«Ein solidarischer Dividendenverzicht der gesamten Branche hätte geholfen»
Verleger Peter Wanner rechnet bei seiner CH Media mit einem Corona-bedingten Verlust von mindestens 50 Millionen Franken. Er hofft auf staatliche Hilfe und kritisiert die Konkurrenz für das Beharren auf Gewinnausschüttungen.
Ein Interview von Dennis Bühler, 29.04.2020
Er gehört zu den wirtschaftlichen Verlierern der Corona-Krise: Obwohl seine Fernsehsender mehr geschaut und seine Onlineportale mehr geklickt werden denn je, machen Peter Wanner die in kürzester Zeit erodierten Werbeerlöse zu schaffen. Fürchtet er gar um sein Lebenswerk, das er vor zweieinhalb Jahren mit der Gründung von CH Media gekrönt hat?
Im Gespräch erzählt der Verleger nicht nur von seinen Nöten während der Corona-Krise. Er schimpft auch über die SRG, tadelt Verlegerpräsident Pietro Supino und erklärt, warum er die Leserschaft umerziehen will. Weil Wanner mit seinen 76 Jahren altersbedingt zur Corona-Risikogruppe gehört, haben wir das Interview telefonisch geführt.
Herr Wanner, wie viel Geld hat Sie das Coronavirus bis jetzt gekostet?
Mehr als 10 Millionen Franken. Wie hoch die Summe am Ende sein wird, kann man noch nicht voraussagen.
Ihr Konzern erzielte bis anhin knapp die Hälfte seiner Erlöse im Werbemarkt. Im Krisenfall wird das zum Problem, streichen viele Unternehmen doch als Erstes ihre Werbebudgets zusammen.
Leider trifft das zu. Seit Mitte März sind die Werbeeinnahmen bei unseren Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen massiv eingebrochen. Keine signifikanten Verluste hinnehmen mussten einzig unsere Onlineportale. Sie profitieren während der Pandemie von der erhöhten Aufmerksamkeit des Publikums, weshalb sie für Werbetreibende besonders attraktiv sind.
Haben Sie für sich eine Hochrechnung erstellt, wie hoch der Schaden der Pandemie ausfallen könnte?
Ich habe es versucht, aber es gibt zu viele Unbekannte. Alles hängt davon ab, wie lange die Wirtschaft brauchen wird, um nach dem Lockdown wieder auf Touren zu kommen – und ob es gelingen wird, eine zweite Welle an Infektionen zu verhindern. So oder so rechne ich mit einem Corona-bedingten Erlösrückgang von mindestens 50 Millionen Franken.
Wäre CH Media in diesem Fall in der Existenz gefährdet?
Wenn die Situation zwölf Monate so weiterginge – ja, dann ginge es ans «Läbige». Es wäre enorm schwierig und eine Herkulesaufgabe, auch nur die Hälfte der entgangenen Erlöse einzusparen. Um überleben zu können, wäre das aber unabdingbar. Erste Massnahmen sind ergriffen worden. Je nach Verlauf der Pandemie müssen wir aber noch radikaler sparen.
Am 1. April hat Ihr Verlag Kurzarbeit eingeführt. Gleichzeitig gaben Sie bekannt, die Produkte und Dienstleistungen in sämtlichen Unternehmensbereichen auf ihr Sparpotenzial zu überprüfen und anzupassen. Planen Sie den Kahlschlag?
Nein. Kurzarbeit ist ja genau dafür gedacht, Entlassungen zu vermeiden.
Noch nicht?
Nicht während der Corona-Krise. Das Instrument der Kurzarbeit hilft uns, das Schlimmste zu überstehen: Der Staat übernimmt während einer gewissen Zeit 80 Prozent des Lohnausfalls jener Angestellten, die wegen der Krise wenig zu arbeiten haben – denken Sie an einen Redaktor im Lokalsport oder an eine Anzeigenverkäuferin. Weil wir die Differenz ausgleichen, müssen die betroffenen Mitarbeiter keine Lohneinbusse hinnehmen. Sobald die Krise überstanden ist, werden sie wieder gebraucht.
Benutzen Sie ausser Kurzarbeit weitere Instrumente? Haben Sie beispielsweise einen Corona-Notkredit zu Sonderkonditionen aufgenommen?
