Kritik der Nazi-Keule
Nazi-Vergleiche haben Konjunktur. Damit werden nicht selten Hitler, der Holocaust und der Nationalsozialismus verharmlost. Anderseits: Können wir aus der Vergangenheit lernen, ohne zu vergleichen?
Von Jakob Tanner, 04.09.2021
Nazi-, Hitler-, Auschwitz- und Holocaust-Vergleiche werden oft missbräuchlich verwendet. Zum Beispiel bei antisemitischen Israel-Nazi-Gleichsetzungen und bei der Verwendung von «Judensternen» durch Covid-Massnahmen- und Impfgegner, die sich den Verfolgten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gleichstellen wollen. Viele Ähnlichkeitsbehauptungen sind auf politische Kampagnen zugeschnitten.
In der Schweiz taten sich insbesondere die SVP und ihr Vordenker Christoph Blocher mit solchen Zweck-Vergleichen hervor. «Der Kampf gegen die SVP vonseiten der Staatsmedien und von ‹Blick› bis zur NZZ» habe ihn, so wird Blocher 2016 zitiert, in seiner «Radikalität an die Methoden der Nationalsozialisten den Juden gegenüber erinnert». Eine Partei mit notorischen Abgrenzungsproblemen gegen Rechtsextreme stellt sich also als Opfer dar.
Nazi-Vergleiche sind auch voller Tretfallen. Manchmal sind sie Ausdruck abgründiger Ungeschicklichkeit oder schierer Unbedachtheit. So trat 2017 der grüne Politiker Jonas Fricker aus dem Nationalrat zurück, weil er den Transport von Schweinen mit der Deportation von Juden nach Auschwitz verglichen hatte.
Im April 2021 löste der Schriftsteller Adolf Muschg harsche Kritik aus mit seiner Formulierung, die Cancel-Culture sei «eine Form von Auschwitz». Auch wenn er den Gebrauch des «Unworts» Auschwitz inzwischen bereut, verteidigt er den Missgriff. Kurze Zeit später kam es zum krisenhaften Abgang des Chefs des Deutschen Fussball-Bundes, nachdem dieser seinen Vizepräsidenten als «Freisler» (gemeint war der Vorsitzende des NS-Volksgerichtshofs, Roland Freisler) verunglimpft hatte.
Im Juli brandete in der Schweiz ein Shitstorm hoch um einen verunglückten Tweet von «Megafon», der Zeitung aus der Reitschule Bern, dessen erkenntnisfördernde Ironie vom Chefredaktor von Tamedia und der «SonntagsZeitung» bewusst ignoriert und zu einer Anklage gegen Linke umfunktioniert wurde. Es würden Töne angeschlagen, «wie wir sie eigentlich seit 1945 bei uns überwunden glaubten», schrieb Arthur Rutishauser. Dieser Nazi-Vergleich wurde allerdings umgehend und klammheimlich wieder gelöscht.
Seit der Jahrhundertwende lassen sich ein regelrechter Boom und eine Internationalisierung des Phänomens beobachten. Der Hitler-Vorwurf wurde grenzenlos. Für Ayatollah Ali Khamenei waren Saddam Hussein und George W. Bush Hitler, für Letzteren war Osama Bin Laden Hitler. Für Hugo Chávez war Angela Merkel Hitler, für Donald Rumsfeld wiederum Hugo Chávez. Die Liste liesse sich problemlos verlängern. Offensichtlich hat sich die Holocaust-Erinnerung nach dem Kalten Krieg globalisiert. Hinzu kommt die angespannte Ökonomie der Aufmerksamkeit sowie der Hang zur Skandalisierung in einem Mediensystem, das sich immer stärker auf digitale Plattformen verlagert.
Jakob Tanner ist emeritierter Professor für Geschichte der Neuzeit und Schweizer Geschichte am Historischen Seminar der Uni Zürich, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Er ist Autor mehrerer Bücher zur Geschichte der Schweiz im europäischen Kontext und von Publikationen zur nationalen Mythologie. Tanner war Mitglied der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg.
