Kommt nach der Krise die grosse Inflation?
Wegen der Pandemie drucken die Zentralbanken so viel Geld wie noch nie. Gleichzeitig verschulden sich die Staaten mit astronomischen Beträgen. Das wären die Zutaten für eine kräftige Geldentwertung – eigentlich.
Von Fabio Canetg (Text) und Klaas Verplancke (Illustration), 06.05.2021
Elf neue Gotthard-Basistunnel könnte die Schweiz mit dem Geld bauen, das die Schweizerische Nationalbank (SNB) allein im letzten Jahr geschaffen hat. Da kommt sogar der sonst so ruhige Thomas Jordan etwas ins Zittern.
Die Mission des Nationalbankpräsidenten ist: den Wert des Frankens zu erhalten. Und Wert behält, was knapp ist. Trotzdem lässt Jordan die Geldpresse heisslaufen. Contrecœur zwar – doch wenn er es nicht täte, würde der Franken stark aufgewertet, und die Schweizer Wirtschaft würde leiden.
Noch viel mehr Geld als die SNB drucken seit Anbruch der Corona-Krise die amerikanische Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB). Kein Wunder, fürchten sich zurzeit viele vor einer Geldentwertung.
Was ist dran an dieser Inflationsangst?
Um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Noch in den 1970er-Jahren gehörten stark steigende Preise zum Alltag vieler Menschen. Die Inflation war nicht nur Thema am Mittagstisch, sondern auch in der Wissenschaft. Nobelpreisträger Milton Friedman prägte damals die Debatte. Er sagte: «Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.»
Der an der University of Chicago tätige Ökonom war der Vordenker des Monetarismus. Damit wird ein Geldpolitik-Verständnis bezeichnet, in dem die Geldmenge eine entscheidende Rolle für die Inflation spielt. Auch Nationalbankpräsident Jordan steht dieser Denkschule nahe. Gemäss ihr erklärt sich die Inflation immer und überall durch übermässiges Gelddrucken.
Ein anderer Nobelpreisträger, der 77-jährige Thomas Sargent, der an der New York University lehrt, führt steigende Preise nicht auf die Geldpolitik zurück, sondern auf die Finanzpolitik. «Inflation ist immer und überall ein fiskalisches Phänomen», schrieb Sargent 1986 in Anlehnung an Friedman. Er sieht die Ursachen der Geldentwertung vor allem in ungezügelten Ausgaben und glaubt, dass hohe Staatsschulden zu steigenden Preisen führen.
Ob Friedman oder Sargent: Wenn nur einer von beiden richtig liegt, steht uns bald eine der grössten Geldentwertungen seit Ökonomengedenken bevor.
Doch so einfach ist die Sache nicht.
Das Wesen der Inflation
Was Preisstabilität bedeutet, ist nämlich umstritten. Das weiss niemand besser als Alan Greenspan. Er war neben Friedman und Sargent lange ein Star der Geldpolitikszene. Sein Einfluss als langjähriger Vorsitzender der US Fed hat ihm den Spitznamen «Maestro» eingebracht. Und der Maestro ist, im Gegensatz zu den Akademikern Friedman und Sargent, ein Praktiker.
Greenspan definierte Preisstabilität – also die Absenz von Inflation – an einer Sitzung der Fed im Jahre 1996 so: «Preisstabilität herrscht, wenn die erwartete Veränderung der Preise die Entscheide der Haushalte und Firmen nicht beeinflusst.» Konkret heisst das: Es ist völlig normal, wenn beim Autokauf darüber nachgedacht wird, was die Alternativen – etwa ein Velo – kosten. Wenn man sich aber den Kopf darüber zerbricht, wie viel ein Auto oder ein Velo in fünf Jahren kosten wird, dann gibt es nach Greenspan Inflation.
Diese Inflationsdefinition überzeugte die spätere Fed-Vorsitzende Janet Yellen nicht. Sie war bei besagter Sitzung ebenfalls zugegen und bat Greenspan um eine Präzisierung. Sie fragte den Vorsitzenden: «Können Sie bitte eine Zahl nennen?» Die Reaktion auf ihre Frage war, gemäss Protokoll, Gelächter. Der Maestro würgte die Diskussion rasch ab: Für ihn war Preisstabilität in der Praxis nicht an einer Zahl festzumachen.
