Ist er das jetzt?
Kann die Wissenschaft einen Zusammenhang von Extremwetter und Klimawandel nachweisen? Und die vielleicht noch kniffligere Frage: Sollte sie das überhaupt versuchen?
Von Camilla Hodgson, Alexandra Heal (Text), Bernhard Schmid (Übersetzung), Thomas Preusse (Grafik) und Mishka Bochkaryov (Bild), 24.08.2021
Als bei Überschwemmungen in der chinesischen Provinz Henan im Juli dieses Jahres mindestens 302 Menschen umkamen, sah selbst die mit den Ursachen von extremen Wetterereignissen befasste Forschergruppe des «World Weather Attribution»-Projekts (WWA) nur hilflos zu. Wie der Rest der Welt war sie entsetzt über die Bilder von Menschen, die in Zhengzhous überfluteten U-Bahnen festsassen, während das Wasser immer höher stieg.
Die Arbeit dieser Forschergruppe dreht sich im Wesentlichen um zwei Kernfragen: Hat der Klimawandel diese Katastrophe wahrscheinlicher gemacht? Und hat er sie verschlimmert?
Während die Stürme über China hereinbrachen, suchten die Wissenschaftler noch nach Erklärungen, warum die Überschwemmungen zuvor in Deutschland und Belgien schon derart verheerend waren. Die Nachfrage nach den Erkenntnissen des WWA-Projekts nimmt rapide zu. 2014 ins Leben gerufen, umfasst das Team im Kern sieben ehrenamtliche Forscherinnen. Daneben haben sie alle auch Brotjobs; subventioniert wird ihre Arbeit bis heute nicht.
Noch mal zwei Wochen vor den Flutkatastrophen im deutschen Ahrweiler stand eine ungewöhnliche Hitzewelle in Nordamerika auf der Agenda. Und dann sind da noch die von Rekordtemperaturen begünstigten Flächenbrände in der Türkei, in Griechenland und Italien.
«Wir haben jetzt schon Schwierigkeiten, das nötige Personal zu bekommen», sagt Geert Jan van Oldenborgh, einer der beiden Leiter der WWA. Mit der zunehmenden Erderwärmung sieht er die steigende Arbeitslast schon auf sich und seine Forschergruppe zukommen.
«Die Ereignisse werden noch schlimmer werden», sagt er.
An den Grenzen der Wissenschaft
Ist das nun die Folge des Klimawandels? Für die beiläufige Beobachterin mag sich das gehäufte Auftreten extremer Wetterereignisse während der letzten beiden Monate wie die offensichtliche Konsequenz der steigenden Durchschnittstemperaturen ausnehmen – mit anderen Worten: wie etwas, wovor viele Forscherinnen seit vielen Jahren gewarnt haben.
Doch einen direkten Kausalzusammenhang nachzuweisen zwischen dem einen oder anderen Wetterereignis und der allgemeinen klimatischen Entwicklung, das ist buchstäblich eine Wissenschaft für sich. Und obendrein eine, die noch im Aufbau begriffen ist.
Hinter Naturkatastrophen kann eine ganze Reihe von Faktoren stehen: lokale Wetterbedingungen etwa, die in Veränderung begriffen sind, oder die Form der Landschaft, Entscheidungen von Menschen oder auch die Unbeständigkeit der Natur.
Kurz: Zu Wetterextremen wie einer Hitzewelle kann es auch ohne den Klimawandel kommen.
Dass Extremwetter durch die Klimakrise häufiger vorkommt und intensiver ist, ist ein Zusammenhang, der «gut dargestellt» sei, sagt Peter Scott, ein Fachmann für die sogenannte Attributionsforschung beim Met Office, dem britischen Wetterdienst. Allerdings fügt er hinzu: «Die wissenschaftliche Arbeit gestaltet sich schwieriger, wenn wir Varianten dieser Fragen in Bezug auf ein spezifisches Ereignis stellen. Wenn wir etwa fragen: ‹Ist das jetzt auf den Klimawandel zurückzuführen?› Oder vielleicht sinnvoller: ‹Inwiefern hat der Klimawandel dazu beigetragen?›»
Es könnte erhebliche Auswirkungen haben, wenn die Wissenschaft der Klimazuordnung, der Attribution, präziser würde. Sie könnte etwa zu genaueren Vorhersagen über künftige Ereignisse führen und besonders risikogefährdete Landstriche ausmachen. Das wiederum könnte der betroffenen Bevölkerung und der Gesellschaft als Ganzem helfen, sich darauf vorzubereiten und sich anzupassen.