Spontane Nazi-Vergleiche geben fast immer eine Headline her – mit oft desaströsen Folgen für ihre Urheberinnen. Mit einem feinen Gespür für diese neue Konstellation hat der amerikanische Anwalt und Autor Mike Godwin, damals juristischer Berater der Electronic Frontier Foundation, bereits 1990 das nach ihm benannte «Godwin-Gesetz» formuliert: «Wenn eine Online-Diskussion länger andauert, geht die Wahrscheinlichkeit eines Nazi- oder Hitler-Vergleichs gegen eins.» Was heisst: In antagonistischen Erregungsspiralen greift die eine oder die andere Partei früher oder später fast zwangsläufig zu diesem Mittel.
Godwin verstand seine Formel eigentlich sarkastisch. 2013 stellte er jedoch fest, seine Gesetzlichkeit müsse aufgrund der rhetorischen Eskalation im politischen Diskurs auf das ganze Spektrum von Auseinandersetzungen – Presse, Radio und Fernsehen, Social Media und persönliche Stellungnahmen – bezogen werden.
Was sich häuft, wird banal. Eine verbreitete Reaktion auf die steigende Kurve von Nazi-Vergleichen war es deshalb, Entwarnung zu geben. Die Flucht in den Hitler-Vorwurf wurde mehr und mehr als untrügliches Signal betrachtet, dass der Streitpartei die Argumente ausgegangen sind – und Selbstdisqualifikation stellt kein wirkliches Problem dar.
Allerdings wird dadurch – so die Gegenposition – die moralische Zersetzungswirkung dieses Jekami-Spiels unterschätzt. Für die französische Sprachwissenschaftlerin Marie-Hélène Pérennec geht von der Gewöhnung an Nazi-Vergleiche eine Gefahr aus. Denn mit ihrer Normalisierung gerinnt der Vergleich «zum Ritual, zur Folklore in der Politik», woraus eine Relativierung und eine Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus resultiert.
Gehören Nazi-Vergleiche verboten?
Angesichts des fehlenden Erkenntniswerts sowie des hohen Skandalisierungs- und Beleidigungspotenzials von Nazi-Vergleichen häuften sich Versuche, diese generell für unzulässig zu erklären. So bekräftigte das United States Holocaust Memorial Museum im Sommer 2019 seine «unmissverständliche Zurückweisung» aller Auschwitz-Analogien. Stein des Anstosses war der einem Mitarbeiter des Museums zugeschriebene Vergleich zwischen der Situation an der Südgrenze der USA und den Konzentrationslagern im nationalsozialistischen Machtbereich der 1930er- und 1940er-Jahre. Das Museum bedauerte zutiefst, dass sich Holocaust-Überlebende und andere Personen durch solche Äusserungen beleidigt fühlen.
Eine Woche darauf kritisierten Hunderte Historiker dieses Statement in einem offenen Brief, in dem gleich eingangs festgestellt wurde, dass die Unterzeichneten das Holocaust Memorial Museum nachdrücklich unterstützen und seine Angebote wertschätzen. Mit seiner Erklärung vertrete das Museum jedoch eine «radikale Position, die weit entfernt ist vom Mainstream der Holocaust- und Völkermordforschung». Ein Vergleichsverbot sei fundamental ahistorisch und mache es «fast unmöglich, aus der Vergangenheit zu lernen». Eine solche Forderung sei unvereinbar mit der weltweit führenden Rolle des Museums in der Holocaust-Erziehung, denn deren Hauptanliegen bestehe doch genau darin, «die Öffentlichkeit auf gefährliche Entwicklungen aufmerksam zu machen», wofür eben «das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten über Zeit und Raum hinweg (…) unerlässlich» sei. Der Brief endet mit der Hoffnung, das Museum möge auch in Zukunft dazu beitragen, im Holocaust ein Ereignis zu erkennen, «von dem die Welt weiterhin lernen muss».
Die Grundintention dieser Kritik hat ein Mitinitiant des offenen Briefs, Timothy Snyder, schon im Untertitel seiner 2015 erschienenen Studie «Black Earth» formuliert: «The Holocaust as History and Warning». Wer Geschichte schreibt, soll, ohne sich selber in die Propheten-Rolle zu werfen, woke sein und warnend wirken. Immer wenn die Ermöglichungsbedingungen von Verbrechen analysiert werden, stellt sich auch die Frage, welche Sicherungen wir in der Gegenwart bereithalten, damit sich das Vergangene nicht wiederholen kann – in welch abgewandelter Form auch immer.
Der Kampf gegen den Antisemitismus im Hier und Jetzt setzt ein Wissen darüber voraus, wohin Judenfeindschaft, Rassismus, völkischer Nationalismus und Verschwörungstheorien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geführt haben. Der Verweis auf die Vergangenheit darf nicht zu einer Gleichsetzung führen. Er macht hingegen deutlich, dass diese ideologischen Waffenkammern weiter offenstehen und nicht aus der Geschichte verschwunden sind.
Suche nach einer Ethik
Das Stichwort, unter dem solche geschichtswissenschaftlichen und geschichtspolitischen Probleme aktuell verhandelt werden, lautet «multidirektionale Erinnerung». 2009 legte der US-amerikanischer Anglist und Literaturwissenschaftler Michael Rothberg seine gleichnamige Studie zum «Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung» vor. «Multidirektional» bedeutet, dass die Erinnerung an die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen zeitlich und räumlich kontextualisiert und auf weitere Gewalterfahrungen bezogen wird. Die dieses Jahr erschienene deutsche Übersetzung hat im Feld der Holocaust-Forschung und in der Öffentlichkeit zu heftigen Auseinandersetzungen geführt, weil der Vorwurf einer Relativierung oder Verharmlosung des NS-Regimes rasch zur Hand war.
Rothberg – und mit ihm weitere Autorinnen – antworteten auf diese Vorwürfe mit der Forderung nach einer «Ethik des Vergleichs». Wenn das Vergleichen eine Grundoperation historischer Erkenntnisgewinnung und somit unverzichtbar ist, kommt es eben darauf an, wer zu welchem Zeitpunkt welche historischen Ereignisse mit welcher Begründung, anhand welcher Beispiele und in welcher Absicht vergleicht. Ein «Vergleich der Vergleiche» ermöglicht es, Massstäbe für historische Analogisierungen zu entwickeln.
Das Konzept einer «multidirektionalen Erinnerung» insistiert vor allem auf zwei Punkten: Erstens ist das kulturelle Gedächtnis kein Nullsummenspiel, in dem der Hinweis auf Sklaverei, Rassismus und Kolonialismus eine Schmälerung der Bedeutung des Holocaust mit sich bringt. Eine Verflechtungsgeschichte («entangled history») verschiedener Gewaltformen und -verbrechen macht vielmehr bewusst, wie sehr die öffentliche Wahrnehmung und historische Bewertung des Nationalsozialismus mit dem Prozess der Dekolonisierung verwoben war. Ohne dass die Singularität des Holocaust infrage gestellt wird, kann deshalb eine «symmetrische Sorge» für verschiedene Opfergruppen artikuliert werden. Rothberg stellt diese Zusammenhänge eindrücklich dar anhand der Reflexionen des US-afroamerikanischen Philosophen und Civil-Rights-Aktivisten W. E. B. Du Bois über das Warschauer Ghetto.
