Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond
Warum bloss gibt es kein Medikament dagegen?
Wer Fieber hat, bekommt einen Fiebersenker, wer Husten hat, nimmt Hustensirup, wer an einer Lungenentzündung leidet, schluckt allenfalls Antibiotika. Ausgerechnet bei Covid-19 aber soll nichts nützen.
Vielleicht sind auch Sie erstaunt, dass es auch nach gut anderthalb Jahren kein Mittel gibt, das Ärztinnen gegen Covid verschreiben können. (Leider hat Echinaforce die Pandemie bekanntlich nicht magisch beendet.)
Das verunsichert, und es kann sich zu allgemeinen Zweifeln am Umgang mit der Pandemie auswachsen. «Manchmal habe ich das Gefühl, man schickt einfach alle Leute ins Spital», sagt eine Freundin der Verfasserin. «Dabei müsste es doch unter all den Medikamenten längst eins geben, das gegen Covid hilft.»
Warum lässt das so lange auf sich warten? Und wie wird Covid nach aktuellem Stand überhaupt behandelt, bevor das ganze Arsenal einer Intensivstation zum Einsatz kommen muss?
1. Wie der Hausarzt behandelt
«Das Ziel ist ganz klar: Patienten so lange wie möglich ambulant zu behandeln und nur bei Notwendigkeit ins Spital einzuweisen», sagt Felix Huber. Er ist langjähriger Hausarzt und Präsident der Medix-Gruppe, eines der grössten Ärztenetzwerke der Schweiz. Die Medix hat einen Leitfaden entwickelt, an dem sich Hausärztinnen orientieren können, wenn sie Patientinnen mit Covid begleiten.
Die Ärztin prüft erst einmal allfällige Risikofaktoren (wie etwa Diabetes, Rauchen, eine Nierenkrankheit oder eine Schwangerschaft) und den Allgemeinzustand des Patienten. Sie spricht mit ihm über persönliche Wünsche und eine allfällige Patientenverfügung und misst den Sauerstoffgehalt im Blut. Falls kein Grund zum sofortigen Alarm besteht und die Lebensumstände es erlauben, empfiehlt der Leitfaden, den Patienten mit einem Gerät zur Sauerstoffmessung auszustatten (einem sogenannten Pulsoximeter), mit dem er selber zu Hause regelmässig den Sauerstoffgehalt messen kann.
Wenn der Sauerstoffgehalt im Blut abfällt, dann ist das ein Alarmzeichen. Gemeinerweise merken Menschen mit Covid oft lange nicht, dass ihr Körper zu wenig Sauerstoff bekommt. Grob gesagt: Alles von 95 Prozent aufwärts ist okay. Fällt der Wert darunter, sollte das der Arzt sofort wissen.
Viele Menschen mit Covid überstehen das Gröbste zu Hause im Bett. Aber weil sich – auch das ist besonders fies bei Covid – der Zustand sehr schnell und überraschend verschlechtern kann, müssen Patient wie Ärztin wachsam sein und in Kontakt bleiben. Lieber ein Telefon zu früh als eines zu spät.
Ins Spital schicken Hausärzte ihre Patientinnen also nur, wenn sich deren Zustand verschlechtert. Alle anderen werden ambulant begleitet.
Was das bedeutet, erklärt auch Svend Capol. Er ist leitender Arzt in einer Gruppenpraxis in Luzern und Geschäftsleitungsmitglied der Sanacare. «Bei einem milden Verlauf von Covid behandeln wir nur die Symptome, ähnlich wie beispielsweise bei einer Grippe.» Das bedeutet allfällige Medikamente gegen das allgemeine Unwohlsein, Fieber oder Schmerzen – wie beispielsweise Hausmittel, Paracetamol oder Ibuprofen. Wichtig aber: Diese Mittel heilen die Krankheit nicht, sie mildern nur die Symptome.
«Es gibt aktuell kein Medikament gegen Covid», sagen beide Ärzte, Huber wie Capol.
Entgegen allen Gerüchten und Geheimtipps aus dem Internet. Und obwohl rund um den Globus in vielen Laboren tiefnachts noch die Lichter brennen, weil dort genau danach gesucht wird.
2. Das fehlende Medikament
Sars-CoV-2 ist ein Virus, und die Entwicklung von antiviralen Medikamenten ist immer anspruchsvoll. Dies, weil jedes Virus sich leicht anders und zunächst unberechenbar verhält. Sowohl beim HI-Virus wie bei Hepatitis B und C dauerte es Jahre, bis entsprechende Mittel zur Verfügung standen. Selbst das Grippevirus (Influenza) lässt sich bis heute nicht zuverlässig bekämpfen – am ehesten wirkt der Virenhemmer Tamiflu noch prophylaktisch.
Dazu kommt: Viren sind in der Tendenz schwieriger zu behandeln als Bakterien. Bakterien sind Lebewesen, die man gezielt vergiften kann. Viren kapern dagegen Ihre Körperzellen. Das macht es viel schwieriger, sie anzugreifen, ohne gleichzeitig den gesunden Rest zu fest zu belasten.
