Der Journalist, der von den USA verfolgt wird: Ein Poster des inhaftierten Julian Assange bei einer Unterstützerin vor den Royal Courts of Justice in London. Frank Augstein/AP Photo/Keystone

Der Prozess

Im Berufungsverfahren gegen Julian Assange geht es um eine simple Frage: Wäre seine Auslieferung an die USA gleichzeitig sein Todesurteil? Die Republik war in London vor Ort.

Von Daniel Ryser, 02.11.2021

Synthetische Stimme
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Ein bisschen oder akut selbstmord­gefährdet angesichts der drohenden Auslieferung? Das war die Frage, um die sich an den Royal Courts of Justice in London fast alles drehte beim Berufungs­verfahren zur Auslieferung von Julian Assange an die USA.

Am ersten Verhandlungstag vergangenen Mittwoch drängten sich vor dem Gericht Dutzende Unter­stützerinnen, Journalisten, Prozess­beobachter des Europa­parlaments. Eine seriöse Möglichkeit, sich für den Prozess zu akkreditieren, gab es nicht. Bis zum Vorabend waren von der zuständigen Pressestelle keine Informationen erhältlich. Dann eine knappe Mitteilung: Man habe das Interesse zur Kenntnis genommen. Am nächsten Morgen wurde den sich drängenden Journalistinnen und Prozess­beobachtern mitgeteilt: Die Plätze im Gericht seien auf acht begrenzt, auf der Presse­tribüne ebenso. Aus Platzgründen. Der Rest der Medien­schaffenden musste versuchen, in einem Neben­raum einen Platz zu ergattern (begrenzt auf sechzehn Personen), um die Anhörung per Video verfolgen zu können.

Es brauchte also entweder grosses Glück oder Beziehungen, um im Gericht sitzen zu können – oder man musste sich, wie die Republik, unauffällig im heftigen Gedränge um Plätze am Sicherheits­dienst vorbei­schleichen. Wie sich drinnen später dann zeigte, hätte es auf der Zuschauer­tribüne problemlos Platz für achtzig statt acht Personen gehabt, und im Gerichts­saal selbst, wo die Republik am zweiten Tag einen Platz bekam, waren mindestens dreissig weitere Plätze auf Bänken im hinteren Teil zu sehen.

Livevideo aus der Acht-Quadratmeter-Zelle

Verhandelt wurde vor diesem Gericht nicht weniger als die Aussicht auf 175 Jahre Gefängnis für Wikileaks-Gründer Julian Assange in den USA.

Im Januar hatte eine Londoner Richterin die Auslieferung zunächst gestoppt und sich dabei auf das Gutachten des erfahrenen psychiatrischen Sachverständigen und Gutachters Michael Kopelman gestützt. Assange höre unter anderem Stimmen, die ihn zum Selbstmord aufforderten, hatte der Gutachter vor Gericht gesagt. Der Wikileaks-Gründer sei akut suizid­gefährdet und würde eine Isolations­haft in den USA nicht überleben.

Die Anklage, vertreten vom Strafverfolgungs­dienst der Krone für England und Wales, zielte beim Berufungs­verfahren nun vor allem darauf ab, Kopelmans Glaubwürdigkeit anzugreifen. Der Gerichts­gutachter habe das Gericht in die Irre geführt: Er habe verschwiegen, dass Assange inzwischen eine Frau und zwei Kinder habe, was das Suizid­risiko ja wohl vermindere.

Allerdings hatte Kopelman bereits in erster Instanz argumentiert, er habe bei seiner Beurteilung in einem moralischen Dilemma gesteckt, weil er die Frau und die Kinder nicht habe in Gefahr bringen wollen. An seiner Suizid­einschätzung habe dieser Umstand nichts geändert.

Julian Assange selbst war es – offiziell aus gesund­heitlichen Gründen – nicht erlaubt worden, vergangene Woche im Gerichtssaal zu sitzen und am Auslieferungs­verfahren teilzunehmen: Es ist bis heute nicht bekannt, warum die britischen Behörden ihm die Teilnahme verweigert hatten. Seine Verlobte Stella Moris betonte mehrfach, er habe unbedingt teilnehmen wollen. Man konnte auf der Zuschauer­tribüne und im Gerichts­saal also nur spekulieren, zum Beispiel, ob damit verhindert werden sollte, dass neue Bilder von Assange geschossen werden konnten oder dieser nach zweiein­halb­jähriger fast kompletter Isolation Angehörige und Unter­stützerinnen im Gerichts­saal zumindest aus der Distanz hätte sehen können.

