Des Meisters Beilage
Ist es eine gute Idee, in Frankreich Pasta zu bestellen? In Ausnahmefällen: Ja. Wie diesen Maccheroni-Gratin, entdeckt in Lyon. Geschmacksache, Folge 15.
Von Michael Rüegg (Text) und Carmen Palma (Bild), 03.02.2021
Wie stellt man sich das Leben eines Mannes vor, der im selben Kaff stirbt, in dem er Jahrzehnte zuvor geboren wurde?
Vermutlich etwas behäbig. Hat wohl nicht viel von der Welt gesehen. Früh geheiratet. Hart gearbeitet. Und ein Leben geführt, wie es unzählige gegeben hat, seit der Mensch Steine zu Häusern auftürmt, Tuch zu Kleidern näht und mit Kellen in Töpfen rührt.
Der Schein mag trügen. Denn als am 11. Februar 1926 ein kleiner Junge in Collonges-au-Mont-d’Or (Einwohner damals: etwa 2000) das Licht der Welt erblickt, träumen dessen Eltern wohl kaum davon, dass ihr Sohn ebendiese Welt eines Tages in kulinarischer Hinsicht prägen und in seiner Disziplin zur wohl berühmtesten Figur des 20. Jahrhunderts avancieren würde.
Dass dieser kleine braunhaarige Junge der nächste französische Meisterkoch, der Auguste Escoffier seiner Ära wird.
Wobei der Apfel nicht allzu weit vom Stamm fiel, denn bereits der Vater führte ein Restaurant in zweiter Generation. Der Mann, von dem hier die Rede ist, wurde also in die Gastronomie hineingeboren. Doch ein Umstand wie dieser garantiert bekanntermassen noch keinen Weltruhm.
Sie haben es vermutlich erraten, die Rede ist von Paul Bocuse, dessen Name untrennbar mit der französischen Küche verbunden ist. Er war so etwas wie ein Karl der Grosse des Kochens, Stammvater vieler Chefs von Weltruhm, die wie Apostel auszogen, um über den Globus verteilt ihre eigenen Süppchen zu kochen. Dabei hat er die französische Küche keineswegs erfunden, aber geprägt, entschlackt, verfeinert. Wobei das, was heutzutage in den Edelbeizen dieses Planeten serviert wird, eine grosse Distanz zu den Klassikern der bocuseschen Küche zurückgelegt hat.
Zu Recht verbindet man Paul Bocuse mit der Nouvelle Cuisine, zu deren geistigen Vätern er gehörte. Doch Unrecht wird ihm getan, wenn man ihn als Erfinder von Miniportiönchen ausmacht. Denn davon distanzierte sich der Meister im Laufe seiner Karriere deutlich: «Nichts auf dem Teller – alles auf der Rechnung», soll Bocuse geschimpft haben. Sein Vermächtnis, etwa seine «Soupe VGE», benannt nach dem im Dezember (an Covid-19) verstorbenen ehemaligen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing, ist nichts für Liebhaber der Rohkost. Für den besonderen Geschmack sorgen Gänseleber und fein geschnittene schwarze Trüffeln, überbacken wird das Gericht mit Blätterteig.
Bei meiner ersten Begegnung mit Paul Bocuse war ich noch ein Kind, damals trat er gelegentlich als Fernsehkoch auf, die abgerundete Glasscheibe eines Röhrenfernsehers trennten unsere beiden Welten voneinander. In den Sendungen jener Zeit waren nicht alle Zubereitungsschritte fünffach vorbereitet und jede lange Prozedur auf knackige 15 Minuten zusammengeschnitten. Und manchmal tropfte noch das Blut aus der Karkasse auf die Auslage.
Meine zweite Begegnung mit Bocuse fand vor einigen Jahren in einem Text des «Zeit-Magazins» statt. Der deutsche Gastrokritiker Wolfram Siebeck, eine Autorität auf seinem Gebiet, ging, wie die «Frankfurter Allgemeine» in ihrem Nachruf auf Siebeck schrieb, «noch einmal bei Paul Bocuse (…) essen, um vom grössten Koch seiner Generation Abschied zu nehmen». Es sollte dann Bocuse werden, der von Siebeck Abschied nahm; der Koch überlebte den Kritiker um wenige Jahre.
