3-D-Ultraschallaufnahme eines Fötus zwei Tage nach der 24. Schwangerschaftswoche. Dr Charles/Phanie

Nicht dieses Kind

Die Möglichkeiten für vorgeburtliche Tests nehmen zu. Was bedeutet das für die Frau, das Paar, die Gesellschaft? Es ist Zeit für eine ehrliche Diskussion.

Ein Essay von Barbara Bleisch und Andrea Büchler, 18.01.2021

Der Schwangerschafts­abbruch ist immer wieder Spielball der Politik. Unter der Oberfläche dreht sich die Diskussion allerdings meist um den Schutz ungeborenen Lebens. Doch stets wird anderes mitverhandelt: Fragen der Sexual­moral, die Stellung von Frauen in der Gesellschaft oder eine allfällige staatliche Bevölkerungspolitik.

Grundsätzlich ist das Recht einer Frau, ihre Schwangerschaft abzubrechen, mittlerweile in vielen Rechts­ordnungen verbrieft – auch in der Schweiz. Es ist als Ausdruck der reproduktiven Autonomie auch menschen­rechtlich anerkannt.

Zu den Autorinnen

Barbara Bleisch und Andrea Büchler sind Autorinnen des Buchs «Kinder wollen – über Autonomie und Verantwortung». Die Philosophin Barbara Bleisch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ethik-Zentrum der Universität Zürich und moderiert seit 2010 die SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie». Andrea Büchler, Professorin an der Rechts­wissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, forscht zu Familien- und Medizin­recht. Zudem ist sie Präsidentin der Nationalen Ethik­kommission, äussert hier aber ihre persönliche Meinung.

Die Schweiz kennt seit 2002 die «Fristen­regelung»: Bis zur zwölften Woche ist ein Schwangerschafts­abbruch straflos, die Frau muss keine Gründe für ihren Entscheid nennen. Danach muss sie eine schwere Notlage geltend machen, die für ihre Ärztin nachvollziehbar ist. Ein Kompromiss, der sowohl dem Schutz ungeborenen Lebens wie auch der Selbst­bestimmung und der körperlichen Unversehrtheit der Frau Rechnung zu tragen versucht.

Doch auch in der Schweiz wird jüngst wieder vermehrt über den Schwangerschafts­abbruch diskutiert. Der Haupt­grund dafür sind medizinische Entwicklungen: vorgeburtliche Tests, die einfacher als früher auf Fehl­bildungen, Behinderungen oder schwere Krankheiten des Embryos hinweisen – und deren Ergebnis Frauen dazu veranlassen kann, eine Schwangerschaft abzubrechen.

Nicht weil sie und allfällige Partner oder Partnerinnen in diesem Moment kein Kind wollen. Sondern weil sie nicht dieses Kind wollen. In diesem Fall spricht man von einem selektiven Abbruch.

Eine gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit Pränatal­diagnostik tut not. Denn die Test­möglichkeiten werden weiter zunehmen. Was bedeutet das für die Betroffenen, was für die Gesellschaft als ganze? Es ist eine Diskussion, die aufrichtig geführt werden sollte – und die nicht dazu instrumentalisiert werden darf, die Recht­mässigkeit von Abbrüchen an sich infrage zu stellen.

Was heisst Lebensqualität?

Selektive Abbrüche sind nichts Neues. Doch erst mit den rasanten Entwicklungen in der pränatalen Diagnostik sind sie stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Seit einigen Jahren sind sogenannte nicht invasive pränatale Gentests erhältlich, bekannt unter der Abkürzung NIPT. Diese Tests ermöglichen die genetische Unter­suchung des Embryos mithilfe einer einfachen Blut­entnahme bei der schwangeren Frau. Ihre Verbreitung hat innerhalb weniger Jahre auch bei uns stark zugenommen.

Im Unterschied zu herkömmlichen invasiven Verfahren, bei denen mit einer Hohlnadel durch die Bauch­decke der Frau Frucht­wasser oder Plazenta­gewebe entnommen und untersucht wird (was in rund einem von hundert bis zweihundert Fällen zu einer Fehlgeburt führt), sind die NIPTs für Frau und Fötus ungefährlich. Zwar sollten Testresultate eines nicht invasiven Bluttests, die eine Auffälligkeit anzeigen, invasiv bestätigt werden. Aber die NIPTs haben mit einer rund 99-prozentigen Sicherheit für Chromosomen­störungen wie Trisomie 21 («Downsyndrom») eine sehr hohe Zuverlässigkeit – und sie liefern früher Ergebnisse als herkömmliche Verfahren.