«Klar ist, dass man auch bei Covid bei der direkten Virenbekämpfung sehr früh therapieren muss», sagt Manuel Battegay, Chefarzt der Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene am Universitätsspital Basel. Eine schwere Covid-Erkrankung verläuft nach bisherigen Erkenntnissen in zwei Stufen, wie unter anderem die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie festhält: Nach einer ersten etwa 7-tägigen Phase der viralen Ausbreitung («viral replication») folgt die zweite Phase mit einer starken Immunreaktion, Entzündungen und Organversagen. «Sobald die Entzündung ausgelöst wird, ist es schwierig, das Virus direkt zu bekämpfen, denn es ist zu spät», sagt Battegay. Ein vielversprechendes Medikament setzt darum vorher an: Es hindert die Viren daran, sich zu vervielfältigen – zerstört also sozusagen die ihnen innewohnende Kopiermaschine. Genau daran, an sogenannt direkt aktiven Substanzen, forschen derzeit Teams rund um die Welt, etwa bei den Pharmaunternehmen Merck, Pfizer und Regeneron.
Bereits bestehende antivirale Medikamente – etwa gegen HIV oder Ebola – haben sich alle als ungenügend wirksam herausgestellt, weil Sars-CoV-2 ein anderes Virus ist und ein anderes Verhalten aufweist. Die WHO aktualisiert regelmässig ihre Liste mit Wirkstoffen, die in Versuchen rund um die Welt eingesetzt werden: Hinter jedem einstigen Hoffnungsträger steht inzwischen ein «Nein, leider doch nicht». Selbst der zuerst vielversprechende Einsatz von Remdesivir zeigt eine fragliche Wirkung.
«Leider, muss man wirklich sagen», sagt Manuel Battegay. Er habe aber Hoffnung, dass sich eines der nun neu erforschten Mittel möglicherweise im Jahr 2022 durchsetzen werde.
Darum gilt bei Covid-19 ganz besonders, was Erasmus von Rotterdam vor Hunderten von Jahren gesagt haben soll und was die Mediziner seit Hunderten von Jahren als Grundsatz predigen: Vorbeugen ist besser als heilen.
Was Sie diese Woche wissen sollten:
In den nächsten eidgenössischen Abstimmungen geht es um das Zertifikat. In acht Wochen, am 28. November, wird es um das Covid-19-Gesetz gehen. Also genau genommen schon zum zweiten Mal um einen Teil davon, was die Sache ziemlich verwirrend macht. Sollte das Referendum angenommen werden, würde die gesetzliche Grundlage für das Zertifikat wegfallen. Ab Mitte März 2022 wäre es dann im Inland Geschichte. Und sollte die Schweiz zusammen mit der EU nicht irgendeine Notlösung finden (was der Bundesrat im Moment ausschliesst), könnte das Reisen in andere Länder dann leider ziemlich kompliziert werden.
Bis übernächste Woche sind die Tests für das Zertifikat noch für alle gratis – vielleicht noch länger. Eigentlich will der Bundesrat, dass nicht geimpfte Menschen ab dem 11. Oktober den Test selber bezahlen müssen (und Einfachgeimpfte ab Dezember). Kann aber gut sein, dass ihn eine Mehrheit im Parlament zum Verlängern zwingt. SVP, SP und die Grünen wollen diese Woche eine Initiative dazu durchbringen. Ende Woche ist sehr wahrscheinlich klar, wer sich durchsetzt.
Falls Sie die Zahlen nicht so genau verfolgt haben: Sie sind gerade recht erfreulich. Seit etwa zwei Wochen geht die Impfquote hoch, die neuen Ansteckungen sinken und es müssen weniger Menschen ins Spital. Etwas ausführlicher (und mit schönen Kurven!) lesen Sie das im Republik-Nachrichtenbriefing, wo wir jeden Freitag die wichtigsten Nachrichten der Woche und die Corona-Lage zusammenfassen.
Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.
Oliver Fuchs und Olivia Kühni
PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.
PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.
PPPS: Das mit der «Spaltung der Gesellschaft» wegen der Zertifikatspflicht, war wohl ein bisschen übertrieben. Vielleicht haben Sie mitbekommen, dass der Präsident der Gastrolobby sehr laut und sehr entschieden gegen die Zertifikatspflicht war. Darum sind die Restaurants wahrscheinlich ein ganz guter Gradmesser dafür, wie sehr diese Dinger die Bevölkerung polarisieren. Kurzes Zwischenfazit: Viele Wirte hatten deutlich weniger Gäste, aber die Einbussen sind alles in allem nicht so gross wie befürchtet. Und der Gastroverband hat seinen Widerstand jetzt aufgegeben und unterstützt die Wirtinnen jetzt bei der Umsetzung.
PPPPS: Eines muss man Jair Bolsonaro wirklich lassen: Die Konsequenz, mit der sich der brasilianische Präsident diesem Virus in die Arme wirft, ist wirklich beeindruckend. Nachdem er im Juli positiv getestet wurde, musste er sich vergangene Woche (mal) wieder isolieren, weil er ungeimpft am Uno-Gipfel war – und sich dann dort herausstellte, dass sich sein Gesundheitsminister infiziert hatte.
PPPPPS: Offenbar genug vom ständigen Virendrama hat übrigens Frau Bolsonaro. Sie war mit nach New York geflogen – und hat sich dort vor ihrer Rückreise impfen lassen.