«Wir wollen von jedem einzelnen Mädchen in Serbien gesehen werden»
Serbische Feministinnen fordern ihre Rechte ein. Doch das kostet Kraft in einem Land, in dem fast jede zweite Frau schon Gewalt erlebt hat. Helfen neue Gesetze zur Gleichstellung und Druck aus der EU? Serie «Der feministische Balkan», Teil 1.
Von Adelina Gashi, Marguerite Meyer (Text) und Ilir Tsouko (Bilder), 01.04.2022
Sie heissen Jelena, Trina, Liri, Mirishahe, Sanja, Gresa, Aleksandra und Xheni. Sie leben in Serbien, in Kosovo, in Albanien. Sie verstehen sich als Feministinnen und Aktivistinnen, bauen Unternehmen auf, sind Wissenschaftlerinnen, machen Politik. Und entsprechen damit so gar nicht dem Klischee der patriarchalen Gesellschaft auf dem Balkan, das in Westeuropa noch immer in vielen Köpfen steckt.
Was heisst Feminismus in diesem Teil Europas? Wie hat sich die #MeToo-Bewegung hier niedergeschlagen? Und wie vernetzen sich die Frauen untereinander und über Landesgrenzen hinweg – gerade in Zeiten, in denen die Staatsoberhäupter ihrer Länder den brüchigen Frieden gefährden und wieder vermehrt auf Konfrontationskurs gehen?
Mit diesen Fragen steigen wir in Basel-Mulhouse in den Flieger nach Belgrad, die serbische Hauptstadt. Von dort aus soll die Reise weitergehen nach Pristina in Kosovo und dann über die albanischen Alpen nach Tirana. Drei Länder, drei Hauptstädte, der feministische Balkan. Das ist unser Reiseziel.
Der Rundumblick vom Platz der Republik im Zentrum der 1,4-Millionen-Stadt Belgrad ist imposant. Gut besuchte Cafés inmitten von wuchtiger Architektur aus Titos Zeiten, das Nationaltheater, das Nationalmuseum.
Jelena Riznić, eine 23-jährige Doktorandin der Politikwissenschaft und der Soziologie, hat uns zu diesem historischen Ort gelotst: Im Herzen Belgrads fanden 1991 die grossen Proteste gegen das Regime von Slobodan Milošević statt. Damals stellte sich die Frauenorganisation Women in Black auf die zentralen Plätze der Stadt, als Protest gegen den Jugoslawienkrieg und seine Gräuel. Und hier kommt es auch heute immer wieder zu Demonstrationen gegen die aktuelle Regierung von Aleksandar Vučić. Und zu Mahnwachen für die Aufarbeitung des Völkermords von Srebrenica.
Die Republik Serbien existiert in ihrer heutigen Form seit 2006. Damals gab sich das Land nach vielen Jahren Krieg eine neue Verfassung – und wurde zum Nachfolgestaat der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Die Mehrheit der rund 7 Millionen Einwohnerinnen sind serbisch-orthodox geprägt. Die Kirche hat seit dem Fall des Kommunismus gesellschaftlich an Bedeutung gewonnen und ist eng verknüpft mit der politischen Riege.
Jelena hat neben ihrem Studium einen Vollzeitjob: Sie tritt in Fernsehshows auf, gibt Interviews, spricht in der Frauenzeitschrift «Elle Serbia» über Rachepornografie im Netz, über Scham und über Gewalt an Frauen.
Auf Instagram könnte ihr Profil auch das eines Models sein. Jelena erzählt uns, wie sie zur Feministin wurde. Frisch an der Universität schloss sie sich marxistischen Gruppierungen an. Und wurde rasch enttäuscht: «Gegen aussen sind sie für die Frauenemanzipation und gegen Pornos, Prostitution und so weiter. Wenn es aber um die Beziehungen innerhalb der Gruppe geht, sind die Männer da auch nicht feministisch.» Sogenannte Frauenfragen? «Alles andere war immer wichtiger.» Hinzu kam die Gesprächskultur: Frauen wurden beim Sprechen unterbrochen, nicht ernst genommen.
