikantin) hinein­huschte, um mir einen Kaffee zu machen. Als ich die Kaffee­tasse in die Hand nahm, fiel mir der Löffel hinunter. Auf die Frage eines der Herren (im Wort­laut): «Willst du dich nicht bücken und den aufheben?», entgegnete ich verblüfft «Nein» und verliess mit extra geradem Rücken und unter Kichern die Kaffee­küche. Ich muss wohl kaum dazusagen, dass ich in anderen Situationen alle Dinge aufhebe, die mir herunter­fallen, und ich keine Spur der Verwüstung hinter­lasse. Aber hier wäre die Alternative gewesen, sich vornüber­zubeugen, während um mich herum vier Männer stehen und dabei zusehen. Das ist ein Beispiel für Sexismus.

Oder der Moment, in dem ich herausfand, dass ein fast gleich­altriger Kollege mit gleichwertiger Erfahrung für einen Praktikums­platz keine offizielle Bewerbung beim Team­leiter abgeben musste, ich dagegen schon. Den Begriff Buddytum und dass er auf diese Situation zutraf, lernte ich erst viel später. Das ist ein Beispiel für geschlechts­spezifische Diskriminierung.

Dazwischen Liebes­erklärungen älterer Kollegen per Mail; Warnungen einer Sekretärin, man sei «genau der Typ» eines erfahreneren Kollegen und solle sich «in Acht» nehmen; das erprobte Im-Türrahmen-Verschwinden und Sich-überholen-Lassen, damit man einen bestimmten Kollegen auf dem Weg durch den Flur nicht hinter sich haben muss. Das ist verhältnis­mässig alles harmlos. Aber zusammen­genommen ist es mental auch sehr viel mehr zu verarbeiten, als der männliche Ausbildungs­kollege an einem gewöhnlichen Praktikums­tag einstecken muss.

Klingen diese Schilderungen für irgend­jemanden nicht nach Sexismus, der nur daher statt­finden kann, weil er durch Kollegen und Vorgesetzte ignoriert, geduldet oder gar gedeckt wird – und daher dem entspricht, was man «strukturell» nennt? Ich fand damals weniger erschütternd, dass meine Freundinnen von ihren Ausbildungs­stätten Ähnliches oder Schlimmeres berichteten. Es beruhigte mich vor allem.

Vor meinem Berufs­einstieg fragte ich mich oft, ob «mein Fell» dick genug sei für die Arbeit. Ich war davon ausgegangen, man brauche eine gewisse Zähigkeit und Taffheit, um Konfrontationen mit komplizierten Gesprächs­partnern zu meistern, die langen Arbeits­zeiten, den Konkurrenz­druck. Das stimmt auch. Aber erst Jahre später, als ich mein «Fell» schon lange einfach an- und ablegen konnte wie ein Rapper seinen Pelz, wurde mir klar, dass die meisten Nerven nicht die Nacht­schichten oder die schwierigen Gespräche mit sensiblen Quellen kosten. Sondern der Umgang mit dem Alltags­sexismus, den man als Berufs­einsteigerin erlebt.

Das Thema betrifft ausdrücklich nicht nur den Journalismus. Freundinnen, die in anderen Branchen arbeiten, in der Wissenschaft, in der freien Wirtschaft, berichten aus den ersten Berufs­jahren ähnliche Dinge. Aber ich kann nicht für andere sprechen, sondern nur aus meiner Erfahrung, daher die Beispiele.

Sexismus und Diskriminierung bei jungen Berufs­einsteigerinnen haben eine spezielle Dimension. Weil man unsicherer ist als jemand, der schon zehn oder zwanzig Jahre im Beruf arbeitet. Weil man sich meistens in einer offensichtlichen Konkurrenz­situation befindet. Weil der Wunsch, «gesehen zu werden», «es zu schaffen», Tür und Tor für Macht­missbrauch und Abhängigkeiten öffnet. Weil man sich durch ein befristetes Arbeits­verhältnis und einen lächerlichen Lohn oft in einer existenz­bedrohenden Situation befindet.

Die Frage «Kann ich das, bin ich das, will ich das sein?» begleitet alle jungen Berufs­einsteigerinnen, Männer wie Frauen. Sie wurde, zumindest in der Zeit, als ich angefangen habe, zu arbeiten – nicht vor sechzig, sondern vor sechs Jahren –, am Ende des Tages noch viel zu oft überlagert von der Frage: «Ist es den ganzen Mist wert?»

Viele Frauen schauen sich nach ein paar Jahren nach Arbeits­plätzen in einem angenehmeren Umfeld um. Zu Recht. Struktureller Sexismus zermürbt, verändert Menschen, zerstört Träume – und die haben junge Menschen erfreulicher­weise noch zuhauf; also Vorstellungen, wie ein Traumjob aussehen könnte.

Das Schlimmste für die Unternehmen aus ökonomischer Sicht ist, und das haben sie, glaube ich, bis heute noch nicht zur Genüge verstanden, dass ihnen junge, ambitionierte Arbeits­kräfte verloren gehen, wenn sich die Führungs­ebene nicht um Diskriminierung und Sexismus am Arbeits­platz kümmert; sensible Kolleginnen, die für ein Arbeits­umfeld noch jahrelang besonders wertvoll sein können.

Und: Keine Berufs­einsteigerin sollte, um mit einer schlechten Erfahrung umgehen zu können, zuerst so eine machen müssen. Genauso wenig darf es der individuellen Menschen­kenntnis oder eben dem «Glück» überlassen sein. Das kommt einem Alleine­lassen gleich.

Ich fordere, dass Unternehmen Vorgesetzte und Mitarbeitende umfassend schulen, und noch mehr: dass sie die Ohren aufsperren und hinhören, was auf dem Flur und in der Tee­küche gesagt wird, und ein Bewusstsein für Sexismus nach innen entwickeln, eines, das über das Marketing eines Produkts hinausgeht.

Berufs­einsteigerinnen müssen sich auf eine Nulltoleranz­politik in Sachen Sexismus, Belästigung und geschlechts­spezifischer Diskriminierung verlassen können. Damit sie sich, wie ihre männlichen Kollegen auch, den Tag über auf das konzentrieren können, was sie zu Beginn ihrer Karriere und hoffentlich noch lange tun wollen: ihre Arbeit.

Zur Fotografin

Die Bilder zur Serie zum feministischen Streik stammen von Johanna Hullár. Die gebürtige Budapesterin ist Fotografin und Video­künstlerin und lebt in Zürich. In ihrer Arbeit interessiert sich Hullár für «Verbindung, Intimität, Materialität, Zeit und Wahrnehmung», wie sie selber schreibt. Die Bilder hat Hullár für die Republik kuratiert, sie stammen aus diversen Projekten und Kollaborationen der Fotografin und sollen einen kunstvollen Blick auf Frauen­anliegen eröffnen – der natürlich auch viel Interpretations­spielraum lässt. Mehr zu Johanna Hullár gibt es auf ihrer Website.

Zur Debatte: Was fordern Sie?

Was muss sich für Sie in Sachen Gleich­stellung ändern? Warum ist Ihnen genau diese Forderung wichtig? Und was erhoffen Sie sich dadurch? Reden Sie mit und teilen Sie Ihre Forderungen mit der Republik-Community. Hier gehts zur Debatte.

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Ich fordere, den Nachwuchs in Ruhe arbeiten zu lassen

Folge 3

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Was fordern Sie?