Nein. Aber das prüfen wir. Als Sofortmassnahme haben wir im ganzen Konzern die Sparbremse aktiviert. Die Marketingausgaben sind auf ein Minimum reduziert, zudem gilt ein Einstellungs- und Investitionsstopp.
Die Corona-Krise trifft Sie während eines laufenden Sparprogramms: Zum operativen Start von CH Media kündigten Sie Ende 2018 an, innerhalb von zwei Jahren 200 Vollzeitstellen abbauen und die Kosten um rund 10 Prozent respektive 45 Millionen Franken senken zu wollen. Sind Sie damit auf Kurs?
Ja, dieses Integrationsprogramm steht kurz vor dem erfolgreichen Abschluss. Nach einem ordentlichen Geschäftsjahr 2019 waren wir deshalb guter Dinge, 2020 richtig durchzustarten. Das Coronavirus hat diese Hoffnung leider zunichtegemacht.
In der Krise rufen Ihre Verlegerkollegen und Sie nun lauter denn je nach dem Staat. Wieso?
Weil ohne staatliche Soforthilfe etliche Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen in ihrer Existenz bedroht sind. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der verlässliche Informationen wichtiger sind denn je und die privaten Medien Tag für Tag beweisen, dass sie genauso wie die SRG hochwertigen Service public bieten können.
Medienministerin Simonetta Sommaruga wollte die privaten Medien kurzfristig mit 78 Millionen Franken unterstützen, der Bundesrat entschied sich dagegen. Laut der WOZ nicht zuletzt wegen der Dividendenausschüttung, auf der mit der TX Group und der NZZ zwei der vier grossen Schweizer Verlage beharrten. Haben deren Chefs Pietro Supino und Etienne Jornod der Branche einen Bärendienst erwiesen?
Ich bin überzeugt, ein solidarischer Dividendenverzicht hätte in dieser schwierigen Situation der gesamten Branche geholfen. Dass der Bundesrat Dividendenausschüttungen in dieser Zeit nicht gerne sieht, kann ich teilweise nachvollziehen – es soll und darf keinesfalls der Eindruck entstehen, Steuergeld könnte in die Taschen der Aktionäre wandern.
Pietro Supino ist nicht nur TX-Chef, sondern auch Präsident des Verlegerverbandes. Fühlen Sie sich in diesem Verband noch wohl?
Es ist normal, dass es in einem Verband Differenzen und Meinungsverschiedenheiten gibt. Wir haben grosse, mittlere und kleine Verlage. Und da fällt es manchmal schwer, sich auf eine gemeinsame Linie zu verständigen. Meistens gelingt es.
Kein Wunder: Die TX Group macht ihr Geld nicht mehr mit Journalismus, sondern mit Marktplätzen. Ringier setzt auf Unterhaltung und Online-TV, die NZZ auf Konferenzen und eine Expansion nach Deutschland. Vertreten sein wollen aber auch kleinere und mittlere regionale Verlage wie die «Freiburger Nachrichten» oder der Walliser Mengis Verlag, die um ihre Existenz fürchten.
Die Interessen divergieren teilweise, das stimmt. Pietro Supino vertritt zwar die Interessen von TX Group. In der Vergangenheit gelang es ihm aber immer wieder, eine gemeinsame Philosophie zu entwickeln. Dazu braucht es Kompromissbereitschaft. Bei der Ausarbeitung des Verbandsvorschlags für einen Ausbau der indirekten Presseförderung konnten wir uns alle auf eine Lösung einigen.
Supinos Vorgänger war der Somedia-Verleger Hanspeter Lebrument, ein Vertreter eines mittelgrossen Konzerns. War es ein Fehler, vor bald vier Jahren den Branchenprimus zum Präsidenten zu wählen?
Das würde ich nicht sagen. Schliesslich kam es auch unter Hanspeter Lebrument immer wieder zu Spannungen – Ringier etwa trat 2015 aus dem Verband aus und kehrte erst Anfang 2020 zurück. Aber auch Lebrument hat den Verband stets auf Linie gebracht.