Bald hatte Jelena genug und verliess den marxistischen Zirkel. Sie schloss sich mit anderen jungen Frauen zusammen, darunter viele, die ebenfalls aus linken Gruppierungen ausgetreten waren. «Wir wollten uns einen sicheren Ort erschaffen, weil wir wussten: Niemand wird ihn uns geben.» So entstand Ženska solidarnost, Frauensolidarität. Zunächst war es eine kleine Facebook-Gruppe, doch nachdem sich die jungen Frauen in die umstrittene Abtreibungsfrage eingemischt hatten, wurde es zu einem medial breit wahrgenommenen Kollektiv.
Serie «Der feministische Balkan»
Was bedeutet Feminismus auf dem Balkan? Wie organisieren sich Frauen in Serbien, in Kosovo, in Albanien? Eine dreiteilige Reportage aus Ländern, die nicht nur autokratische Spitzenpolitiker mit chauvinistischer Agenda haben. Sondern auch junge Menschen, die alte Zöpfe nicht abschneiden, sondern neu flechten wollen. Zur Übersicht.
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Die serbische #MeToo-Bewegung, erzählt Jelena, sei für sie ein Augenöffner gewesen. Sie nahm 2019 ihren Anfang mit einer Frau aus dem kleinen Städtchen Brus in Zentralserbien. Marija Lukić war die Sekretärin des Bürgermeisters gewesen – und machte seine sexuellen Übergriffe öffentlich. «Das war eine richtig grosse Sache. Es ging eben nicht nur um männliche Gewalt, sondern um Gewalt von jemandem mit Macht», sagt Jelena. Als der Fall vor Gericht verhandelt wurde, reisten sie und andere Aktivistinnen hin: «Das war eine sehr gute Erfahrung.» Der Bürgermeister wurde verurteilt.
So richtig ins Rollen kam die #MeToo-Bewegung Anfang 2021, als Serbien von einem Fall aufgerüttelt wird, der an Harvey Weinstein erinnert: Ein bekannter Schauspiellehrer kam vor Gericht, dem Dutzende Frauen – ehemalige Schülerinnen, Kolleginnen, Gefährtinnen – Übergriffe, Vergewaltigungen und Machtmissbrauch vorwarfen.
Das Eis war gebrochen.
Plötzlich könne man öffentlich über solche Missstände sprechen, sagt Jelena. Auf Instagram berichten dem Kollektiv inzwischen viele junge Frauen von ihren eigenen Erfahrungen. «Sie fühlen sich sicher, uns von der Gewalt zu erzählen, die sie erleben.» Das sei manchmal belastend, sagt sie. «Für so was müsste man eigentlich ausgebildet sein.»
Ihr feministischer Blick sei an der Universität richtig erwacht, sagt Jelena, aber eigentlich fing alles schon viel früher an. «Als ich ein kleines Mädchen war, sagten meine Eltern zu meinem Bruder: Du kannst spielen gehen. Und mir: Du kannst das Geschirr abwaschen. Und ich dachte mir: Das ist doch nicht fair!» Sie sei als Kind keine Rebellin gewesen, sondern eher brav, sagt Jelena: «Aber ich hatte immer das Gefühl, ein anderes Leben zu brauchen.»
Und dann passierte das mit Petnica.
Im kleinen Dorf Petnica steht das Science Center – bekannt im ganzen Balkan für seine ausserschulischen Wissenschaftskurse. Seit den 1980er-Jahren gibt es hier Sommeruniversitäten. Vor kurzem wandten sich mehrere Schülerinnen an die Medien: Ein Lehrer soll sie zu Nacktfotos gedrängt haben. Jelena war eine dieser Schülerinnen. «Mit meinen Eltern konnte ich lange nicht darüber sprechen, was mir passiert war.» Der öffentliche Diskurs habe geholfen. Ihre Familie stehe heute hinter ihr, «auch wenn sie meinen Aktivismus wohl nicht immer ganz verstehen».
Den Medienauftritten folgte nicht nur Zuspruch, es kamen auch die Hassnachrichten und Drohungen. Einmal hätten Unbekannte die Adresse ihrer Eltern ins Netz gestellt. «Der Hass ist ein Teil von meinem Leben geworden. Nicht, dass ich ihn akzeptiert hätte, aber er gehört jetzt irgendwie dazu.» Warum sie das so schulterzuckend sage? Sie überlegt kurz und formuliert bedacht: «So kann ich den Hass von mir abschütteln, von mir wegstossen.»
