Die Kunst des Kompostierens: Statt die Masse täglich zu wenden, bedeckt man sie einfach mit Erde und Sonnen­blumen­samen.

Boden gut machen

Weniger Pestizide, klima­neutrale Betriebe und bessere Qualität: Ob bio oder konventionell, viele Bauern schwören auf die sogenannte regenerative Landwirtschaft. Zu Recht?

Von Katharina Wecker (Text) und Goran Basic (Bilder), 02.09.2021

Urs Siegenthaler sticht mit einem Spaten ins Feld und gräbt um. Im Boden wimmelt es von Regen­würmern. Ein gutes Zeichen, sagt er. Aber das Stück Erde, das er ausgestochen hat, bleibt im Viereck liegen, anstatt auseinander­zubröckeln. Ein schlechtes Zeichen. Die Erde ist zu verdichtet.

Siegenthaler ist Landwirt in Münsingen, südlich von Bern. Er führt einen grossen Hof. Baut Rüebli, Kartoffeln und Getreide an, hält Milch­kühe und Schweine, bildet zwei Lehrlinge aus. Er arbeitet biologisch. Seit neuestem interessiert er sich für das Mikro­biologische. Für das, was im Boden passiert.

Im Nachbar­kanton Luzern richtet der Landwirt Toni Schön­bächler ebenfalls den Blick auf die Erde unter seinen Füssen. Er läuft über seine Weide und pflückt einen Ampfer. «Der zeigt, dass es genug Stick­stoff im Boden hat», sagt er. Die Gräser, die auf seinen Feldern wachsen, erzählten ihm, wie es dem Boden gehe, welche Nähr­stoffe da seien, welche fehlten, sagt er.

Schönbächler ist konventioneller Landwirt. Auf seinem Hof in Rickenbach hält er Schweine, Kühe und Trut­hähne. Es ist ein kleiner Familien­betrieb, tierintensiv. Ein bisschen das Gegen­teil von Siegen­thalers Hof.

Toni Schönbächler hält mit seiner Frau und seinen vier Töchtern in Rickenbach LU Tiere für die Freilandfleisch­produktion.
Demeter- und Biobauer Urs Siegenthaler baut in Münsingen BE Gemüse und Getreide an und hält Milchkühe und Schweine.

Was die beiden Landwirte eint, ist das Interesse am Boden. Grund dafür ist die regenerative Land­wirtschaft. Eine Bewegung, die in den USA und Australien schon viele Anhängerinnen hat und seit einigen Jahren auch in der Schweiz immer beliebter wird.

Verfechter der regenerativen Land­wirtschaft versprechen gesündere Böden, gesündere Pflanzen, gesündere Tiere und gesündere Menschen. Der Einsatz von Kunst­dünger und Pestiziden könne stark reduziert und die Bio­diversität gesteigert werden. Noch dazu könnten regenerative Betriebe klima­neutral arbeiten, im besten Fall sogar mehr Emissionen im Boden binden, als sie verursachen.

Was ist dran an diesem Versprechen?

Ein Konzept für alle

«Unser Leben hängt von einer dünnen Schicht Erde ab», sagt Wissenschafts­journalist Florian Schwinn. Und die sei extrem gefährdet. Schwinn sprach mit Land­wirtinnen in ganz Deutschland, und alle hatten das gleiche Problem: Ihr Boden war kaputt.

Er schrieb ein Buch über seine Recherche. «Rettet den Boden!» heisst es. Während vor der Industrialisierung die Land­wirte noch darauf angewiesen gewesen seien, Humus aufzubauen, um die Böden fruchtbar zu halten, nutze die Land­wirtschafts­industrie die Erde bloss noch als Substrat, das mit Düngern und Pestiziden künstlich am Leben erhalten werde, sagt Schwinn.

Für ihn ist klar: «Wir zerstören gerade unsere Lebens­grundlage.»

Denn im Boden sorgen unzählige Tiere, Pflanzen, Pilze und Bakterien für dessen Frucht­barkeit. Sie zersetzen totes Material, bauen es in die Erde ein. Der Humus, der dabei entsteht, ernährt alles, was auf den Böden und von ihnen lebt. Gesunde, frucht­bare Äcker lassen Weizen, Salat und Kartoffeln gedeihen.

Das Bodenleben testen: Bröckelt die Erde schön auseinander? Hats genug Regenwürmer?

Humus macht den Boden elastischer, lässt ihn mehr Wasser speichern und bindet Kohlen­stoff. Deswegen spielt er im Klima­schutz eine wichtige Rolle.

