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Lord of the Blings

Amazon produziert mit «Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht» eine der teuersten Serien aller Zeiten, vergisst dabei aber die Hauptsache.

Von Theresa Hein, 02.09.2022

Synthetische Stimme
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Eine der schönsten universal gültigen Kindheits­erinnerungen ist die Erfahrung, sich in eine Geschichte zu verlieben, nicht allein, sondern mit jemandem gemeinsam. Das Erlebnis, etwas so Unkonkretes und gleichzeitig derart Bezauberndes wie eine gute Erzählung ins Herz zu schliessen, um eine fiktive Figur zu trauern oder einen quälenden Sommer lang auf eine Fortsetzung zu warten, wird nur noch verschönert dadurch, Menschen zu finden, die mit einem warten, sich mit einem freuen oder trauern.

Um die Jahrtausend­wende konnten Eltern auf der ganzen Welt dieses Phänomen beobachten, als das Fantasyepos «Der Herr der Ringe» in die Kinos kam. Die Verfilmung durch Peter Jackson wurde, wie die «New York Times» im vergangenen Winter analysierte, besonders für junge Frauen eine Fantasy­erzählung, mit der sie sich anfreunden konnten. Anders als in den zeitgleich veröffentlichten Episoden der Filmreihe «Star Wars» zum Beispiel bot «Der Herr der Ringe» zumindest in der Filmversion Frauen­figuren, die keine männlichen Beschützer nötig hatten, ihre eigenen Entscheidungen trafen und in den Kampf zogen.

Obwohl auch dieser Film den berühmten Bechdel-Sexismus-Test nicht ganz besteht und in jüngerer Zeit wegen seines wenig diversen Casts kritisiert wurde, schuf er in der Fantasywelt für Frauen und Mädchen coole Identifikations­figuren. Man konnte als junges Mädchen diesen Film guten Gewissens lieben, sich spitze Ohren wünschen, wie sie die Elben­königin Galadriel hat, und ohne Scham im Kino um eine Arwen-Popcorntüte bitten. Man konnte als männlicher Teenager aber auch einen fehlbaren Helden toll finden, der am Ende beinahe scheitern würde, wäre da nicht der Zufall; einen Helden, der seine Aufgabe nicht ohne Hilfe meistern kann und das auch ausspricht.

So weit die Liebe.

Als bekannt wurde, dass der Streamingriese Amazon Prime Video unter Führung des Weltraum-Egomanen Jeff Bezos den «Herr der Ringe»-Stoff zu einer Serie weiterspinnen wollte, war der Zorn der Anhänger von Büchern und Filmen gross.

Die Serie wurde, noch bevor sie irgend­jemand zu sehen bekam, nicht einfach nur gehasst. Sie wurde mit grossem Hass gehasst.

Was fehlt, ist nicht nur ein Ring

Ein Ventil fanden die in ihrer Skepsis vereinten «Herr der Ringe»-Fans, als der erste Trailer zur Serie veröffentlicht wurde. Man kann sich gut und gerne zwanzig Minuten durch die Kommentare klicken und muss ziemlich viel lachen, obwohl die meisten Beiträge nach dem gleichen Schema funktionieren und sich darüber lustig machen, wie man sich bei Amazon den mutmasslich von Geldgier begleiteten Einkaufs­prozess vorgestellt haben könnte. (Ungefähr so: «‹Herr der Ringe›? Das ist doch die Story von den Zauber­lehrlingen, die die Welt gegen eine Atom­macht verteidigen und dabei ihre Bluesband wieder­beleben wollen, oder?»)

Die Serie darf sich aus rechtlichen Gründen nur über eine bestimmte Zeit im Fantasy­reich Mittelerde abspielen und, so lauten die Bedingungen, nicht den Stoff der drei «Herr der Ringe»-Romane und aus dem Buch «Der kleine Hobbit» verwerten (die Filmrechte für diese Werke und damit zukünftige Spin-offs wurden bereits 1976 vom Tolkien Estate verkauft und vor kurzem weiterverkauft – nur halt nicht an Amazon), sondern nur ein paar Krümel des Tolkien-Kosmos.

Den Hass, den die beiden Drehbuch­autoren J. D. Payne und Patrick McKay im Vorfeld auf sich zogen, haben sie trotzdem nicht verdient, nicht vollends zumindest. Aber sie standen offensichtlich vor einer grund­legenden Schwierigkeit: Sie haben keine Geschichte zu erzählen.

Der US-amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut erklärte einmal in einer Lesung, die meisten Geschichten würden nach den gleichen simplen Schemata funktionieren. Eines dieser Schemata nennt Vonnegut «Man in Hole», «Mann in Loch». Das geht so: Ein ganz normaler Mensch fällt in ein tiefes Loch und kommt dann wieder raus («Die Leute lieben diese Geschichte!»).

So war es, streng reduziert, auch in J. R. R. Tolkiens «Herr der Ringe»: Der Protagonist, Frodo, ein nichts ahnender Normalo, bekommt einen goldenen Ring und die teuflisch schwierige Aufgabe, ihn zu vernichten (das «Loch»). Tolkien versah diese Geschichte mit einem komplett eigenen Universum und detail­reichen Einfällen wie behaarten Hobbit­füssen, eigenen Sprachen und magischen Wesen, für die er bis heute bewundert wird.

Die beiden Autoren von «Die Ringe der Macht» durften sich nun dieses Universums von «Herr der Ringe» bedienen, aber eben nicht seiner berühmtesten Geschichte.

Um es mit Vonnegut zu sagen: Sie haben kein Loch.

Stattdessen gibt es das pompöse Drumherum aus Elben, Zwergen und zauber­haften Geschöpfen mit allen möglichen Eigenarten. Einen dräuend in der Ferne schwebenden Bösewicht gilt es zu vernichten, aber er ist komplett in Einzel­teile zerlegbar, die überall eingesetzt werden können, und wird beliebig.

Was Vonnegut zur Belustigung seiner Studentinnen erzählte, hatte auch eine klare Botschaft: Du kannst jede Geschichte tausendmal erzählen, du musst es nur mit Raffinesse tun.

In «Die Ringe der Macht» steht man nun vor dem Leinwand gewordenen Paradox, dass die Drehbuch­autoren um jeden Preis den Eindruck erwecken möchten, sie würden raffiniert erzählen, und sich dafür so viel Mühe geben, dass sie einem direkt leidtun. Ihre Nicht-Erzählung ist geschmückt mit einer schwer zu überschauenden Vielzahl an Charakteren, über deren lose Schicksals­verbindungen nicht mal eine ausgezeichnete Elben­darstellerin (Morfydd Clark), erhebende Bilder von goldenen Baum­wipfeln und ein diverser Cast hinweg­helfen können. «Die Ringe der Macht» ist eine im Wortsinn glänzende Serie, die geradezu streberhaft an den richtigen Stellen blendet, blitzt und blinkt.

Die Abwesenheit des «Rings» in den ersten Folgen von «Die Ringe der Macht» steht aber exemplarisch für den Mangel, der so viele Fantasy­filme und -serien der vergangenen Jahre vereint: den Mangel an Geschichte.

Es wird Menschen geben, die das nicht schlimm finden, die sich gerne etwas blenden lassen, wenn sie dafür ein paar hübschen Fantasy­bildern zusehen dürfen.

Die anderen müssen derweil weiter auf die nächste gut erzählte Version von «Mann in Loch» warten.

Zur Serie

«Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht». Acht Folgen, jeweils circa eine Stunde. Auf Amazon Prime Video streambar.