Liebe Leserinnen und Leser
Auf einem Telegram-Kanal zum Thema Corona erreicht die Republik-Journalisten Daniel Ryser und Olivier Würgler die Videonachricht eines Hals-, Nasen- und Ohrenarztes aus Sinsheim bei Stuttgart.
Er heisst Bodo Schiffmann und hat sich unterdessen in der Bewegung Querdenken einen Namen gemacht. Und er hat ziemlich, nun ja, ausgefallene Ansichten zu Sars-CoV-2.
«Kinder sterben! Verdammte Scheisse. Und ich bin kein Verschwörungstheoretiker, und ich bin kein Covidiot. Kinder sterben! Weil sie Masken tragen gegen eine Erkrankung, die es nicht gibt», sagt Herr Schiffmann im Video und berichtet von einem Kind, das nach dem Tragen einer Maske gestorben sein soll. Fordert man von ihm Belege dafür, reagiert er erbost. Das ist irgendwie verständlich: Denn diese Belege gibt es nicht. Die bayerische Polizei hat wegen des Videos sogar ermittelt und noch am selben Tag mitgeteilt, dass nirgendwo ein Kind gestorben sei, weil es eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen habe.
Dass Kinder politisch instrumentalisiert werden, ist nichts Neues. Wer kennt den Ausruf «Denkt denn niemand an die Kinder!» im Zusammenhang mit emotional aufgeladenen Grundsatzdiskussionen nicht? So auch jetzt – im Zuge von Corona und allerlei Theorien dazu. Innerhalb von Familien entstehen teilweise massive Gräben. Etwas, was auch Susanne Schaaf von der Fachstelle für Sektenfragen Infosekta feststellt: Mittlerweile sei das Thema Covid-19 auch bei ihnen angekommen. «Im Frühling, als der Lockdown verordnet wurde, hat sich die Thematik noch nicht in den Beratungen abgebildet», sagt sie. «Mit einer Verzögerung von vier bis fünf Monaten wurde es dann aber sichtbar, und wir haben zunehmend mit Verschwörungsglauben in Verbindung mit der Corona-Pandemie zu tun.»
Es geht bei Verschwörungstheorien nicht nur um die gesellschaftliche Ebene. Sie beeinflussen auch Privatleben, Familie, Partnerschaft:
Was tun, wenn man plötzlich die eigene Partnerin nicht mehr versteht?
Was tun, wenn bezüglich Kindern diametral andere Vorstellungen vorherrschen, was gesund ist?
Für Psychologin und Sektenexpertin Schaaf ist klar, dass der familiäre Kontext ein anderes Vorgehen braucht als der öffentliche Diskurs, in dem sie eine klare Positionierung gegen falsche oder menschenverachtende Aussagen fordert.
Bei privaten Beziehungen geht es darum, den Betroffenen emotional zu erreichen und Eskalation zu vermeiden.
Wie?
Ein überlegtes Vorgehen wählen und Ruhe hineinbringen: Es geht darum, sich aufrichtig für das Gegenüber in seiner Lebenssituation zu interessieren, damit nicht gleich ein Streit entbrennt oder sich der andere ausklinkt.
Vorsichtiges Nachfragen statt Konfrontation: «Wie kommst du darauf, dass alles eine Verschwörung ist? Wie hat sich dein Leben dadurch verändert? Wenn ich deine Unterlagen lese, bist du auch bereit, ein Dokument von mir anzuschauen?»
Je früher geredet wird, desto besser. Denn, sagt Schaaf: «Je länger sich Menschen in bestimmten Lebenssituationen unwidersprochen in dieser Welt bewegen, desto stärker identifizieren sie sich mit dieser Haltung, desto stärker wird die Abhängigkeit, desto stärker verengt sich die Sichtweise auf die Welt.»
Mehr dazu lesen Sie im Beitrag meiner Kollegen Ryser und Würgler.
Und nun:
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
Die ersten Schweizer Zahlen zu den Nebenwirkungen der Impfung sind ermutigend. Fast 170’000 Menschen haben unterdessen mindestens die erste Dosis erhalten. In 16 Fällen wurden der Swissmedic schwerwiegende Reaktionen gemeldet. 5 Menschen starben nach der Impfung, alle über 83 Jahre alt. Aktuell sieht die Swissmedic in keinem der Fälle die Impfung als Todesursache, wie sie in einer Mitteilung schreibt.
Der Bund will künftig auch für präventive Tests bezahlen. Wer sich ohne Symptome vorsichtshalber testen lässt, muss das in der Schweiz bisher selber bezahlen. Der Bund will nun in gewissen Fällen die Kosten dafür übernehmen – nämlich da, wo die Gefahr gross ist, dass Infizierte ohne Symptome besonders gefährdete Menschen anstecken. Das Paradebeispiel sind Altersheime. Heute hat der Bund die Verordnungsänderung online gestellt – und nun sollen die Kantone ansagen, wen sie wo präventiv testen wollen.