Darum geht es in der regenerativen Land­wirtschaft: das Boden­leben wieder­herzustellen und aufzubauen.

Im Wesentlichen besteht das Konzept aus fünf Prinzipien:

  1. Der Boden wird nur oberflächlich bearbeitet, damit das Boden­leben so wenig wie möglich gestört wird.

  2. Die Biodiversität wird auf dem Hof erhöht.

  3. Auf dem Acker soll möglichst immer etwas wachsen.

  4. Es sollen immer lebendige Wurzeln im Boden sein.

  5. Tiere grasen auf der Weide.

Wie genau die Bäuerinnen das natürliche Leben ihres Bodens wieder­herstellen, ist dabei ihnen selbst über­lassen. Denn in der regenerativen Land­wirtschaft gibt es keine festen Vorschriften, keine festen Regeln, wie sie beispiels­weise in der biologischen Land­wirtschaft existieren.

Dafür gebe es gute Gründe, sagt Daniel Bärtschi, Gründer von Agricultura Regeneratio, dem schweizerischen Verband für regenerative Land­wirtschaft. Bärtschi war bis 2018 Geschäfts­führer von Bio Suisse. Er ist selbst gelernter Landwirt und wuchs auf einem Bio­bauern­hof auf. Er hat die Entwicklung der Bio­landwirtschaft in der Schweiz von Kindes­beinen an erlebt.

Im Ökoanbau gebe es viele Richt­linien, manche seien sinnvoll und manche weniger, sagt er. Die regenerative Land­wirtschaft sei dagegen flexibler. «Sie beruht auf grund­sätzlichen Natur­prinzipien und nicht auf Richt­linien oder Standards», so Bärtschi. «Es geht um eine Entwicklungs­richtung. Deswegen braucht man keine fixe Definition, sondern vielmehr ein Ziel, das man erreichen will.» Das Ziel eines fruchtbaren, gesunden Bodens.

Vielleicht spricht deswegen die Bewegung auch so viele unter­schiedliche Landwirte an. Der Verein Agricultura Regeneratio, der Ende 2019 gegründet wurde, zählt bereits über 100 Betriebe als Mitglieder. Manche sind Bio­bauern­höfe, andere arbeiten konventionell. Es gibt reine Tier­haltungs­betriebe und solche ohne Tiere. Und bei allen sieht die regenerative Land­wirtschaft etwas anders aus.

Ich will es genauer wissen: Wie sich regenerative Land­wirtschaft und Perma­kultur unterscheiden

Die regenerative Land­wirtschaft ist eng mit der Perma­kultur verwandt. Beide Konzepte basieren auf der Idee, gesunde, fruchtbare Böden zu schaffen, damit die Land­wirtschaft nachhaltig und langfristig ertrag­reich bleibt. Bei der Perma­kultur werden meist auf kleinem Raum mehrjährige Pflanzen angelegt und miteinander kombiniert, damit ein sich selbst erhaltendes System aufgebaut werden kann. Natürliche Öko­systeme und Kreis­läufe aus der Natur werden nachgeahmt. Die regenerative Land­wirtschaft ist dagegen eher auf einjährige Kulturen ausgelegt. Ausserdem spielen Tiere bei der Boden­bearbeitung eine wichtige Rolle.

Damit die Bauern­höfe für die Öffentlichkeit als regenerativ erkennbar sind, plant Agricultura Regeneratio, im Herbst ein Label auf den Markt zu bringen. Die Mitglieder können sich dann als regenerativer Betrieb bewerben und ihren Klima­fussabdruck angeben. Wenn ein Betrieb Humus aufbaut und damit Kohlen­stoff bindet, kann er das in seiner Klima­bilanz berück­sichtigen. Im Idealfall arbeite ein Bauern­hof klima­neutral oder stosse sogar weniger Treibhaus­gase aus, als er im Boden binde, sagt Bärtschi.

Mob grazing und Untersaat

Toni Schönbächler läuft zu den Weiden, wo seine Schweine, Truthähne und Kühe Auslauf haben. Drei seiner vier kleinen Töchter begleiten ihn. Mit Glitzer­pulli, Rock und Gummi­stiefel stapfen die Mädchen dem Papa voraus.

Der Landwirt versetzt die Weiden regelmässig. Bei den Kühen nennt sich dieses Verfahren mob grazing. Dabei grasen die Tiere in Gruppen auf engstem Raum für kurze Zeit. Dann wird der Zaun auf der Wiese ein Stück versetzt, damit die Tiere wieder frisches und saftiges Gras haben und sich die Ursprungs­weide erholen kann.