Im Herbst kommt es im Verlegerverband zur Gesamterneuerungswahl. Erwägen Sie, Pietro Supino herauszufordern?
Nein, ich fühle mich in meiner Funktion als Vizepräsident durchaus wohl.
Wir haben nun viel über die Corona-bedingte Notlage gesprochen. Die Gründe für die grundsätzlich missliche Situation der Schweizer Medien aber liegen viel weiter zurück. Einverstanden?
Seit Jahren beschäftigen uns die Digitalisierung und der damit verbundene Strukturwandel. Inzwischen sind wir bei CH Media zur Erkenntnis gelangt, dass wir unsere Redaktionen stärker mit digitalen Abonnenten finanzieren wollen.
Was hat zum Meinungsumschwung geführt?
Persönlich favorisiere ich ein System mit einer Bezahlschranke für Zeitungsportale schon lange, weil nur das klar signalisiert, dass Journalismus einen Wert hat. Vor zwei Jahren war dann endgültig klar: Ohne Paywall geht es bei den regionalen Portalen – anders als bei nationalen Portalen wie «Watson» – nicht. Die seither entstandene Verzögerung ist dem Joint Venture geschuldet: Wir wollten eine Lösung, die für alle CH-Media-Portale funktioniert. Bis alle Systeme migriert sind, braucht es Zeit.
Sie vertrauten zu lange dem Management statt Ihrer Intuition?
Es war halt wie in vielen anderen Verlagen ein Glaubensstreit. Die jüngsten Erfahrungen stimmen mich jedoch zuversichtlich: Die Bereitschaft der Leserinnen und Leser, für Onlinejournalismus zu bezahlen, steigt.
Na ja. Gemäss dem «Digital News Report 2019» des Reuters Institute zahlen bloss 11 Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen regelmässig für Onlinejournalismus – ein im internationalen Vergleich tiefer Wert.
Dieser Report datiert aber noch vor der Krise. Corona wird einen massiven Digitalisierungsschub bringen. Das steht für mich ausser Frage. Aber natürlich haben alle Verlage während Jahrzehnten die Leute daran gewöhnt, Onlinejournalismus gratis zu konsumieren. Nun müssen wir sie umerziehen. Gut möglich, dass das noch ein paar Jahre dauern wird.
Sie sagen es: Den Schaden angerichtet haben die Verleger vor 20, 30 Jahren, als sie damit begannen, journalistische Inhalte in kostenlosen Pendlerzeitungen und im Internet zu verschenken.
Ja, das war ein Fehler. Nur: Diesen Fehler haben alle gemacht, weltweit.
Das macht es nicht besser.
Aber nachvollziehbar. Es war lange nicht klar, ob sich Onlinejournalismus nicht doch über Werbung finanzieren lässt. Google und Facebook haben dann der Branche einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das konnte man so nicht voraussehen. Eines allerdings sollte man im Rückblick nicht ausblenden: Es wäre ganz schön heikel gewesen, die kostenlose Onlineverbreitung journalistischer Inhalte zu verhindern. Dazu hätte es kartellmässige Absprachen aller Schweizer Verlage gebraucht.
CVP-Präsident Gerhard Pfister kritisierte kürzlich: «Die Gewinne privatisierte man jahrzehntelang, mögliche Verluste will man jetzt sozialisieren.» Er hat recht: Es kann nicht staatliche Aufgabe sein, dafür aufzukommen, dass die Verleger Innovationen verschlafen haben.
Wir haben doch keine Innovationen verschlafen! Man kann uns höchstens vorwerfen, dass wir nicht so genial waren wie Larry Page, Mark Zuckerberg und Jeff Bezos. Okay, mit diesem Vorwurf kann ich leben …
Dann liegt Gerhard Pfister falsch?
Gewiss, es gab eine Phase, als die Branche florierte und einige Grossverlage goldene Zeiten erlebten. Aber das ist lange her. Nun geht es ums Überleben. Die Schweizer Armee lassen wir uns jährlich mehr als fünf, die Landwirtschaft fast vier Milliarden Franken kosten. Gute Medien – immerhin systemrelevant und für manche die «vierte Gewalt» im Staat – sind viel, viel günstiger zu haben. Neben der SRG, die derzeit 1,2 und ab 2021 gar 1,25 Milliarden an Gebühren verschlingt, fliessen bis anhin 111 Millionen Franken pro Jahr an die privaten Medien: 81 Millionen an die lokalen Radio- und Fernsehstationen, 30 Millionen in die Postzustellung der Regional- und Lokalpresse. Das ist im Vergleich schon sehr wenig. Das sind «Brösmeli». Von einer «Sozialisierung der Verluste» kann man da nicht reden.
