Das Fest der Liebe in Zeiten kulinarischer Monogamie
Dann feiern wir dieses Jahr eben alleine! Das bedeutet noch lange nicht, dass wir uns beim Menü einschränken müssen. Dank Tauschgeschäft mit zwei anderen Kochteams steht am Schluss trotzdem ein mehrgängiges Festessen für zwei auf dem Tisch. «Geschmacksache», Folge 12.
Von Michael Rüegg (Text), Silvio Knezevic (Bild) und Sven Christ (Foodstyling), 17.12.2020
Prolog
Heiligabend. Nach neun Stunden Flug in der Plastikklasse waren wir etwas abgehalftert in New York City angekommen. Meine Reisebegleitung Betsy suchte im Chaos des Kennedy Airport ihren verschollenen Koffer. Meiner war nach einer guten halben Stunde in einer schäbigen Ecke aufgetaucht. Sie fand bloss einen, der genau gleich aussah. Das Etikett behauptete, dass das Gepäckstück dem bekannten Theaterregisseur Luc Bondy gehöre. Das nützte Betsy wenig, was sollte sie mit Luc Bondys Kleidern? Sie notierte sich die angegebene Adresse des Hotels und war froh, dass es noch Menschen gab, die ihr Gepäck mit den Kontaktdaten an ihrem Reisedomizil versahen.
Unser Gastgeber Walter war ein langjähriger Freund, der eine schöne Wohnung in Brooklyn besass, in einem Gebäude mit dem klingenden Namen «Vanderbilt Plaza». Er hatte uns vorgewarnt, dass er am Abend unserer Ankunft nicht zu Hause sein werde, weil er in einer Suppenküche schöpfe. Der Schlüssel lag beim so misstrauischen wie übellaunigen doorman.
Im Esszimmer wartete bereits ein Buffet auf uns – angekarrt von Walters Bekannter Rosie, die einen Cateringservice für Dinnerpartys führte. Auf dem Tisch standen Vorspeisen, Salate, ein grosser Braten und unzählige Beilagen, ausserdem diverse Desserts. Essen für etwa ein Dutzend Personen. Wir schlugen zu, doch der Berg an Speisen wollte nicht kleiner werden.
Wir fühlten uns wie vereinsamte Angehörige des englischen Hochadels. Ein grandioses Weihnachtsessen zu zweit, wenn auch viel zu viel. Walter ist auf eine etwas kitschige Art sehr grosszügig. Tags drauf packte er die Reste ein und fuhr damit in einen der vielen Obdachlosen-shelters der Stadt.
Wandel als Konstante
Ein anderes Mal, ein paar Jahre zuvor, war Walters betagte Mutter zu Weihnachten angereist. «What are we making for Christmas Eve?», soll sie gefragt haben. Walters Antwort war: «Reservations.»
Was lernen wir aus diesen beiden Beispielen?
Es spielt im Grunde keine Rolle, wo und wie wir an Weihnachten essen. Hauptsache, wir erfreuen uns an der Nahrungsaufnahme. Sei dies im grossen oder im kleinen Kreis. Es gibt Familien, die machen Raclette und legen Fleischstücke auf den heissen Stein, im neuen Jahr bringen sie dann ihre Kleider in die Reinigung.
Andere zelebrieren das obligate Fondue chinoise. In einer prominenten Zürcher Unternehmerfamilie soll es zu Weihnachten stets Poulet mit Whiskysauce gegeben haben, wie mir einer der Söhne berichtete. Bei uns daheim gab es Spaghetti, in Erinnerung an die jungen Jahre meiner Eltern, als sie mittellos in Lugano Spaghetti al burro assen, weil das Haushaltsgeld bereits Mitte Dezember ausgegangen war.
Ein junger Mensch kennt Weihnachten daheim, vielleicht die Version im kleinen Kreis und je eine im grösseren, bei den Grosseltern. Irgendwann landet man bei den ersten Schwiegereltern an der Tafel. Danach bei den nächsten Schwiegereltern. Mal daheim, mal im Ausland. Mal flieht man vielleicht wie Betsy und ich vor dem Trubel. Vor Jahren sass ich im strömenden Regen auf dem Balkon in Australien vor Portwein und Cheddar. Einmal begleitete ich einen befreundeten Musiker zu Auftritten ins Engadin, wo er Gäste unterhielt. Am 25. Dezember sass ich als einziger Mann ohne Smoking im Speisesaal eines ehrwürdigen Grandhotels und stocherte in einer konfierten Wachtel herum. Ein anderes Mal schaute ich daheim alleine Weihnachten im ersten Programm und ass ein Mikrowellenfondue.
Nun also Corona. Die einen machen vor Weihnachten präventiv Quarantäne, um trotzdem in der grossen Runde feiern zu können. Andere ziehen sich zurück. Wollen keine Familienfeste feiern, damit Tante, Onkel und Oma nicht auf die Intensivstation müssen. Wenn Sie zu Letzteren gehören, ist das nicht das Ende der Welt. Hat sich Weihnachten über die Jahre nicht immer wieder verändert, den Gegebenheiten angepasst?
Hat nicht gerade eben der Wandel Tradition?
Das grosse Dîner à deux
Darum empfiehlt die Republik dieses Jahr, die Kräfte zwar zu bündeln, aber die Distanzregeln rigoros einzuhalten. Wir zelebrieren das Weihnachtsmenü als potluck dinner. Der Begriff meint in der Regel ein gemeinschaftlich aufgetragenes Buffet, zu dem jeder und jede etwas beisteuert. Nach dem Besuch der Baptist church stellen alle ihre sweet potato pies und noodle salads auf den Tisch, und man haut rein.
In unserer Version teilen sich drei Paare, respektive Parteien, das Menü unter sich auf. Jede Partei bereitet einen Teil der Speisen zu. Alle Gänge lassen sich leicht vorbereiten und kühlstellen. Der Aufwand vor und zwischen den Gängen, der Service, das Erwärmen und Anrichten, hält sich in Grenzen. Das ermöglicht uns, zu zweit ein aufwändiges Menü zu geniessen, ohne selber den ganzen Tag in der Küche stehen zu müssen.
Dabei wollen wir ruhig etwas dick auftragen. Nach dem letztjährigen veganen Weihnachtsmenü heissen wir tierische Eiweisse wieder in unserem Kreis willkommen. Wir wollen etwas Fisch dabeihaben, ein schönes Stück Fleisch, ein Süppchen und ein derart süsses Dessert, dass alle Bitterkeit des Jahres 2020 im Zuckersirup ertrinke.
Als kalte Vorspeise schlagen wir einen hausgebeizten Lachs als Carpaccio vor, als warme Vorspeise ein Cremesüppchen vom Wurzelgemüse. