«Zu Tisch» – Teil 2

Wenig Fast Food, wenig Zucker – reicht das?

Wir haben Ihnen den aktuellen Wissensstand zur gesunden Ernährung versprochen. Und bisher vor allem darüber gesprochen, was wir eher meiden sollten. In Teil 2 gehts um die Fragen: Was also essen? Und wie?

Von Marie-José Kolly (Text) und Oriana Fenwick (Illustrationen), 30.08.2021

Als ich ein Kind war, gab es bei uns daheim unter der Woche eher selten Fleisch, dafür oft am Samstag­mittag Entrecote, steak chasseur oder Cordon bleu, dazu Risotto und Tomaten­salat. Dann, irgendwann, kam die vegetarische Küche ins Tisch­gespräch, und wir fragten uns, wie man denn ohne Fleisch zu den notwendigen Proteinen käme.

Zur Erinnerung: Proteine sind nicht nur Brenn­material, das – wie Kohlen­hydrate und Fette – unserem Körper die Energie liefert. Wir brauchen Proteine zwingend als Baumaterial. Wie wir in Teil 1 dieses Beitrags gesehen haben, sind wir Menschen deshalb besonders hungrig nach Proteinen. Ein Grund, weshalb das protein­arme Zeug, das die Lebensmittel­industrie als Convenience-Food verkauft, zum Überessen verleitet.

«Zu Tisch»

Was die Wissenschaft über gesundes Essen weiss – eine praktische Anleitung ohne Mythen, Hype und Wunderkuren. Zur Übersicht.

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Wenig Fast Food, wenig Zucker – reicht das?

Debatte

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Gesundes Essen ist also erst einmal richtiges – unverarbeitetes – Essen. Und sonst? Ernährung, die uns vor chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Krebs schützt, bedeutet auch: a) mehr­heitlich Pflanzen und b) nicht zu viel.

Das klingt simpel genug. Nur: Wenn Sie etwas gesünder essen möchten, wüssten Sie bestimmt gern, was genau an Pflanzen so gut sein soll. Vermutlich interessiert Sie ebenfalls, woher Wissen­schaftlerinnen das überhaupt wissen. Vielleicht auch: wie Sie denn vorgehen könnten, um in vernünftiger Zeit zu einem bezahlbaren Menü zu kommen. Und schliesslich: Was heisst denn «nicht zu viel» in etwa?

Deshalb: die etwas längere Fassung.

Mehrheitlich Pflanzen

Eines Samstags also rechneten wir: erstens, wie viele Proteine die vier Steaks, die meine Familie am kommenden Samstag gebraten hätte, enthalten. Zweitens, wie viele Linsen man essen müsste, um dieselbe Protein­menge aufzunehmen.

Dann kochten wir dieses Linsencurry. Viel Linsencurry. Gefühlt assen wir eine Woche lang davon.

Meine spontane Reaktion damals: So viele Hülsen­früchte, wie man essen müsste, kriegt keiner runter. Der Fehler dabei: Keiner braucht jeden Tag ein Steak (oder eine riesige Schüssel Linsen), um genügend Eiweiss aufzubauen.

«Auch mit einer pflanzlicheren Ernährung decken Sie problemlos Ihren Protein­bedarf», sagt Anthony Fardet. Denn die Amino­säuren, die unser Körper in Eiweiss umbaut, stecken in verschiedensten Nahrungs­mitteln. Man muss das nicht alles in Linsen essen.

Wer sich aber ausschliesslich pflanzlich ernähre, also keine Eier, kein Käse, kein Joghurt esse, sollte speziell auf protein­reiche Pflanzen achten, sagt der Ernährungs­forscher Fardet: genügend Soja und andere Hülsenfrüchte, Nüsse, Vollkorn­getreide essen. Und Hülsen­früchte mit Getreide kombinieren.

Wer Linsen gern mag –

… findet in hier ein passables Rezept. Wie auch in allen anderen Kästchen, die sich durch diesen Beitrag ziehen.

Linsen als Curry: Hier ist ein sehr brauchbares (und skalierbares) Rezept mit roten Linsen. Eine Sehr-schnell-Version von Republik-Autorin Olivia Kühni: rote Linsen kochen, mit Nature-Joghurt, Gurken­stückchen und allenfalls Koriander servieren.

Wer Linsensalat mag, folge dem Klassiker meiner Mama: grüne, braune oder Beluga-Linsen im Wasser kochen, gleichzeitig Lauchstücke in Olivenöl anbraten. Mit Essig, Salz und Pfeffer in einer Salat­schüssel anrichten, vielleicht mit frischem Oregano oder Dill. Das Menü ist ebenfalls skalierbar, denn dazu passen:

Rüebli und Randen, die eine halbe Stunde bei 200 Grad Celsius im Ofen waren. Vorher schälen ist nicht nötig – unter fliessendem Wasser abbürsten, in ca. 1 cm dicke Stücke schneiden, in etwas Olivenöl und Salz wenden.

Oder: Broccoli, Romanesco oder Blumenkohl vierteln, mit Olivenöl bepinseln, mit Salz besprenkeln, ebenfalls eine halbe Stunde rösten.

Während das Gemüse im Ofen ist, die Linsen kochen und vielleicht sogar eine Sauce vorbereiten: Joghurt mit Salz, Pfeffer und wahlweise etwas geriebener Zitronen­schale oder gehackten Kräutern.