Seit der Jahrtausendwende hat die Schweizer Presse mehr als zwei Drittel ihrer Werbeeinnahmen verloren. Das Geld wandert vor allem an globale Player wie Google und Facebook. Was wollen Sie dagegen unternehmen?
Auf europäischer Ebene wird seit langem darüber diskutiert, wie man Google und Facebook besteuern könnte. Wenn die europäische Lösung kommt, sollten wir auch in der Schweiz mitmachen. Wichtig ist, dass die so erzielten Einnahmen nicht in den allgemeinen Bundeshaushalt fliessen, sondern direkt den Medien zugutekommen. Schliesslich verdienen ja Google und Facebook an der Weiterverbreitung fremder Artikel und Beiträge – ein geniales, aber raubähnliches Geschäftsmodell.
Der Bundesrat wird demnächst seine Vorschläge zur Teilrevision des Radio- und Fernsehgesetzes und des Postgesetzes vorschlagen, mit denen er die Förderung der Medien ausbauen will. Was erhoffen Sie sich davon?
Ich erhoffe mir, dass CH Media stärker von der indirekten Presseförderung profitieren kann. So sollte beispielsweise nicht mehr bloss die Post-, sondern auch die Frühzustellung subventioniert werden. Geschieht das nicht, wären wir gezwungen, wegen der rasant sinkenden Werbeerlöse immer mehr Kosten auf die Abonnenten abzuwälzen, was gar nicht gut ankäme.
Sie wollen die Preise für die Printabonnemente weiter erhöhen? Zeitungen sind in den vergangenen Jahren doch bereits deutlich teurer geworden.
Wir wollen das nicht, werden ohne einen Ausbau der indirekten Presseförderung aber wohl nicht darum herumkommen.
Sie drohen.
Nein, ich zeige bloss die Konsequenzen auf, aber auch die Vorteile, die ein Ausbau der indirekten Förderung mit sich brächte. Nach wie vor will ein Grossteil der Menschen beim Frühstück die Zeitung auf Papier und nicht auf dem Tablet lesen. Erhöhen der Bundesrat oder das Parlament die indirekte Presseförderung, tun sie ihnen einen grossen Gefallen.
Nachrichten auf Papier zu drucken und von Hand zu verteilen, ist im digitalen Zeitalter doch nicht mehr sinnvoll. Mehr Geld für die Postzustellung federt den ohnehin unumgänglichen Strukturwandel nicht ab. Es verzögert ihn bloss.
Das Zeitungssterben wird auf alle Fälle um Jahre hinausgeschoben, wenn die Hilfe kommt. Ein Ausbau der indirekten Presseförderung hat zudem den Charme, wettbewerbsneutral zu sein. Und er verschafft uns Zeit, um den digitalen Strukturwandel besser zu bewältigen. Die indirekte Presseförderung ist uns Verlegern viel wichtiger als die umstrittene digitale Förderung.
Wie stellen Sie sich diese vor?
Die Aufgabe des Bundesrates ist diffizil: Im Onlinebereich ist es viel schwieriger, ein wettbewerbsneutrales Fördermodell zu kreieren. Im letzten Sommer schlug Bundesrätin Sommaruga vor, bloss Onlinemedien zu unterstützen, die ihre Inhalte verkaufen. Dann frage ich mich: Sollen Portale, die rein werbefinanziert sind, leer ausgehen?
Sagen Sie es mir.
Ich finde nicht. Es gibt das Abomodell und das sich über Werbung finanzierende Reichweitenmodell. Beide Modelle werden sich durchsetzen. Soll man jetzt nur das eine Modell fördern? Und mit welcher Begründung? Noch zu wenig nachgedacht hat man über ein Fördermodell, das die Anzahl Journalisten honoriert, die ein Medium beschäftigt. Das Problematische an der digitalen Förderung ist halt, dass sie sehr stark zu einer direkten Förderung mutiert, weil der indirekte Hebel des Vertriebs wegfällt.