Trotzdem sei sie optimistisch, sagt Jelena. «Frauen schaffen sich gerade viel mehr Raum. Früher konntest du zum Beispiel nicht einfach so im Fernsehen über sexuelle Gewalt sprechen.» Derzeit geht es Jelena mit ihrer Gruppe vor allem darum, immer noch mehr Leute zu erreichen. Sie wollen vergessene Geschichten über Partisaninnen erzählen, über die Frauen, die in den Widerstandsbewegungen gegen die Nazis gekämpft haben. So wie Zora Žujić-Torbica, die 1944 als 19-jährige Partisanin an der Befreiung Belgrads von der deutschen Wehrmacht beteiligt war. «Wir wollen Geschichten erzählen, die kleine Mädchen lesen können.» Das Internet sei dabei alles, sagt sie: «Wir wollen von jedem einzelnen Mädchen in Serbien gesehen werden.»
Doch seit Aleksandar Vučić regiert, stehen Aktivistinnen wie Jelena unter Druck. Der Präsident stellt sich unverhohlen hinter serbische Kriegsverbrecher. Unter ihm wurde die Freiheit der Medien im Land eingeschränkt, für Journalistinnen ist es bedeutend schwieriger geworden, kritisch über die Regierung zu berichten.
In diesem politischen Klima bewegen sich auch Aleksandra Nestorov und Sanja Pavlović. Die beiden ehemaligen Journalistinnen arbeiten beim Autonomous Women’s Center (AWC) in Belgrad. Die Nichtregierungsorganisation kümmert sich um gewaltbetroffene Frauen, organisiert Aufklärung in Schulklassen, erarbeitet Studien zu Gleichstellungsthemen, und ihre Juristinnen verhandeln mit Regierungsstellen.
Der Sitz der Organisation liegt in einem Viertel ausserhalb der wuseligen Innenstadt. Die Seitenstrasse ist von Bäumen gesäumt. Die Adresse ist nicht geheim, die Klingel dennoch diskret angeschrieben. Durch ein Eisentor, eine Betontreppe hoch – und dann stehen Sanja und Aleksandra vor uns.
Die kleine Wohnung strahlt Wärme aus. Ein Zimmer für die Beratungen, zwei für Büroarbeiten. An den Wänden hängen Flyer, Kleber und Fotos von Aktionen und Kampagnen. Ab und zu klingelt jemand an der Tür – Beratungstermine, meistens geht es um Gewalt in Beziehungen.
«Hier» zeigt die 44-jährige Aleksandra auf eine Fotografie an der Pinnwand, eine Frau zählt Geldscheine ab. «Das war das Geld, das unsere feministischen Schwestern in der Schweiz damals gesammelt und dem Center geschickt hatten», erzählt sie. Mit diesem Geld konnte das Zentrum diese Wohnung in den 1990ern kaufen.
Sanja stellt eine Flasche Cockta auf den Balkontisch – ein Süssgetränk mit Hagebutte und Kohlensäure, das seit der Jugo-Nostalgie-Welle wieder trendy ist. «Das meiste, was wir seit den Nachkriegsjahren erreicht haben, haben wir mit der Unterstützung und in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft geschafft», sagt Aleksandra. «Ohne diese wäre hier alles schwieriger. Und der EU-Beitrittsprozess ist einer der wichtigsten Aspekte bei der Durchsetzung des Wandels. Nur der internationale Druck wird unsere Anstrengungen innerhalb des Landes unterstützen.»
Die rechtskonservative Regierung tut sich schwer mit Forderungen aus dem Ausland. Aber wenn sie in die EU will, muss sie gewisse Bedingungen erfüllen. «Diese internationalen Abkommen sind für uns sehr wichtig, denn sie drängen die Regierung dazu, demokratischer und transparenter zu arbeiten», sagt Sanja.
Das sei allerdings ein zweischneidiges Schwert, sagt Aida Hozić, die wir einige Wochen später per Videoanruf erreichen. Hozić ist ausserordentliche Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Florida. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den Schnittstellen zwischen politischer Ökonomie, Kulturwissenschaften und internationaler Sicherheit. Ein Fokus ist der Nachkriegsbalkan, auch mit Blick auf die Geschlechter.
