Eine Zeitmaschine zum Selberbacken
Eine gute Pâté en croûte katapultiert einen ins Frankreich der Belle Époque und in von Auguste Escoffier bekochte Speisesäle. «Geschmacksache», Folge 28.
Von Michael Rüegg (Text) und Lilli Persson (Bild), 18.01.2022
Ich habe lange gezögert, dieses Rezept zu bringen. Es gibt hundert Gründe, es nicht auszuprobieren. Eine Pâté en croûte passt irgendwie nicht mehr zur heutigen Zeit. Pasteten sind alte Koch- respektive Backkunst. Teigkrusten sollen im Mittelalter dazu verwendet worden sein, Fleisch länger haltbar zu machen. Der Teig selber war offenbar nicht zum Verzehr bestimmt. Irgendwann entwickelte sich daraus die heutige Pastete. Es heisst, Katharina von Medicis Kochbrigade habe sie nach Frankreich gebracht. Französische Quellen widersprechen dieser Darstellung selbstverständlich.
Vor einigen Jahren begann ich mich für Pasteten und Terrinen zu interessieren. Ich wollte selber solche Speisen herstellen, weil ich nur so wissen konnte, was drin war. Ja, ich hege stets eine gewisse Skepsis gegenüber Pasteten. Nichts gegen die Nose-to-tail-Bewegung, aber im Falle von Terrinen und dergleichen bleibt stets ein gewisses Unbehagen dahingehend, dass drin landen könnte, was von des Metzgers Arbeitstisch auf den Boden fällt und von den Hunden verschmäht bleibt.
Das Wissen um die Qualität der Zutaten war die eine Hälfte der Motivation. Die andere war purer Ehrgeiz. Würde ich es schaffen, ein solches Ding zu produzieren? Pâté en croûte ist schliesslich so was wie der New-York-Marathon für Hobbyköchinnen: Man braucht dafür viel Zeit und darf sich nicht von der Vielzahl der Arbeitsschritte entmutigen lassen.
Am Ende winkt dafür ein einmaliges kulinarisches Erlebnis. Mit dem richtigen Wein als accompagnement mag man gar nicht so recht glauben, dass man das selber zustande gebracht hat. Wie wenn das eigene Kind zur Miss Universe oder zum sexiest man alive erkoren wird. Und man bei sich denkt: Woher hat es das bloss? Und (im Fall der Pastete): Das dabei entstehende Glücksgefühl ist unbezahlbar.
Ein Foodblog wie früher, als es noch keine gab
Das folgende Rezept habe ich bei einem meiner liebsten Foodblogs abgeschaut. Ein Herr aus Basel scheint sich seit seiner Pensionierung nichts anderem zu widmen als dem Kochen. Im Impressum seiner Website trägt er einen Hut, ich ziehe meinen vor ihm und seinem Werk. Wer die Rezeptesammlung Lamiacucina nicht kennt – unbedingt mal drin stöbern. Dort wird ein grandioses Kochniveau gepflegt. Merke: Nicht jeder Foodblog widmet sich Grünkernburgern und Granolamüesli.
Sein Rezept hat der Autor wiederum aus einem Kurs bei Koch und Autor Lucas Rosenblatt mitgebracht. Ich habe es ganz leicht angepasst. Sollten Sie es ausprobieren wollen, lesen Sie am besten auch den Rezepteintrag auf dem Blog mit Bildern der Arbeitsschritte.
Das Gute daran ist: Man kann das Rezept als Blaupause für alle möglichen Varianten verwenden. Einmal habe ich Kalb durch Reh und Schwein durch Wildsau ersetzt, die Gewürze und restlichen Zutaten etwas angepasst und eine Wildpastete draus gemacht. Mein Gast damals war in einem Haushalt mit Küchenpersonal aufgewachsen und bekannt für seine hohen Ansprüche. Und er war voll des Lobes, was hoffentlich nicht nur am 1996er Château Ducru-Beaucaillou lag, den ich dazu kredenzte.