Welches Modell wäre denn Ihr liebstes?
Das Voucher-Modell, das auch schon Roger Schawinski vorgeschlagen hat. Es verhindert, dass der Bund oder eine Behörde anhand schwer zu definierender Kriterien Geld verteilt. Und es ist garantiert wettbewerbsneutral. Jeder Haushalt erhielte zusammen mit der Serafe-Rechnung zwei Gutscheine à zum Beispiel je 30 Franken, um damit ein oder zwei Redaktionen nach Wahl zu unterstützen.
Als Simonetta Sommaruga Mitte April bekannt gab, dass der Bundesrat auf Nothilfe für die privaten Medien verzichtet, verkündete sie gleichzeitig, dass die SRG künftig 50 Millionen Franken mehr aus dem Gebührentopf erhält. Was halten Sie von diesem Entscheid?
Ich bin enttäuscht und verstehe diesen einseitigen Entscheid nicht. Die privaten Radio- und Fernsehstationen leisten derzeit hervorragende Arbeit und erfreuen sich eines Publikumszuspruchs wie noch nie, leben aber teilweise ausschliesslich von Werbung – und wären deshalb dringend auf die in Sommarugas Nothilfepaket vorgesehenen 31 Millionen Franken angewiesen gewesen. Die SRG hingegen kann sich über mangelnde Mittel nicht beklagen. Nur ein Beispiel: Tele Züri muss mit einem Budget von 10 Millionen auskommen pro Jahr, rein werbefinanziert. Die SRG hat 150-mal mehr zur Verfügung.
Auch der SRG brechen die Werbeeinträge weg.
Das mag zutreffen. Aber: Das Debakel, das die SRG und Ringier mit der Vermarktungsfirma Admeira angerichtet haben, darf nun nicht dazu führen, dass die SRG dafür noch mit 50 Millionen Franken belohnt wird. Da war auch unternehmerisches Unvermögen im Spiel, Unvermögen in der Vermarktung. Kommt hinzu, dass Sommarugas Vorgängerin Doris Leuthard im Vorfeld der Abstimmung über die No-Billag-Initiative versprochen hatte, die Gebühreneinnahmen der SRG bis mindestens 2022 auf 1,2 Milliarden Franken zu plafonieren. Nun ist das bereits Makulatur.
Am damaligen No-Billag-Abstimmungssonntag sagten Sie: «Trotz des deutlichen Resultats ist Reformbedarf angesagt. Die SRG muss abspecken. Sie braucht nicht 17 Radio- und 7 TV-Sender.»
Das finde ich nach wie vor richtig. Leider aber gilt in der Schweizer Medienpolitik unverändert der Grundsatz: Wer hat, dem wird gegeben. Die ungleiche Verteilung der Gelder führt zu einer massiven Wettbewerbsverzerrung.
Im vergangenen Herbst übernahm CH Media die rein werbefinanzierte 3+-Gruppe für einen dreistelligen Millionenbetrag – nun leidet auch die TV-Branche unter dem Coronavirus. Haben Sie sich verkalkuliert?
Die Werbeeinnahmen sind wegen der Pandemie vorübergehend gesunken. Ist die Krise vorüber, werden Unterhaltungsformate wie «Bauer, ledig, sucht …», «Bumann, der Restauranttester», «Die Höhle der Löwen» oder «Ninja Warrior Switzerland» im Werbemarkt wieder erfolgreich sein. Das sind Zuschauermagnete.
Sind Sie persönlich Fan dieser Eigenproduktionen?
Ich finde sie auf alle Fälle originell und unterhaltsam. Aber ich gebe gerne zu, dass mich politische Talksendungen mehr interessieren – gerade in der Corona-Zeit. Es spricht jedoch nichts gegen gut gemachtes Entertainment. Das wird immer gefragt sein.
