Nicht das Gelbe vom Ei
Zu Ostern fordert unser Hausgourmet einen Mindestlohn für Hennen, deren Tageswerk skandalös unterbezahlt wird. Für die «Œufs en Meurette» möge man daher nur die teuersten Eier verwenden. «Geschmacksache», Folge 30.
Von Michael Rüegg (Text) und Lilli Persson (Bild), 16.04.2022
Einigen unter Ihnen ist womöglich aufgefallen, dass die letzte «Geschmacksache» eine Weile her ist. Ich möchte dafür zwei Gründe ins Feld führen:
Erstens verspürte ich nach knapp 30 Beiträgen eine kleine Schaffenskrise. Ich brauchte neue Ideen. Als dann zweitens die Gedanken mit gemächlichem Tempo angekrochen kamen, misslang mir eines Abends beim Schlittschuhlaufen eine Biellmann-Pirouette. Ich fiel hin und brach mir das Handgelenk.
In den Wochen danach wollte ich die Kunst der einhändigen Zubereitung von Lebensmitteln perfektionieren. Doch sie erwies sich als unglamouröses Geschäft. Ich konnte zwar mit der Zeit meine Technik verbessern, mit nur einer Hand den Inhalt eines grossen Kochtopfs durch ein Sieb zu giessen (fragen Sie bitte nicht, unter Zuhilfenahme welcher Körperteile dies erfolgte) – doch im Wesentlichen blieb es bei griechischen Salaten und Pasta mit vor dem Unfall portionenweise tiefgefrorenen Saucen.
Das Leben als einarmiger Bandit ist wenig erfüllend, nicht mal die Pfeffermühle konnte ich bedienen. Mein einziger Freund war ein wirklich scharf geschliffenes Küchenmesser.
Mittlerweile gehts etwas besser. Auf sanften Druck der einzigen promovierten Juristin auf der Republik-Redaktion habe ich nun eingewilligt, mich im Hinblick auf Ostern wenigstens des Themas Ei anzunehmen.
Hennen aller Länder, vereinigt euch!
Jahre ist es her, als uns eine Tante meines damaligen Partners ein paar Eier aus ihrem Garten in der Steiermark mitgab. Sie waren entweder von blassem Rosa oder Mint und etwas kleiner als die handelsüblichen. Allein ihre Erscheinung war prächtig, das Werk von zwei offenbar wenig verbreiteten Hühnerrassen. Die Tiere hatten jede Menge Auslauf und pickten sich im üppigen Grün ihre Lieblingsmahlzeiten zusammen.
Die Eier schmeckten fantastisch. Ein Spiegelei vom überglücklichen Huhn mit einer Prise Fleur de Sel war ein Gedicht. Ein Bio-Ei aus dem Supermarkt, zum Vergleich dazu probiert, enttäuschte masslos. Vor lauter Freude über die Qualität von Tantes Eiern taufte ich die Steiermark feierlich um in St. Eiermark.
Ich wunderte mich in der Folge, weshalb praktisch jedes Lebensmittel in einer Premium- oder gar Superpremium-Variante erhältlich ist – mit Ausnahme des Hühnereis. Wohl gibt es Preisunterschiede zwischen Freiland, Freiland-Bio und den zu verschmähenden Bodenhaltungs-Eiern. Doch so etwas wie das Ei des Kolumbus für den ultimativen Genuss fehlt auf dem Markt.
Beim Grossverteiler kostet ein Bio-Freilandei um die 75 Rappen. Bei einer regulären Arbeitszeit von acht Stunden ergibt das pro Huhn einen Stundenlohn von weniger als zehn Rappen – Margen nicht mitgerechnet. Das ist schlichtweg skandalös. Eier sind viel zu billig, das Tageswerk einer Henne ist mehr wert. Dass die Henne selber nichts von dem Geld sieht, macht den Skandal nur noch grösser.