Zweitens weist er darauf hin, dass die Vernichtung des europäischen Judentums eine «transnationale Kollaboration» bedingte. Über das «Dritte Reich» hinaus sind weitere Länder für die Durchführung dieses Massenverbrechens verantwortlich, was durch die Engführung der Diskussion auf Deutschland unkenntlich wird. Rothberg zeigt dies an der Figur des Franzosen Maurice Papon auf, der in der Zwischenkriegszeit in Kolonialgebieten tätig war, während der deutschen Besetzung die Deportationen von Juden aus Frankreich nach Auschwitz organisierte und nach dem Krieg seine Karriere als Polizeipräfekt von Paris fortsetzte. In dieser Rolle war er für den Massenmord an mindestens 200 friedlich für die Unabhängigkeit ihres Landes demonstrierenden Algeriern verantwortlich, die am 17. Oktober 1961 zu Tode geprügelt, erschossen oder in der Seine ertränkt wurden.
Auf die schiefe Bahn gelangen Vergleiche zwischen Massenverbrechen und Gewalttaten, wenn eine Homologie zwischen dem NS-Regime und anderen Gewaltkonstellationen unterstellt wird. Oder wenn eine kurzschlüssige Kausalität beziehungsweise direkte Kontinuität zwischen Kolonialgeschichte und Holocaust konstruiert wird. Es gibt zwar Autorinnen, die in eine solche argumentative Schräglage abkippen, doch die meisten Experten, die in diesem Feld forschen und mitdiskutieren, haben ein ganz anderes Anliegen. Sie betonen zu Recht, dass das Heraustrennen des Holocaust aus einem Vergleichskontinuum gerade verhindert, dass dessen präzedenzlose Dimension und Radikalität festgestellt werden kann. Und sie weisen darauf hin, dass die einseitige Idealisierung der Zivilisation, mit der die Nationalsozialistinnen gebrochen haben – die Behauptung, es gebe im Grunde keine Berührungspunkte –, einer angemessenen Interpretation und historischen Einordnung des Holocaust hinderlich ist.
Die Zaubergleichung im Kalten Krieg
Historische Vergleiche haben selbst eine Geschichte. Jede «Ethik des Vergleichs», die sich auf Nazi-Analogien bezieht, muss sich mit deren Form- und Funktionswandel auseinandersetzen. Obwohl der Begriff «Nazi-Vergleich» erst in den 1980er-Jahren geprägt wurde, reicht das Phänomen weit zurück. Schon 1953 zog der deutsch-amerikanische Philosoph Leo Strauss gegen den logischen Fehlschluss ins Feld, eine Ansicht, die von Hitler unterstützt worden ist, sei deshalb heute a priori widerlegt. Die Tatsache, dass «der Führer» den Tierschutz förderte und den Alkoholkonsum kritisierte, bedeutet nicht, dass diese Anliegen nach 1945 falsch sind. Wer das behaupte, so Strauss, ersetze die reductio ad absurdum durch eine reductio ad Hitlerum. Gedanklich verläuft diese Reduktion gegenläufig zu «Godwin’s Law», weil hier nicht von einer aktuellen Handlung oder Meinung auf den Nationalsozialismus zurückgeschlossen, sondern Hitlers Weltanschauung auf die Gegenwart projiziert wird.
Während des Kalten Krieges dominierte dann im «freien Westen» die grosse Gleichsetzung «rot = braun». Die Zaubergleichung «Kommunismus gleich Nationalsozialismus» (in den Worten Friedrich Dürrenmatts) war deshalb ideologisch robust, weil sie die Logik der Blockkonfrontation unterstützte. Informierte Beobachter kritisierten das allerdings als Humbug. In der Schweiz etwa der liberale Historiker Herbert Lüthy, der zu Beginn der 1960er-Jahre den Stalinismus als «Tollhaus» bezeichnete, aber gleichzeitig gegen eine «bipolare Gesinnungsdiktatur» anschrieb. Es sei, so Lüthy, «unmöglich, die intellektuelle und moralische Nichtswürdigkeit der Hitler’schen Blutlehre (…) auf die gleiche Stufe mit der kommunistischen Utopie zu stellen, die einer aus vielen und tiefen Quellen genährten mächtigen Strömung der abendländischen Geistesgeschichte entspringt». Doch solche Stimmen blieben marginal.