Gemeinsam mit der SRG haben die vier grossen Verlage TX Group, Ringier, NZZ und CH Media im vergangenen Jahr eine Log-in-Allianz gegründet: Nutzerinnen sollen sich künftig einmal registrieren und dann Zugriff auf rund 30 Schweizer Medienmarken haben. Wegen der Corona-Krise wurde das Projekt aber vorläufig sistiert – den grossen Heilsbringer sieht man darin also auch nicht.
Bei der Log-in-Allianz handelt es sich um eine Initiative von Ringier und TX Group, an der wir uns beteiligen. Wie viel die Allianz bringen wird, kann ich noch nicht sagen. Meine Haltung dazu ist pragmatisch: Schauen wir mal.
Wie die TX Group und Ringier setzen Sie im Kampf gegen wegbrechende Werbeerlöse auf sogenanntes Native Advertising. Der Presserat kritisiert das seit Jahren: Er spricht von Lesertäuschung. Warum halten Sie dennoch daran fest?
Native Advertising ist für mich eine legitime Werbeform – sofern sie klar deklariert ist. Leserinnen und Leser sollen auf Anhieb erkennen, dass sie es nicht mit einem redaktionell verfassten Artikel zu tun haben.
Genau darin liegt das Problem. Der Presserat rügte Ihr «St. Galler Tagblatt» kürzlich für die Publikation eines Gesprächs mit dem Chef einer Wirtschaftsprüfungsfirma, an dessen Ende der kleine Hinweis stand, das Interview sei im Auftrag von EY Schweiz geführt worden. Gestalterisch hob sich das bezahlte Inserat kaum vom redaktionellen Teil ab.
Dann war der Hinweis offenbar nicht deutlich genug. Für mich steht ausser Frage: Es muss klar deklariert sein, und die Leserschaft darf nicht verschaukelt werden. «Watson» verfolgt hier eine klare Linie. Wir sind auf das Vertrauen unserer Leserinnen und Leser angewiesen und sollten es nicht aufs Spiel setzen. Erst recht nicht in Krisenzeiten.
Ihr Sohn Michael, der Geschäftsführer von «Watson», hat bekannt gegeben, in die Romandie expandieren zu wollen. Warum ergibt das Sinn?
Erstens haben uns viele Welsche – darunter auch hohe Politiker – seit Jahren aufgefordert, endlich ein französischsprachiges «Watson» zu lancieren. Die Medienlandschaft in der Romandie wird beherrscht von SRG und TX Group, eine publizistische Alternative fehlt. Zweitens haben wir bessere Chancen, in nationale Medienpläne zu kommen, das sagen uns viele Werbetreibende. Und drittens ist «Watson» inzwischen sehr solide aufgestellt, weshalb wir uns die Expansion leisten können: Das Portal ist mit 3,6 Millionen Unique Clients und 27 Millionen Besuchen im Monat März zum drittgrössten werbefinanzierten Schweizer Newsportal aufgestiegen.
Wann wollen Sie in der Romandie starten?
Anfang 2021. Bedingung dafür ist, dass wir bis im Sommer einen welschen Investor finden, der das Projekt mit uns in Angriff nimmt. Diesen suchen wir vor allem deshalb, weil wir eine Verankerung in der Romandie anstreben. Wir wollen nicht als die Deutschschweizer erscheinen, die den Röstigraben überqueren, um die Romands zu beglücken.
Um Geld zu sparen, bezieht CH Media seit Anfang Jahr keine Nachrichten mehr von der Nachrichtenagentur SDA und setzt stattdessen auf einen eigenen Newsdesk. Hat sich das gelohnt?
Auf jeden Fall. Wir können so zwischen einer halben und einer Million Franken pro Jahr einsparen und haben keine Verschlechterung der Qualität festgestellt.
Das spricht nicht für die SDA.
Deren Redaktion macht, soweit ich das beurteilen kann, einen guten Job. Das Problem liegt bei den zu hohen Tarifen und bei der Monopolmacht der Agentur.
Wie meinen Sie das?