Meine dritte Begegnung mit Paul Bocuse ergab sich vor rund drei Jahren in der kulinarischen Hauptstadt Frankreichs, Lyon. Sie war so unpersönlich wie die ersten beiden. Und auch diesmal nahm ich erstaunt zur Kenntnis, dass der Meister überhaupt noch lebte. Sein Antlitz war auf eine Hausfassade gepinselt, von der er mit einem süffisanten Lächeln auf uns niedersah. Gegenüber lagen die nach ihm benannten Halles Paul Bocuse, der Indoor-Gourmet-Markt Lyons. Wer dort einkauft, ist Bocuses Absolution würdig. Ein Jahr später verliess er dann die Welt, nicht aber jene Hausfassade.
In Lyon betrieb Paul Bocuse eine Reihe von Restaurants, während sein – mittlerweile eines seiner drei Sterne beraubter – Gourmet-Tempel etwas weiter nördlich in seinem Geburtsort stand und noch immer steht. Eines der Lokale in der Stadt war mit zwei Michelin-Sternen bewertet. Es handelte sich um das Restaurant seines Instituts, in dem junge Menschen aus aller Welt die Geheimnisse der Küche und des Gastgebertums erlernen.
Im Vergleich zu anderen Lokalen dieser Preisklasse, an denen in Lyon wahrlich kein Mangel herrscht, war die Instituts-Spelunke eine eher langweilige Angelegenheit. Keine endlos langen Menüs, bloss eine Auswahl an Vorspeisen, Hauptgerichten und Desserts. Ich entschied mich für Bœuf bourguignon mit Maccheroni-Gratin. War nicht besonders fantasievoll, aber ausgezeichnet. Vor allem die Beilage versetzte mich in Entzücken. In der Regel tut man gut daran, in Frankreich einen Bogen um Pasta zu machen. Doch der Gratin war dermassen old school, dass ich ihn unbedingt daheim rekonstruieren wollte.
Es handelte sich dabei nicht um Bocuses berühmtes Originalrezept, das sehr cremig daherkommt. Der Gratin war kompakter und, statt mit Gruyère versetzt, mit Parmesan überbacken. Das passte wunderbar zur Sauce des geschmorten Rinds. Die Beilage stellt für mich die ideale Begleitung zum Traditionshappen Bœuf bourguignon dar, viel spannender als der häufig dazu servierte Kartoffelstock.
Fürs Bœuf bourguignon besann ich mich im Wesentlichen auf ein Rezept aus dem Kochbuch von Dean & Deluca, New Yorks legendärem Lebensmittelgeschäft der Oberklasse. Das Kochbuch, aus dem es stammt, hat zwar nicht das Renommee von Bocuses Rezeptesammlung, aber es vereint als eines der wenigen Standardwerke für multiethnische Einwanderergesellschaften die traditionelle europäische mit der amerikanischen Esskultur und ist daher meines Erachtens für die internationale Küche nicht minder bedeutend als Bocuses dicker Schinken.
Rezept: Bœuf bourguignon
Die wichtigste Zutat hierfür ist nicht das Fleisch, sondern der Wein. Nimmt man einen filigranen Burgunder, erhält man ein anderes Resultat als mit einem kräftigeren Côte du Rhône. Beide haben ihren Reiz. Auch ein Beaujolais macht sich gut. Die hier wiedergegebenen Rezepte reichen für 4 Personen und lassen sich problemlos hochskalieren.
Zutaten: 1 kg mageres Rindfleisch zum Schmoren (z. B. Schulter), 2 Rüebli, 1 Stange Sellerie, 1 Zwiebel, 2 Knoblauchzehen, 1 Sträusschen frischer Thymian, 2 Lorbeerblätter, 3 Nelken, ein paar gestossene Pimentkörner, 1 Flasche nicht zu billiger Rotwein, 150 g Speck, Salz und Pfeffer, 15 g Mehl, 250 g Perlzwiebeln (oder einfach die kleinsten Zwiebeln, die man findet), 50 g Butter, 1 TL Zucker, 250 g Champignons, 1 Bund glatter Peterli.
Am besten am Vortag das Rindfleisch in ca. 4–5 cm grosse Stücke schneiden. Zusammen mit den in weniger grosse Stücke geschnittenen Rüebli, dem Sellerie, dem gehackten Knoblauch, dem mit dem Messerrücken etwas verhauenen Thymian, den Lorbeerblättern und Nelken sowie dem Piment in eine Schüssel geben. Wein entkorken und genüsslich in die Schüssel giessen. Ab in den Kühlschrank und gelegentlich untereinander mischen.
Etwa fünf Stunden vor dem Servieren Schüssel aus dem Kühlschrank nehmen. Die Fleischstücke und das Gemüse aus dem Wein fischen und gut abtropfen lassen, eine Stunde bei Raumtemperatur liegen und etwas trocknen lassen.