In westlichen Demokratien wie der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz fand der ideologische Reduktionismus «rot = braun» besonders starke Resonanz. Denn er wurde nicht nur von einer politischen Rechten unterstützt, die damit von ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit ablenken wollte, sondern auch von wichtigen Vertreterinnen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. So unterschiedlich die Kontexte waren: In allen Nachbarländern der Schweiz gab es in der Aufarbeitung der Vergangenheit beträchtliche Verdrängungen und Blockierungen, die mit Antikommunismus kompensiert wurden.
Dieser Typus des Nazi-Vergleichs erwies sich als weitgehend abnutzungsresistent. Noch 1986 nannte Helmut Kohl in einem «Newsweek»-Interview den sowjetischen Parteichef und Perestroika-Promotor Michail Gorbatschow in einem Atemzug mit dem NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Auch die überraschende Implosion des Ostblocks in den Jahren 1989 bis 1991 konnte der Formel «rot = braun» nichts anhaben. Sie erhielt einfach eine neue Zweckbestimmung. Heute sind es Politiker und Historikerinnen osteuropäischer Länder, die damit nationalistische Vergangenheitsverdrängung betreiben, oft mit demokratiefeindlicher Schlagseite.
Ende der 1960er-Jahre wurde das geistig bequeme Ordnungsmuster des Ost-West-Konflikts herausgefordert durch Aktivisten der 68er-Bewegung, die unter umgekehrten Vorzeichen begannen, einen Bezug zum Zweiten Weltkrieg und zum NS-Regime herzustellen. In Anlehnung an die seitenverkehrten Ideologiekonstrukte des Ostblocks, die einen «faschistischen Kapitalismus» attackierten, stellten insbesondere westdeutsche APO-Linke und später die Rote-Armee-Fraktion die wirtschaftlich-politischen Führungsgruppen der Bundesrepublik personell in eine enge Kontinuität mit den Herrschaftsträgern des Nationalsozialismus. Empirisch liess sich dies mit zahlreichen ungebrochenen Karriereverläufen tatsächlich untermauern. Aber die daraus abgeleitete These, die Bundesrepublik der Gegenwart weise Affinitäten zum Terrorstaat des Nationalsozialismus auf, war ein krasser Kurzschluss.
Die Urheber der «Nazi-Keule»
Seit den 1980er-Jahren häuften sich in Deutschland die Versuche, den Nationalsozialismus zu historisieren. Gegen diese Absicht lässt sich grundsätzlich nichts sagen. Das Problem war nur, dass Historiker wie Martin Broszat und Ernst Nolte – und mit ihnen eine ganze Reihe weiterer deutscher NS-Forscher, die sich im «Historikerstreit» von 1986 hervortaten – Historisierung als Relativierung verstanden. Dieses Ansinnen stiess auf berechtigten Widerspruch von Jürgen Habermas, Charles Maier und Saul Friedländer, um nur einige zu nennen.
In denselben Zusammenhang gehören die reaktionär aufgeladenen Begriffe «Nazi-Keule» und «Auschwitz-Keule». Massgeblich zu ihrer Verbreitung trug der Schriftsteller Martin Walser bei, der 1998 in seiner berüchtigten Rede in der Frankfurter Paulskirche ausgerechnet zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die «Moralkeule» anprangerte. Er sah darin jenes «jederzeit einsetzbare Einschüchterungsmittel», mit dem Deutsche auf ihre Verantwortung für Auschwitz behaftet werden. Das sollte nun endlich ein Ende haben.
Walser nahm damit eine perfide Täter-Opfer-Verkehrung vor: Wer an den Holocaust erinnern will, stand plötzlich als keulenschwingende Täterin da, während Walser für sich die Opferrolle in Anspruch nahm. Er stimmte in den Chor jener ein, die unter die Geschichte des Nationalsozialismus einen Schlussstrich ziehen und zu einem «gesunden», durch keinen Schuldkomplex beladenen nationalen Selbstbewusstsein aufbrechen wollten.