Der SDA-Verwaltungsrat muss sich endlich entscheiden, ob er die Nachrichtenagentur als Service-public- oder als profitorientiertes Unternehmen führen will. 2018 zahlte er den Aktionären 12 Millionen Franken Dividenden aus, 2019 noch einmal 1,4 Millionen – Geld, das er besser in die Qualität und in vergünstigte Abonnemente investiert hätte. Nun, da er die Redaktion mit seiner Renditeorientierung ausgehungert hat, rennt der Verwaltungsrat Hilfe suchend zum Staat. Das alles hat dazu beigetragen, dass wir irgendwann einmal gesagt haben: Jetzt machen wir es selber.
Kommen wir zum Schluss auf die Zukunft Ihres Konzerns zu sprechen. Ab 2028 können Sie CH Media allein besitzen, wenn Sie das wollen – schliesslich haben Sie sich bei den Verhandlungen im Jahr 2017 die Option gesichert, der NZZ dann deren 50 Prozent abzukaufen. Ein Viertel des bis dahin verstreichenden Jahrzehnts ist vorüber. Wissen Sie schon, ob Sie wollen werden?
Nein, in dieser Branche lassen sich nicht acht Jahre vorausplanen. Ich bin froh, dass die NZZ dieses Joint Venture gemeinsam mit uns vorantreibt. Lange sagte man mir nach, ich sei der «Mister 51 Prozent» – heute muss ich nach gemachter Erfahrung sagen, es geht auch mit fifty-fifty. Und zwar erstaunlich gut.
Werden Sie diesen Entscheid überhaupt noch selbst fällen? In einem in einer CH-Media-Beilage erschienenen Interview sagten Sie im vergangenen November: «Ich war immer offen zu den Kindern: Ihr müsst es sagen, wenn ihr übernehmen wollt.»
Noch hat mich kein Kind zum Rücktritt aufgefordert. Ich habe also noch eine Gnadenfrist. Und solange ein Joe Biden sich zutraut, mit 77 Jahren die USA zu regieren, fühle ich mich eigentlich recht wohl in meiner Rolle.
Wollen Sie die Verlagsgeschicke denn wirklich so lange leiten wie Ihr Vater Otto, der sich bis kurz vor seinem Tod mit 88 Jahren überall einmischte und sonntags gar die Auslandseite des «Badener Tagblatts» redigierte?
Das liegt in unserer DNA: Ein Wanner gibt nie auf.
Seit Anfang 2018 präsidiert Peter Wanner den Verwaltungsrat der CH Media Holding AG. Der Konzern war wenige Wochen zuvor aus einem Joint Venture von AZ Medien und NZZ Regionalmedien hervorgegangen. Zu den rund 80 CH-Media-Medientiteln gehören die Printzeitungen «Aargauer Zeitung», «Luzerner Zeitung», «St. Galler Tagblatt» und «Schweiz am Wochenende», der TV-Sender Tele Züri sowie diverse Radiostationen. Im Oktober 2019 kaufte CH Media die 3+-Gruppe, womit sie im Fernsehbereich zum grössten privaten Konkurrenten der SRG aufstieg.
Die Familie Wanner ist seit bald 200 Jahren im Verlagsgeschäft tätig – Peter Wanners Ururgrossvater Josef Zehnder gründete die «Aargauer Volkszeitung» 1836. Längst steht die nächste Generation in den Startlöchern: Michael ist Geschäftsführer des Newsportals «Watson», das sich im Familienbesitz befindet und an dem die NZZ nicht beteiligt ist; Anna leitet das Inlandressort der CH-Media-Zeitungen; Florian steht Radio 24 und Radio Argovia vor. Von den vier Kindern hat sich einzig die als Ärztin tätige Caroline gegen eine Karriere im Familienunternehmen entschieden.
Der 76-jährige Patron studierte Politikwissenschaften und politische Philosophie. Zunächst in Berlin, wo er gegen den Vietnamkrieg demonstrierte, dann in Paris, wo er einen Aufstand organisierte, als sein Mitbewohner Niklaus Meienberg aus dem Studentenwohnheim geworfen werden sollte. Einige Jahrzehnte später kandidierte Wanner, inzwischen stramm bürgerlich, auf der FDP-Liste für den Aargauer Kantons- und den Nationalrat, wurde aber weder 1993 noch 1995 gewählt. Er lebt mit seiner Frau Maja auf dem Schloss Bickgut oberhalb Würenlos. Seit langem ist er Vizepräsident des Verbands Schweizer Medien.