Doch die NIPTs stehen auch in der Kritik: Zu einfach und routine­mässig würden sie angeboten, zu fahrlässig würde mit dem Umstand verfahren, dass sie zu selektiven Abbrüchen führten. Anders gefragt: Ist es nicht ein wesentlicher Unterschied, ob man abbricht, weil man kein Kind will – oder eben, weil man nicht dieses Kind will?

Zur Reportage: Die letzten Kinder mit Downsyndrom

Die Pränataldiagnostik verändert die Entscheidung darüber, wer zur Welt kommen darf und wer nicht. Die Reportage aus Dänemark.

Ein bestimmtes Kind nicht zu wollen, klingt wie ein Verdikt: Wir wollen ein Kind, dieses Kind aber wollen wir nicht. Die Motive von Frauen oder Paaren, die einen selektiven Abbruch erwägen, gleichen allerdings in den meisten Fällen nicht einem Verdikt, sondern einer vielschichtigen Gemenge­lage aus Sehnsüchten, Ängsten und Hoffnungen. Mitschwingen wird auch die Frage, ob dieses bestimmte Kind mit der Krankheit oder Behinderung, die ein Test voraussagt, ein gutes Leben haben wird – oder ob es allzu sehr leiden und nur sehr kurz am Leben sein wird.

Wäre es in einem solchen Fall allenfalls besser oder menschlicher, ein solches Kind nicht ins Leben zu zwingen, sondern ihm dieses Leid zu ersparen?

Urteile über Lebens­qualität bedürfen allerdings äusserster Zurück­haltung. Zwar würden wohl die meisten zugestehen, dass sie ein mehr oder weniger schmerz­freies Leben von normaler Dauer einem Leben vorzögen, das bereits nach zwanzig Jahren endet oder von grossen Schmerzen begleitet ist. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass letztere Existenz­weisen für Betroffene nicht gute Existenzen sein können. Wie Lebens­qualität zu definieren ist und ob objektive Kriterien Bestand haben, darüber wird in der Philosophie seit der Antike kontrovers diskutiert.

Ausserdem gehen die Einschätzungen über Lebens­qualität und Lebenssinn mit Blick auf eine Krankheit oder Behinderung zwischen Nicht­betroffenen und Betroffenen oft stark auseinander. Und selbst wer an der Idee objektiver Kriterien für ein gutes Leben festhalten wollte, müsste zugestehen, dass viele Leben mit Behinderungen diese Kriterien auch objektiv durchaus erfüllen.

Was heisst Behinderung?

Bei den Trisomien 13 und 18, die mit einer Lebens­dauer von lediglich Tagen bis maximal Monaten einhergehen, dürfte dies zwar kaum der Fall sein. Aber ein Leben mit Trisomie 21 kann eindeutig lebenswert sein. Menschen mit «Downsyndrom» sind ausgesprochen glücks­begabte Menschen, und dank medizinischer Therapien sind sie auch körperlich meist wenig eingeschränkt. Ausserdem können sich genetisch diagnostizierte Krankheiten unterschiedlich auswirken und ganz verschiedene Verläufe zeigen. Eine genetische Diagnose gibt also nur eine vage Auskunft darüber, wie es einem werdenden Kind in seinem Leben tatsächlich ergehen wird.

Wie wir eine Behinderung oder Krankheit erleben, ist überdies immer auch davon abhängig, wie die Gesellschaft eingerichtet ist. Ob jede Beeinträchtigung so interpretiert werden kann und muss, dass erst die gesellschaftliche Reaktion auf sie eine Einschränkung zum Problem macht – Menschen also nicht behindert sind, sondern behindert werden –, ist eine komplizierte Frage.

Gegen eine medizinische Kategorisierung von «Behinderung», die sich an psychischen und physischen Einschränkungen festmacht, wird eingewendet, eine gehbehinderte Person könne zwar möglicher­weise keine Treppen steigen. Dies werde jedoch nur zur Behinderung für sie, wenn an der Treppe kein Lift angebracht sei. «Krankheit» und «Gesundheit» sind genauso wenig wie «Behinderung» wertungs­freie Begriffe. Die Frage, wie es uns ergeht, ist immer auch abhängig davon, ob wir, so wie wir sind, Anerkennung finden und uns aufgehoben und willkommen fühlen.