Das Stück Speck breitseitig in Stücke von gut 5 mm schneiden (allenfalls erst die Schwarte wegschneiden). Einen guten gusseisernen Bräter heiss werden lassen und den Speck in wenig Öl anbraten und dabei Farbe annehmen lassen. Speck entfernen und in mehreren Durchgängen die Fleischstücke auf allen Seiten anbraten. Dann dasselbe mit dem Gemüse wiederholen, einige Minuten scharf anbraten.
Das Mehl übers angebratene Gemüse im Bräter geben, alles gut umrühren, Fleisch zurück in den Bräter, dann den Wein mit den darin verbliebenen Gewürzen dazugiessen. Aufkochen lassen und dabei allfällige Krustenreste vom Bräterboden kratzen, gut mit der künftigen Sauce verrühren.
Deckel drauf und bei geringer bis mittlerer Hitze zweieinhalb bis drei Stunden auf dem Herd braisieren. Alternative: bei 160 °C im Ofen. Das Fleisch sollte am Ende weder zäh sein noch auseinanderfallen. Man sollte die Stücke mit der Gabel zerteilen können. (Manche Kuh hatte wohl etwas mehr Stress und braucht länger als andere.)
Nun das Fleisch und das Gemüse aus dem Bräter fischen. Das Gemüse darf uns hier verlassen. Flüssigkeit durch ein Sieb giessen, Bräter rudimentär reinigen, dann die Flüssigkeit zurückgeben und eine gute halbe Stunde bei offenem Deckel einkochen, bis die Sauce etwas dicker geworden ist. Fleisch und Speck dazugeben, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Auf kleiner Flamme warm halten.
Die Zwiebelchen für eine Minute in kochendes Wasser werfen, herausfischen und vorsichtig schälen. Die Hälfte der Butter mit dem Zucker in eine kleine Pfanne geben, die geschälten Zwiebelchen hinein- und so viel Wasser dazugeben, dass sie knapp bedeckt sind. Rund 20 Minuten unter gelegentlichem Rühren kochen, bis das Wasser verdampft ist.
Restliche Butter in eine Bratpfanne geben, Temperatur hochschalten. Derweil die Champignons in nicht allzu dünne Scheiben schneiden, allenfalls in mehreren Durchgängen anbraten.
Zum Schluss die Zwiebelchen und den Speck zum Rest in den Bräter geben, gehackten Peterli drüber und mit Maccheroni-Gratin servieren.
Der Maccheroni-Gratin
Zutaten: 250 g Maccheroni (hierzulande im Regal oft als «Älplermagronen» getarnt), 0,4 l Milch, 35 g Butter, 30 g Mehl, ca. 10 Reiber Muskatnuss, Salz, Pfeffer, 250 g Crème fraîche, ca. 150 g geriebener Parmesan
Die Maccheroni nicht mehr als die Hälfte der angegebenen Zeit, also 3–4 Minuten, in Salzwasser kochen. Sie sollen noch mehr als al dente sein.
In einer kleinen Pfanne die Butter zerlassen, mit dem Schwingbesen das Mehl einrühren. Kurz weiterrühren, dann die Milch zugeben und bei mittlerer Hitze unentwegt rühren, bis eine Béchamelsauce entstanden ist. Muskatnuss, Salz und Pfeffer beigeben.
Die Pfanne vom Herd nehmen, die Crème fraîche daruntermischen und mit den Teigwaren vermengen. Verkosten und allenfalls nachwürzen.
Den Inhalt der Schüssel in einer gut gebutterten Gratinform verteilen und unter dem Parmesan begraben, dann bei 200 Grad ins Rohr schieben, so für 40 Minuten oder bis das Ergebnis nicht mehr zerfliesst, sondern mit dem Messer in kompakte Rechtecke geschnitten werden kann.
Das Rind diktiert den Wein
Was immer Sie fürs Bœuf verwendet haben: Bleiben Sie dort, und legen Sie einen Zwanziger oder Fünfziger drauf. Sprich, trinken Sie einen vernünftigen Burgunder oder einen Vetter aus anderen Pinot-noir-Landen, wenn ein Burgunder in die Sauce gewandert ist. Oder kaufen Sie den teuersten Beaujolais, den Sie finden, wenns ein Beaujolais war. Keine Sorge, die teuersten Tropfen aus dieser Gegend im Süden des Burgunds kosten kaum je mehr als 30 Franken. Falls ein Côte du Rhône Ihr Kochwein war, lassen Sie sich in der Weinhandlung einen nicht allzu dichten Châteauneuf-du-Pape oder einen seiner günstigeren Cousins Rasteau oder Gigondas aufschwatzen.