Mob grazing ist inspiriert von ursprünglichen Grasland­gebieten, auf denen über Tausende von Jahren grosse Wisent­herden und andere Wieder­käuer von einem Weide­platz zum nächsten zogen. Solche Grasland­gebiete gehören zu den frucht­barsten Regionen der Welt. Denn durch die immer wieder­kehrende Kombination von kurzem, aber intensivem Abgrasen, Nieder­trampeln, Düngen durch Kot und Urin und wegen der langen Zeiten von Wachstum reichert das Gras seinen Unter­grund mit Humus an.

Die Familie Schönbächler hält Weideschweine. Und mit den Kühen praktiziert sie mob grazing: Auf relativ engem Raum kurz, aber intensiv grasen lassen und dann auf die nächste Weide schicken.
Hier war nicht einfach ein Bauer zu faul zum Jäten: Klee und Gras sorgen für einen wertvolleren Boden und verhindern die Unkraut­bildung nach der Urdinkel-Ernte.

Schönbächler ist ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, wie er seinen Betrieb verbessern und davon seine Familie ernähren kann. «Ich bin stur, ich will von der Land­wirtschaft leben. Für einen kleinen Betrieb ist das heut­zutage eigentlich gar nicht mehr möglich», sagt er.

Als er die regenerative Land­wirtschaft entdeckte, erschien ihm vieles logisch, und er merkte schnell, dass er einige Methoden schon längst anwendet. Zum Beispiel hält er die Tiere schon lange auf der Weide – aus Tierwohl­gründen. Doch nun versetzt er die Zäune der Weiden häufiger als vorher.

Und er mischt Gras und Klee unter den Urdinkel, den er für Brot anbaut. Durch die Begrünung wird der Boden über die Foto­synthese mit Sauer­stoff und Zucker versorgt, was Nahrung für alles Leben in der Erde liefert. Ausserdem verdränge die Gras-Klee-Mischung Unkraut. Schön­bächler muss nun keine Herbizide mehr auf das Feld spritzen.

«In den letzten circa vierzig Jahren haben wir gelernt, dass das Getreide auf dem Feld wichtig ist und alles andere wegmuss. Es durfte kein Unkraut stehen», sagt er. Indem man nun wieder Gras und Klee unter dem Urdinkel wachsen lasse, kehre man zurück zu den Methoden von früher.

Eigentlich sei man mit der regenerativen Land­wirtschaft gar nicht so weit weg von dem, was viele Schweizer Bauern sowieso schon machten, sagt Schön­bächler. «Man muss nur ein bisschen umdenken.»

Umdenken musste nicht nur Toni Schön­bächler. Das mussten auch seine Nachbarinnen tun.

Denn Schönbächler hat eine grosse Wiese am Hang, die er nur ein- bis zweimal im Jahr mäht. Das ist gut für die Bio­diversität und die Arten­vielfalt, ein Lebens­raum für Insekten und kleine Tiere. «Aber die Leute im Dorf sagten am Anfang, der Toni ist faul. Sie sind es gewohnt, dass alles ordentlich und sauber ist. Davon muss man sich in der regenerativen Land­wirtschaft verabschieden», sagt Schönbächler.

Er probiert gerne Neues aus, auch wenn seine Nachbarn und Kolleginnen den Kopf schütteln. Trotzdem frage er sich oft: «Verrenne ich mich in ein Thema oder bin ich Visionär?»

Wie eine Multi­vitamin­tablette

Biobauer Urs Siegenthaler war zunächst ebenfalls skeptisch.

Nachdem ein Kollege ihm von der regenerativen Land­wirtschaft erzählt hatte, nahm Siegen­thaler an einem Kurs über Boden­kunde teil. Dort erfuhr er von Brixwert-Messungen, Kompost­tees und Kräuter­ferment­produkten, die Regen­würmer und andere wichtige Boden­lebewesen anlocken sollen.

Nun nimmt er seinen Pflanzen regelmässig Saft aus den Blättern ab und misst den darin enthaltenen Zucker­gehalt, den sogenannten Brixwert. Je mehr Zucker es hat, desto besser funktioniert die Foto­synthese der Pflanze. Den Test könne man mit einem Blutbild beim Menschen vergleichen, sagt Siegen­thaler. Wie gesund ist die Pflanze? Fehlen Nährstoffe? Wenn der Brixwert zu niedrig ist, spritzt er Kompost­tee auf die Pflanzen, einen Sud aus mehr­jährigem Kompost und fein gemahlen Steinen, der auf die Pflanzen wirken soll wie eine Multi­vitamin­tablette bei Menschen.