In reproduktive Entscheidungen respektive in die Nachfrage nach genetischen Tests und selektiven Abbrüchen spielen also immer auch die sozialen Kontexte hinein. Das gilt auch für eine zweite Kategorie von Überlegungen, die schwangere Frauen und ihre Partner oder Partnerinnen zu einem selektiven Abbruch führen können: nämlich die Frage, ob sie sich zutrauen, die Verantwortung für ein schwer krankes oder behindertes Kind zu übernehmen.

Was ist mit der Belastung für Eltern?

Die Aussicht, als Eltern weit über die Volljährigkeit des Kindes hinaus stark engagiert zu sein und das Kind möglicher­weise nie in eine selbstständige Lebens­weise entlassen zu können, empfinden schwangere Frauen oder Paare zuweilen als überfordernd.

Auch diese Sorge hat eine gesellschaftliche Dimension: Paare befürchten vielleicht, mit einem behinderten Kind allein­gelassen oder gar für seine Geburt kritisiert zu werden. Zweifelsohne ist die Unter­stützung für betroffene Familien auch in der Schweiz nicht hinreichend, es gibt Verbesserungs­bedarf. Allerdings ändern selbst die besten Unterstützungs­massnahmen nichts daran, dass in der primären Verantwortung für ein Kind immer die Eltern selbst stehen.

Eltern, die sich um ein schwer­behindertes Kind kümmern, verdienen unbedingt hohe Achtung – was im Umkehr­schluss nicht heisst, dass Personen, die sich nicht zutrauen, sich mit ebensolcher Stärke auf die Situation mit einem schwer kranken oder behinderten Kind einzustellen, mit Verachtung zu strafen wären.

Schwangerschaft auf Probe?

Nun steht allerdings weniger der einzelne selektive Abbruch als die zunehmende Routinisierung pränataler Tests in der Kritik. Tatsächlich ist die vorgeburtliche Diagnostik mit Ultraschall-, Urin- und Blut­untersuchungen in den letzten Jahrzehnten zum festen Bestand­teil der Betreuung schwangerer Frauen avanciert. Zwar dient sie in erster Linie der Gesundheits­vorsorge für Frau und Kind. Bei einigen Erkrankungen oder Fehlbildungen des Kindes sind pränatale Therapien oder Behandlungen unmittelbar nach der Geburt möglich. Die Pränatal­diagnostik dient aber unbestritten auch der Früherkennung von Fehlbildungen oder Behinderungen, für die es keine Therapien gibt.

Die entsprechenden Tests sind deshalb alles andere als «harmlos», sondern können Frauen und Paare in tiefe Konflikte stürzen, denn «nur mal zu schauen», ob mit dem Kind «alles gut ist», kann weitreichende Fragen nach sich ziehen. Gerade der Respekt vor der reproduktiven Autonomie verlangt deshalb nach einer umfassenden Beratung vor jedem Test – ebenso wie nach dem Recht, auf pränatale Diagnostik zu verzichten.

Schwerer als die Sorge, Frauen könnten sich nicht mehr gegen pränatale Gendiagnostik entscheiden, dürfte aber die Befürchtung einer weiteren Zunahme der Tests wiegen. Denn das könnte der «Schwangerschaft auf Probe» Vorschub leisten: Routine­mässig würde umfassend getestet, um einen Abbruch zu verlangen, wenn der Fötus nicht gesund ist.

Abgesehen davon, dass ein Schwangerschafts­abbruch für viele Frauen belastend ist, fürchten manche auch, dass der Eindruck aufkommen könnte, dass möglichst viele Tests ein gesundes Kind garantieren. Das wäre eine irrige Botschaft: Selbst wenn die genetischen Tests immer umfassender und genauer werden, verhindern sie keine Komplikationen bei der Geburt oder spätere Erkrankungen. Auch darum ist es zwingend, über die Grenzen jeder Diagnostik umfassend zu informieren und darauf hinzuweisen, dass kein Test der Welt die Unwägbarkeiten der Elternschaft zu eliminieren vermag.

