Geschmacksache – Folge 14

Das eigentliche Ziel der Schlesischen Kriege: Mohnkuchen-Schnittchen.

Geschmacksache

Ein Kuchen zum Heulen

Die Schweiz liegt leider ausserhalb des Mohngürtels, der sich durchs östliche Mitteleuropa zieht. Seit jeher kommt der beste Mohnkuchen aus Schlesien, dort heisst er auch Beerdigungs­kuchen. Warum eigentlich? «Geschmacksache», Folge 14.

Von Michael Rüegg (Text) und Carmen Palma (Bild), 19.01.2021

Ich stelle mir manchmal vor, wie Friedrich der Grosse, damals noch klein, an jenem 6. November 1730 in der Festung Küstrin aus dem Fenster seiner Zelle sah. Draussen stand sein jugendlicher Liebhaber, Hans Hermann von Katte, und wartete auf seine Enthauptung. Während der Verlesung des Todes­urteils fiel Friedrich in Ohnmacht, der Exekution wohnte er daher nicht mehr bei.

Dass von Katte überhaupt getötet wurde, verdankte er einzig und allein Friedrichs Vater, der auf dem preussischen Thron sass. Der König hatte die vom Gericht verhängte lebenslange Haft eigenhändig in ein Todes­urteil umgewandelt, um dem undisziplinierten Sohn eine Lektion zu erteilen. Dieser hatte sich erdreistet, mit seinem Geliebten aus dem Land zu fliehen, zumindest hatte er den Versuch gewagt. Weit kamen die beiden allerdings nicht. Und nun bezahlte Hans Hermann seine Unter­stützung mit dem Tod.

Von einer glücklichen Kindheit kann man im Falle Friedrichs definitiv nicht sprechen. Hätte ich als Teenager zuschauen müssen, wie man meinen Geliebten exekutiert, ich hätte wohl zehn Jahre später auch Schlesien überfallen. (Man wuchs am preussischen Hofe ja nicht unbedingt zum Pazifisten heran.) Genau dies tat Friedrich der Grosse, also Schlesien überfallen. Und es ist anzunehmen, dass er es hauptsächlich des dortigen Mohn­kuchens wegen tat. Der ist nämlich wirklich sehr gut.

Maria Theresia von Österreich sah diesen Schritt gar nicht gerne. Sie wollte den Mohn­kuchen für sich, zusammen mit der damals in jener Gegend sehr fortschrittlich ausgebauten Industrie. Ja, Schlesien soll zu dieser Zeit anderen Regionen Europas stark überlegen gewesen sein. Die machten also nicht nur vernünftige Backwaren, die konnten auch das mit der Wirtschaft. Doch die Österreicherin musste letztlich klein beigeben, der grösste Teil der Gegend ging nach dem Gezänke an Preussen. Welche Auswirkungen dieser Umstand auf die Beliebtheit von Mohnkuchen in deutschen Landen hatte, ist nicht bekannt. Zweifellos ist die Süss­speise bei unseren nördlichen Nachbarn noch immer verbreiteter als in der Schweiz.

Vorsicht: Mohn kann Karrieren killen

Ich hatte immer eine Schwäche für Mohn. Mein bisheriges Highlight war ein tschechisches Mohn­joghurt. Ich erhielt es zum Dank, weil ich ein paar Tage die gigantische irische Wolfshündin der Exfreundin meines früheren Mathematik­lehrers bei mir aufnahm, während deren Besitzerin mit ihrem Neuen in Prag weilte. Das Tier hatte diverse ausgeprägte Macken und diktierte während einer Woche minutiös meinen Tages­ablauf. Ausserdem sass es gerne auf meinem (einzigen) Sofa.

Mein tschechischer Schwieger­vater spricht vom sogenannten «Mohngürtel», der sich durchs östliche Mittel­europa zieht. Zu den Ländern des Mohngürtels gehören wohl Österreich (das zum Beispiel «Wuzinudeln» oder Germknödel mit Mohn kennt), Ungarn, die Slowakei, Tschechien sowie kleine Teile Polens und Deutschlands – die ebenfalls für Mohn­kuchen bekannte Oberlausitz gehört noch heute grösstenteils zu Sachsen.

Das Problem mit Mohn ist, dass man die Finger davon lassen sollte, wenn am nächsten Tag ein Drogentest ansteht. Schon der Konsum geringer Mengen zeigt im Urin nämlich Morphin und Codein an. Das musste vor ein paar Jahren der junge Teilnehmer eines Drogen­entzugs in einem deutschen Therapie­zentrum erfahren, als einer der Routine­tests überraschend positiv herauskam. Nach einer Weile war der Übeltäter ausgemacht: der Mohnkuchen in der Besucher­cafeteria des Zentrums, den er mit seiner Mutter zusammen gegessen hatte.

Den hier beschriebenen Kuchen verdanken wir unserer Freundin Marlies, die Wurzeln in Schlesien oder irgendwo dort hat. Jedenfalls kam dieser Kuchen nach dem Zweiten Weltkrieg auf familiärem Weg in die Schweiz. Er heisst auch Beerdigungs­kuchen, vielleicht, weil der Mohn so schön schwarz ist. Und weil man problemlos grosse Mengen davon backen kann. Beerdigungen ziehen ja traditionell viel hungriges Volk an. In anderen Teilen Deutschlands nennt man Mohn­kuchen wenig überraschend auch Hochzeits­kuchen. Hochzeiten und Beerdigungen richten sich im Wesentlichen an dieselbe Klientel.