Den Spickspeck im Originalrezept ersetze ich durch den teureren, etwas trockeneren Lardo. Falls irgendwo im Kühlschrank noch in Armagnac eingelegte Burgundertrüffel liegen, kann man die ebenfalls hineinhobeln, habe ich auch schon gemacht. Gezielte Abweichungen vom Rezept sind also nicht bloss erlaubt, sie werden gewissermassen vorausgesetzt. Im Original gibts als Einlage noch Foie gras. Wer in der Deutschschweiz einräumt, dass er Foie gras mag, wird normalerweise geteert und gefedert. Ich nehme meist etwas davon aus Frankreich mit, habe gelegentlich die eine oder andere Pastete damit aromatisiert. Es geht allerdings auch ohne. Die Morcheln habe ich ebenfalls hineingeschmuggelt, auch die kann man weglassen oder durch andere getrocknete Pilze ersetzen.
Pasteten und Terrinen schreien förmlich nach fruchtbasierten Saucen oder Chutneys. Die Sauce Cumberland ist eine ideale Begleiterin. Ihr Erfinder, Auguste Escoffier, würde bestimmt eine Art väterlichen Stolz empfinden, wenn er wüsste, dass Sie sie zu Ihrer selbst gemachten Pastete reichen.
Ein Wort zur Form: Ich verwende eine gusseiserne Terrinenform von Le Creuset. Die kommt mit den Mengen im Rezept sehr gut zurecht. Im Innern misst sie rund 29 × 8 Zentimeter bei etwa 7 Zentimeter Höhe. Wie es um andere Formen steht, ist mir nicht bekannt. Allenfalls muss man die Backzeit oder die Backtemperatur etwas anpassen. Die Teigmenge kann eher knapp ausfallen, zu dünn ausgewallt macht er Schwierigkeiten. Wer auf Nummer sicher gehen möchte: Die Zutaten für den Teig mit 1,25 oder gar 1,5 multiplizieren.
Die Zutaten (für 6 bis 8 Personen als Vorspeise)
Pastetengewürz: Je 20 weisse und schwarze Pfefferkörner, 20 Pimentkörner, 1 Stange Zimt (2–3 cm), 2 Nelken, 5 Wacholderbeeren, 15 Korianderkörner, 1 Prise Ingwerpulver, 2–3 Reiber Muskatnuss
Füllung: 350 g mageres Kalbfleisch (Nierstück oder Nuss), 160 g mageres Schweinefleisch (Nierstück, Fettrand wegschneiden), etwas Foie gras (optional), 130 g Lardo (alternativ Spickspeck), Abrieb einer halben Orange, ca. 0,5 EL frisch gezupfter Thymian, 2 gehackte Schalotten, 1 dl kräftiger Kalbsfond, 1 dl trockener Südwein (weisser Port oder Madeira), 1 EL Cognac, 1 Handvoll getrocknete Morcheln, ca. 50 g ungesalzene Pistazien, 1 EL Rosenpfeffer, max. 1 dl Vollrahm, ca. 8 Tranchen Parmaschinken (von der Metzgerin etwas dicker schneiden lassen, nicht ganz so dünn wie für die Charcuterieplatte)
Pastetenteig: 350 g Weissmehl, 10 g Salz, 85 g Butter, 70 g Schweineschmalz, 1 ganzes Ei, 3 Eigelb, ca. 50 ml Wasser
Sauce Cumberland: 1 kleine Schalotte, 50 ml Tawny Port, 50 ml Rotwein, Saft einer Orange, 1 EL Zitronensaft, 4 gehäufte TL eingemachte Preiselbeeren, 100 g Johannisbeergelee, mit dem Sparschäler abgezogene Schale einer Orange, 1 Prise Cayennepfeffer oder pulverisierte Chilischote, etwas frisch geriebener Ingwer, 0,5 TL scharfer Senf
Gelee: 4–5 Blatt Gelatine, 5 dl Tawny Port
Die Arbeitsschritte (in etwa)
Etwa 3 Tage vor dem Servieren:
Die Gewürze im Mörser zerkleinern und beiseitestellen.
Fleisch und Lardo (oder Spickspeck) in Würfel schneiden und zusammen mit einem guten Teelöffel unseres selbst gemischten Pastetengewürzes, dem Orangenabrieb und dem Thymian in eine Schüssel geben und vermischen.
Die fein gehackten Schalotten mit dem Kalbsfond und dem weissen Port oder Madeira aufkochen und zu etwas Sirupartigem einköcheln lassen. Abkühlen lassen, zusammen mit dem Cognac mit dem Fleisch vermischen und alles ein, zwei Stunden kühl stellen.
Inzwischen können wir uns dem Teig widmen: Hierfür das Mehl mit dem Salz mischen, Butter und Schweineschmalz bei Zimmertemperatur mit dem Mehl verreiben – entweder von Hand oder mit dem Rührhaken der Küchenmaschine.
Ei, Eigelbe und Wasser verquirlen und behutsam in die Mehl-Fett-Mischung einarbeiten. Nicht übertreiben, vor allem nicht kneten. Dann den Teig in Klarsichtfolie einwickeln und in den Kühlschrank stellen.
Die Handvoll Morcheln in einem Milch-Wasser-Gemisch einige Minuten einweichen und danach mögliche Rückstände wie Sand etc. entfernen und Pilze auswringen. Nun den Fleischwolf der Küchenmaschine zusammenbauen und das Fleisch durch die Scheibe mit den kleineren Löchern in eine Schüssel fürs Rührwerk hineinwolfen.
Morcheln und Pistazien grob hacken und zusammen mit dem Rosenpfeffer in die Schüssel mit der Farce geben. Schüssel ins Rührwerk stellen und die Hälfte des Rahms unter Rühren beigeben. So lange Rahm hinzugeben, bis eine homogene Masse in der Schüssel entsteht (irgendwas zwischen 0,5 und 1 dl Rahm wird hierfür nötig sein).
Jetzt kommt der schwierige Teil: Den Teig möglichst formgerecht ausrollen, hierzu am besten auf einem Backtrennpapier die Masse der Form aufzeichnen (ein lang gezogenes Kreuz). Etwas Teig für den Deckel und Verzierungen aufsparen. Ich lege so den Teig erst kreuzartig vor, hieve ihn danach in die Form und verschliesse alle Ränder. Man kanns auch ohne Backtrennpapier versuchen, einfach mit der gebutterten Form. Wichtig ist, dass die Seiten etwas länger sind als nötig, damit sie oben umgelegt werden können.
Hat das mit dem Teig in der Form geklappt, nun mit dem Parmaschinken auslegen, die Farce einfüllen, oben mit dem Schinken umlegen und zuletzt die Ränder einklappen. Es sollten keine Lufteinschlüsse entstehen.
Nun den zugeschnittenen Deckel obendrauf legen und gut mit den eingeklappten Rändern verschliessen. In der Mitte des Deckels sollte ein Loch von ca. 2 Zentimetern gestochen und mit Backtrennpapier ein Kamin gebaut werden. Hier kann im Ofen Dampf entweichen (und hier giessen wir am Ende den Portweingelee ein).
Nun Ränder verzieren, mit Mailänderliformen kleine Sternchen und derlei ausstechen und ein kleines Kunstwerk draus machen. Hübsch sind auch Teiglinien, die fantasievoll gelegt werden können. Ausserdem eine kleine Verstärkung für den Kamin (wird empfohlen). Die eine oder der andere bestreicht die Oberfläche mit Eigelb. Ich lasse das jeweils bleiben.
Pastetenform mit Inhalt, aber ohne Deckel der Form in den 220 Grad heissen Ofen stellen (Ober- und Unterhitze). Etwa eine Viertelstunde anbacken. Danach Hitze auf 180 Grad reduzieren und 45 Minuten lang fertigbacken – je nach Material und Beschaffenheit der Form etwas geringere Temperatur wählen, als Kerntemperatur sollten 65–70 Grad ideal sein.
Derweil widmen wir uns der Sauce Cumberland: Schalotte fein hacken, Port- und Rotwein, Säfte und Preiselbeeren mit Cayennepfeffer, Ingwer und Senf in einer Pfanne auf etwa die Hälfte einkochen lassen, nach einer Weile darauf herumdrücken, danach durch ein Sieb geben und heiss in eine Schüssel zum Johannisbeergelee geben, gut rühren, bis dieser flüssig ist.
Die mit dem Sparschäler abgezogene Schale der unbehandelten Orange in sehr feine Juliennes schneiden. In einen kleinen Topf mit siedendem Wasser geben und etwa 10 Minuten abseits des Herds ziehen lassen. Danach die abgetropften Orangenjuliennes zum Rest der Sauce geben, vermischen und bis zum Servieren in den Kühlschrank stellen.
Nun sollte unsere Pastete ready sein. Wir nehmen sie aus dem Ofen und lassen sie etwas abkühlen, am besten auf dem kalten Balkon.
(Von hier an hat jede meiner Pasteten ihr eigenes Ding durchgezogen. Eine blieb gut verschlossen, ich habe etwas vom Bratensaft vorsichtig durch die Kaminöffnung abgegossen, damit Platz für den Gelee bleibt. Eine andere Pastete fiel beim Herausnehmen am anderen Tag fast auseinander. Mehrere hatten Lecks. Allenfalls ab hier etwas improvisieren.)
2 Tage vor dem Servieren:
Am nächsten Tag die gut gekühlte Pastete aus der Form nehmen. Sie sollte hoffentlich halten. Falls irgendwo durch ein Leck Saft ausgetreten ist, mit Butter verschliessen.
Für den Gelee die Gelatine in Wasser einweichen und ausdrücken. Den Tawny Port in einer Pfanne heiss werden lassen. Eine Minute köcheln lassen, dann vom Herd nehmen und die ausgedrückte Gelatine darin auflösen.
Die Flüssigkeit leicht abkühlen lassen, nicht zu lange, sonst geliert sie bereits.
Die noch leicht warme Flüssigkeit durch die Kaminöffnung vorsichtig in die Pastete giessen. Idealerweise füllen sich nun alle Ritzen damit und am Ende bleibt ein Spiegel mit Gelee auf dem Niveau der Kaminöffnung. Allenfalls bleibt etwas Gelierflüssigkeit übrig, allenfalls auch viel. Mengen sind hier meiner Erfahrung nach Glückssache.
Die wiederum gut ausgekühlte Pastete in Backtrennpapier packen und bis zum Servieren in den Kühlschrank stellen. So zwei Tage darf man ihr schon Zeit geben, geschmacklich gewinnt sie, wenn man sie etwas reifen lässt.
Wenn die Gäste im Anmarsch sind:
Die Pastete zwei Stunden vor dem Servieren aus dem Kühlschrank oder vom kalten Balkon holen, sie sollte beim Servieren nicht mehr eiskalt sein. Auf einer Platte anrichten und damit den Gästen einige Ohs und Ahs entlocken. Dann in rund 2 Zentimeter dicke Tranchen schneiden und zusammen mit der Sauce Cumberland unter der gierigen Meute verteilen.
Bitte beim Wein keine Sparübungen
Sie haben nun einige Tage in der Küche verbracht. Vielleicht hat nicht jeder Handgriff gesessen, aber mit einer gewissen Sicherheit haben Sie ein Resultat vor sich, das sich sehen lassen kann. Schenken Sie also dazu unbedingt einen würdigen Essensbegleiter aus. Bei Kalbfleischpasteten greife ich meist auf weissen oder roten Burgunder zurück. Die Chardonnay-Traube performt im Burgund am prächtigsten. Die meisten Weissen stammen von der Côte de Beaune, bekannte Namen sind Corton-Charlemagne, Meursault oder Puligny-Montrachet und Chassagne-Montrachet. Ein paar wenige, aber hervorragende Weisse gibts auch an der Côte de Nuits. Spannung versprechen auch weisse Weine von der Rhône, also Hermitage, St. Joseph oder die gegenüber den Roten weniger bekannten fulminanten weissen Châteauneuf-du-Papes. Denken Sie auch ans Elsass, ein schöner Riesling oder Pinot gris Grand Cru kann es mit der Sauce Cumberland gut aufnehmen. Auch ein gereifter roter Burgunder oder ein Schweizer Kollege aus der Bündner Herrschaft machen einen guten Job. Wenn Sie beim Fleisch auf Wild gesetzt haben, würde ich auch einen gereiften Bordeaux in Betracht ziehen, egal ob linkes oder rechtes Ufer – irgendwas korrespondiert immer mit der Aromenvielfalt der Pastete. Und wenn alles nichts hilft: zum gereiften Jahrgangschampagner greifen. Zum Beispiel dem Cristal oder Dom Pérignon, der seit dem runden Geburtstag im Keller liegt. Das haben Sie sich verdient.