Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond
Unsere Wissenschaftsjournalistin Marie-José Kolly dachte im Sommer kurz, nun sei geschrieben, was zu Impfstoffen geschrieben werden könne.
Und heute?
Heute denkt sie, dass das Unsinn war.
Warum, das erzählt sie Ihnen nun gleich selber:
Wir müssen über oder, besser: mit schwangeren Frauen reden. Und mit jenen, die ihnen nahestehen. Denn im September wurden mir zwei Dinge klar, die mir Angst machen:
Das eine hörte ich aus Intensivstationen. Zunehmend liegen dort schwangere Frauen mit schwerem Covid-19-Verlauf, in der Schweiz wie im Ausland. Schon lange weiss man: Schwangerschaft ist ein Risikofaktor, denn das Immunsystem der Frau nimmt sich zurück, damit ihr Körper den Embryo nicht abstösst; und ihre Lunge und ihr Herz-Kreislauf-System müssen für zwei arbeiten. Neu wissen wir: Sars-CoV-2 greift direkt die Plazenta an. Ich höre von schwangeren Frauen, die um ihr Leben ringen. Manchmal kann man sie mit einem Notfallkaiserschnitt retten. Manchmal nur noch ihr Kind.
Das andere hörte ich von Freundinnen, Kolleginnen, Therapeutinnen. Viele, viele Frauen lassen sich, weil sie schwanger sind, nicht impfen. Und zwar aus Angst und Verunsicherung. «Ich beobachte, dass Frauen vor allem mit den concerns, den Sorgen, informiert sind», sagte mir vor ein paar Wochen die Kommunikationswissenschaftlerin Suzanne Suggs von der Universität Lugano, die auch Mitglied der Science-Taskforce ist. «Aber über die Fakten sind sie häufig nicht informiert.»
Zunächst mal haben schwangere Frauen gute Gründe, sich zu sorgen. Sie wissen, dass sie viele Dinge nicht essen sollten und dass sie viele Medikamente nicht nehmen dürfen (meist, weil diese an schwangeren Frauen schlicht nicht erforscht wurden). «Man muss diese Sorgen adressieren», sagt Suggs, «und da gab es bisher einfach zu wenig zwischenmenschlichen Austausch.» Was nun folgt, ist darum sehr persönlich, aber gestützt auf die Fakten. Ich hoffe, es hilft.
Wenn ich von Intensivpflegerinnen höre, wie es dort schwangeren Frauen geht, ringe ich selber um Luft. Kämpfe manchmal gegen Tränen. Denn ich erwarte selber auch ein Kindchen. Und habe auch Angst. Mehrheitlich vor neuen, immunevasiven Varianten, denn ich bin zweimal geimpft. Diese Woche bekomme ich die dritte, die Auffrischspritze, die meinen Infektionsschutz wieder hochfahren sollte, hoffentlich auch gegen dieses Omikron.
Aber ich bin nicht Sie, bin nicht Ihre schwangere Partnerin, Tochter, Schwester. Es ist wichtig, darüber nachzudenken, was man in seinem Körper möchte und was nicht. Nur: Für vernünftige Entscheidungen braucht man vernünftige Information.
Wenn Sie mögen: Ich habe nachfolgend hier notiert, was ich seit bald einem Jahr meinen schwangeren Freundinnen sage, wenn sie mich fragen. Oder meinen Freunden schreibe, deren Partnerin schwanger und unsicher ist. Ich habe diese Chatverläufe nach gesammelten Quellen durchsucht und die neuen Studien recherchiert:
Von Anfang an gab es für erfahrene Experten keinen Anlass zur Sorge, was die Sicherheit der Covid-19-Impfungen für schwangere Frauen angeht – lediglich Lebendimpfstoffe sollten sie nicht bekommen. In Israel erhielten sie schon im Januar prioritären Zugang zur Impfung. Anderswo, auch in der Schweiz, wartete man die Daten aus den klinischen Studien ab (die schwangere Frauen erst später untersuchten).
Mein Plan, damals: Falls ich vor dem Impftermin schwanger werde, behandle ich das diskret und hole mir die beiden Spritzen, Schweizer Impfempfehlung hin oder her.