Ich gebe zu, ich habe ihn nicht selber gebacken, sondern stand diesmal Pate. Backen ist weniger meins. Das Rezept, so wie es sich hier darstellt, leicht abgewandelt vom Original, stammt von unserem Hausfreund Gian Carlo, der derzeit auf Wohnungs­suche ist (falls Sie gerade von einer freien Wohnung wüssten). Bis er auszieht, kocht und backt er fleissig, was an sich ganz angenehm ist. Vielleicht fühlt sich Gian Carlo derzeit etwas wie die schlesischen Vorfahren von Marlies, die nach dem Krieg aus ihrer Heimat fliehen mussten und ausser Rezepten nicht viel im Gepäck hatten.

Eine Anmerkung zum Mohn: In den meisten Rezepten wird nach gemahlenem Mohn verlangt. Das ist hierzulande wohl eine Prozedur, nach der man gesondert verlangen muss. Ich persönlich mag das Gefühl, den Mohn mit meinen eigenen Zähnen zu mahlen. Ähnlich sehen das auch diverse Rezept­autorinnen, es wird also nicht überall auf vorgängigem Mahlen bestanden.

Schlesischer Mohnkuchen mit Streuseln

Zutaten für den Teig: 200 ml Milch, 1 Hefe­würfel, 500 g Mehl, 2 Eier, 100 g Zucker, 100 g Butter

Für die Mohnmasse: 500 g Mohn (ganz oder gemahlen), 250 g Butter, ca. 250 g Zucker, 2 EL Griess, 2–3 EL Honig, 100 g oder etwas mehr gehackte Mandeln, eine Handvoll oder überhaupt keine Rosinen, 2 Eier

Für die Streusel: 60 g Zucker, 1 Päckli Vanille­zucker, 200 g Mehl, 0,5 TL Zimt, 125 g Butter

  • Die Milch für den Teig leicht erwärmen, den Hefewürfel darin auflösen.

  • Das halbe Kilo Mehl, die beiden Eier, den Zucker und die im Pfännchen flüssig gemachte Butter zusammen mit der Milch zu einem Teig verarbeiten. An einem warmen Ort zugedeckt eine Stunde aufgehen lassen.

  • Derweil die Mohnmasse vorbereiten: den gemahlenen oder nicht gemahlenen Mohn, die flüssig gemachte Butter, den Zucker (mit etwas weniger anfangen, später abschmecken), Griess, Honig, Mandeln, die verwendeten oder weggelassenen Rosinen im Wasserbad kochend unter Rühren eins werden lassen.

  • Die heisse Masse etwas auskühlen lassen, dann beide Eier einrühren.

  • Ein Backblech mit hohen Rändern gut einbuttern. Hefeteig auswallen und aufs Blech geben, danach Mohnmasse hübsch drauf verteilen.

  • Für die Streusel die Butter verflüssigen und in einer Schüssel mit den restlichen Zutaten kneten, dann über die Mohnmasse verteilen.

  • Im auf 200 bis 220 Grad vorgeheizten Ofen bei Ober- und Unterhitze 20 bis 30 Minuten backen.

  • Der Kuchen macht sich gut, wenn man ihn vor dem Servieren in rechteckige Stücke schneidet und diese drapiert, zum Beispiel auf einer Etagere.

Der Getränketipp

Am besten gehen hier Kaffee und Tee. Idealerweise Schwarztee. In jüngster Zeit habe ich an ruhigen Nachmittagen gerne einen Blend namens «Fortmason» von meinem Lieblings­lieferanten Fortnum & Mason getrunken. Er ist mit Orangen­blüten aromatisiert. Nach einem Spaziergang in der garstigen Kälte empfehle ich russischen Tee, der ist leicht geräuchert. Ist das Wetter besonders hässlich, kann man zu ostfriesischem Tee greifen, einem starken Assam (die Ostfriesinnen kennen sich mit Tee aus). Ein wunderbarer Ort, um derlei Ware einzukaufen, ist übrigens das Kaufhaus des Westens in Berlin, kurz KaDeWe. Sollten Sie also Gelegenheit haben, dieses Jahr mal wieder in Friedrichs Heimat zu reisen, lohnt sich ein Besuch.

Geschmacksache

Folge 3

Risotto aus dem Früch­te­korb

Folge 4

Au­ber­gi­nen­pa­sta

Folge 5

Nek­ta­ri­nen­sa­lat

Folge 6

Cannelloni

Folge 7

Macadamia Nut Pie

Folge 8

Hack

Folge 9

Ki­cher­erb­sen zum Apéritif

Folge 10

Mapo-Tofu

Folge 11

Kartoffeln mit bunten Saucen

Folge 12

Weih­nach­ten in Zeiten ku­li­na­ri­scher Monogamie

Folge 13

Mu­schel­pa­sta

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Boeuf Bour­gu­i­gnon

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Chipotle Suppe

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Orec­chiet­te mit Cima di Rapa und Salsiccia

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Grünes Curry

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Paneer mit einer Tomaten-Butter-Sauce

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Ge­mü­se­sup­pe «Ver­nis­sa­ge»

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Zucchetti-«Pesto»

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Mi­ni­ma­li­sti­sche Ki­cher­erb­sen­sup­pe