Schutz für Taxifahrer – sie erkämpft ihn gegen Uber
Veena Dubal wollte eigentlich nur die Rechte von Chauffeuren in San Francisco dokumentieren. Dann legte sie sich mit Uber an. Und wurde zur unfreiwilligen Heldin einer ganzen Industrie. «Digital Warriors», Folge 3.
Von Roberta Fischli (Text) und Jeanne Detallante (Illustration), 20.01.2022
Die erklärte Feindin von Uber und Lyft arbeitet in einem schlauchartigen Büro im Zentrum von San Francisco und ist ausserordentlich nett. Am Eingang der Rechtsfakultät der University of California Hastings prüfen Sicherheitsbeamte die Impfzertifikate von Studentinnen, wenige Meter weiter schieben Obdachlose ihre Existenz im Einkaufswagen vor sich her.
Veena Dubal, die unseren Termin wegen kranker Kinder zweimal verschieben musste, wartet in schwarzen Hosen und einem leuchtblauen Shirt am Treppenaufgang und winkt. Nach einer kurzen Liftfahrt passieren wir einen endlos langen Korridor, der so monoton ist, dass sich darin nur mit jahrelanger Erfahrung souverän navigieren lässt, und halten schliesslich vor einer Tür, an die eine «Refugees Welcome»-Papierzeichnung geklebt ist. Es ist die einzige dekorierte Tür im ganzen Gebäude. Drinnen lässt sich die 40-Jährige auf einen knallroten Sessel sinken, streift ihre Maske ab und wartet auf die erste Frage.
Frau Dubal, wie konnte es so weit kommen?
Veena Dubal ist Immigrantentochter, Rechtsprofessorin, dreifache Mutter – und eine der lautesten Kritikerinnen der Gig-Economy, jener Unternehmen also, die in etablierte Industrien eindringen, die Nachfrage monopolisieren und dann kapitalisieren. Wenn man verstehen will, weshalb sich jemand mit Doktortitel einer Eliteuni für jene in den Ring wirft, die oft nicht mal eine Krankenversicherung haben, lohnt es sich, Dubals Geschichte zu kennen.
Wie viele indische Immigranten in den Achtzigerjahren zog es auch Dubals Eltern nach Houston, Texas, wo sie sich ein besseres Leben aufbauen wollten. Doch das gelingt nur einem Elternteil: Dubals Mutter arbeitet in einem lokalen Spital als Ärztin. Die Familie lebt sparsam; was am Ende des Monats übrig bleibt, wird in Dollarform zurück nach Indien geschickt. Dubals Vater, ein Wissenschaftler, findet trotz Bemühungen jahrelang keine Arbeit. Noch schlimmer trifft es seine Brüder, die ohne Schulabschluss immigrierten. Veena, die dank guten Noten an der renommierten Stanford-Universität studieren kann, beobachtet, wie sich ihr Leben je länger, desto mehr von dem ihrer Cousins entfernt.
Digitalisierung wird von Männern geprägt – hört man oft. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Silicon-Valley-Bros werden zunehmend in Verlegenheit gebracht. Von Frauen. Die Serie «Digital Warriors» stellt fünf von ihnen vor. Zur Übersicht.
Sie lesen: Folge 3
Der Uber-Schreck: Veena Dubal, San Francisco
Folge 4
Die Furchtlose: Timnit Gebru, San Francisco
Folge 5
Die Vordenkerin: Francesca Bria, Rom
Um zu verstehen, wie so etwas möglich ist, spezialisiert sie sich auf Arbeitsrecht und Ethnografie. Es ist eine ungewöhnliche Kombination; die eine Disziplin beschäftigt sich mit Theorien und Gesetzen, die andere mit der Lebensrealität von Menschen. Dass sich Dubal dabei auf die Taxiindustrie konzentriert, liegt auch daran, dass es eine der wenigen Branchen ist, in denen sie indische Immigrantinnen sieht. Und dass die Arbeitsbedingungen dort teilweise so prekär sind, dass die Menschen nach einem Arbeitstag weniger Geld auf dem Konto haben als am Morgen zuvor. Obwohl sie mittlerweile in Kalifornien lebt, hat Dubal wenig zu tun mit den Start-ups, die seit ein paar Jahren wie Pilze aus dem Boden schiessen. Bis zum Tag, als Silicon Valley in ihr Leben einfährt. Wortwörtlich.