Klar, die Veganerinnen unter Ihnen mögen nicht ganz zu Unrecht darauf hinweisen, dass die Eierproduktion an sich ein etwas fragwürdiges Geschäft ist. Doch stellen wir uns doch mal vor, Hennen hätten weniger Legedruck, bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, und die Frage der Aussortierung männlicher Küken stünde nicht mehr im Raum: Ein Ei würde ein Vielfaches von dem kosten, was es heute wert ist und wäre eine Delikatesse, die wir mit Genuss und Verstand konsumierten – wäre eine solche Welt nicht vorstellbar?
Ein Ei ist keine Beilage
Bevor wir aber ins Eier-Nirwana vordringen können, müssen wir uns noch mit der aktuellen Realität arrangieren. Besorgen wir uns also konsequent die teuersten Eier, die wir finden können. Heute machen wir daraus Œufs en Meurette, eine sehr französische Angelegenheit.
Ich bin der Ansicht, dass man sich keineswegs der französischen Küche verschreiben muss. Doch ein paar Klassiker aus dem westlichen Nachbarland mit seiner reichen kulinarischen Tradition sollte man schon im Repertoire haben.
Eine der grossen Botschafterinnen der französischen Kochkunst war die Amerikanerin Julia Child. Es gibt einen herrlichen Film über sie, mit Meryl Streep in der Hauptrolle. Die Streep gehört meines Erachtens zu den wirklich grossen US-Schauspielerinnen. Trotzdem ereilte mich bei diesem Streifen der Eindruck, dass sie in ihrer Rolle etwas dick auftrage. Ihre Julia Child wirkt wie eine häusliche Dragqueen mit Kochschürze.
Dieser Eindruck hält nur so lange an, bis man sich die echte Julia Child in action reinzieht. Sie wirkt so unnachahmlich, dass man unweigerlich seinen Hut vor Meryl Streeps schauspielerischer Leistung zieht. Die Child also folgte ihrem Mann ins Nachkriegs-Paris, wo dieser eine Stelle bei der amerikanischen Botschaft antrat. Sie selbst wollte kochen lernen, eine Fähigkeit, die sie bis zu dem Punkt in ihrem Leben nicht besass. Nach einem schwierigen Start mauserte sie sich schliesslich zur höchsten Instanz für die französische Küche in den Vereinigten Staaten.
Es gibt ein Video, in dem Julia Child über die Zubereitung einer echten Omelette doziert. Ich teile meine eigenen Omeletten ein, in eine Zeit vor und nach diesem Video. Man lernt wirklich alles, was nötig ist – der Teufel steckt auch hier im Detail.
Aus unseren Eiern werden wir heute aber keine Omeletten herstellen, sondern Œufs en Meurette. Meine ersten Œufs en Meurette ass ich in einem kleinen Lokal in Nizza, als ich vor vielen Jahren meine Freundin Betsy besuchte. Sie hatte sich eine Auszeit und eine Wohnung genommen, vergass allerdings, während ihres Aufenthalts Französisch zu lernen. Wir speisten am Abend nachdem in der Stadt ein Ironman-Triathlon stattgefunden hatte, natürlich ohne unsere Beteiligung. Um uns herum sassen völlig ausgemergelte Gestalten in Sportkleidung.
Bei Œufs en Meurette soll es sich ursprünglich um eine Resteverwertung von Bœuf Bourguignon gehandelt haben. Die übrig gebliebene Sauce wird auf pochierte Eier gegossen und mit getoastetem Brot gegessen. Irgendwann hat sich das Gericht von den Resten gelöst und wurde einer eigenständigen Zubereitung würdig.