Fragen der Diskriminierung

Kritisiert wird aber nicht nur die Routinisierung, sondern auch der selektive Blick, der in ihr zum Ausdruck komme und der zuweilen als diskriminierend empfunden wird. Allerdings werden selektive Abbrüche nicht vorgenommen, weil Menschen mit Eigenschaften, auf die hin negativ selektioniert wird, abgelehnt oder abgewertet würden. Paare, die sich gegen ein Kind entscheiden, können Eltern sogar sehr bewundern, die sich hingebungs­voll um ihr Kind mit einer Behinderung kümmern – gerade weil sie sich selbst die Aufgabe nicht zutrauen.

Wenn Eltern mit ihrer Entscheidung also schwere Belastungen für ihr eigenes Kind oder sich selbst vermeiden möchten, drückt sich darin nicht zwingend ein Urteil über einen Lebens­wert aus.

Plausibler ist der Vorwurf der Diskriminierung an die Gesellschaft als ganze. Von einer institutionellen Diskriminierung ist für gewöhnlich allerdings erst dann die Rede, wenn ein Gemein­wesen eine ungerechtfertigte Ungleich­behandlung aktiv anordnet (ein Beispiel sind die Gesetze der Apartheid in Südafrika) und nicht bloss passiv zulässt. Bei Schwangerschafts­abbrüchen nach auffälligem Befund kann von einer staatlichen «Anordnung» bei uns nicht die Rede sein.

Nicht ganz zu Unrecht wird aber befürchtet, die selektive Praxis schaffe ein Klima, in dem das Verständnis für Menschen, die mit einer Beeinträchtigung leben, abnehme und deren Stigmatisierung zunehme. Immerhin: Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist in vielen westlichen Ländern heute besser denn je (was mitnichten bedeutet, dass sie bereits hinreichend gut ist). Im Gegensatz zu früher kümmern sich heute Chirurginnen, Physio­therapeuten und Logopädinnen um Kinder mit besonderen Bedürfnissen, und ihre Lebens­erwartung ist dank medizinischer Massnahmen massiv gestiegen.

Zwischen der pränatalen genetischen Diagnostik und einer Diskriminierung im Sinne der effektiven Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen gibt es gegenwärtig keinen offensichtlichen Kausalzusammenhang.

Jene, die mit Blick auf pränatale Gendiagnostik den Vorwurf der Diskriminierung erheben, stossen sich allerdings mehr daran, dass überhaupt auf bestimmte Eigenschaften getestet wird: Mit der entsprechenden Diagnostik sei die «Botschaft» verbunden, dass bestimmte Menschen unerwünscht seien, denn es würde gleichsam nach kranken oder behinderten Kindern im Mutterleib «gefahndet» – statt dass gerade kranke Kinder oder solche mit einer Behinderung jenen Anspruch auf Schutz und Unter­stützung bekämen, den sie bräuchten.

Diese Bedenken gilt es ernst zu nehmen. Ihnen begegnen können wir, indem wir nicht nachlassen in unseren Bemühungen, eine inklusive, gerechte Gesellschaft voranzutreiben. Ausserdem müssen wir immer wieder – und gerade in einer Welt der Normierungs­tendenzen – auf den Wert der Vielfalt pochen, wie er auch im Uno-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen von 2006 zum Ausdruck kommt.

Letztlich kommt eine Perspektive, die den Wert von Verschiedenartigkeit betont, uns allen entgegen: Indem sie Menschen mit einer Behinderung davon befreie, sich selber als defizitär zu verstehen, befreie sie die Gesellschaft als ganze von einer «falsch verstandenen Gesundheits­fixierung», betont etwa der ehemalige Sonder­bericht­erstatter des Uno-Menschen­rechts­rats Heiner Bielefeldt.

Wer darf was wissen?

Die Debatten rund um den Schwangerschafts­abbruch werden, gerade angesichts der zunehmenden diagnostischen Möglichkeiten, so bald nicht verstummen. Dass gewisse Fragen wahrscheinlich immer offenbleiben und uns schwierige Entscheidungen und Kompromisse abringen werden, ist aber kein Grund zur Resignation. Vielmehr kann dieser Umstand auch dazu anhalten, sich zu vergegenwärtigen, dass Menschen, die Kinder wollen, immer mit existenziellen Fragen konfrontiert sein werden, deren Tragweite selten vorweg­genommen werden kann.