Vermutlich wäre es auch keine gute Idee, jeden Tag Linsen zu essen. Unsere nomadischen Vorfahren waren körperlich bedeutend gesünder als ihre Nachfolger, und dabei dürfte die Abwechslung – nicht unbedingt der höhere Fleisch­anteil – eine grosse Rolle gespielt haben. Jäger und Sammlerinnen waren ständig in Bewegung und fanden dabei Vitamine, Mineralien, Ballast­stoffe und Proteine in allerlei Wurzeln, Beeren, Nüssen, wildem Getreide und wilden Tieren. Die frühen Acker­bäuerinnen dagegen ernährten sich mehrheitlich von ein paar stärke­haltigen Getreide­sorten, die ihnen zwar die notwendigen Kalorien lieferten, aber wenig anderes.

Vergessen Sie also den täglichen Quinoa-Bowl ebenso wie den täglichen Pasta­teller. Unser Körper braucht verschiedenste Nährstoffe, und die erhält er, wenn wir verschiedenste Dinge essen, gern auch in Kombination miteinander. Denn bestimmte Nahrungs­mittel ergänzen einander besonders gut: Betacarotin aus Rüebli etwa wird vom Körper besser zu Vitamin A umgewandelt, wenn es zusammen mit Fett – vielleicht als Olivenöl aus der Salatsauce – im Darm ankommt.

«Denken Sie an ein Bouquet», sagt Bettina Wölner­hanssen, Forscherin am Basler Claraspital: Wer darauf achtet, verschieden­farbige Sachen zu essen, nimmt auch verschieden­artige Nährstoffe zu sich, etwa Folsäure aus grünem Blattgemüse oder Betacarotin aus orangen Lebens­mitteln. Unser Belohnungs­zentrum sei deshalb darauf programmiert, verschiedene Farben auf dem Teller zu mögen, sagt die Forscherin. Und Firmen, die Gummibärli oder Smarties produzierten, machten sich das zunutze: Wir meinten dann unterbewusst, wir müssten von jeder Farbe eines essen.

Abwechslungs­reich, das mag auch unser Mikrobiom: die Milliarden von Bakterien in unserem Darm. Ihr Bestand ist grösser und vielfältiger, je vielfältiger wir uns ernähren, und das hat erheblichen Einfluss auf unser Gewicht und unsere Gesundheit (insbesondere auf unsere Immun­abwehr). Ein paar sogenannte Superfoods reichen dabei nirgendwohin: Essen Sie pro Woche 10 bis 20 verschiedene Dinge, «die gutes Futter für Ihre Mikroben sind», empfiehlt Tim Spector, der am Londoner King’s College die Zusammen­hänge zwischen Genetik, Darm­bakterien und Ernährung studiert. Das sind zum Beispiel: Früchte, Gemüse, Kräuter, Hülsen­früchte, Nüsse, fermentierte Milch­produkte und Ballast­stoffe. (Letztere sind übrigens nicht einfach «Ballast» – wir können sie zwar nicht verdauen, dafür füttern sie unsere Mikroben.)

Eine gesündere Ernährung bedeutet für die meisten von uns nicht, dass man Vorrats- und Kühl­schrank völlig umräumen muss. Sondern: dass man die Gewichte verschiebt. Etwas weniger raffinierte Kohlen­hydrate, dafür mehr Vollkorn­getreide. Ein bisschen weniger Süsses, etwas öfter Nüsse. Weniger Fleisch, mehr Pflanzliches.

Was noch? Einen besseren Überblick als Einzel­studien bieten hierfür sogenannte Meta-Studien, welche die Ergebnisse aus vielen einzelnen Beobachtungs- und Interventions­studien zusammen­fassen – voraus­gesetzt, die Einzel­studien wurden aufgrund solider Güte­kriterien ausgewählt, denn auch in den Ernährungs­wissenschaften gilt natürlich: garbage in, garbage out. Für einen sehr breiten Blick haben der französische Ernährungs­forscher Anthony Fardet und sein Co-Autor alle solchen Meta-Studien, die zwischen 1950 und 2013 zum Zusammen­hang zwischen bestimmten Lebensmittel­gruppen und chronischen Krankheiten erschienen, in einer grossen Super-Meta-Studie ausgewertet.

Die jeweiligen Einzel­resultate sind natürlich nicht über alle Zweifel erhaben: Die Autoren haben etwa die Meta-Studien nicht danach ausgewählt, ob industrie­finanzierte Einzel­studien auch mit eingeflossen sind. Ausserdem kann eine bestimmte Lebensmittel­gruppe eine Krankheit fördern und eine andere bremsen. Die Mehrheit der Resultate stimmt aber mit dem überein, was sich auch anderswo als Konsens heraus­geschält hat: Eine mehrheitlich pflanzliche Ernährung schützt uns tendenziell gegen chronische Leiden wie Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Rotes oder verarbeitetes Fleisch (denken Sie an Bratwurst oder Rohschinken) kurbelt sie an, ebenso raffiniertes Getreide (und dabei ganz besonders weisser Reis, Sie erinnern sich an die Dessert-Sushi).

Früher habe man Kindern immer gesagt, sie sollen nicht so viel Sauce auf die Spaghetti nehmen, nicht so viel Butter aufs Baguette streichen, sagt Bettina Wölner­hanssen. «Eigentlich ist es aber umgekehrt.»