Zur Erinnerung: Gegen Assange liegt in England nichts vor. Der einzige Grund, warum er seit April 2019 im Hochsicherheits­gefängnis Belmarsh in Einzelhaft sitzt, ist eine angebliche Flucht­gefahr. Nils Melzer, der Uno-Sonder­bericht­erstatter für Folter, hatte bereits im Mai 2019 ein Team von spezialisierten Ärzten zu Assange geschickt, die zum Schluss kamen, die Bedingungen der isolierten Haft seien Folter und Assanges Gesundheit werde systematisch zugrunde gerichtet.

Auf einem zugeschalteten Bildschirm konnte man seine blasse Gestalt erkennen, das Gesicht meistens in den Händen vergraben, in einer Acht-Quadratmeter-Zelle im Hochsicherheits­gefängnis.

«Regierungen, die sich selbst schützen»

Die Grundsatzfrage der bedrohten Pressefreiheit, auf die alle namhaften Journalisten­verbände, zahlreiche Medien­häuser und Amnesty International im Kontext dieses Falles verweisen und vor deren Hintergrund sie die sofortige Freilassung des Publizisten Assange fordern, war in der Berufung kein Thema mehr. Kein Wort darüber, dass hier ein Mann von westlichen Staaten verfolgt wird, der systematische Kriegs­verbrechen des US-Militärs im Irak und in Afghanistan aufgedeckt hat – und dass diese Verbrechen ungesühnt blieben.

Angesichts dieses bedrückenden Umstands drängte sich dem Beobachter schnell das Gefühl auf, dass vor Harry-Potter-mässiger Kulisse von zwei ehrwürdigen Richtern (mit Ian Burnett sogar dem höchsten Richter des Landes) zwei Tage Rechts­staat gespielt wurde, wobei alles Grund­sätzliche ausser Acht gelassen wurde – die Erosion des Rechts­staats angesichts der systematischen Straflosigkeit der von Assange enthüllten Kriegs­verbrechen zum Beispiel. Zwei Tage lang wurde fast ausschliesslich darüber debattiert, wie selbstmord­gefährdet der Patient denn nun wirklich sei.

Die erste Instanz war zum Schluss gekommen, der Gesundheits­zustand lasse eine Auslieferung an die USA nicht zu. Dort droht Julian Assange für seine journalistische Arbeit eine lebenslängliche Haft im Bundes­gefängnis ADX Florence in Colorado. ADX steht für administrative maximum – die höchste Sicherheits­stufe des US-Strafvollzugs. Woraufhin ihn dann die Londoner Richterin wegen vermeintlicher Flucht­gefahr zurück in die Einzelhaft im Hochsicherheits­gefängnis Belmarsh in London schickte. Der Mensch Julian Assange soll offensichtlich einfach aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden.

Der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour-Partei Jeremy Corbyn, der am zweiten Verhandlungstag vor dem Gerichts­gebäude auftauchte, sagte: «Ein Mann, gegen den in unserem Land nichts vorliegt, sitzt seit zwei Jahren im berüchtigtsten Hochsicherheits­gefängnis, das wir haben. Er hat kein Verbrechen begangen. Das ist es, wie wir mit dem Mann umgehen, der uns die Wahrheit aufgezeigt hat über den Irak und Afghanistan.»

Bereits 2011 hatte der Strafverfolgungs­dienst der Krone für England und Wales den Behörden in Schweden klargemacht, dass der Fall Julian Assange nicht wie ein normaler Rechtsfall behandelt werden wird: «Es ist einfach fantastisch, wie viel Arbeit dieser Fall generiert. Er wirkt manchmal wie eine regelrechte Industrie», schrieb die britische Anklage­behörde der damals zuständigen schwedischen Staats­anwältin Marianne Ny. Und weiter: «Bitte glauben Sie nicht, dass dieser Fall behandelt wird wie eine ganz normale Auslieferung.»

Als Schweden 2012 die Anklage gegen Assange wegen mutmasslicher Vergewaltigung und sexueller Belästigung einstellen wollte (wie wir heute aufgrund von Dokumenten wissen, welche die italienische Journalistin Stefania Maurizi mittels Freedom of Information Act herausgeklagt hat), drohte der damals zuständige Anwalt des englischen Strafverfolgungs­diensts den Schweden: «Wagt es nicht, kalte Füsse zu kriegen!»

2019 stellte Schweden das Verfahren dann schliesslich ein.