Die Inflation als unbeobachtetes Phänomen, als etwas, was man nicht mit einer einzelnen Zahl ausdrücken kann: Diese Interpretation war nicht nur Janet Yellen zu schwammig.
Auch der Schweizer Bundesrat präzisierte in seinen Beratungen zum Nationalbankengesetz von 2002, was er unter Preisstabilität verstand. Erstens, so der Bundesrat, könne die Inflation durchaus an einer einzelnen Grösse abgelesen werden: am Landesindex der Konsumentenpreise. Dieser Index misst die Preisveränderung eines Warenkorbs, in dem beispielsweise Nahrungsmittel, Heizöl, Arztkosten und Pauschalreisen enthalten sind. Zweitens legte sich der Bundesrat auf eine Zahl fest: Preisstabilität sei gleichzusetzen mit einem Anstieg von weniger als 2 Prozent pro Jahr.
Die Schweizer Politik hat die ökonomische Inflationsdefinition von Greenspan also operationalisiert. Ähnliche Konkretisierungen gab es auch in den Vereinigten Staaten und in Europa. Die Fed strebt eine Inflation von «durchschnittlich» 2 Prozent an, die Europäische Zentralbank zielt auf eine Teuerung von «unterhalb, aber nahe an» 2 Prozent.
Punktgenau steuern lässt sich die Inflation trotz dieser Zielsetzungen nicht. Aus verschiedenen Gründen – seien es fallende Ölpreise oder ein Anstieg des Wechselkurses – kann es vorkommen, dass die Teuerung in einem bestimmten Moment höher oder tiefer als der Zielwert ausfällt.
Bleiben solche Abweichungen temporär, sind sie unproblematisch: Autokäufer und Autohändlerinnen machen ihre Entscheidungen kaum davon abhängig, ob sie eine Teuerung von 1,7 oder 2,3 Prozent erwarten.
Problematisch wird die Inflation aber, wenn sie über längere Zeit deutlich zu hoch ist. Nehmen wir an, die Leute erwarten einen jährlichen Preisanstieg von 8 Prozent. In einer solchen Situation wird eine junge Familie schon früher als geplant ihren neuen Camper für die Ferien anschaffen. Derweil wird sich die Managerin einer Tanzcompagnie genau überlegen, welche Ansätze sie für die Auftritte im nächsten oder übernächsten Jahr offerieren will.
Beides ist ineffizient. Es ergibt keinen Sinn, wenn die Familie ihren neuen Camper in der Garage verrosten lässt, obwohl sie ihn erst im nächsten Jahr brauchen kann. Und es ist vergeudete Zeit, wenn die Managerin der Tanzcompagnie beim Offerieren über die künftige Preisentwicklung nachdenken muss. Ökonominnen sprechen hier von Informations- und Menükosten.
Wenn Staaten die Notenpresse anwerfen
Ein extremes Ausmass nahmen diese Kosten 1923 in Deutschland an. Dort verlor der Lohn von Arbeitnehmenden innerhalb von nur wenigen Tagen merklich an Wert. Keiner behielt seinen Zahltag lange bei sich: Der Fabrikarbeiter kaufte bei der Bäckerin, die Bäckerin beim Grosshändler und der Grosshändler bei der Bäuerin, und das alles so schnell wie möglich.
Es herrschte Hektik im Restaurant, Hektik in der Metzgerei und Hektik auf dem Gemüsemarkt. Die Preise wurden im Stundentakt nach oben korrigiert. Bald ergab es keinen Sinn mehr, Verträge über Tage hinweg abzuschliessen, geschweige denn über Wochen oder Jahre: Die Entwicklung war schlicht zu unsicher. So kam die Wirtschaft zum Stillstand, und die Geldscheine wurden bloss noch zum Feueranzünden gebraucht. Für die arbeitende Bevölkerung war das eine Katastrophe. Wer sein Geld nicht rechtzeitig in Immobilien, Gold oder Fremdwährungen investieren konnte, verlor das gesamte Ersparte.