Was uns schützt und was uns schadet

Anteil der Studien, die einen bestimmten Zusammenhang mit einer chronischen Krankheit fanden

neutral
schadet
schützt
Nüsse, Samen0 25 50 75 % Getreide (Vollkorn)0 25 50 75 % Hülsenfrüchte0 25 50 75 % Früchte0 25 50 75 % Fisch0 25 50 75 % Gemüse0 25 50 75 % Milchprodukte0 25 50 75 % Geflügel0 25 50 75 % Eier0 25 50 75 % Fleisch (rot/verarb.)0 25 50 75 % Getreide (raffiniert)0 25 50 75 %

Fardet, A. & Boirie, Y. (2014): «Associations between food and beverage groups and major diet-related chronic diseases: an exhaustive review of pooled/meta-analyses and systematic reviews». «Nutrition Reviews» 72/12.

Vielleicht kann man «mehrheitlich Pflanzen» auch so verstehen, dass man als Fleisch­esserin ungefähr so viel davon isst, wie das unsere Urgrosseltern taten. Nicht umsonst sprachen sie vom «Sonntags­braten» oder von der «Weihnachts­gans». So schreiben auch die Autoren der Studie, ihre Resultate bedeuteten nicht, dass man keine tierischen Produkte verzehren sollte. Sondern dass diejenigen, die am meisten davon konsumierten, ihren Verbrauch reduzieren sollten. «Damit schützen sie ihre Gesundheit – und gleich auch den Planeten», sagt Erstautor Anthony Fardet am Telefon. (Tierische Proteine haben durchaus gesundheitliche Vorteile, indem wir sie etwa leichter zu Körpereiweiss umbauen können als pflanzliche).

Die Gewichte zwischen verschiedenen Esswaren verschieben …

… das geht auch auf ein und demselben Teller:

Ein kleineres Stück Poulet, mehr Gemüse.

Oder: pro Person nur 90 statt 120 Gramm Pasta, dafür aber mehr Broccoli. Gemüse im Wasser mitkochen, daneben Knoblauch, Chili und vielleicht Sardellen anbraten, alles vermischen.

Oder: etwas weniger Risotto­reis, dafür mehr Wirz oder Spargeln. Dabei vielleicht etwas geriebene Zitronen­schale mitkochen.

Oder: den Risotto­reis gleich ersetzen, etwa mit roten Linsen oder weissen Cannellini-Bohnen.

Fragt man die Ernährungs­forscherin Undine Lehmann nach dem best-belegten Wissen in ihrem Fach, nennt sie gleich nach den Resultaten zu Süss­getränken die Tatsache, dass ein hoher Frucht- und Gemüse­konsum dazu beiträgt, bestimmte Krebs­arten und Herz-Kreislauf-Krankheiten zu verhindern. Das Gegenteil gilt für rotes oder verarbeitetes Fleisch. Mehr vom einen und weniger vom anderen verlängert im besten Fall das Leben.

Was aber macht eine pflanzen­basierte Ernährung gesünder als filetlastige Diäten? Restlos geklärt ist die Frage nicht, und die Gründe sind vermutlich vielfältig.

Eine Erklärung, die Ernährungs­kompass-Autor Bas Kast vorstellt, geht so: Aus verschiedenen Studien weiss man, dass Menschen zwar nach Proteinen gieren, bis sie satt sind, dass sie aber krebs­krank werden können, wenn sie es damit übertreiben. Wie bereits erwähnt, sind Proteine das Baumaterial für unsere Zellen, und ein hoher Protein­konsum aktiviert ein Molekül, das die Zellen wachsen lässt. Das ist zwar gut für den Muskel­aufbau. Es dient aber leider auch dem Wachstum von Krebszellen.

Interessant daran ist: Letzteres scheint mehrheitlich für tierische Proteine zu gelten. Sie sind etwas anders zusammen­gesetzt als pflanzliche, die vermehrt aus nicht essenziellen Amino­säuren bestehen (die der Körper auch selbst bauen kann). Essenzielle Amino­säuren, die man durch Nahrung aufnehmen muss und aus denen tierische Proteine mehrheitlich bestehen, sind es, welche die Gesundheit von Labor­mäusen zerrütten, wenn sie zu viel davon bekommen.

Eine weitere Erklärung führt Mikroben­forscher Tim Spector an: Rotes Fleisch enthält L-Carnitin, einen Stoff, der den Körper mit Energie versorgt und den Body­builder gern als Nahrungs­ergänzung schlucken. Bei manchen Menschen – und zwar vermehrt bei regel­mässigen Fleisch­esserinnen – sind die Mikro­organismen im Darm so geartet, dass sie aus dem Carnitin erstens Energie gewinnen und es dann zweitens zum Abfall­produkt Trimethylamin­oxid umbauen. Dieser Abfall lagert sich in den Arterien ein und verstopft sie im schlimmsten Fall – so haben Patienten mit mehr davon im Blut ein bedeutend höheres Risiko für schwere Herzprobleme.

Pflanzliche Lebens­mittel dagegen schützen durch ihre sogenannten sekundären Pflanzen­stoffe: Mächtige Anti­oxidantien wie Polyphenole können die Oxidation des schlechten Cholesterins verhindern (darauf kommen wir noch), was es wiederum davon abhält, sich in den Blut­gefässen abzulagern und irgendwann Herz­infarkte oder Schlag­anfälle zu verursachen.

Polyphenole wirken auch entzündungs­hemmend auf das Immun­system ein, das gerade im Alter oder bei übergewichtigen Menschen häufig chronisch aktiviert ist und so das eigene Körper­gewebe angreift und die üblichen Verdächtigen – Diabetes, Krebs, Alzheimer – vorantreibt.

Eine gute Strategie, um in einem Rutsch viel Pflanzliches zu sich zu nehmen …

… sind Suppen.

Und ein Dampf­kochtopf ist eine gute Strategie, um sehr, sehr schnell zu so einer Suppe zu kommen: Knoblauch, Zwiebeln oder Lauch anbraten (vielleicht mit einem Gewürz), grob gehacktes Gemüse dazugeben, mit etwas Zitronen­saft oder Weiss­wein ablöschen (Säure balanciert den Geschmack aus), mit Salz, Gemüse­bouillon und vielleicht einem Lorbeer­blatt kochen (je nach Gemüse: 4 bis 10 Minuten). Mixen, vielleicht etwas Kokos­milch oder Rahm einrühren.

Bewährt haben sich zum Beispiel:
– Lauch und Broccoli
Kurkuma, Rüebli, Tomaten, Kokosmilch
Ingwer, Kümmel, rote Linsen, Tomaten
– Thymian, Sellerie, Apfel
Lauch, Kohlrabi, Kartoffel
– und die klassische Gemüse­suppe: Lauch, Wirz, Rüebli, Sellerie, Kartoffel.

Für die wärmeren Jahreszeiten gibt es eine weitere Strategie: «Saucen sind der Königsweg zu einem höheren Gemüse­konsum», schreibt die amerikanische Gemüse­bäuerin und Autorin Andrea Bemis. Beispiele hier.

Besonders viele dieser entzündungs­hemmenden Polyphenole findet man in der für mediterrane Küchen zentralen Sauce aus Olivenöl, Zwiebeln, Tomaten und Knoblauch. Abseits von Pflanzen sind sie auch in dunkler Schokolade, Tee, Kaffee – und Rotwein enthalten.

Ja, Sie haben richtig gelesen: Rotwein. Und jetzt gratulieren Sie sich vielleicht zu dem Glas, das Sie sich allabendlich zum Znacht gönnen, natürlich vor allem für Ihr Herz und für Ihren Kreislauf. Not so fast.

Beobachtungs­studien finden zwar gesundheits­fördernde Effekte, wobei die entsprechende Kurve aussieht wie ein J: Das niedrigste Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten haben moderate Alkohol­konsumentinnen (ein, zwei Glas pro Tag). Je weiter man dem J-Verlauf folgt, desto mehr steigt mit der Alkohol­menge das Gesundheits­risiko. Und kein Alkohol ist gemäss diesen Studien ebenfalls weniger gesund als ein bisschen Alkohol. Nur sind unter den abstinenten Probanden typischer­weise auch frühere Trinker, deren Gesundheit angeschlagen ist vom Alkohol oder von der Krankheit, derentwegen sie keinen mehr trinken. Rechnet man diese Verzerrung heraus, verschwindet gemäss manchen Studien der gesundheits­fördernde Effekt: Je mehr Alkohol, desto mehr Risiko. Unter Epidemiologinnen und Kardiologen ist die Frage aber nach wie vor umstritten. Konsens dagegen besteht beim Krebs: Alkohol fördert verschiedene Tumortypen, und das ab den kleinsten Mengen. Vielleicht ist es wie beim Zucker: Trinken Sie den Wein, weil Sie ihn mögen, nicht fürs Herz oder gegen Entzündungs­prozesse.

Dafür gibt es nämlich gesünderes Essen. Und Essen, das diese Mini-Überreaktionen des Immun­systems zurückfährt, schützt tendenziell vor krank machenden Prozessen sowie gegen Übergewicht.

Zum einen gehören dazu bestimmte Bakterien, die sich in fermentierter Milch – Joghurt, Käse – befinden: Lactobacilli. Diese (und andere Mikro­organismen in unserem Darm) kommunizieren mit den Immun­zellen und können so Entzündungen hemmen. Besonders viele Mikro­organismen, die die Vielfalt der Darm­bakterien stützen könnten, leben in traditionell hergestellten Käse­sorten, die nie eine sterile Industrie­halle von innen gesehen haben. (Wie gesund nicht fermentierte Milch ist, ist umstritten. Und vielen Menschen fehlt das notwendige Enzym, um im Erwachsenen­alter Milch verdauen zu können. Für alle anderen aber scheint Milch okay zu sein. Das Argument, dass unsere nomadischen Vorfahren ja auch keine Milch tranken, fällt in sich zusammen, wenn man bedenkt, dass viele von uns seit der Jäger-und-Sammler-Zeit mutiert sind und Milch nun eben verdauen können: «Das zeigt, wie wir und unsere Gene evolutionär gesehen recht schnell zur Anpassung an neue bedeutende Nahrungs­quellen imstande sind», schreibt Genetiker Tim Spector.)

Zum anderen wirken auch einfach ungesättigte Fett­säuren – in Olivenöl, Avocado, Nüssen und Samen – entzündungshemmend, und ganz besonders tun das die mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren. Man findet sie in Walnüssen, Leinsamen oder in fettigen Fischen, wobei aber die grösseren (Thun-, Schwert- oder Haifisch, Pangasius) häufig quecksilber­belastet sind. Gesünder sind Lachs, Forelle, Sardine, Sardelle und manche Meeres­früchte (Austern­liebhaberinnen dürfen sich freuen).

«Pescetarier leben am längsten», schreibt Bas Kast. Tatsächlich zeigen Beobachtungs­studien, dass diejenigen traditionellen Ernährungs­weisen, die zwar pflanzen­basiert sind, aber auch wenig Fisch enthalten, ihren Essern die höchste Lebenserwartung bieten können.