«Women Against Rape» fordert schon seit zehn Jahren, dass Assange umgehend freigelassen werden müsse. Die 1976 gegründete Organisation ist die älteste NGO in England im Bereich sexueller Gewalt gegen Frauen. Sie forderte bereits in den Siebziger­jahren, dass etwa Vergewaltigung in der Ehe und in der Familie konsequent vom Staat verfolgt werden müsse und dass jede Frau die finanziellen Möglichkeiten haben müsse, aus solchen Systemen zu entkommen. Die Organisation stellt sich auf den Standpunkt, der Staat und die Behörde, die Assange mit allen erdenklichen Mitteln verfolge, habe eine Besser­stellung der Frauen seit jeher bekämpft – und fahre nun alle Geschütze gegen Assange auf, der systematische Vergewaltigung, Folter und Mord enthüllt habe. «Die Hexenjagd gegen Assange lud Menschen wie uns dazu ein, sich an dieser Hexenjagd zu beteiligen – von einem Justiz­system, das die Thematik Vergewaltigung seit jeher herunterspielt», schrieb «Women Against Rape» 2019 in einem von zahlreichen lesenswerten Statements zum Fall. «Diese Manipulation ist typisch dafür, wie Regierungen sich selbst schützen, während sie behaupten, sie würden uns schützen.»

Das Mordkomplott der CIA

Holger Stark, stellvertretender Chefredaktor der «Zeit», nahm kürzlich im «Zeit»-Podcast «Die Jagd auf Julian Assange» Bezug auf die Gefahr, die der Wikileaks-Gründer für das System darstellte: «Die revolutionäre Idee, die Wikileaks und die Person Julian Assange damals erfunden und umgesetzt haben, dass es mit dem Internet plötzlich möglich ist, komplett anonym Informationen hochzuladen über einen toten Briefkasten.»

Stark, der 2010 eng mit Assange zusammen­gearbeitet hatte, sagte, das habe Assange für die Regierungen so gefährlich gemacht: «Eine verschlüsselte Kommunikation, wo nicht erkennbar ist, wer der Absender ist. Wo die Dateien auf einen Server hochgeladen werden. Und Wikileaks hat dieses Versprechen abgegeben, ihr Quellen da draussen, wenn ihr Missstände seht, schickt sie uns, und wir laden sie hoch. Dass die ‹Zeit› heute so was hat, dass jedes seriöse Medienhaus heute so was hat, geht auf Assange und Wikileaks zurück. Das war damals, wenn man so möchte, die spektakuläre Geburts­stunde dieser Idee.»

Christophe Deloire, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, sagte letzte Woche während eines Gesprächs im Gerichts­gebäude: «Es ist erschütternd und absurd, dass es in einem Fall, der die aller­grössten Implikationen für die Presse­freiheit und den Journalismus überall auf der Welt haben kann, einzig und allein um den psychischen Zustand von Julian Assange geht.» Es sei «erschütternd und verstörend, dass diese Grundsätze in dieser zweiten Instanz gar kein Thema mehr sind, dass man sich darauf geeinigt hat, dass es allein um eine Frage der Gesundheit von Assange geht».

Offensichtlich überrascht vom Urteil der ersten Instanz, Assange aus gesundheitlichen Gründen nicht auszuliefern, gab die britische Anklage­behörde beziehungs­weise das US-Justiz­ministerium nun Garantien im Fall einer Auslieferung ab: Man werde darauf verzichten, Assange unter sogenannten special administrative measures in einem Hochsicherheits­gefängnis unterzubringen, zudem könne der australische Staatsbürger im Falle einer Verurteilung beantragen, die Haft im Heimat­land abzusitzen. Das Suizid­risiko, so die Anklage, sei durch diese Garantien überschaubar.

Den Vorbehalt, der diagnostizierte Autismus könne die Suizidalität im vorliegenden Fall bestärken, wies die Anklage beiseite: So schlimm könne es mit dem Autismus von Assange nicht sein, sonst hätte er in den Neunzigern nicht das alleinige Sorgerecht für seinen ersten Sohn zugesprochen erhalten.

So wurde da geredet vor Gericht.

Der zuständige Richter Ian Burnett hatte 2018 in einem in gewissen Aspekten vergleichbaren Fall die Auslieferung des britisch-finnischen Hackers Lauri Love an die USA verhindert: Der autistische Love würde eine Auslieferung in ein US-Hochsicherheits­gefängnis und die damit verbundene Isolations­haft nicht überleben.

Die Verteidigung von Julian Assange argumentierte, weder die britische Anklage­behörde noch das US-Justizdepartement seien überhaupt befugt, diplomatische Zusicherungen abzugeben. Zudem seien solche Garantien rechtlich nicht bindend (was Amnesty International ebenfalls kritisiert). Das Vorgehen sei ausserdem wenig glaubwürdig, weil man in der ersten Instanz nichts von solchen Garantien habe wissen wollen. Quasi: Man sagt jetzt einfach, was die Richter hören wollen, um Assange in die Finger zu kriegen.