Eine aussagekräftigere Zuordnung könnte aber auch die Gerichtsverfahren stärken, die bereits gegen Konzerne und Staaten angestrengt werden, weil die Kläger sie zumindest teilweise für die Klimakrise verantwortlich machen.
Die Disziplin steht vor beträchtlichen Herausforderungen. «Wie viel mehr Regen während der Überschwemmungen infolge des Klimawandels gefallen sein könnte, ist eine eher heikle Frage», sagt Scott in Bezug auf Europa. «Hier stossen wir wirklich an die Grenzen der Wissenschaft.»
Trotzdem, die Wissenschaftler kommen voran. Im Juli gab die WWA in einer bemerkenswerten Erklärung bekannt: Die nordamerikanische Hitzewelle, die im kanadischen Weiler Lytton die Temperaturen auf sage und schreibe 49,6 Grad Celsius hochschnellen liess, wäre «ohne einen menschengemachten Klimawandel praktisch unmöglich gewesen».
Zu einem ähnlichen Urteil kam die WWA letztes Jahr im Fall einer sibirischen Hitzewelle: Die damals in Werchojansk gemessene Rekordtemperatur von 38 Grad wäre «ohne Klimawandel fast unmöglich gewesen».
«Wir wissen, dass sich das Wetter von Tag zu Tag erheblich ändert», sagt Flavio Lehner, Klimaforscher an der Cornell University im US-Bundesstaat New York, der bei der WWA mitwirkt. «Die Frage ist: Wenn es zu extremen Wetterereignissen kommt, sind sie dann stärker, anhaltender oder schlimmer, als sie es ohne Klimawandel gewesen wären?»
Dennoch hüten sich die Wissenschaftlerinnen davor, mit ihren Schlussfolgerungen zu weit zu gehen. «Jedes Mal, wenn wir etwas veröffentlichen, wache ich morgens um vier auf, um mich zu vergewissern, dass die Zahlen korrekt sind», sagt van Oldenborgh. «Es ist unbedingt notwendig, sich da Gedanken zu machen, um der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen.»
Die Klimakrise simulieren
Die dramatische Serie extremer Wetterereignisse während der letzten Monate hat weltweit Aufmerksamkeit erregt, und selten war die Frage nach der Rolle des Klimas in der wissenschaftlichen wie politischen Debatte so präsent wie jetzt.
Doug Wilson, Chefwissenschaftler der britischen Environment Agency, sagt, die Frage werde «nach praktisch jedem einzelnen extremen Wetterereignis» gestellt. «Unsere Antwort lautet in der Regel, dass dies genau das ist, was wir im Rahmen eines sich verändernden Klimas erwarten würden. Wir versuchen nicht, ein spezielles Ereignis am Klimawandel festzumachen.»
Andere Wissenschaftler, darunter auch jene von der WWA, verbringen ihre Zeit mit der Untersuchung extremer Wetterereignisse, um genau das zu tun – oder etwas, was dem am nächsten kommt. Denn kein Wetterereignis wird allein durch die Klimakrise verursacht. Ergebnisse in der «aussagekräftigen Sprache» bezüglich der Hitzewellen in Nordamerika und Sibirien seien eher ungewöhnlich, sagt Lehner.
Und es ist keineswegs unvermeidlich, einen Zusammenhang festzustellen. So war Forscherinnen zufolge nicht der Kimawandel die treibende Kraft hinter Brasiliens Dürreperiode von 2014 und 2015. Da gebe es vielmehr einen Zusammenhang mit der wachsenden Bevölkerung Brasiliens.
Solche meteorologische Detektivarbeit stützt sich zu einem guten Teil auf komplexe Computermodelle: Wissenschaftlerinnen lassen Simulationen des globalen Klimasystems laufen, die auf Tausenden verschiedenen theoretisch möglichen Tagen basieren. Ziel ist, zu sehen, wie oft es in unterschiedlichen Szenarien zu einem Ereignis einer bestimmten Grössenordnung kommt.
Zu solchen Szenarien gehören sowohl die Erde von vor 200 Jahren – also eine Erde vor dem Einsetzen der vom Menschen geschaffenen Erwärmung – als auch gegenwärtige und künftige Szenarien, in denen sich der Planet um mehr als die bereits heute konstatierten 1,2 Grad erwärmt hat. Die Forscher vergleichen dann, wie oft es in jedem der durchgespielten Szenarien zu einem bestimmten Ereignis kam, und beurteilen, ob dieses durch die Klimakrise wahrscheinlicher geworden ist.
Bedeutende Klimaereignisse im Juni 2021
Afrika: wärmster Juni seit Beginn der Aufzeichnungen.
Antarktis: flächenmässig grösste Meereisbedeckung im Juni seit 2015; 0,8 Prozent über dem Durchschnitt.
Arktis: flächenmässig sechstkleinste Meereisbedeckung im Juni seit Beginn der Aufzeichnungen; 9 Prozent unter dem Durchschnitt von 1981–2020.
Asien: zweitheissester Juni seit Beginn der Aufzeichnungen; auf einem Niveau mit dem von 2010.
Atlantik: bis dato die Hurrikansaison mit den meisten benannten Stürmen im atlantischen Becken; auf einem Niveau mit drei anderen Jahren seit 2012.
Europa: zweitwärmster Juni seit Beginn der Aufzeichnungen.
Nordamerika: wärmster Juni seit Beginn der Aufzeichnungen. Beispiellose Hitzewelle im westlichen Kanada und auf dem nordwestlichen Festland der USA. Hinsichtlich der meisten benannten Stürme im nordöstlichen Pazifikbecken, Hurrikan Enrique in Mexiko miteingeschlossen, steht der Juni auf einer Ebene mit anderen Rekordjahren.
Ozeanien: wärmster Juni Neuseelands seit Beginn der Aufzeichnungen.
Südamerika: Überdurchschnittlich warmer Juni im Norden des Subkontinents; nahe dem Durchschnitt im Süden.
Quelle: National Oceanic and Atmospheric Administration / «Financial Times»
Diese Modelle sind jedoch nicht perfekt. Sie funktionieren so, dass sie den Erdball in ein Raster aufteilen von 1 bis zu 100 Quadratkilometern. Man könnte auch mit grösseren Rastern arbeiten, aber das könnte dazu führen, dass «das Bild ziemlich aufgepixelt ist, sodass wir global gesehen zwar gute Schätzungswerte bekommen, dass es uns aber an Details fehlt, was lokale Wetterereignisse anbelangt», sagt Professor Christian Jakob von der australischen Monash University.
So sind etwa Flächenbrände ohne detaillierte Modelle schwierig zu analysieren, da sie auch auf relativ begrenztem Raum auftreten können. Sie können anders gesagt auch von lokalen Wetterbedingungen beeinflusst sein, nicht zuletzt von Folgeerscheinungen früherer Brände.
Angesichts der schnell wachsenden Zahl von Wetterrekorden weisen viele Forscherinnen auf die dringende Notwendigkeit für präzisere Modelle hin. «Wir können die jüngsten Extremwetter schon deshalb nicht dem Klimawandel zuordnen, weil die Modelle sie nicht simulieren können», sagt Tim Palmer, Professor für Klimaphysik in Oxford. «Das leisten unsere Werkzeuge einfach nicht.» Gleichwohl, so fügt er hinzu, wäre es ein «Trugschluss», davon auszugehen, dass solche Ereignisse deshalb nicht vom Klimawandel verursacht oder verschlimmert würden.
Die Schuldfrage
Hochauflösende Modelle, die zur Lösung dieser Fragen beitragen könnten, benötigen allerdings eine immense Rechenleistung. Die dazu nötigen Supercomputer sind sündhaft teuer, sowohl in der Herstellung als auch im Betrieb. «Wir brauchen eine erheblich bessere Finanzierung der Klimawissenschaften», sagt Klimaforscher Lehner. «Es ist ja nicht unser Wissen, das dem Verständnis und der Vorhersage von Klimawandel und Extremen, wie wir sie eben erlebt haben, Grenzen setzt. Diese Grenzen werden uns von der Rechenzeit gesetzt, sprich von den Ressourcen.»
Während die Welt die Verheerungen von Naturkatastrophen noch immer nicht so recht fassen kann, wird der Ruf nach einer präziseren Klimamodellierung lauter, gerade auch ausserhalb wissenschaftlicher Kreise. Tom Delworth, Wissenschaftler bei der amerikanischen nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA, spricht von einer «explosionsartig steigenden Nachfrage» seitens der Entscheidungsträgerinnen nach Informationen darüber, was sich in Zukunft ändern könnte – und wie.
«Zu den Gruppen, die den dringlichsten Wunsch geäussert haben, hierzu mehr zu verstehen, gehören Geheimdienste und das Militär», sagt Delworth. Sie interessierten sich vor allem für Prognosen darüber, inwiefern die Folgen der Klimakrise – beispielsweise Wasserknappheit – zu Konflikten und neuen Bedrohungen führen könnten.
Die Meinungen über dieses Streben nach Gewissheit sind allerdings geteilt.
Die Diskussion darüber, ob einzelne Wetterereignisse durch den Klimawandel verschlimmert würden, lenkt nach Ansicht vieler nur von den eigentlichen Problemen ab.
Dieser Meinung ist zum Beispiel Giza Gaspar-Martins, er war auf dem Pariser Klimagipfel 2015 der Vorsitzende der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder. «Ich sehe wenig Sinn in der Zuordnungsforschung», sagt er, wir würden mit dieser Arbeit nur «Zeit verschwenden». Ihm zufolge sollte in erster Linie daran gearbeitet werden, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren und uns an eine sich verändernde Realität anzupassen.
Angola zum Beispiel erlebe bereits heute von Mal zu Mal schlimmere Dürre- und Überschwemmungszyklen, sagt Gaspar-Martins über sein Heimatland. «Wir sind hinreichend davon überzeugt, dass dies mit dem Klimawandel zu tun hat. Und das ist genug für uns.»
Anders sieht das Mamadou Honadia, ein ehemaliger Chefunterhändler Burkina Fasos beim Klimagipfel. Seiner Ansicht nach würde die Möglichkeit, einzelne Wetterereignisse der Erderwärmung zuzuordnen, die Forderung der Entwicklungsländer nach mehr Mitteln für die Klimafinanzierung stärken. Sie ist denn auch eines der wesentlichen Themen auf der Tagesordnung der diesjährigen Uno-Klimakonferenz (COP 26), die diesen November im schottischen Glasgow stattfinden soll.
«Es ist wirklich schwierig», sagt Honadia, «die internationale Gemeinschaft ohne Informationen auf wissenschaftlicher Grundlage davon zu überzeugen, dass Überschwemmungen in Entwicklungsländern auf den Klimawandel zurückzuführen sind.»
Hier und da fällt unter Wissenschaftlern auch das Argument, der Beweis von Kausalzusammenhängen könnte bei der wachsenden Zahl von Gerichtsverfahren gegen Unternehmen und Staaten für ihre Rolle bei der Klimakrise helfen. Klägerinnen könnten «besseren Nutzen aus der Klimawissenschaft ziehen – vor allem, was die Zuordnung angeht», schrieb eine Gruppe von Forscherinnen aus Oxford dieses Jahr. Darunter ist auch die deutsche Klimatologin Friederike Otto, Co-Leiterin des WWA-Projekts: «Es scheint nicht mehr weit hergeholt zu sein, dass Unternehmen künftig – auf wissenschaftliche Beweise gestützt – zu hohen Schadenersatzzahlungen an Gemeinden gezwungen werden, die vom Klimawandel betroffen sind.»
Multiple Ursachen
Die rasante Folge extremer Wetterereignisse dieses Jahr wirft die beunruhigende Frage auf, ob die Realität der Klimakrise die Vorhersagen der Computermodelle nicht überholt.
In ihrer Einschätzung der nordamerikanischen Hitzewelle gab die WWA-Forschergruppe bekannt, so extrem und ungewöhnlich die Temperaturen auch seien, sie könnten durchaus das Resultat eines «nicht linearen» Klimawandels sein. Anders gesagt, extreme Wetterereignisse müssten nicht kausal verzahnt mit dem Temperaturanstieg auftreten. Sie könnten auch plötzlicher vorkommen und intensiver sein.
Gemäss der Climate Crisis Advisory Group (CCAG) sind die Heftigkeit der Hitzewelle in Nordamerika und die Hochwasserkatastrophen in Europa allein durch einen Temperaturanstieg von 1,2 Grad gegenüber vorindustriellen Werten «schwer zu erklären». Bei der CCAG handelt es sich um eine unabhängige Gruppe von Wissenschaftlerinnen, die unter der Leitung des früheren wissenschaftlichen Chefberaters der britischen Regierung, Sir David King, über den Klimawandel und die biologische Vielfalt berät.
«Der Klimawandel vollzieht sich schneller als erwartet», so die Gruppe. Gut möglich, dass die rasante Erwärmung und das Abschmelzen der arktischen Eiskappen «zusätzliche Veränderungen in der Art und Weise, wie unser Wetter funktioniert, ausgelöst haben».
Nicht alle Forscher teilen die Sorge, dass die gegenwärtigen Modelle der Aufgabe nicht gewachsen seien.
«Es handelt sich hier um extreme Ereignisse, aber wir konnten sie anhand von Klimamodellen sehen … ich bin ehrlich gesagt weniger überrascht als einige meiner Kollegen», sagt Klimaforscher Flavio Lehner. Die Serie jüngster Katastrophen «könnte auch Zufall sein», sagt er. «Gut möglich, dass wir in diesen Regionen dergleichen lange nicht mehr zu sehen bekommen.»