Wenn Sie sehr, sehr bald vor einem Omega-3-reichen Teller sitzen möchten …

… kaufen Sie ein Stück Lachs pro Person und legen Sie es mit der Haut nach unten in eine mit Olivenöl bepinselte Ofen­form. Etwas Salz, vielleicht etwas Dill darüberstreuen, 10 bis 15 Minuten bei 200 Grad in den Ofen schieben.

Wer die Beilage nicht ausserhalb des Ofens organisieren mag, legt einfach ein paar Erbsen, Spargeln, was immer schnell gar wird, unter den Lachs. Wer mag, schält und kocht Kartoffeln und zerdrückt sie mit einer Gabel zusammen mit Olivenöl, etwas Kochwasser, gehackten Kräutern und wenig Zitronen­saft und -Schale.

Für die Kartoffeln, die, ähnlich wie raffinierte Kohlen­hydrate, einen hohen glykämischen Index haben, gibt es übrigens noch einen Trick: Wenn man sie nach dem Kochen ein paar Stunden lang abkühlen lässt und erst dann wieder aufwärmt, verändert sich ihre Struktur dahingehend, dass ihre Stärke etwas weniger verdaulich wird. Das senkt den glykämischen Index und freut die Mikro­organismen im Darm.

Lachs mit «écrasé de pommes de terre»: Aus dem «Saveurs»-Magazin, Nummer 270/2021.

Im Jahr 1955 erlitt der amerikanische Präsident Dwight Eisenhower einen Herzinfarkt. Er überlebte, stellte auf ärztlichen Rat hin seine Ernährung um und machte seine Krankheit publik. Was die Öffentlichkeit von da an hörte und las, war: Vermeiden Sie die gesättigten Fette aus tierischen Produkten wie rotem Fleisch, Eiern, Käse, Butter. Denn sie lassen den Cholesterin­spiegel steigen, das Zeug lagert sich in den Blutbahnen ein und versteift und verstopft sie. Und das endet eben im Herzinfarkt.

Also begann die Lebensmittel­industrie, enthusiastisch fett­reduzierte Joghurts, fettfreie Salat­sauce und Margarine aus gehärteten (ungesättigten) Pflanzen­ölen zu verkaufen. Die Konsumentinnen wurden aber nicht gesünder oder schlanker. Denn viele von ihnen ersetzten die fehlenden Fette mit raffinierten Kohlen­hydraten. Und die Industrie ersetzte das fehlende Fett (ein Geschmacks­träger) mit Zucker (ebenfalls ein Geschmacks­träger). Zudem enthält die ultra­prozessierte Margarine sogenannte Transfette: ultra­schädliche Substanzen, die entstehen, wenn man Öle künstlich härtet, und die seit 2008 in der Schweiz maximal 2 Prozent des Fettgehalts von Produkten ausmachen dürfen. (Deklarieren müssen Hersteller oder Verkäufer den Transfett­gehalt auf Produkten aber nicht. Es liege in ihrer Eigenverantwortung, sicherzustellen, dass die Grenzen nicht überschritten werden, schreibt das Bundesamt für Lebensmittel­sicherheit und Veterinär­wesen auf Anfrage der Republik.)

Eisenhower verzichtete also auf gesättigte Fette und Cholesterin – und starb 1969 trotzdem an einem Herzinfarkt. Ungeachtet dessen blieb Fett in der öffentlichen Wahrnehmung der grosse Übeltäter. Bis in der Ernährungs­wissenschaft nach der Jahrtausend­wende die Erkenntnis durchdrang, die die Erzählung zu ändern vermochte: Die Daten, die einen Zusammen­hang zwischen gesättigten Fetten und Herz-Kreislauf-Krankheiten postuliert hatten, waren mit einiger Willkür zusammen­gestellt worden. Zucker – der ja in der Leber wiederum zu Fett wird – ist vermutlich der wahre Übeltäter.

So kippten die Empfehlungen von low-fat zu low-carb, und seit den späten 2000er-Jahren haben Kohlen­hydrate – Brot, Pasta – einen schlechten Ruf. Nur: Irgendwas muss unser Körper ja verbrennen. Die Frage ist also: Welche Kohlen­hydrate? Die Antwort hierauf kennen Sie nun (weniger Baguette, mehr Vollkorn­brot, mehr Hülsen­früchte, mehr Gemüse). Und welche Fette?

Im Entrecote, in der Avocado, im Olivenöl, überall besteht das Fett aus einer Kombination unterschiedlicher Fett­säuren: Ketten von Kohlenstoff- und Wasserstoff­atomen. Nun sind diese Atome bei gesättigten Fettsäuren regelmässig aneinander­gereiht. Bei den einfach ungesättigten fehlt jedoch an einer Stelle in der Kette der Wasser­stoff – die Fettsäure hat dadurch einen Knick. Die mehrfach ungesättigten Fettsäuren haben mehrere Knicke. So sind ungesättigte Fettsäuren biegbarer als gesättigte. (Der vierte Fett-Typ, Transfett, entsteht fast nur in verarbeiteten Lebens­mitteln, die zu meiden sich aus mehreren Motiven lohnt).