Länder verlängern die Wartezeiten zwischen Impfungen. Offiziell empfehlen die Pharmafirmen Pfizer und Moderna, die zweite Dosis ihrer Vakzine 3 respektive 4 Wochen nach der ersten zu verabreichen. Das sind die Abstände, die in den klinischen Studien erforscht wurden. Grossbritannien ist aber inzwischen auf bis zu 12 Wochen hochgegangen – und nun hat auch die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC die Abstände auf 6 Wochen erhöht. Widerspruch kommt aus Israel. Die erste Dosis alleine schütze wohl weniger als erhofft, sagte der Coronavirus-Verantwortliche am Dienstag. Die Empfehlungen der Schweizer Behörden sehen maximal 6 Wochen Abstand vor.
Die Sommerolympiade in Tokio steht auf der Kippe. Gemäss einem Medienbericht der britischen «Times» plant die japanische Regierung, die Spiele abzusagen. Sie sind bereits um ein Jahr verschoben worden, auf Juli 2021. Am Freitag dementierte ein Kabinettsmitglied. Aber der Druck wächst: In Umfragen sind unterdessen etwa 80 Prozent der japanischen Bevölkerung dafür, die Spiele zu verschieben oder ganz abzusagen.
Pharmafirmen behalten ihr Wissen für sich. Im Mai 2020 lancierte die Weltgesundheitsorganisation ein Programm, um Firmen zum Teilen von Rezepten, Methoden und Daten zu ermutigen. So können andere Hersteller Ausrüstung, Medikamente oder Impfstoffe herstellen, ohne sich vor Patentklagen zu fürchten. Wie viele Unternehmen haben bis jetzt zum Wohl der Allgemeinheit auf ihr geistiges Eigentum verzichtet? Exakt null – wie der «Guardian» schreibt.
Und zum Schluss: Der Lagebericht zur Woche
Vor einer Woche haben wir an dieser Stelle geschrieben, dass die Zahlen grundsätzlich in eine gute Richtung zeigten. Denn: Sie waren leicht rückläufig. Das bleibt weiterhin so. Es wird also immer wahrscheinlicher, dass die befürchtete Explosion nach den Feiertagen ausgeblieben ist. Dennoch sollte man beim Zahlensurfen die Vorsicht walten lassen. Wir haben gelernt, dass sich die Dinge rasch ändern können.
Unterdessen zeigt sich auch deutlich, dass die Einschränkungen vor Weihnachten (unter anderem die Restaurantschliessungen) genützt haben. Das deutet darauf hin, dass die weiteren Massnahmen, die der Bundesrat letzte Woche beschlossen hat (unter anderem Homeoffice-Pflicht und Ladenschliessungen), in die richtige Richtung gehen.
Wir fahren aber wohl noch länger nicht auf Sicht. Denn: Die Zahl der Neuansteckungen sinkt zwar leicht. Ebenfalls diejenige der neuen Hospitalisationen, wobei auch der Bund bestätigt, dass es hier zu Meldelücken und -verzögerungen kommt. Die Anzahl Menschen, die jeden Tag an Covid-19 sterben, bleibt auf ähnlichem Niveau wie vergangene Woche.
Was zu beachten ist: Die Zahlen, die wir zur Verfügung haben, treffen mit rund einer Woche Verzögerung ein. Wir schauen also immer etwas zurück, wenn wir verstehen wollen, was vor uns liegt.
Anlass zur Hoffnung gibt es mit den Impfungen, die im Januar in der Schweiz angelaufen sind. Eigentlich hätten wir Ihnen hier heute einen ersten Überblick über diese Zahlen geben wollen. Wir müssen uns mit dem groben Richtwert von schweizweit rund 170’000 (mit der ersten Dosis) geimpften Personen begnügen. Denn noch harzt es mit der verfügbaren Datenlage. Einzelne Kantone anhand ihrer verimpften Anzahl Dosen zu vergleichen, ergibt derzeit keinen Sinn – hier spielen verschiedene Faktoren mit hinein: Wie gross ist der Kanton, wie viele Heime gibt es, was ist der Anteil an älteren Menschen und Risikopatientinnen? Was wir sehen: Manche Kantone sind wohl schneller als andere – und wenig überraschend sind das in der Tendenz die kleineren Kantone. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) arbeitet derzeit gemäss eigenen Angaben daran, die Datenlage übersichtlicher aufzubereiten. Sobald wir zuverlässig damit arbeiten können, nehmen wir sie selbstverständlich auch hier für Sie zum wöchentlichen Stand der Dinge mit rein.
Es ist 19 Uhr – und Wochenende. Wir wünschen Ihnen ein schönes.
Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.
Oliver Fuchs, Marguerite Meyer und Daniel Ryser
PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.
PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.
PPPS: Entschuldigen Sie, mögen Sie Jazz? Was klingt wie ein altmodischer Anmachspruch, ist eine ernst gemeinte Frage. Denn zwar liebt die eine Co-Autorin dieses Newsletters Internetphänomene aller Art (wie die sea shanties oder die Bernie-Memes), aber eben auch Jazz. Der Zürcher Club Moods kontert den Januarblues und stellt regelmässig Livestreams von Konzerten umsonst zur Verfügung. Mögen Sie Jazz? Vielleicht treffen wir uns ja morgen Abend bei guter Musik.