Œufs en Meurette
Zutaten (als Vorspeise für 4 Personen): 1 Schalotte oder Zwiebel, 1 Karotte, eine halbe kleine Stange Lauch (nur den weissen Teil), etwas Öl, 2 Knoblauchzehen, 2 EL Weissmehl, 4 dl anständigen Rotwein, 1 dl Portwein, ein paar Zweige Thymian, 3 Lorbeerblätter, 1 dl kräftige Rindsbouillon, ca. 150 g Champignons, ca. 150 g Speckstreifen, etwas Essig, 8 Eier, 1–2 TL Zucker, Salz und Pfeffer, 100 g Butter, etwas Schnittlauch, Weissbrot zum Toasten
Zwiebel oder Schalotte hacken, in einer Pfanne mit hohen Rändern oder einem kleinen Topf zusammen mit der in sehr kleine Würfel geschnittenen Karotte und dem ebenfalls sehr fein geschnittenen Lauch in etwas Öl oder Bratbutter einige Minuten anschwitzen. Knoblauch hineinpressen und Mehl dazusieben, gut untereinander mischen und kurz mitschwitzen.
Mit dem Rotwein und Portwein ablöschen, Thymian und Lorbeer dazugeben, gut verrühren. Die Rindsbouillon dazugeben. Bei geringer Hitze 30 bis 40 Minuten ohne Deckel köcheln lassen, bis die Sauce auf etwas mehr als die Hälfte eingekocht ist.
Gegen Ende der Kochzeit die Champignons vertikal vierteln, wenn es kleine sind, oder in Scheiben schneiden, wenn sie etwas grösser sind. Dann in einer heissen Bratpfanne ohne Fett anbraten, beiseitestellen. Die in Streifen geschnittenen Specktranchen anbraten und, bevor sie knusprig werden, zu den Champignons geben. Wer es lieber vegetarisch mag, lässt den Speck einfach weg.
In einem Topf 2 bis 3 Liter Wasser kurz vor den Siedepunkt bringen, einen Schuss Essig beigeben. Mit dem Schwingbesen einen Wirbel erzeugen. Dann ein Ei aufschlagen und vorsichtig in die Mitte des Wirbels gleiten lassen. Mit einer Schaumkelle versuchen, das Eiweiss ums Eigelb zu drapieren (Vorsicht: Misslingt nicht selten). Nach 3 bis 4 Minuten ist das Eiweiss fest, das Eigelb noch flüssig. Dann gilt ein Ei als pochiert.
Das pochierte Ei mit der Schaumkelle aus dem Wasser retten und an der Wärme auf den Rest warten lassen. Mit den restlichen Eiern gleich verfahren.
Inzwischen den Zucker in die Sauce geben und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Lorbeeren und Thymian herausfischen, Champignons und Speck dazugeben, die Butter hineinrühren. Sauce auf vier vorgewärmte Suppenteller oder Schüsselchen verteilen.
Je zwei Eier auf die Sauce legen.
Den mit der Schere geschnittenen Schnittlauch über die Œufs en Meurette verteilen. Mit getoastetem Weissbrot servieren. Dieses tunkt man beim Essen in die Sauce.
Etwas Leichtes, Rotes vielleicht
Für die Weinbegleitung können wir uns je nachdem am Kochwein orientieren (wir haben ja etwas Anständiges verwendet). Gut passen würde etwa ein einfacherer Pinot noir aus dem Stahltank oder gebrauchten Holzfässern, wir wollen hier nicht zu viel Holz. Schön wäre auch ein Beaujolais, die Weine aus der Hügellandschaft im Südburgund haben in den vergangenen Jahren massiv zugelegt. Auch ein passabler Gamay aus hiesigen Landen kann hier eine gute Figur machen. Oder einer jener leichten Nebbiolos aus Poschiavo, die ich sehr schätze.
Es mag zwar etwas frivol wirken, einen Weisswein zu einer Rotweinsauce zu servieren, doch auch ein Chardonnay ist als Begleitung nicht völlig undenkbar. Beispielsweise ein Fläschchen aus einer der Appellations du Mâconnais, die sind simpler und mitunter fruchtiger als ihre Cousins von der Côte de Beaune (und kosten einen Bruchteil). Auch nicht ausgeschlossen: ein Œil-de-Perdrix.