Da unsere Zellhüllen sowie unser Gehirn und unsere Augen in Teilen aus den Fetten bestehen, die wir über Nahrung zu uns nehmen, führen die biegbaren ungesättigten Fettsäuren zu geschmeidigeren Zellen, welche Signale besser übertragen können. Und sie scheinen gegen Herz-Kreislauf-Krankheiten zu schützen. Vermehrt einfach ungesättigte Fettsäuren findet man im Olivenöl, in Avocado, Poulet sowie verschiedenen Nüssen. Zu mehrfach ungesättigten Fettsäuren gehören die oben erwähnten Omega-3-Fette, die in hohen Anteilen in fettigem Fisch, Walnüssen, Lein- und Chiasamen enthalten sind. (Und wenn schon rotes Fleisch, dann lieber von Tieren, die grasen durften. Es enthält bedeutend mehr Omega-3-Fettsäuren als das von Rindern, die – typischer­weise in Massen­mästereien – Mais oder anderes Getreide vorgesetzt bekamen.)

Die gesättigten Fette sind in vernünftigen Mengen vermutlich einiger­massen neutral. Zumindest wenn sie in einer wenig verarbeiteten Matrix (mehr zu diesem Begriff in Teil 1) – wie in fermentierten Milch­produkten – auftreten. «Im Käse sind die gesättigten Fette nicht gesundheits­schädigend», sagt Anthony Fardet. «Aber wenn man sie en masse zu hoch­verarbeiteten Lebens­mitteln hinzufügt, dann schon.»

Okay, aber was ist mit dem Cholesterin?, fragt sich nun vielleicht der eine oder die andere. Es sei «als medizinischer Marker ziemlich nutzlos», schreibt Genetiker Tim Spector. Lieber solle man auf die Elemente schauen, die Fette und das fettähnliche Cholesterin im Körper herumtransportieren.

Fett und Cholesterin kommen häufig erst einmal in der Leber an, die sie dann umverteilt: über die Blut­bahnen zu den Zellen. Wie in Teil 1 dieses Beitrags erwähnt, muss die Leber nicht nur Fett loswerden, das als Fett bei ihr ankam, sondern auch Fett, das als Fruktose aus Zucker in den Körper gelangte. Damit sie nicht als Fett­augen im Blut schwimmen, kombiniert die Leber diese Lipide mit Proteinen. Durch die Gefässe reisen dann mehrere Arten dieser Lipo­proteine: solche mit höherer Dichte (high-density lipoprotein, HDL) und solche mit niedrigerer (low-density lipoprotein, LDL). Hohe HDL-Werte sind gut für uns: Damit kommen die Lipo­proteine ohne Kollateral­schaden dort an, wo sie hinsollen. Hohe LDL-Werte dagegen sind schlecht: Diese kleinen Moleküle bleiben in den Gefäss­wänden hängen und verstopfen sie nach und nach. Die LDL-Werte steigen bei hohem Zucker­konsum, mit Transfetten und mit gesättigten Fetten.

Nun leben wir ja eigentlich nicht von Nährstoffen: Wir essen nicht gesättigte Fette, sondern Käse, Butter, Steak. Und zwar als Teil einer Küche, einer Gesamt­ernährungs­weise. Die perfekte Ernährungs­weise kennen wir nicht, wir wissen aber: Seit Jahr­tausenden leben Menschen in Bergen und Wüsten, auf Eis oder im Wald, und ernähren sich von dem, was da ist. In einer Region bedeutet das: einen höheren Fettanteil, anderswo: mehr Kohlen­hydrate – aber überall: kaum chronische Krankheiten. Die einzige Küche, von der man weiss, dass sie dem Menschen schadet, ist jene, die kaum mehr in einer richtigen Küche stattfindet: die moderne westliche Diät.

Übrigens unterscheiden wir uns auch voneinander in der Art und Weise, wie wir Nahrungs­mittel verarbeiten: Manchen geht es mit einer fett­lastigeren Ernährung besser, andere fahren besser mit mehr Kohlen­hydraten. Wir verarbeiten sie nicht alle gleich: Zucker­forscherin Wölner­hanssen hat kürzlich im Vorfeld einer Studie den Blutzucker ihrer Familie untersucht. Was alle gut vertrugen: Hülsen­früchte. Was für die meisten relativ günstig sei: Wurzel­gemüse, Süsskartoffeln. Aber bei anderen Dingen – Kartoffeln, Brot, Pasta – sei der Blut­zucker bei manchen Familien­mitgliedern hoch­geschossen, bei anderen habe er kaum reagiert.

Auch das könnte mit den Mikroben in unserem Darm zu tun haben, deren Vielfalt und Zusammen­setzung sehr individuell ist (und deren Erforschung noch in den Kinder­schuhen steckt). Kanadische Forscher untersuchten 1988 in einer Zwillings­studie, was passiert, wenn man Menschen 100 Tage lang viel zu viel zu essen gibt. Das erwartbare Ergebnis: Sie nehmen zu. Aber sie nehmen in sehr unterschiedlichem Masse zu – manche etwa 4 Kilogramm, andere über 13. Unsere individuellen Voraussetzungen – Gene, Mikro­biom – spielen dabei eine grosse Rolle. Das zeigt sich besonders daran, dass die Probandinnen jeweils fast gleich viel zunahmen wie ihr eineiiger Zwilling.

Nicht zu viel

Okinawa, 1972. Die Insel­gruppe im Südwesten Japans ragt aus den Daten der nationalen Ernährungs­studie heraus: In keiner anderen japanischen Präfektur leben so viele gesunde 100-Jährige. Den grössten Platz auf den Tellern der Einwohner nehmen Süss­kartoffeln ein, daneben anderes Gemüse, Soja und weitere Hülsen­früchte. Dafür essen Okinawanerinnen weniger Reis als anderswo in Japan. Sie essen ein wenig Fisch, ein wenig Schweine­fleisch. Vor allem aber essen sie wenig. In keiner anderen Präfektur Japans nehmen die Menschen so wenige Kalorien zu sich (nämlich 83 Prozent des japanischen Mittels). In Okinawa fasten die Menschen ständig ein bisschen.