Tatsächlich sind die vorgebrachten «Garantien» extrem vage formuliert: Man behalte sich nämlich dennoch das Recht vor, Assange zum Beispiel in das ADX Florence zu transferieren, sollte ein «zukünftiges Verhalten» des Angeklagten das erforderlich machen. Was immer das auch bedeutet.

Die Verteidigung verwies weiter darauf, dass die zweite Angeklagte in diesem Fall, die Soldatin Chelsea Manning, von der Wikileaks unter anderem das berühmte «Collateral Murder»-Video zugespielt bekommen hatte, zu 35 Jahren Haft in einem Hochsicherheits­gefängnis verurteilt worden sei. Nach einem Selbstmord­versuch und 7 Jahren Haft wurde Manning von US-Präsident Barack Obama begnadigt.

Die Verteidigung von Assange, mit Mark Summers und Edward Fitzgerald zwei der erfahrensten Menschenrechts­anwälte in England, wies zudem vor Gericht auf eine Enthüllung der Internet­plattform «Yahoo» hin, wonach die CIA 2017 geplant habe, Julian Assange in London zu entführen oder zu ermorden. Selbst eine wilde Schiesserei soll man in Kauf genommen haben.

Dreissig Insider­quellen hatten mit den Reporterinnen gesprochen und von einer eigentlichen «Vendetta» innerhalb der CIA gegen Assange gesprochen. Der damalige CIA-Direktor Mike Pompeo, der Wikileaks bereits als «feindlichen Nachrichten­dienst» bezeichnet hatte, soll die ganze Sache persönlich in Gang gebracht haben (was dieser im Nachgang nicht dementierte, im Gegenteil: Wer auch immer mit den Journalisten über die Pläne gesprochen habe, gehöre verhaftet, sagte Pompeo in der Megyn-Kelly-Show kurz nach den Enthüllungen). «Ich bitte Sie, diese Berichte zu berücksichtigen», sagte Anwalt Summers. «Wir sind in grosser Sorge.»

«Ein Zombie-Fall, der einfach nicht sterben will»

«Wir hoffen, dass diese Farce nun endlich zu einem Ende kommt», sagte Kristinn Hrafnsson, Wikileaks-Chefredaktor, auf der Besucher­tribüne des Londoner Gerichts. «Und dass Julian in ein paar Wochen frei sein wird.» Das ist durchaus eine Möglichkeit: Bestätigt das Gericht das Urteil der ersten Instanz und weigert sich der Supreme Court, den Fall anzunehmen (was in England eher die Regel ist), muss Assange umgehend freigelassen werden.

Ankläger James Lewis wiederum hatte vor Gericht behauptet, in keinem Fall ein Urteil anzuerkennen: «Selbst wenn wir verlieren, dann werden wir einfach ein neues Auslieferungs­begehren stellen.»

Theoretisch besteht auch die Möglichkeit, dass sich noch einmal die erste Instanz oder der Supreme Court oder im Fall einer drohenden Auslieferung der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte in Strassburg mit dem Fall befassen müssen – und Assange, wenn England nichts an seinem Haftregime ändert, für weitere Monate oder sogar Jahre in Belmarsh verschwindet.

«Es ist ein Zombie-Fall, der einfach nicht sterben will», sagte John Shipton, ein Mann mit sanfter Stimme, der Vater von Assange, im Pub nach dem zweiten Verhandlungstag. «Es ist noch nicht einmal ein Thema, dass Julian beim Gespräch mit seinen Anwälten abgehört wurde – was normalerweise jeden Fall zum Kollabieren gebracht hätte. Wir reden vor Gericht auch nicht mehr darüber, was mein Sohn aufgedeckt hat, diese Morde, die Kriegs­verbrechen und dass dafür nie jemand verfolgt wurde ausser mein Sohn und Chelsea Manning. Stattdessen reden wir darüber, wie realistisch es ist, ob mein Sohn sich das Leben nimmt, wenn er für das Aufdecken von Kriegs­verbrechen für immer hinter Gittern verschwinden soll.»

Blofeld, El Chapo – und Assange

Kurz vor dem Ende des zweiten Verhandlungs­tages attackierte Ankläger James Lewis die Verteidigung. Selbst wenn die Garantien, wie diese behaupte, nicht eingehalten würden: Das ADX Florence sei ein Gefängnis wie jedes andere, es gebe dort Aufenthalts­räume, wo man Bridge spielen könne, und zudem könne man jede Woche Besuch empfangen. Mit dem Schreckens­szenario einer Isolations­haft habe dieses Gefängnis nichts zu tun. Die Anwälte von Assange schüttelten konsterniert den Kopf. Und so, mit gegen­seitigem Unverständnis, ging die Anhörung vor Gericht zu Ende.