Was hatte die Hyperinflation von 1923 ausgelöst? Gemäss der Argumentation von Thomas Sargent, dem erwähnten Nobelpreisträger, lag die Schuld bei der Politik. Die deutsche Regierung machte zu dieser Zeit hohe Staatsdefizite und sah sich gezwungen, diese über die Notenpresse zu finanzieren. Die Reichsbank bezahlte nach dem Ersten Weltkrieg also die Staatsausgaben.
Die Inflation von 1923 war deshalb eine Sargent-Inflation – eine Inflation, die ihren Ursprung in der Finanzpolitik hatte, nicht in der Geldpolitik. Die Reichsbank war nicht Treiberin der Inflation, sondern ihre Erfüllungsgehilfin.
Eine ähnliche Sargent-Inflation – wenn auch keine Hyperinflation – gab es einige Jahre zuvor, während des Ersten Weltkriegs, auch in der Schweiz. Die Nationalbank stellte sich damals explizit in den Dienst der Regierung. Die noch junge Zentralbank – sie wurde 1906 gegründet und nahm 1907 ihren Betrieb auf – liess dem Bundesrat damals ausrichten: «So gut wie die Deutsche Reichsbank und die Banque de France muss die Schweizerische Nationalbank die Kriegsbank des Staates sein.» Das heisst nichts anderes, als dass die Nationalbank die Rechnungen des Bundes bezahlte. Als Folge stiegen die Preise um bis zu 25 Prozent pro Jahr.
Heute sind wir von einer solchen Situation weit entfernt. Die US Fed, die Europäische Zentralbank und die Schweizerische Nationalbank werden nicht müde zu betonen, dass sie die jeweilige Regierung nicht finanzieren werden. Dies unterstreicht ausgerechnet der legendäre Satz des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi. Er sagte 2012: «Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten.» Damit beendete er die Eurokrise quasi im Alleingang. Was weniger bekannt ist: Im gleichen Atemzug betonte Draghi, und zwar gleich zweimal, dass die EZB alles tun werde, was «innerhalb des Mandats» liege. Und das Mandat heisst eben: die Preise stabil halten.
Wenn Notenbanken die falschen Ziele verfolgen
Doch auch wenn Zentralbanken ihr Mandat nicht überdehnen, passieren Fehler. Dann kommt es zu einer Friedman-Inflation: einer Inflation, die auf übermässiges Gelddrucken seitens einer Zentralbank zurückzuführen ist.
Genau das passierte in der Schweiz in den späten 1980er-Jahren. Die NZZ hat die jahrelang unter Verschluss gehaltenen Protokolle der Nationalbank aus dieser Zeit ausgewertet. Ihre Analyse zeigt: Die SNB-Spitze hielt damals zu lange an einer Strategie fest, die nicht mehr funktionierte. Sie dachte, die Geldmenge müsse jährlich um einen bestimmten Prozentbetrag zunehmen.
Ironischerweise war diese Orientierung am Geldumlauf stark durch die Arbeiten von Milton Friedman geprägt. Wenn sich eine Zentralbank nämlich kein Geldmengen-, sondern ein Zins- oder Wechselkursziel setzt, muss sie unter Umständen enorm viel Geld drucken, um ihr Ziel zu erreichen – ein Beleg dafür ist die aktuelle, riesige Bilanz der Schweizerischen Nationalbank. Friedman erachtete das als gefährlich, deshalb favorisierte er eine Steuerung via die Geldmenge.
Schief ging das deshalb, weil sich Ende der 1980er-Jahre der von Friedman propagierte Zusammenhang zwischen Inflation und Geldmenge aufzulösen begann. Die SNB-Spitze befand sich damals quasi im Blindflug. Eingestehen wollte sie sich das aber nicht. Das Resultat: Sie pumpte zu viel Geld in die Wirtschaft. Als Folge davon stieg die Teuerung stark über den damaligen, inoffiziellen Zielwert von 1 Prozent.