Der Schock über die Extremwetterereignisse spiegelt möglicherweise auch ein allgemeines Missverständnis hinsichtlich der Realitäten des Lebens mit dem Klimawandel wider. «Man kann wohl getrost sagen, dass die Kommunikation etwas abstrakt war und den Eindruck erweckt haben könnte, der Klimawandel sei noch weit entfernt», sagt Ted Shepherd, Professor für Klimawissenschaften an der Universität Reading, England.
Solange sich die Erde weiter erwärmt, werden extreme Wetterereignisse weiter vorkommen. Gemäss einer diesen Juli im Fachmagazin «Nature Climate Change» veröffentlichten Studie dürfte es in den kommenden Jahrzehnten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu «rekordbrechenden Extremen» kommen, «die ohne die Erderwärmung so gut wie undenkbar» wären.
Weitere Forschung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse sei «unerlässlich», hiess es in der Studie weiter. Schliesslich neigt man vor Ort in der Regel dazu, sich bei der Vorbereitung auf Worst-Case-Szenarien an dem zu orientieren, was man bereits erlebt hat.
Angst vor Leugnern
Die exakte Analyse von Wetterkatastrophen wie Stürmen, Feuer oder Überflutungen und den Verheerungen, die sie mit sich bringen, wird aller Wahrscheinlichkeit nach zusammenhängende Ursachen zutage fördern. Was auch ein Problem sein kann: «Der eine oder andere hat das Gefühl, dass es irgendwie zu sehr vom Klimawandel ablenkt, wenn wir uns multiple Ursachen ansehen», sagt Professor Shepherd von der Universität Reading.
Doch der Klimawissenschaftler hält das Studium der Ursachen trotzdem für sinnvoll. Denn Präventivmassnahmen, für die man sich entscheiden kann, etwa die Installation von Hochwasserschutzanlagen oder Warnsystemen, hätten einen Einfluss auf das Ausmass der von einem Wetterereignis verursachten Verwüstung. Dasselbe gelte für die Reaktionen von Entscheidungsträgerinnen auf eine Katastrophe. «Man sollte den örtlichen Behörden schlechtes Management nicht durchgehen lassen», sagt Shepherd.
Die politische Debatte über das Klima ändert sich, so schwammig die Wissenschaft dazu nach wie vor auch scheinen mag. Wenn Menschen zusehen müssten, wie ihr Zuhause abbrenne oder in den Fluten versinke, schwinde auch der Rückhalt für Klimaskeptiker, sagte der Abgeordnete Francis Scarpaleggia, der im kanadischen Unterhaus dem Ausschuss für Umwelt und nachhaltige Entwicklung vorsteht.
Die Öffentlichkeit ist zunehmend überzeugt von der Verbindung zwischen Extremwettern und Klimakrise, «egal, ob die Wissenschaft nun beides präzise in Deckung bringt oder nicht», sagt Scarpaleggia. «Über wissenschaftliche Erkenntnisse zu lesen, ist schön und gut, aber um sie wirklich zu begreifen, muss man die konkreten Auswirkungen sehen.»
Allein die Angst, schon der blosse Hauch von Unsicherheit könnte den Klimawandelleugnern in die Hände spielen, hat eine durchschlagende Wirkung.
Laut Bjorn Stevens, einem Professor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, gibt es durchaus Leute, «die richtig nervös werden, wenn wir sagen, dass es etwas gibt, was wir nicht verstehen». Sie machten sich Sorgen, sagt er, unbekannte Faktoren in der Gleichung könnten das Bemühen um «die CO2-Reduktion unterminieren».
Er fügt jedoch hinzu: «Ich halte die Leute da eher für klüger. Nur weil man nicht alles weiss, heisst das ja nicht, dass man gar nichts weiss.»
Zu den Autorinnen und zum Fotografen
Dieser Beitrag erschien am 5. August 2021 unter dem Titel «Fires and Floods: Can Science Link Extreme Weather to Climate Change?» in der «Financial Times», für die die Klimareporterin Camilla Hodgson und die Datenjournalistin Alexandra Heal tätig sind. Das Bild zum Beitrag stammt vom ukrainischen Street-Fotografen Mishka Bochkaryov. Er machte Urlaub im türkischen Ferienort Side und beschreibt sein Erlebnis so: «Ich war gerade im Hotel, als ich zuerst Rauch und dann, etwas später, Flugzeuge und Helikopter sah. Ich ging an den Strand mit meiner Kamera, aber es war sehr heiss, über 37 Grad. Dort habe ich das Foto gemacht und bin dann nach 15 Minuten in mein Zimmer zurückgekehrt.»