Martin Walser hat den Begriff der moralischen Keule nicht erfunden, aber er hat ihn salonfähig gemacht. In den vergangenen zwei Jahrzehnten vervielfachte sich sein Gebrauch. Nationalisten aller Länder fühlen sich durch Völkermordkeulen, Verschwörungskeulen oder Rassismuskeulen in ihrer Freiheit bedroht, Völkermorde zu leugnen, Konspirationstheorien zu verbreiten und sich zu empören, wenn ihnen Rassismus vorgeworfen wird. In Deutschland wehrten sich Rechte und Rechtsextreme mit dem imaginären Totschlagobjekt gar dagegen, dass ihre Aussagen als rechts und rechtsextrem bezeichnet werden. Immer nach dem Motto: «Man wird doch wohl noch sagen dürfen» oder «Ich lass mich doch mit meiner Vaterlandsliebe nicht in die rechte Ecke stellen».
Die «Nazi-Keule» mutiert zur Chiffre für einen als Meinungsfreiheit kaschierten Geschichtsrevisionismus. Wer heute wieder so tönt wie einst die Nationalsozialistinnen, soll in seinem Recht auf freie Rede nicht eingeschränkt werden dürfen. Rechtsextreme Exponenten der Alternative für Deutschland (AfD) fordern konsequenterweise eine «erinnerungspolitische Wende um 180 Grad» – wie es Björn Höcke 2017 tat.
Hier zeigt sich die Unvermeidlichkeit und Notwendigkeit vergleichender Erinnerung. Man muss nicht suggerieren – wie Bernhard Schlink dies in seinem als «Gedankenspiel» verfassten Theaterstück «20. Juli» tut –, Höcke sei Hitler; doch ohne ein Sensorium für das braune Timbre dieser Diskurse, ohne ein Wissen darum, mit welcher Weltanschauung und Strategie Hitler Anfang der 1930er-Jahre an die Macht kam, ist es schwierig, sich in der politischen Landschaft der Gegenwart zu behaupten. Und sich dezidiert von jenen Kräften abzugrenzen, die altbekannte Töne anschlagen.
Der Ur-Faschismus als Spiel
Ein bahnbrechendes Lehrstück dafür, aus welchen Versatzstücken der Faschismus zusammengesetzt ist, lieferte Mitte der 1990er-Jahre Umberto Ecos Text über den «Ur-Faschismus». Andere Bezeichnungen sind «eternal fascism» oder, auf Deutsch, «immerwährender Faschismus». Eco sieht im seit 1922 sich etablierenden Mussolini-Regime «eine Art Archetyp» für die seit den 1930er-Jahren überall in Europa ins Kraut schiessenden antidemokratischen Tendenzen.
Gerade weil der italienische Faschismus ein «verschwommener Totalitarismus» (im Sinne von «fuzzy») gewesen sei, hätte er «zu einer Sammelbezeichnung oder einem Pars pro Toto für verschiedene totalitäre Bewegungen» werden können. Während es «nur einen Nazismus» gebe, der sich nicht mit anderen Diktaturen gleichsetzen lasse, erweise sich der italienische Faschismus als eine «Collage aus verschiedenen politischen und philosophischen Ideen», an die sich auf vielfältige Arten anknüpfen lasse. In Anlehnung an Ludwig Wittgenstein spricht Eco vom «faschistischen Spiel», das sich «auf vielerlei Weise spielen» lasse. Immer aber sei dieses Spiel «emotional (…) fest in einigen archetypischen Fundamenten verankert» gewesen, sodass faschistische Regimes eine gewisse «Familienähnlichkeit» aufweisen.