Die Friedman-Inflation der 1980er-Jahre ist also auf eine geldpolitische Übertreibung zurückzuführen. Das sagt auch der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Baltensperger, der als Doyen der schweizerischen Geldpolitik gilt und regelmässig zur Zurückhaltung mahnt. Baltensperger war es auch, der in den 1990er-Jahren die Doktorarbeit von Nationalbankchef Thomas Jordan betreute. Im Gegenzug widmete ihm Jordan 2017 im Namen der SNB eine 500-seitige Festschrift.
Schwer vorstellbar, dass sich die beiden Koryphäen nie über die Fehler der Nationalbank ausgetauscht haben. Mit Sicherheit haben die hohen Schweizer Inflationsraten der späten 1980er-Jahre das Denken und Handeln Jordans geprägt – und ihn zu einem Notenbanker gemacht, der die Inflation scheut wie der Teufel das Weihwasser. Das zeigt beispielsweise seine Rede vom vergangenen Oktober, in der er über die Gefahren für die Preisstabilität spricht.
Dabei gilt in den meisten Industrieländern: Die jüngere Generation kennt die Inflation nur noch vom Hörensagen. In den vergangenen Jahren lag sie mehrfach unterhalb der Zielwerte, die Zentralbanken wie die SNB ansteuern.
Das hat verschiedene Gründe. Die Neuausrichtung der Geldpolitik hin zu einem expliziten Inflationsziel ist wohl der wichtigste. Ebenfalls als Erklärungen vorgebracht werden die Globalisierung, die durch mehr Konkurrenzdruck die Preise tief hält, das abflachende Wirtschaftswachstum und die Demografie, weil die Babyboomer während der letzten rund 30 Jahre im Hinblick auf ihre Pensionierung kräftig gespart haben.
Seit dem überstandenen Teuerungsschub von 1987 herrscht in der Schweiz, wie auch in vielen anderen Industrieländern, ein Umfeld von niedrigen Zinsen und Inflationsraten. Bis heute. Doch wie sieht es in Zukunft aus?
Wie wahrscheinlich eine neue Inflation ist
Kommt nach der Corona-Krise ein Teuerungsschub, und wenn ja: Wäre das überhaupt schlimm? Um das zu beurteilen, würden die beiden Nobelpreisträger auf unterschiedliche Faktoren schauen.
Sargent würde die hohen Staatsschulden betonen. Sie sind in den Industrieländern zuletzt sprunghaft angestiegen: von 104 auf 123 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Das ist mehr als doppelt so viel wie vor 30 Jahren und ein Anlass zur Sorge, zumal die Zentralbanken einen Teil dieser Schulden indirekt finanzieren. Sowohl die EZB als auch die Fed halten rund ein Viertel der öffentlichen Schulden ihrer jeweiligen Währungsräume. Die EZB dürfte dieses Jahr gleich viele Schuldtitel am Markt aufkaufen, wie die Euroländer neue Schuldtitel ausgeben, und auch die Fed dürfte dieses Jahr mit Abstand der grösste Käufer von neuen US-Schuldtiteln sein.
Dies riecht nach einer aufziehenden Sargent-Inflation – also nach einem Teuerungsschub, der durch eine zügellose Finanzpolitik ausgelöst wird.
Doch eine solche Inflation scheint unwahrscheinlich. Denn die wirtschaftliche Not von heute ist mit der Zeit des Ersten Weltkriegs nicht vergleichbar. Damals brach in den Städten ein Kampf um Brot, Kartoffeln und Milch aus, während die Staaten gleichzeitig Unsummen ausgaben, um auf dem Schlachtfeld den Krieg zu gewinnen. Heute geht es darum, mit gezielten Stützungsmassnahmen eine Krise von begrenzter Dauer und Schwere zu überbrücken.
Zudem gelten andere Spielregeln als vor hundert Jahren. Schuldenbremsen oder Verträge wie der Europäische Fiskalpakt waren damals noch unbekannt. Diese Regeln zwingen die Regierungen heute dazu, ihre Budgets in konjunkturell guten Zeiten – sprich: nach überstandener Corona-Krise – ausgeglichen zu gestalten. Anders als damals ist auch der Zugriff auf die Notenpresse nicht garantiert: Die Zentralbanken geniessen weitgehende Unabhängigkeit und können ihre Unterstützungsprogramme nach Gutdünken einstellen.