Dann kamen sie, die Daten. Erst tröpfchenweise – und ich schrieb meinen Freundinnen von ersten Resultaten zum möglichen Impfschutz für ihr künftiges Kind –, dann im grösseren Stil. Mittlerweile sind Abertausende während der Schwangerschaft geimpft worden. «Von Problemen habe ich noch nie gehört», schreibt mir Nicolas Müller, leitender Arzt für Infektionskrankheiten am Universitätsspital Zürich.
Mehrere grosse Studien in verschiedenen Ländern kamen zum Fazit:
Die Impfung ist sicher, für Frau und Fötus. Frauen, die während der Schwangerschaft geimpft wurden, erlebten nicht mehr Früh- oder Fehlgeburten als solche, die vor der Pandemie schwanger waren. Schwangere Frauen hatten nach der Impfung zwar häufiger Schmerzen an der Einstichstelle als andere Personen, dafür seltener Kopfweh oder Fieber. (Wenn Fieber auftritt, kann es auch während der Schwangerschaft mit Paracetamol gesenkt werden.)
Die Impfung wirkt bei schwangeren Frauen.
Und die Impfung ist wichtig, für die Frau und den Fötus. Denn das Risiko einer schwangeren Frau, bei einer Infektion mit Covid-19 ins Spital oder auf die Intensivstation zu müssen (oder daran zu sterben), ist um ein Vielfaches höher, als wenn sie nicht schwanger wäre. Bei schwangeren Frauen, die sich mit dem Coronavirus infizierten, beobachtete man bedeutend mehr Früh- und Fehlgeburten als bei Nichtinfizierten. Und viermal so viele Totgeburten.
Der Impfstoff dagegen kann dem Fötus nichts anhaben. Die mRNA kann die Plazentaschranke nicht passieren, sie gelangt also gar nicht bis zum Kind. Die schützenden Antikörper dagegen schon.
Aber manchmal reichen die Fakten alleine nicht. Vielleicht sagt Ihr Bauchgefühl dennoch Nein, fehlt Ihnen trotz allem das Vertrauen. (Das ist okay: Radikales Auf-sich-selbst-Hören ist während der Schwangerschaft umso verständlicher, als plötzlich zufällig Dahergelaufene zu glauben scheinen, sie wüssten, was gut für eine ist und was nicht – gern auch ohne jegliche Expertise.)
Dann aber sollten Sie sich sehr gut schützen – die Infektionslage ist düsterer denn je, und die neue Variante Omikron vermutlich ansteckender als alles, was wir bisher von Sars-CoV-2 kannten. Das bedeutet, Sie wissen es: Kontakte radikal reduzieren, FFP2-Masken tragen. Und verlangen, dass sich auch Partner und andere Kontaktpersonen erstens sehr vorsichtig verhalten und zweitens, wenn irgendwie möglich, impfen und boostern lassen.
Zum Schluss noch zwei Gedanken für jene, die sich immer noch um das Ungeborene sorgen:
Ein Fötus existiert, vor der Geburt, nur mit der Frau um ihn herum. Sie zu schützen, ist wichtig, um ihn zu schützen.
Covid-19 wird unter uns bleiben. Und es wird dauern, bis Impfungen für diese künftigen Kleinstkinder zugelassen werden. Der einzige Schutz, den sie nach der Geburt gegen Covid-19 haben werden, wird jener sein, den sie vor der Geburt bekommen.
Es würde mich freuen, wenn Sie diesen Newsletter weiterleiten. An alle, denen er helfen könnte. Und damit zu:
Was Sie diese Woche wissen sollten
Ende Woche werden neue nationale Massnahmen beschlossen. Am Freitag will sich der Bundesrat für eine von zwei Optionen entscheiden (oder für einen Mix aus beiden). Option «2G» wäre ein weitgehender Ausschluss von Menschen ohne Impfung vom öffentlichen Leben. Alternativ die Option «Teillockdown»: erneute Schliessungen, Kontaktbeschränkungen und Homeoffice für alle. «Ich hätte nie gedacht, dass wir schon Mitte Dezember einen so hohen Druck haben werden», sagte Gesundheitsminister Alain Berset dazu vor den Medien in Bern. Die wissenschaftliche Taskforce des Bundes schon – sie warnte genau davor vor drei Wochen.
Mehrere Kantone hatten in den letzten Tagen neue Massnahmen beschlossen, die über die nationalen hinausgehen (eine Übersicht finden Sie hier). Besonders dramatisch tat das der Kanton Neuenburg. Die Spitäler seien seit dem 9. Dezember wegen Überfüllung im Krisenmodus, teilt die Regierung mit. Privat dürfen sich nun nicht mehr als 10 Personen treffen.