Umberto Eco zählt 14 Merkmale des Faschismus auf: der Kult der Überlieferung, die Ablehnung der Moderne, ein irrationaler Kult der Aktion, die Umdeutung von Kritik in Verrat, die Angst vor dem Andersartigen, der Appell an eine frustrierte Mittelklasse, ein Nationalismus der Herkunft, Fremdenfeindlichkeit, ein Bedrohungsbild, das Feinde zugleich als zu stark und als zu schwach imaginiert, die Rückkehr in ein «goldenes Zeitalter» nach dem Sieg im Endkampf, ein völkisches Elitedenken, die Pflege einer eigenen Mythologie und die Erziehung zum Heldentum, ein frauenverachtender Machismo, ein Populismus, der ein fiktionales «Volk» idealisiert und gegen ein «verrottetes Parlament» ins Feld zieht sowie schliesslich der Newspeak, eine versimpelte Propagandasprache, welche die Politik zur populären Talkshow macht.
Ein faschistisches Regime bleibt nach Eco auch dann als solches erkennbar, «wenn man ein oder mehrere Merkmale abzieht», ja es genüge, «dass eines von ihnen präsent ist, und der Faschismus hat einen Kristallisationspunkt, um den herum er sich bilden kann». So sei der Ur-Faschismus «immer noch um uns, manchmal in gutbürgerlich-ziviler Kleidung», und er könne «in den unschuldigsten Gewändern daherkommen».
Um diese zivile Drapierung bemühte sich die Trump-Administration noch nicht einmal. In der Figur des Präsidenten verdichteten sich mehrere Motive, die Umberto Eco dem Faschismus zurechnete. Zudem enthüllte der White-House-Insider Michael Bender in seinem neuen Buch «Frankly, We Did Win This Election. The Inside Story of How Trump Lost», dass Trump gegenüber seinem Stabschef John Kelly gesagt haben soll: «Well, Hitler did a lot of good things.» Trump bestreitet das natürlich, aber der Nachweis des Zitats ist glaubwürdig. Die Aussage wirft ein Schlaglicht auf das stupende historische Nichtwissen Trumps, das wiederum Voraussetzung für sein unbefangenes Portieren von Ideologien aus dem Arsenal des Faschismus ist.
«Reichstag-Moment» in Washington DC
Umberto Ecos gedankliche Versuchsanordnung lädt geradezu zum Aufdecken faschistischer Kristallisationskerne in Gegenwartsgesellschaften ein und bietet Handhabe für eine Vielzahl historischer Vergleiche. Brisanter als die Parallelisierung von Persönlichkeiten und Ideologien ist allerdings eine transhistorische Analyse des Scheiterns der Demokratie: Was passierte im Endstadium der Weimarer Republik, welcher politischen Logik folgte die Kaskade von Ereignissen, mit der Hitler nach seiner Machteinsetzung Ende Januar 1933 innerhalb weniger Monate und mit atemberaubendem Tempo seine Machtposition unumkehrbar ausbauen konnte?
In einer Besprechung der Studie des deutschen Historikers Volker Ullrich zum Aufstieg von Hitler wies sein amerikanischer Kollege Christopher Browning darauf hin, wie unterschiedlich die Herkunft und die Charaktere von Trump und Hitler sind. Dennoch fielen ihm bezüglich ihres jeweiligen politischen Aufstiegs einige Ähnlichkeiten auf, aus denen er vier Schlussfolgerungen zog: Erstens wurde in beiden Fällen ein hoher Preis dafür bezahlt, dass ein charismatischer Outsider über längere Zeit hinweg unterschätzt wurde. Zweitens verschafft sich eine Regierung durch wirtschaftliche Konjunkturankurbelung «zumindest passive Unterstützung für alle anderen Ziele, die sie verfolgt». Drittens erweist sich die Annahme, solche Figuren, die völlig von aussen kommen, liessen sich in Schach halten und für die eigenen Zwecke nutzen, als gefährliches Wunschdenken der konservativen Machteliten. Und viertens liegt die beste Verteidigungslinie einer Demokratie beim ersten Angriffspunkt. Taktisches Zurückweichen ist riskant.
2019 kam der amerikanische Historiker Adam Tooze auf die Gefahr eines von Trump gezielt provozierten nationalen Notstands zu sprechen. Einem Vergleich mit dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 in Deutschland und generell dem Bezug zu den 1930er-Jahren konnte er indessen wenig abgewinnen. Umso mehr wies er auf Autoren hin, welche in Trumps Auftritt eher einen «return to the baseline» sahen, wie es der Autor Jedediah Purdy nennt – eine während der Obama-Ära eher verdeckte «Unterordnung der amerikanischen Demokratie unter Kapitalismus, Patriarchat und die ungerechte Rassenordnung, wie sie von der Sklaverei herstammte».
Die These, dass sich Trump weit stärker aus den Traditionen der USA selbst erklären lasse als mit Referenzen auf den Niedergang von Demokratien in der Zwischenkriegszeit, wird allerdings von neuen Publikationen über das Ende der Trump-Administration herausgefordert. Sie fragen nach den allgemeinen Bedingungen, unter denen demokratisch-rechtsstaatliche Strukturen zerschlagen werden könnten, und greifen dabei auch auf Vergleiche mit Vorgängen in Nazi-Deutschland zurück.
In ihrem vor kurzem erschienenen Buch «I Alone Can Fix It. Donald J. Trump’s Catastrophic Final Year» beschreiben etwa die «Washington Post»-Journalistinnen Carol Leonnig und Philip Rucker, wie sich das verfassungstreue Militärestablishment explizit auf die Möglichkeit eines Putsches vorbereitet und Massnahmen zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit gegen einen gewalttätig randalierenden Mob und einen diesen unterstützenden Präsidenten eingeleitet hatte. Für einen zentralen Verantwortungsträger, US-General Mark Milley, war Anfang 2021 ein kritischer Moment erreicht, den er «Reichstag-Moment» nennt.
Diese Formulierung fungierte gerade nicht als Gleichsetzung, sondern als antizipierende Intervention, mit der die Wiederholung eines ähnlichen Ereignisses verhindert werden sollte. Gegen die kontrafaktische Wahlsieg-Propaganda Trumps wurde hier das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Wahrheit an krisenhaften Kipppunkten nicht von selbst triumphiert, sondern einer machtvollen Unterstützung bedarf. Die Erinnerung an historische Vorgänge half mit, einen Trump-Putsch im Keim zu ersticken und zum Nichtereignis zu machen. Eine Parallele dazu findet sich 2008, als wirtschaftsgeschichtlich versierte Zentralbankchefs im Rückblick auf die kontraproduktive Geldpolitik während der Grossen Depression der 1930er-Jahre kurz entschlossen einen anderen, konstruktiveren Weg einschlugen. Der historische Vergleich ermöglichte auch hier genau jenen Lerneffekt, von dem schon die Rede war.
Ein Überblick über die zerklüftete Landschaft von Nazi-Vergleichen macht deutlich, wie wichtig die Erinnerung an den Holocaust nach wie vor bleibt. Diese Erinnerungsarbeit geschieht in der Gegenwart, und es ist nicht möglich, das geistige Probehandeln des steten Vergleichens stillzulegen. Diejenigen, die den Nationalsozialismus aus dem kulturellen Gedächtnis entsorgen wollen, werden nicht müde werden, den Verweis auf die präzedenzlosen Massenverbrechen des Hitler-Regimes als «Nazi-Keule» zu denunzieren. Wem es aber um eine multidirektionale Erinnerung geht, will sich nicht am inflationären Gebrauch und damit an der Banalisierung von Nazi-Vergleichen beteiligen, sondern den komplexeren historischen Reflexionsmodus pflegen, den etwa Umberto Eco vorgeschlagen hat.
Vergleichen bedeutet das gleichzeitige Herausarbeiten von Ähnlichkeiten und Unterschieden sowie die Gewichtung der Spezifika. Es gilt, was wir etwa auch bei der Historikerin Mirjam Brusius nachlesen können: Das Festhalten an der Singularität des Holocaust und an der Verpflichtung, sich auch im 21. Jahrhundert an diese Schreckensphase zu erinnern, ist vereinbar mit einer nicht ausgrenzenden, pluralisierten Erinnerungskultur.