Okinawa, heute. Die Zeit der Rekorde ist passé. Das Prinzip «Hara Hachi Bu» – iss, bis du zu 80 Prozent satt bist – greift nicht mehr so wie früher. Und ab der Jahrtausend­wende hielten andere japanische sowie westliche Einflüsse in die traditionelle Ernährungs­weise Einzug: vermehrt weisser Reis, Fleisch, Brot.

Nicht nur was wir essen, sondern auch wie wir es essen – wie viel, wann, mit wem – beeinflusst unser Wohl.

Fasten liegt im Trend, heute vor allem das bequemere Intervall­fasten: Man isst so viel, wie man mag, aber nur während eines Intervalls von 8-oder-so Stunden. Die Methode basiert primär auf Experimenten mit Tieren. So konnte man etwa zeigen: Mäuse, die während 8 Stunden täglich Mäuse-Junkfood assen, blieben schlank. Die Intervall­diät schützte sie gegen verschiedenste Vorgänge, die krank machen. Mäuse, die gleich viel assen, das aber über 24 Stunden verteilt, wurden übergewichtig. Ihr Blut­hochdruck und ihre Entzündungs­werte stiegen, sie wurden insulin­resistent, und ihre Leber wurde zu Foie gras.

Nun sind Menschen keine Labor­tiere. Hier ist Evidenz erstens schwieriger zu bekommen, und zweitens ist die Evidenz, die man zur Intervall­diät zurzeit hat, weniger klar. Für den Moment sieht es danach aus, als ob sie beim Menschen nichts Ausser­gewöhnliches bewirkte: Viele verlieren dabei zwar Gewicht, aber primär weil sie schlicht weniger essen. Kontrollieren Wissenschaftler, dass Probandinnen beim Intervall­fasten gleich viel Energie zu sich nehmen wie sonst, verschwindet der Effekt.

Vermutlich kommt es also nicht so sehr auf das Muster des Fastens an, sondern darauf, dass man, à la Okinawa, nicht zu viel isst.

«Evolutionär betrachtet sind wir Menschen auf Mangel angelegt», sagt die Ernährungs­forscherin Christine Brombach. Und darauf, auch einmal wirklich zu viel zu essen – etwa wenn die in netter Runde gekochte Bolognese so lecker ist und so gut zum Wein passt. «Aber mit ständigem Überfluss kommt der Mensch nicht zurecht. Er macht uns krank.»

Diesem Überfluss zu entkommen, ist schwer, gerade in Umgebungen, wo Menschen dazu gedrängt werden, mehr zu essen. Ein typisches Beispiel hierfür sind Fast-Food-Ketten, die ihren Kunden für einen kleinen Aufpreis eine grössere Portion anbieten. Die Forschung zeige sehr klar, sagt der Psychologe Kelly Brownell, dass Menschen, die mehr Essen serviert bekämen, auch mehr ässen (sich aber dabei nicht unbedingt satter fühlten). Und die Portionen werden immer grösser: Die kleine Pommes-frites-Portion bei McDonald’s sei vor nicht allzu langer Zeit noch als die grösste verkauft worden, sagt der Psychologe. Kundinnen sind bereit, mehr zu bezahlen als das, was die grössere Portion die Firma tatsächlich kostet. «Also cashen die companies ein, je grösser die Portionen werden.»

Wer zwar nicht zu viel essen möchte, aber nicht gerade heiss aufs Fasten ist, kann sich vermehrt auf sättigende Sachen stürzen: Hochverarbeitetes vermeiden, Protein­haltiges essen. «Nüssli sind der ideale Snack», sagt Zucker­forscherin Bettina Wölner­hanssen. Gerade Erdnüsse, die zur Familie der Hülsen­früchte gehören, hatten wegen des hohen Fettgehalts lange zu Unrecht einen schlechten Ruf. Sie machen nicht nur satt, sie halten auch den Blut­zucker­spiegel einigermassen konstant.

Apropos Blutzucker: Ständig zu snacken, hält den Blutzucker- und damit auch den Insulin­spiegel ständig hoch – mögliche Folgen sind Insulin­resistenz, Übergewicht und Diabetes. Besser ist es, klar zwischen Mahlzeit und Nicht-Mahlzeit zu trennen. Ob man dann drei- oder fünfmal am Tag esse – vielleicht drei Haupt­mahlzeiten plus Znüni und Zvieri –, sei bei Erwachsenen vermutlich unerheblich, sagt Ernährungs­wissenschaftlerin Undine Lehmann. (Für Kinder seien Zwischen­mahlzeiten aber wichtig, und sie könnten Naschen vorbeugen.)

Und wenn Sie das Timing wirklich optimieren wollen: Unsere Insulin­resistenz nimmt über den Tag hinweg zu. Und die Zellen, die in der Bauch­speichel­drüse das Insulin bilden, werden gehemmt durch das Schlaf­hormon Melatonin. Beides spricht dafür, in der ersten Tages­hälfte mehr zu essen und spätabends weniger – oder zumindest weniger Kohlen­hydrate, die den Blut­zucker­spiegel stärker steigen lassen als fettigere oder protein­haltigere Lebensmittel.