Zwei Stunden nachdem er den Kompost­tee ausgetragen habe, sei der Brixwert bei den Pflanzen wieder erhöht, sagt Siegen­thaler. «Ich war vorher schon etwas misstrauisch mit den ganzen Präparaten», sagt er. Aber wenn man sehe, wie der Komposttee den Brixwert verändere, das sei sehr eindrücklich.

Seinen alten Pflug hat Urs Siegenthaler mit Düsen zum Versprühen von Kräuter­ferment­produkten umgerüstet.
Mit dem sogenannten Brixtest misst der Berner Biobauer den Zucker­gehalt der Pflanzen.

Der Biolandwirt ist vor zwei Jahren auf die regenerative Land­wirtschaft umgestiegen.

Seine Felder sind nun wie bei Schönbächler immer begrünt. Mit einer neu angeschafften Fräse arbeitet er die Grün­düngung – Pflanzen, die nicht geerntet, sondern zur Boden­verbesserung unter­gepflügt werden – in den Boden ein.

Siegenthaler hat viel Geld investiert für neue Maschinen, den Kompost­tee und Mikro­organismen, die den Boden mit Nährstoffen versorgen sollen – er braucht zum Beispiel ein Kräuter­ferment­produkt. «Das summiert sich. Das muss schon einen Gegen­wert haben», sagt er.

Im Ertrag merkt er bisher keinen Unter­schied. Er erntet weder weniger noch mehr als vorher. Aber einige Veränderungen sieht er bereits.

Nach den heftigen Regenfällen diesen Sommer stand auf Siegenthalers Feldern weniger Wasser als bei seinen Nachbarn. «Es ist ja der gleiche Boden, aber bei uns gibt es weniger Über­schwemmungen. Das sind Zeichen, dass es nicht so schlecht läuft», sagt er. Zeichen, dass der Humus­anteil im Boden zugenommen hat. Denn humus­reicher Boden kann mehr Wasser speichern.

Siegenthaler hat sich fünf Jahre für das Experiment der regenerativen Land­wirtschaft gegeben. Er probiert viel aus. Das muss er auch, denn noch gibt es relativ wenig Forschung in dem Bereich.

Wer auf regenerative Landwirtschaft umstellt, muss erst mal eine Menge Geld und dann viel Arbeit investieren.
Ein erster Effekt: Nach den heftigen Regenfällen diesen Sommer haben Siegenthalers humusreiche Böden mehr Wasser aufgenommen als jene der Nachbarn.

Jede regenerative Landwirtin ist also ein bisschen Pionierin. Bärtschi von Agricultura Regeneratio sagt: «Der regenerative Bauer ist Lernender ohne Lehrmeister.»

In einer Whatsapp-Gruppe tauscht sich Siegenthaler mit Schön­bächler und Dutzenden von weiteren Bauern über Erfolge und Misserfolge im Feld aus.

Siegenthaler sagt: «Es macht schon mehr Arbeit.» Trotzdem ist er überzeugt: «Die regenerative Land­wirtschaft ist im Moment, was man so weiss, die nachhaltigste Betriebs­art, die es gibt.»

Und was sagt die Wissenschaft?

Bäuerinnen, die regenerative Land­wirtschaft betreiben, berichten in Videos, Blogs und auf Konferenzen davon, dass sich die Arten­vielfalt auf ihren Äckern erhöht hat und sie weniger Herbizide verwenden müssen. So wie Schön­bächler und Siegenthaler.

Vereinzelte wissenschaftliche Studien bestätigen ihre Beobachtungen. Wissenschaftler der South Dakota State University haben die Auswirkungen des regenerativen Ansatzes auf die Produktion von Mais untersucht. Sie fanden heraus, dass konventionelle Land­wirte zehnmal mehr mit Schädlingen zu kämpfen hatten als ihre regenerativen Kolleginnen.

Im Süden Spaniens setzen Wein- und Oliven­­bauern auf den regenerativen Ansatz und haben zwischen den Oliven­hainen Wild­blumen und Gras angepflanzt, Nester für Vögel aufgestellt und kleine Teiche angelegt, um Insekten anzulocken. Nach drei Jahren fanden Forscherinnen der Universität Jaén bereits 47 Prozent mehr Bienen, 10 Prozent mehr Vögel und 172 Prozent mehr Sträucher, verglichen mit 20 Kontroll­hainen. Hasen tauchten wieder auf und mit ihnen Raubvögel.