Eine Sargent-Inflation (oder -Hyperinflation) steht also kaum ins Haus. Denn bevor die Teuerung markant ansteigen kann, greifen institutionelle Mechanismen, die den Staaten einen gewissen Spardruck auferlegen.
Bei Friedman steht nicht die Finanzpolitik im Fokus der Überlegungen, sondern die Geldpolitik. Übertreiben die Zentralbanken das Gelddrucken vielleicht unabhängig von den Regierungen, sodass ähnlich wie in den späten 1980er-Jahren eine Friedman-Inflation droht?
Auch dafür spricht trotz Corona-Krise nicht viel. Der von Milton Friedman propagierte Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation ist nämlich spätestens seit der Finanzkrise von 2008 komplett zusammengebrochen.
Das hat mit einem Phänomen zu tun, das im Jargon als «Liquiditätsfalle» bekannt ist. Es tritt ein, wenn die Zinsen sehr tief sind, also nahe bei oder unter null. Dann können die Zentralbanken so viel Geld drucken, wie sie wollen – die Zinsen können nicht noch weiter fallen.
Das wiederum bedeutet, dass die Gelddruckerei in der Realwirtschaft keine grosse Wirkung entfaltet. Eine Möbelherstellerin investiert beispielsweise nicht mehr in ihre Fabrik, nur weil ein Dutzend Bankenvertreter an ihre Tür klopfen, um ihr einen Kredit zu geben. Sie würde höchstens dann investieren, wenn die Banken ihr das Geld günstiger geben würden (oder wenn im Aufschwung mehr Kunden ein Sofa oder ein Bett kaufen wollen).
Das Geld, das die Zentralbanken drucken, befeuert also nicht primär die Konjunktur und damit die Inflation. Sondern es dient vor allem dazu, das Finanzsystem zu stabilisieren. Das verhindert, dass ein zentraler Pfeiler des Wirtschaftssystems – der Bankensektor – kollabiert. Und es stützt die Börse, was das Vertrauen von Sparern und Unternehmen in die Wirtschaft stärkt.
Deshalb ist auch eine Friedman-Inflation, bei der die Zentralbanken die Kontrolle über die Wirkung ihrer Politik verlieren, wenig wahrscheinlich.
Und wenn die Inflation sogar gewollt ist?
Naheliegender ist hingegen ein anderes Szenario: dass Zentralbanken nach der Krise bewusst eine Weile lang eine leicht höhere Inflation anstreben.
Forscher sehen dies schon länger als effektives Mittel für Zentralbanken an, sich aus der «Liquiditätsfalle» zu befreien und die Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen. Mittlerweile haben die Empfehlungen Gehör gefunden. Am deutlichsten in den USA: Dort hat die Fed angekündigt, neuerdings nach jeder Krise «für eine gewisse Zeit» eine Inflationsrate von «moderat» über 2 Prozent anzustreben. Auch in Europa und in der Schweiz regen Wirtschaftswissenschaftlerinnen an, das Inflationsziel anzupassen.
Eine solche Anpassung hätte zur Folge, dass die tiefe Teuerung der jüngsten Vergangenheit durch etwas höhere Inflationsraten in der nächsten Zukunft kompensiert würde. Das ist im Sinne des Pragmatikers Alan Greenspan, der sagte: Inflation haben wir erst, wenn wir sie merken. Und es entspricht der Denkweise der ehemaligen Fed-Chefin Janet Yellen, die inzwischen das US-Finanzministerium leitet: Zuerst muss die Arbeitslosigkeit sinken, bevor die Zentralbanken und die Regierungen ihre Konjunkturhilfen aussetzen.
Thomas Jordan, der SNB-Präsident mit monetaristischen Wurzeln, wird diesem Trend kaum folgen. Die Nationalbank wird auch in den kommenden Jahren darauf bedacht sein, die Inflation nicht über 2 Prozent steigen zu lassen. Trotzdem dürfte die Teuerung in der Schweiz nach der Krise leicht anziehen. Und das wäre ein gutes Zeichen: Es zeugt nämlich von einer rundlaufenden Wirtschaft. Das sollte auch der Nationalbank gefallen.