Warum die neue SP-Bundesrätin den Bürgerlichen nützt
Land schlägt Stadt, Gmögigkeit schlägt Erfahrung, Westschweiz schlägt Deutschschweiz: Die überraschende Wahl von Elisabeth Baume-Schneider in den Bundesrat ist kein Zufall. Sondern Ausdruck knallharter Machtpolitik.
Eine Analyse von Dennis Bühler und Priscilla Imboden, 08.12.2022
Elisabeth Baume-Schneider springt vor Freude in die Luft, die Romands in der SP-Fraktion jubeln stürmisch, die Basler Delegation senkt enttäuscht die Köpfe: Nach drei Wahlgängen ist die Überraschung perfekt – und die jurassische Ständerätin als erste Politikerin ihres Kantons in den Bundesrat gewählt.
Und bei den Bürgerlichen? Hämisches Lächeln.
Eigentlich tat das mehrheitlich rechtsbürgerliche Parlament am Mittwoch etwas Unlogisches: Es wählt mit Baume-Schneider die linkere der beiden SP-Kandidatinnen. Doch das ist kein Zufall. Sondern Ausdruck knallharter Machtpolitik.
In Gesprächen nach der Bundesratswahl zeigt sich, weshalb viele Vertreter der Mitte, der FDP und der SVP Baume-Schneider den Vorzug gegeben haben gegenüber der Basler Ständerätin Eva Herzog: Sie gilt als weniger erfahren und durchsetzungsstark.
«Baume-Schneider ist nicht das gleiche Kaliber», sagt ein SVP-Ständerat hinter vorgehaltener Hand. Viele in seiner Fraktion hätten sie gerade deswegen gewählt: Damit die SP mit einer eher schwachen Figur im Bundesrat vertreten sei. Und um der Linken im Wahljahr zu schaden, da sie nun mit zwei Bundesräten aus ruralen Regionen ihre Wählerinnen, die eher in Städten leben, weniger gut vertreten kann. Ein Mitte-Politiker sagt dazu: «Wenn uns die SP das schon ermöglicht, indem sie diese beiden Kandidatinnen nominiert hat – weshalb sollen wir diese Chance nicht packen?»
Tatsächlich agierte die Partei nach dem überraschenden Rücktritt ihrer Bundesrätin Simonetta Sommaruga fahrig und strategielos. So liess sie es zu, dass sich der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch als Diskriminierungsopfer inszenieren konnte, was ihm auf bürgerlicher Seite viel Sympathie einbrachte. Anschliessend kam es zu einer von SP-Politikerinnen beförderten Diskussion, ob nicht erstmals eine Frau mit schulpflichtigen Kindern im Bundesrat vertreten sein sollte, und zwar zu einem Moment, in dem noch gar nicht feststand, ob sich eine solche Kandidatin zur Verfügung stellen würde oder nicht. Nachdem es – zum Glück für die Partei – mit der Berner Regierungsrätin Evi Allemann eine tat, wurde sie von der SP-Fraktion nicht aufs Bundesratsticket gesetzt.
Der Stadt-Land-Graben wird tiefer
Am Ende obsiegte Elisabeth Baume-Schneider, die als ehemalige Regierungsrätin des kleinen Kantons Jura weniger Erfahrung mitbringt als Eva Herzog, die das Finanzdepartement des Kantons Basel-Stadt leitete. Die Differenz betrug nur sieben Stimmen. Bei ihrer Wahl dürften auch persönliche Ambitionen eine Rolle gespielt haben: Da nun zwei Romands für die SP im Bundesrat sitzen, ist beim Rücktritt von Alain Berset ein Deutschschweizer Mann als Nachfolger praktisch gesetzt: Damit steigen die Chancen von – Daniel Jositsch. Einige der anfänglich 58 Stimmen, die im ersten Wahlgang an ihn gingen, dürften deswegen später zu Baume-Schneider gewandert sein.
Das Resultat des Ränkespiels: ein Bundesrat, in dem wesentliche Kräfte nicht mehr vertreten sind. Als einzige Städterin verbleibt Karin Keller-Sutter im Bundesrat. Doch Wil SG hat gerade mal 24’000 Einwohnerinnen. Der neue SVP-Bundesrat Albert Rösti lebt gemeinsam mit knapp 6000 anderen Menschen in Uetendorf BE, Elisabeth Baume-Schneider mit 1500 anderen Einwohnern in Les Breuleux JU.
Die grossen Städte und die Kantone, die in den Finanzausgleich einzahlen: Sie haben nach den Rücktritten von Simonetta Sommaruga und Ueli Maurer keine Stimme mehr in der Landesregierung. Das ist schlecht für den Zusammenhalt des Landes, zumal die Gräben in den letzten Jahren tiefer zu werden scheinen: So sorgt das antiquierte Ständemehr, das einem Urner Bürger das 35-fache Gewicht einer Zürcherin verleiht, immer wieder dafür, dass kleine ländliche Kantone grosse städtische Kantone überstimmen. Daran scheiterte zum Beispiel die Konzernverantwortungsinitiative.
Zudem gibt es handfeste politische Differenzen zwischen den (überwiegend links regierten) Städten und dem Bund: Letzterer untersagt den Städten seit Jahren, mehr Flüchtende aufzunehmen. Und schliesslich heizt mit der SVP die wählerstärkste Partei den Konflikt zwischen Stadt- und Landbevölkerung an: Vor einem Jahr wetterte die Partei gegen «Luxus-Sozis» und «Bevormunder-Grüne» in «Schmarotzer-Städten».
Während die urbane Bevölkerung die Verliererin dieser Bundesratswahlen ist, ist die Landwirtschaft die grosse Siegerin. Der Präsident des Bauernverbands, Mitte-Nationalrat Markus Ritter, weibelte hinter den Kulissen nicht umsonst sehr stark für Baume-Schneider: Er hat nun direkten Zugang zu drei von sieben Bundesräten – Winzer Guy Parmelin, Agronom Rösti und Schwarznasenschafhalterin Baume-Schneider.
Umweltminister Rösti?
Die neue Bundesratskonstellation verheisst für die grossen Fragen, mit denen die Schweiz konfrontiert ist, nichts Gutes: So besteht kein Anlass zur Hoffnung, dass sich die Beziehungen zur Europäischen Union signifikant verbessern werden – im Unterschied zu Baume-Schneider hätte Herzog dieses Dossier vorantreiben wollen, wie sie in den Hearings der Fraktionen und in Interviews versprach.
Für die Klimapolitik könnte die gestrige Bundesratswahl sogar zum Debakel werden. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass Albert Rösti an der heute anberaumten Departementsverteilung das Umwelt- und Energiedepartement (Uvek) übernehmen wird, ist gross. Der ehemalige Präsident des Verbandes der Erdölimporteure Swissoil und der derzeitige von Auto-Schweiz ist ein Atomkraftbefürworter und hat massgeblich dazu beigetragen, dass das von freisinnigen Parlamentsmitgliedern geprägte und von grünen Kräften zähneknirschend akzeptierte CO2-Gesetz an der Urne gescheitert ist. Und er wird – glänzend im ersten Wahlgang gewählt – aus einer Position der Stärke regieren.
Kann Rösti im Uvek noch verhindert werden? Die meisten Politauguren glauben nicht, dass Viola Amherd oder Guy Parmelin ihre Departemente verlassen möchten. Eine Chance hätte somit einzig Alain Berset – wenn er sich denn im letzten Moment dafür entscheiden sollte, nach dem Schlüsseldepartement zu greifen, das seine Parteikollegin Sommaruga mit ihrem Rücktritt frei gemacht hat. Der Schritt wäre überraschend, weil Berset an diesen Themen bisher wenig Interesse zeigte, er ist aber auch nicht ausgeschlossen: Denn voraussichtlich wird ihm Karin Keller-Sutter den Weg in sein mutmassliches Wunschdepartement – jenes der Finanzen – versperren.
Nun tritt nämlich offen zutage, was schon länger ruchbar war: Karin Keller-Sutter – in Bundesbern ehrfurchtsvoll «KKS» genannt – ist zur mächtigsten Bundesrätin aufgestiegen. Prallen Interessen von Mitte-links (Amherd, Berset, Baume-Schneider) und von Mitte-rechts (Cassis, Parmelin, Rösti) aufeinander, gibt die FDP-Politikerin den Ausschlag. Das wird auch bei der Departementsverteilung so sein, bei der sie Rochaden somit praktisch im Alleingang verhindern oder gutheissen kann. Hält sie zum Parteikollegen Cassis? Zu Mitte-Bundesrätin Amherd, mit der sie befreundet ist? Oder zu Berset, mit dem sie immer wieder politische Allianzen eingegangen ist?
Mittelfristig wird «KKS» der Regierungspolitik den Stempel aufdrücken: Kein Zweifel, dass sie als Finanzministerin ihren Kollegen mit Mitberichten und Sparaufträgen reinreden würde, so, wie es Ueli Maurer tat.
Und die frisch gewählte SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider? Sie wird von der bürgerlichen Bundesratsmehrheit aller Voraussicht nach im Justizdepartement versenkt. Dort muss sie sich mit steigenden Flüchtlingszahlen herumschlagen. Die SP-Politikerin, die sich für die chancenlose Ausweitung des S-Status auf Flüchtende aus anderen Staaten als der Ukraine ausgesprochen hat, wird dort eine ideale Angriffsfläche bieten für rechtsbürgerliche Attacken im Wahljahr.