Gross angelegte Forschung fehlt zwar noch. Trotzdem wird die regenerative Land­wirtschaft bereits von vielen als Rettung der Land­wirtschaft, der Umwelt und des Klimas gehandelt.

Selbst grosse Schweizer Unter­nehmen wie Nestlé und Syngenta haben den nachhaltigen Ansatz für sich entdeckt. Der Agrar­riese Syngenta will mit der regenerativen Land­wirtschaft gegen die Klima­krise und den Verlust der Arten­vielfalt kämpfen, heisst es in seinem «Good Growth Plan». Der welt­grösste Nahrungs­mittel­konzern Nestlé will bis 2025 die Summe von 1,2 Milliarden Franken in regenerative Land­­wirtschaft investieren und bis 2030 die Hälfte seiner Zutaten daraus beziehen.

Was die beiden Konzerne genau unter der regenerativen Land­wirtschaft verstehen, erklären sie allerdings nicht.

Agrarwissenschaftler Kurt Möller von der Universität Hohenheim in Stuttgart sieht den Trend zur regenerativen Land­wirtschaft kritisch. «Da wird eine schöne, romantische Story erzählt, die zu stark vereinfacht», sagt er. «Es werden Sachen versprochen, die nicht nach­gewiesen sind, dafür aber viel Geld und Zeit kosten.»

Rüebliernte: Mehr Ertrag geben Siegenthalers Böden zwei Jahre nach der Umstellung noch nicht. Aber vielleicht besseren?

Dem Kompost­tee hätten beispiels­weise bisher keinerlei Effekte nach­gewiesen werden können, sagt er. Ebenso müssten Bauern keine sogenannten «effektiven Mikro­organismen» kaufen, wie sie in der regenerativen Land­wirtschaft eingesetzt werden, denn Mikro­organismen existierten auch in der Natur, so Möller. Man kann sich das ein wenig vorstellen wie bei den Menschen, bei denen einige speziell beworbene probiotische Milch­drinks kaufen und andere einfach Joghurt essen, in dem probiotische Bakterien sowieso natürlicher­weise vorkommen.

Vor allem die Klima­wirkung vom Humus­aufbau werde überschätzt, sagt Möller. Nicht nur in der regenerativen Land­wirtschaft, sondern generell: «Langfristig führen höhere Humus­gehalte zu höheren Lachgas­emissionen aus dem Boden. Modellierungen zeigen, dass schon mittel­fristig negative Klima­wirkungen der erhöhten Lachgas­emissionen die positiven Klima­wirkungen der Kohlen­stoff­bindung im Boden bei weitem übersteigen.»

Möller bezieht sich auf eine Studie der Gemeinsamen Forschungs­­stelle der Europäischen Kommission. Laut den Forschern könnten Humus­böden, je nach Standort, nach etwa zwanzig Jahren zu einem Klima­wandel­treiber werden. Lachgas ist rund 300-mal so klima­schädlich wie CO2. Land­wirtinnen müssten dann ihr System anpassen, um die Lachgas­emissionen aus dem Boden zu vermeiden, schreiben die Studien­autoren.

Es ist also, wie so oft, nicht ganz einfach.

Möller sieht aber auch die Vorteile der regenerativen Land­wirtschaft. Die Felder zu begrünen, sei «guter Boden­schutz». Ausserdem würde durch den Trend der jetzige Weg der Land­wirtschaft infrage gestellt und Diskussionen angeregt, wie eine neue Richtung aussehen könnte.

Da sind sich auch der Verbands­gründer Bärtschi, der Bio­bauer Siegenthaler und der konventionelle Land­wirt Schönbächler einig: Die regenerative Land­wirtschaft bietet Land­wirten aller Richtungen eine gemeinsame Basis, auf der sie über die Heraus­forderungen ihrer Branche sprechen können. Über die Notwendigkeit, klima- und umwelt­bewusster zu arbeiten. Über neue Methoden und Anbau­techniken.

Über das, was sie verbindet, und nicht das, was sie trennt.

Zur Autorin

Katharina Wecker berichtet als freiberufliche Journalistin über Umwelt, Klima­wandel und gesellschafts­politische Themen. Ihre Texte und Videos erscheinen unter anderem bei der «Deutschen Welle» und «Spiegel online». Für die Republik schrieb sie zuletzt über die neue Gentechnik.­­