Mit Blick auf die Fortsetzung oder den Abbruch einer Schwangerschaft sind es in erster Linie die Frauen, die eine solche Entscheidung treffen und in ihr Leben integrieren müssen. Soll der Kerngehalt ihrer reproduktiven Autonomie nicht verraten werden, müssen diese Fragen von jeder Frau frei und ohne Vorhaltungen entschieden werden können, unabhängig davon, ob sie kein Kind oder nicht dieses Kind will.

Selektive Abbrüche sind allerdings nur möglich, wenn überhaupt Informationen über den Fötus zugänglich gemacht werden, die eine Grundlage für die Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft bilden können.

Zwar ist der Testumfang heute noch überschaubar und zielt insbesondere auf die Feststellung der Trisomien 21 («Downsyndrom»), 13 und 18. Er kann aber auch auf Varianten der Geschlechter­chromosomen, auf das Geschlecht des Fötus und neu auf gewisse mono­genetische Erkrankungen wie zystische Fibrose hinweisen. Es ist unbestritten, dass sich der Test­umfang weiter ausdehnen wird. Bereits laufen Forschungs­arbeiten zur vollständigen Sequenzierung des Genoms von Föten.

Noch bestehen zwar rechtliche Grenzen hinsichtlich des Wissens, das Paare über den Fötus erlangen können. Die Regelungen variieren von Land zu Land. Das Schweizer Recht verbietet das Testen von Eigenschaften, welche die Gesundheit des Fötus nicht direkt beeinträchtigen. Das Geschlecht des Fötus darf den Eltern erst nach Ablauf der ersten drei Schwangerschafts­monate mitgeteilt werden. Doch ob sich dieses «Nichtwissen» in Zukunft verteidigen lässt, ist fraglich.

Darüber hinaus kommt es immer öfter zu Zufalls­befunden: Ein Embryo ist zwar möglicher­weise nicht von der eigentlich gesuchten Krankheit betroffen, weist aber eine andere Genmutation auf. So können genetische Daten Auskunft darüber geben, wie hoch das Risiko einer Person ist, im Lauf des Lebens an Darmkrebs zu erkranken oder im Alter an Demenz zu leiden.

Je weiter die genetische Diagnostik voranschreitet, umso mehr stellt sich die Frage, was Eltern mit dem «genetischen Horoskop» ihrer Kinder anfangen sollen – ganz zu schweigen von den komplexen Fragen rund um das Recht des Kindes auf Privatheit, das mit der Analyse und der Speicherung seiner Daten möglicher­weise verletzt wird. Zwar stellen sich entsprechende Fragen in der Praxis noch kaum, die Fortschritte der Genetik machen es aber nötig, dass wir uns frühzeitig darüber verständigen.

In der alten «Zäller Wiehnacht», die früher jedes Deutsch­schweizer Schulkind kannte, gibt es ein Lied mit dem Titel «Kei Muetter weiss»: «Kei Muetter weiss, was ihrem Chind wird gescheh, kei Muetter cha i d Zuekunft gseh.» Zwar können wir mehr und mehr in die Zukunft sehen, bevor ein Kind zur Welt kommt, und die Möglichkeiten nehmen laufend zu. Doch die Demut, die in der Liedzeile zum Ausdruck kommt, bleibt zentral für die Verantwortung der Elternschaft.

Kein Test garantiert uns glückliche, gesunde Kinder. Andererseits eröffnet die genetische Diagnostik Möglichkeiten für Therapien, die für ein Kind lebens­rettend sein können.

Das vermehrte Wissen ist also ambivalent. Allein das anzuerkennen und gesellschaftlich zu diskutieren, wäre ein Fortschritt.

Zur Debatte: Welche Erfahrungen haben Sie mit vorgeburtlichen Tests gemacht?

Haben Sie Bekannte, Angehörige, Freunde, die eine bestimmte Unter­suchung haben durchführen lassen? Oder standen Sie als werdende Eltern selber einmal vor der Entscheidung? Warum haben Sie sich dafür oder dagegen entschieden? Was hat das Testergebnis bei Ihnen ausgelöst? Vielleicht beschäftigen Sie sich als Ärztin, Forscher, Hebamme, Jurist beruflich mit Pränatal­diagnostik? Welche Heraus­forderungen stellen sich Ihnen dabei? Hier geht es zur Debatte.