Ab Anfang Jahr können Eltern in der Schweiz ihre Kinder (offiziell) impfen lassen. Man habe eine halbe Million Impfdosen für Kinder von 5 bis 11 Jahren zur Verfügung, spätestens in den ersten Januartagen – sagten der Gesundheitsminister und der Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz heute Montag. Die Zulassungsstelle Swissmedic hatte die Pfizer-Impfung für diese Altersgruppe vergangene Woche zugelassen.
Und zum Schluss: Innehalten, durchatmen, abwarten
Zum Schluss servieren wir Ihnen jeweils gern Erbauliches. Heute mussten wir den netten Teil aber in die PS verfrachten (siehe also ganz am Ende). Um hier das Erbauliche, das Sie vielleicht am Wochenende zur neuen, besorgniserregenden Variante gelesen haben (viele milde Krankheitsverläufe in Südafrika, Omikron als mögliches letztes Husten dieser Pandemie), zu relativieren.
Drei Gründe, weshalb es zum Aufatmen noch zu früh ist (die Republik wartet für den grossen Omikron-Überblick bewusst ab, bis man mehr weiss):
Dank früher Warnung durch südafrikanische Forschende weiss die Welt seit drei Wochen von der Variante. Sie weiss auch: Von der Infektion zu einer Verschlimmerung der Symptome in Richtung schwerer Verlauf zu einem Eintritt in Spital- oder gar Intensivpflege oder gar zum Tod vergehen mehrere Wochen. Es ist also schlicht zu früh, um umfassend abzuschätzen, wie pathogen – wie krankmachend – Omikron ist.
Zumal die meisten Daten nach wie vor aus Südafrika stammen, wo der grösste Teil der Bevölkerung schon gegen Sars-CoV-2 immunisiert war. Für noch nicht genesene und ungeimpfte Immunsysteme könnte es noch einmal sehr hässlich werden. Ein Hinweis darauf ist, dass in Südafrika vermehrt (oft nicht geimpfte) kleine Kinder mit Covid-19 ins Spital gebracht werden. Das sind möglicherweise schlechte Neuigkeiten für noch nicht oder zu wenig immune Menschen: Ungeimpfte, darunter viele Kinder, aber auch Immunsupprimierte und Ältere. Und das wiederum wären katastrophale Neuigkeiten für ein schon äusserst belastetes Gesundheitssystem.
Dass Epidemien mit der Zeit ausklingen, hat nicht zwingend damit zu tun, dass das Virus milder wird. Sondern erst einmal damit, dass die Immunsysteme seiner Wirte – unser aller Immunsysteme – sich daran gewöhnen: durch Impfung – und durch (überlebte) Infektion. Die Hoffnung, Omikron möge der Ausklang dieser Pandemie sein, ist genau das: eine Hoffnung.
Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.
Oliver Fuchs, Marie-José Kolly und Constantin Seibt
PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.
PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.
PPPS: Erst ungeboren, dann geboren – Kinder sind ein Grund zur Sorge. Und zwar (wenn wir unsere eigenen Mütter fragen) lebenslänglich. Egal, ob vor, in oder nach der Pandemie. Dabei vergisst man als Eltern zu oft, dass beinah keines der Kleinen aus Sorge gezeugt wurde, sondern im Gegenteil: fast alle aus Übermut.
PPPPS: Derselbe Gedanke, aber von Hannah Arendt passend zum Advent ausgedrückt: «Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien ‹die frohe Botschaft› verkünden: ‹Uns ist ein Kind geboren.›»
PPPPPS: Falls Hannah Arendt nicht genügt hat, Sie aufzuhellen, tun wir das hier mit der Brechstange: Klicken Sie auf die Babygalerie des Universitätsspitals Zürich. Zugegeben, die Nahaufnahmen zeigen da und dort noch ziemlich gequetschte Gesichtchen. Wenn Sie rundum rosige Babyfotos vorziehen, schauen Sie doch hier bei der allersüssesten Galerie des Berner Inselspitals vorbei.
Auf Hinweis einer Fachperson haben wir die Relativierung in «Der Impfstoff dagegen kann dem Fötus, nach allem, was man weiss, nichts anhaben» präzisiert: An der Aussage besteht kein Zweifel, man weiss das sowohl theoretisch wie auch aus Experimenten.