Das ADX Florence, in das die USA zumindest planten, Assange nach seinem Prozess zu transferieren, ist tatsächlich nicht irgendein Gefängnis, sondern eines, das für seine extrem harten Haft­bedingungen bekannt ist. Es ist das best­gesicherte Gefängnis der USA. Abgelegen in Colorado sitzen dort über 400 Männer meistens lebens­längliche Haft­strafen ab. Die Häftlinge werden rund um die Uhr mit Video überwacht. 22 Stunden pro Tag müssen sie dabei in ihren 3,5 auf 2,5 Meter grossen Zellen verbringen. Ausserhalb ihrer Zellen dürfen sie sich nur mit Hand- und Fuss­fesseln bewegen. Bei den Männern handelt es sich in vielen Fällen um die berüchtigtsten und bekanntesten Straf­gefangenen des Landes.

Zum Beispiel um Ramzi Youssef, der den Anschlag auf das World Trade Center von 1993 geplant hat. Oder Al-Qaida-Mitglied und 9/11-Planer Zacarias Moussaoui. Der Boston-Marathon-Bomber Dschochar Zarnajew. Auch Timothy McVeigh, der mit einem Bomben­anschlag auf ein FBI-Gebäude in Oklahoma 168 Menschen tötete, war bis zu seiner Hinrichtung 2001 im ADX Florence unter­gebracht. Der Unabomber Theodore Kaczynski sitzt in Colorado seine mehrfach lebens­längliche Strafe ab, genauso wie der ehemalige Chef des Sinaloa-Kartells Joaquín «El Chapo» Guzmán. Der russische Spion Robert Hanssen sitzt dort, mit dessen Informationen der KGB mehrere amerikanische Doppel­agenten liquidieren konnte, wie auch, bis zu ihrem Tod, der hoch­rangige New Yorker Mafioso Anthony Casso und Barry Mills (Mord in 32 Fällen), Chef der Gefangenen­gang «Aryan Brotherhood». Und bald womöglich auch der Publizist Julian Assange.

Und in England, dem Land, das ihn vor diesen Haft­bedingungen schützen will, geht es Assange nicht besser. Man begegnet der angeblichen Flucht­gefahr nicht etwa mit einer Fussfessel, sondern mit Einzelhaft in einem Gefängnis, das ebenfalls nicht irgendein herkömmliches Gefängnis ist.

Im neuen James-Bond-Film «No Time to Die» wird James Bond zu seinem Endgegner ins Gefängnis geführt, zu Ernst Stavro Blofeld, dem gefährlichsten Verbrecher der Welt, der natürlich im sichersten Gefängnis sitzt, das England zu bieten hat: Belmarsh. Bond spaziert durch fensterlose Gänge, passiert Schleusen, und Kristinn Hrafnsson, der Wikileaks-Chefredaktor, sagte, als wir nach dem zweiten Verhandlungstag im Dean Street Townhouse bei einem Martini zusammen­sassen, er habe den Film zwar nicht gesehen, aber das Geschilderte – wie Christoph Waltz alias Blofeld hinter Panzerglas herangekarrt wird in Gängen, die wie ein Atomschutz­bunker aussehen – das klinge sehr nach Belmarsh.

«Du gehst durch mehrere Schleusen», sagte Hrafnsson. «Sie schauen in deinen Mund und in deine Schuhe und durch­suchen alles, und dann sitzt du Julian gegenüber, aber du darfst dich nicht aus deinem Stuhl bewegen, kein Körper­kontakt. Es ist extrem lärmig und du musst dich anschreien», sagte der isländische Journalist. «So liefen die beiden Male ab, als ich Julian in Belmarsh besuchen konnte», sagte Hrafnsson und schilderte damit Haft­bedingungen wegen «Fluchtgefahr» für einen Mann, der sich in England nichts zuschulden hat kommen lassen.

Bei James Bond sitzt in Belmarsh Ernst Stavro Blofeld, der hundert­tausende Menschen töten wollte, der gefährlichste Mann der Welt. In echt sitzt dort Julian Assange, der Journalist.

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Ein weiterer Schlag für die Presse­freiheit: Die britische Regierung will den Wikileaks-Gründer nun offiziell ausliefern. Bald sind die Rechts­mittel erschöpft. Hier geht es zum Beitrag.