Wer abends noch ein Dessert mag …

 …könnte also statt Keks und Kuchen auch fermentierte Milch­produkte wählen – so, wie in französischen Kantinen und Familien üblich:

Ein paar Löffel Joghurt oder Quark, vielleicht mit Nüssen, Beeren oder Apfelmus. (Äpfel entkernen, kochen, fertig – hält sich ein paar Tage im Kühlschrank.)

Ein kleines plateau de fromage. (Das vorrätig zu haben sich so oder so lohnt: Wer Hunger hat, kann hiervon nehmen. So braucht man auch nicht zu viel zu kochen, damit auch ja genug da ist.)

Forschende sagen aber auch ganz klar: Die wissenschaftliche Evidenz zum Ess-Timing sei noch nicht so gut abgesichert. Und was man esse, sei viel, viel wichtiger, als wann man es esse.

Auch wie man isst, dürfte eine Rolle spielen. Was ebenfalls schwer nachzuweisen ist, was aber fast alle der Wissenschaftler betonen, die für diesen Beitrag Telefonate und Videochats über sich haben ergehen lassen: Der Stellenwert des Essens und die Freude daran sind wichtig. «Essen Sie Ihr Stück Schokolade mit Genuss, nicht mit schlechtem Gewissen», so Lehmann.

Das zieht nach sich, dass man sein Essen nicht fernseh­schauend oder arbeitend in sich hinein­schaufelt, sondern bewusst schluckt. Vielleicht auch: mit anderen zusammen. «Beim Gespräch isst man langsamer und kaut mehr, was die Sättigungs­gefühle hervorruft», sagt Anthony Fardet.

Dass man in Frankreich trotz eines hohen Konsums gesättigter Fette weniger Herz-Kreislauf-Krankheiten beobachtete als in anderen westlichen Regionen, hat man seit den 1980er-Jahren als french paradox bezeichnet. Ob das Paradox überhaupt existiert – oder ob es auf unterschiedliche Erhebungs­methoden zurück­geht –, ist umstritten. Manche erklären die postulierte französische Volks­gesundheit mit dem Rotwein­konsum, andere mit dem niedrigeren Verbrauch von hochverarbeitetem Essen, noch andere mit dem traditionell hergestellten Käse und seinen Mikro­organismen. All das zeugt aber von einer weiteren Sache: einer bewussten Esskultur.

Französinnen verbringen bedeutend mehr Zeit mit Kochen und Essen als etwa Amerikaner, die im Mittel rund jede fünfte Mahlzeit im Auto einnehmen. Die Mensa der Pariser Universität, in der ich eine Zeit lang forschen durfte, hiess bei meinen Kollegen restaurant und nicht etwa cantine. Gleich nach der Kasse hing ein Wein­öffner an der Wand. Und es gab auch am Mittag entrée und dessert – kleine Portionen auf kleinen Tellern.

Und nun?

Zum Schluss vielleicht noch dies: Behalten Sie Ihre Leichtigkeit. Was wir essen, beeinflusst unsere Lebens­qualität. Aber die tägliche Zigaretten­packung ist schädlicher als der gelegentliche Speck. Was am Ende zählt, ist das Gesamtbild.

Wenn Sie dieses an food, mostly plants, not too much und varié ausrichten; wenn Sie bewusst und gern essen; wenn Sie die treats auch wirklich als solche behandeln – dann werden Sie hoffentlich mit einem guten Gefühl satt. Und brauchen sich um high- oder low-irgendwas-Diäten keine Gedanken zu machen. Das sei nämlich auch wichtig, sagt Undine Lehmann, bevor sie den digitalen Telefon­hörer auflegt: «Beim Essen nicht ständig Panik zu haben.»


Ah, noch zum Kaffee, den Anne zu ihrem Café complet mit Tomaten­salat trinkt und damit ihren Freund in Teil 1 zum schockierten Googeln brachte: Führt der Espresso irgendwann zum Tumor?

Sein schlechter Ruf ist ja auf den rauchenden Teil der Kaffee­trinkerinnen zurück­zuführen. Mittlerweile gibt es mehrere Meta-Studien, die zeigen: Ein tüchtiger Kaffee­konsum schützt sogar Herz und Kreislauf, vielleicht unter anderem wegen der vielen antioxidanten Poly­phenole, die wir aus Gemüse, Rotwein oder dunkler Schokolade kennen.

Aber Kaffee­bohnen enthalten wie andere stärke­haltige Dinge, die geröstet, gebraten oder frittiert wurden (denken Sie an Chips) auch Acrylamid – vermutlich krebs­erregend. Sehr wahrscheinlich ist aber im Kaffee zu wenig davon drin, als dass er bei Ihnen einen Tumor entstehen lassen könnte.

Noch ein Aber: Kaffee­bohnen enthalten auch zwei ölige Substanzen, Cafestol und Kahweol, die das ungute LDL-Cholesterin erhöhen. Die gute Nachricht dabei: Sie bleiben, ebenso wie das Acrylamid, mehrheitlich in Papier­filtern hängen. Wenn Sie alle Chancen auf Ihre Seite schaufeln wollen, so trinken Sie Filter­kaffee – gern in rauen Mengen.

Vielleicht ist aber selbst das lange und gesunde Leben viel zu kurz, um das Espresso­trinken auf Sonntage und Weihnachten zu beschränken.

Sie lesen: Teil 2

Wenig Fast Food, wenig Zucker – reicht das?

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