Es geht nicht um Transport, sondern um Daten
Es ist ein unscheinbarer Tag im Jahr 2014 in San José, einer Stadt südlich von San Francisco, als Dubal zum ersten Mal von einer neuen illegalen Flotte hört, hinter denen die Taxifahrer eine Gruppe von Silicon-Valley-Typen vermuten. Sie ist mittlerweile an ihrer Dissertation – eine ethnografische Studie über die Taxiindustrie in San Francisco.
Die letzten Monate hat Dubal in den Büros von selbstorganisierten Taxifahrerinnen verbracht und deren Arbeitsbedingungen dokumentiert, ihre Kämpfe und Proteste. Von einer «Tech-Flotte» hat sie noch nie gehört. Sie winkt die Bemerkung weg mit der Begründung, dass es immer wieder Banden gibt, die versuchen, ins Taxigeschäft einzusteigen, ohne sich an die Regeln der Gemeinschaft zu halten. Die meisten verschwinden wieder. Denn die Taxiindustrie war noch nie profitabel. Zu hoch sind die Kosten für Versicherung, Schutzmassnahmen, Lizenzen, die anfallen, sobald Menschen involviert sind. Dubal widmet dem Phänomen in ihrer Dissertation nicht mehr als ein paar Seiten.
Doch diesmal verschwinden die illegalen Flotten nicht. Im Gegenteil – sie breiten sich weiter aus. Bald gibt es sogar zwei davon: Die Firmen nennen sich Uber beziehungsweise Lyft, doch in ihrem Auftreten unterscheiden sie sich kaum. Sie präsentieren sich als Vermittler zwischen Kundinnen und Fahrern – und weigern sich deshalb, die Verantwortung eines Arbeitgebers zu übernehmen. Für die Fahrerinnen bedeutet das, dass sie vor dem Gesetz als selbstständig gelten, während viele von ihnen de facto vom Fahrdienst für ihr Einkommen abhängig sind. Dass die grosse Mehrzahl von ihnen Immigranten oder People of Color sind, die auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt nach wie vor unter struktureller Diskriminierung und Rassismus leiden, macht die Sache in Dubals Augen nur noch schlimmer.
Um zu verstehen, wie diese Firmen in einem defizitären Geschäftsfeld Umsatz generieren wollen, wirft die Juristin einen Blick in die Gerichtsakten, die sich angehäuft haben, nachdem mehr und mehr Klagen gegen die Firmen eingegangen sind. Und stellt Erstaunliches fest: «Die Firmen waren in den Verhandlungen mit ihren Klägern erstaunlich kompromissbereit», sagt sie. «Nur zwei Punkte verteidigten sie stets beharrlich: die Kontrolle über die Daten und den Algorithmus.»
In diesem Moment habe sie verstanden, was das tatsächliche Geschäftsmodell dieser neuen Taxiflotten sei, sagt Dubal: «Das grosse Geld wird nicht mit dem Menschen- und Warentransport gemacht, sondern mit den Daten, die damit produziert werden.» Sie hält kurz inne und präzisiert: «Ultimativ liegt das Geld im Überwachen und Aufzeichnen der Bewegungsflüsse ganzer Städte.» Oder in den Worten von Uber-CEO Dara Khosrowshahi: Das Ziel ist, «Amazon für Transport» zu werden.
Kosten werden auf die Schwächsten abgewälzt
Dubal, die sich selbst einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn attestiert, hat starke Prinzipien. Dass sich hier ein paar Technologie-Leute in einer ohnehin schon prekären Branche einnisten wollen, von der sie viel zu wenig verstehen, verstösst gegen alle. Sie beschliesst, ihr Wissen und ihre Kontakte zu nutzen, um die Fahrerinnen in ihrem Kampf gegen die Start-ups zu unterstützen. Sie trifft sich mit zahlreichen engagierten Taxifahrern, erklärt ihnen ihre Rechte und unterstützt sie bei ihren Protesten. Sie tritt in Podcasts auf, erläutert in Forschungspapieren, fordert in Zeitungsartikeln.
Ihre Mission ist immer dieselbe: Aufzeigen, dass die Tech-Unternehmen gar nicht so anders sind als herkömmliche Firmen. Und deshalb keine Extrabehandlung erwarten dürfen. Konkret heisst das: Sie sollen ihre Fahrerinnen als die Angestellten behandeln, die sie de facto auch sind. Denn entgegen den Marketingsprüchen sei das Geschäftsprinzip der Start-ups weniger innovativ als behauptet, sagt die Juristin. «Neu sind die Algorithmen und die Kontrolle der Daten.» Uralt hingegen sei das Prinzip, das einen Profit überhaupt ermögliche: «Die Kosten und Risiken werden auf jene abgewälzt, welche das Geschäft erst profitabel machen: die Arbeiter.»
Ihre Bemühungen haben Erfolg. Am 1. Januar 2020 führt Kalifornien die California Assembly 5 ein, ein Gesetz, das Transportunternehmen wie Uber und Lyft als Arbeitgeber klassifiziert, welche ihre Fahrerinnen künftig wie Angestellte behandeln müssen – inklusive Sozialleistungen. Die Unternehmen gehen in die Offensive. Und setzen sich für einen Gegenentwurf ein – die Proposition 22 –, welche sie aus ebenjener Verpflichtung nehmen soll, die das neue Gesetz vorsieht. Denn für sie geht es ums nackte Überleben: Wenn sich die kalifornische Gesetzgebung durchsetzt, stehen die Chancen gut, dass andere Bundesstaaten folgen werden. Die Transportunternehmen, die bereits jetzt Verluste in Milliardenhöhe vermelden, können sich die zusätzlichen Zahlungen nicht leisten.
Für die Abstimmungskampagne werden üppige 200 Millionen Dollar eingesetzt, ein Grossteil davon ist von den betroffenen Unternehmen gesponsert. Auch eine einschlägige Firma aus Sacramento wird beauftragt, die auf das Sammeln und gezielte Einsetzen von negativen Informationen über Gegner spezialisiert ist. Und Dubal, die sich als starke Befürworterin des Gesetzes profiliert hat, wird zur Zielscheibe.
Sie schläft auf dem Fussboden im Kinderzimmer
Wenn Veena Dubal über die vergangenen Monate spricht, ändert sich ihre Körperhaltung erkennbar. Sie verlagert das Gewicht, verschränkt die Arme vor dem Körper. Sie sagt, zu Beginn seien die Attacken harmlos gewesen, fast unterhaltsam. «Jemand machte mich darauf aufmerksam, dass anscheinend diverse Twitter-Trolle versuchen, etwas über mich herauszufinden», sagt Dubal. Tweets ihrer Freunde werden kommentiert, Fragen gestellt, mit dem Ziel, mehr über «#VileVeena» zu erfahren.
Es ist März 2020, die Covid-19-Pandemie fegt über die Welt, Kalifornien ist seit einer Woche im Lockdown. Die Stimmung ist angespannt, viele sind frustriert und überfordert, die Stimmen in den sozialen Netzwerken oft noch aggressiver als zuvor. Erst nehmen die gehässigen Kommentare gegen Dubal zu. Dann wird ihre Privatadresse im Internet veröffentlicht.
«Ich hatte Angst», sagt Dubal und schaudert. Die Polizei patrouilliert jetzt vor ihrem Haus, sie schläft nachts auf dem Fussboden im Kinderzimmer, ein Babyphone in der Hand. Ihr Mann nimmt die Sache nicht ernst, bis er selbst ins Visier der Hetzer gerät. Jeden Tag erscheinen neue Artikel auf ominösen konservativen Blogs, die dem Paar heimliche Verschwörungspläne attestieren und Dubal wahlweise als Lobbyistin, Strippenzieherin und Manipulatorin bezeichnen. Viele sind sexistisch und rassistisch im Ton.
Zeitgleich verlangt die Beratungsfirma aus Sacramento Einblick in sämtliche E-Mails, SMS sowie weitere «Korrespondenzen», die Dubal in den letzten neun Monaten während ihrer Arbeit an der Uni zur Gesetzesänderung und Gegenvorlage verfasst hat. Das Ganze erinnert stark an die klassischen Taktiken der Tabak- und Ölindustrie, welche auf diese Weise gezielt versuchen, kritische Individuen, Journalistinnen oder Wissenschaftler einzuschüchtern, zu diskreditieren und letztlich zum Schweigen zu bringen.
Eine ähnliche Erfahrung hatte im Jahr 2014 die Journalistin Sarah Lacy gemacht. Nachdem sie sich kritisch über das Transportunternehmen Uber geäussert hatte, wurde sie öffentlich bedroht. «Sarah Lacy sagte mir, ich müsse damit rechnen, dass all meine Geheimnisse ans Licht gezerrt würden», erzählt Dubal. «Zum Glück habe ich so ein langweiliges Leben, dass da nichts zu holen war. Das Einzige, was mir einfiel, war eine gemogelte Antwort bei einer Prüfung in der fünften Klasse.»
Täglicher Kampf
Dennoch habe ihr der Druck und die aggressive Stimmung stark zugesetzt, sagt sie: «Ich wachte jeden Morgen auf und fragte mich, was heute wohl passieren wird.» Ruhig wird es erst, als die Proposition 22 im November 2020 von der kalifornischen Stimmbevölkerung mit 58 Prozent angenommen wird. Dubal ist enttäuscht. Dafür hören auch die Beleidigungen und Hetzkommentare quasi über Nacht auf. So, als wären sie nie da gewesen.
Für Dubal war die Zeit nicht nur traumatisch. Es sei eine Welle der Solidarität über sie hereingebrochen, sagt sie und lächelt. Neben Aktivistinnen hätten sich besonders viele Taxifahrer stark für sie eingesetzt. Einer von ihnen ist Eric Dryburgh, der sich seit über zehn Jahren für Gewerkschaften engagiert – zuletzt als Feldoffizier für Rideshare Drivers United, eine internationale Organisation aus Fahrerinnen der neuen Transportunternehmen, die sich gemeinsam für ihre Rechte einsetzen. Er sagt, die meisten Anwältinnen und Wissenschaftler, die sich mit Arbeitsrecht und Plattformen befassen, seien nur intellektuell an ihnen interessiert: «Sie kommen her, sie analysieren, sie verschwinden.»
Obwohl viele mit ihnen einig seien, dass sich etwas an ihrer prekären Situation ändern müsse, seien die meisten schnell wieder weg, sobald es um aktive Hilfe gehe. Nicht so Dubal. «Veena erinnert uns immer wieder daran, dass uns diese Arbeitsrechte zustehen.» Sie helfe ihnen mit rechtlichen Fragen, kläre auf und nehme sich fast jede Woche Zeit, um ihnen ihre Rechte zu erklären und neue Strategien zu besprechen.
Mittlerweile sieht es so aus, als ob die Taxifahrerinnen den Kampf gegen die Transportunternehmen doch noch gewinnen könnten. Kürzlich hat ein Richter in Kalifornien die Proposition 22 als gesetzeswidrig anerkannt, der Kampf geht also in die nächste Runde. Auch andernorts kommt das Geschäftsmodell von Uber und Co. in Bedrängnis: So haben verschiedene Länder die neuen Transportunternehmen als Arbeitgeber klassifiziert und zu entsprechenden Zahlungen verdonnert – auch die Europäische Union will nachziehen. In der Schweiz haben einzelne Gerichte von Uber verlangt, ihre Fahrerinnen als Angestellte zu behandeln.
Mut mache ihr nebst diesen neuen Gesetzgebungen auch die Tatsache, dass sich immer mehr Taxifahrer für ihre Rechte einsetzen und diese lautstark einfordern, sagt die Juristin. «Während wir Akademikerinnen unsere Forschungsergebnisse an Konferenzen austauschen und verschiedene Hypothesen diskutieren, kämpfen diese Menschen täglich unter viel stärkerem Druck.» Das brauche Mut. Und Ausdauer. Beides sind Eigenschaften, die es im Kampf gegen grosse Unternehmen braucht. Er ist noch nicht vorbei.
Roberta Fischli ist Politikwissenschaftlerin und freie Journalistin. Sie doktoriert zur Freiheit in der Datenökonomie an der Universität St. Gallen und forscht zurzeit als visiting researcher zur Freiheit in der Datenökonomie an der Georgetown-Universität in Washington DC. Daneben schreibt sie über Digitalisierung und Gesellschaft.