«Viele der Gleichstellungsmassnahmen auf dem Balkan wurden eben genau eingesetzt, um eine externe Norm zu befriedigen», sagt sie. Staaten müssen gewisse Punkte auf dem Papier erfüllen, um internationale Gelder zu erhalten. Im EU-Behördensprech heisst das IPA: Instruments for Pre-Accession Assistance – Instrumente für die Heranführungshilfe. Potenzielle neue Mitgliedsländer sollen fit gemacht werden für den EU-Beitritt.
Zwölf Jahre zieht sich der Beitrittsprozess von Serbien zur EU nun hin, im Dezember 2009 hat Serbien den Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. In den letzten Jahren hat das Land viel finanzielle Unterstützung erhalten. «Solange Normen dieser Art aber als von aussen auferlegt wahrgenommen werden, sich die Strukturen vor Ort aber nicht wirklich ändern und der rechtliche Kontext nicht angepasst wird, ist die Umsetzung dieser Normen sehr oft schwierig», sagt Hozić.
Dass die serbische Regierung auf die finanzielle Unterstützung der EU angewiesen ist, sei aber eben gerade ein Vorteil, sagt hingegen Aleksandra Nestorov auf dem Balkon in Belgrad. Man müsse die Gunst dieses Augenblicks nutzen. «Was ihr während der Beitrittsgespräche an Wandel herausholt, ist das Beste, was ihr bekommen werdet», hätten kroatische Aktivistinnen dem Team vom Autonomous Women’s Center empfohlen. «Sobald ihr in der EU drin seid, wird sich nichts mehr bewegen.» Kroatien ist seit 2013 Mitglied.
Ein weiteres Hindernis für die Annäherung an die EU ist Kosovo, den Serbien noch immer nicht als eigenständigen Staat anerkennt, sondern als serbische Provinz betrachtet. Auf Regierungsebene mag immer wieder gezündelt werden – dafür vernetzen sich die Graswurzel-Bewegungen. Als wir auf das Verhältnis zu kosovo-albanischen Kolleginnen zu sprechen kommen, leuchten die Augen von Sanja und Aleksandra. Der Austausch sei gut. «Leider können wir kaum Albanisch», sagt Sanja fast entschuldigend. «Aber wir schreiben ihnen zur Begrüssung manchmal ‹Bukuroshe›», sagt sie und lacht. Bukuroshe – du Schöne, auf Albanisch.
Dieser Austausch ist nicht selbstverständlich in einem Land, wo mancherorts noch Banner hängen mit der Aufschrift «Kosovo is Serbia». Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen werde oft verleumdet, «es ist ein bisschen wie in Russland, man wird schnell als ausländischer Agent gebrandmarkt», sagt Aleksandra. «Und dann glauben die Leute, wir würden sogenannt westliche Werte wie Homosexualität oder ähnliches propagieren, und wir wollten die traditionellen Werte und Familie angreifen», fügt Sanja hinzu.
Dass Aktivistinnen im eigenen Land als westlich beeinflusst oder gar als Abgesandte gebrandmarkt werden, kommt unter Regierungen mit autokratischen Tendenzen immer wieder vor, nicht nur auf dem Balkan.
Es ist ambivalent: Einerseits ist die Geschlechterbalance in der serbischen Regierung ausgeglichen. Vučić machte 2017 Ana Brnabić zur Premierministerin, eine lesbische Frau, die mit ihrer Partnerin ein Kind bekommen hat. Im Sommer 2021 trat ein neues Gleichstellungsgesetz in Kraft. Und dennoch sind Frauen in den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Machtzentren unterrepräsentiert. Fast die Hälfte aller Frauen haben bereits Gewalt in Beziehungen oder in der Familie erlebt. Frauen und Roma gehören zu den meistdiskriminierten Gruppen, hält die Uno fest. «Manchmal, und das gilt für viele Länder, ist der Kampf für die Besserstellung solcher Gruppen dann – mit entsprechenden Gesetzen auf dem Papier – noch schwieriger», sagt Aida Hozić, «weil die Gegner sagen können: Wir haben doch ein Gesetz, was wollt ihr denn noch?»
Das Autonomous Women’s Center wählt für seine Zusammenarbeit mit offiziellen Stellen einen pragmatischen Weg. «Wir wägen jeweils ab», sagt Sanja. Manchmal wisse man, dass die Einladung zu runden Tischen nur Feigenblattcharakter habe. Sie würden je nach Fall und beteiligtem Ministerium entscheiden. «Wir fragen uns immer: Wollen wir Teil der Arbeitsgruppe sein oder wollen wir unsere Stellungnahmen unabhängig schreiben?» Das sei nicht immer eine leichte Entscheidung. «Vor allem, wenn du weisst, dass du nicht einfach als Ausrede herhalten willst – aber trotzdem könntest du vielleicht konkret etwas für diejenigen Frauen verbessern, mit denen wir arbeiten», sagt Sanja. Das Dilemma der Realpolitik.
Am nächsten Morgen drücken wir uns mit Gepäck und Snacks in der Hand am geschäftigen Busbahnhof durchs Drehkreuz: Auf Perron 10 steht der Bus nach Pristina.
Wir fahren durch Vororte in Belgrad, überall stehen staubige Baustellen und Gerüstskelette – die Stadt wächst schnell. Und plötzlich sind wir draussen, surren in konstantem Tempo auf der Autobahn Richtung Südserbien, während die Felder vorbeiziehen.
Auf der Fahrt lernen wir die 17-jährige Ana kennen, die in Serbien ein paar Tage Ferien gemacht hat mit ihren Freundinnen. «Ich musste meine Eltern anflehen, dass ich mitdarf», sagt sie lachend. Aber was wir denn hier machten, fragt sie neugierig. Wir erzählen, dass wir mehr über den Feminismus auf dem Westbalkan wissen wollen und gerade in Belgrad waren. Ana ist sofort interessiert. «In den Städten läuft da schon viel mehr als bei uns, auch gay rights sind ein Thema zum Beispiel.» In ihrem kleinen Städtchen in Kosovo kämen solche Themen nicht so zur Sprache. Ana und ihre Freundinnen gehören dort der serbischen Minderheit an. «Wenn du dich da danebenbenimmst, dann weiss das jeder. Auch deine Eltern – und deine Familie gilt dann als weird.» Ihre Freundinnen pflichten ihr bei.
Feminismus werde als etwas Beängstigendes betrachtet, erzählt Ana. Man spreche zum Beispiel nicht über Gewalt gegen Frauen. Warum? «Weil man die Kinder schützen will. Es wird als beschämend gesehen. Und man hat Angst, dass es die Kinder schwer haben würden, wenn man sich scheiden lässt.» Doch langsam ändere sich etwas. «Unsere Generation will nicht so werden wie unsere Mütter.»
Was Ana machen will, wenn sie 18 ist? «Kunst studieren.» Aber sie sei sich noch nicht sicher. «Ich will ja auch Geld verdienen.»
Wir nähern uns der Grenze zu Kosovo. Das Dorf heisst Merdare – es ist zweigeteilt. Oder besser: Es gibt zwei Dörfer mit demselben Namen und sie liegen gleich nebeneinander, mit einer Grenze dazwischen. Dass es hier einen Grenzübergang zwischen Serbien und Kosovo gibt, ist ein historischer Erfolg. Unter internationalem Druck entstand er vor fast einem Jahrzehnt, auf einem Schild steht in grossen Lettern: «Financed by the European Union».
Der Grenzübertritt bedeutet viel Warterei – erst sammelt ein serbischer Grenzbeamter im Bus alle Pässe ein, steigt damit aus, kommt nach einer halben Stunde wieder. Wir dürfen weiterfahren, ein paar Meter – dann folgt das gleiche Prozedere mit dem kosovarischen Beamten.
Kurz nach der Grenze macht der Bus halt, ein Toilettenstopp bei einem kleinen Lokal namens «Café Europa». Auf der Weiterfahrt sehen wir unverputzte Wohnblöcke neben leuchtend neuen Häusern auf freiem Feld, hier wird intensiv gebaut. Manch Schweizer Franken steckt hier drin, heimgeschickt während Jahren auf Baustellen und in Spitälern von St. Gallen bis Basel. Wir fahren an einem Monument für gefallene Kämpfer der kosovarischen Befreiungsarmee UÇK vorbei, an Verkaufsständen mit Wassermelonen und an Autohäusern.
Und schon bald heisst es: Mirëmbrëma Prishtinë – guten Abend, Pristina.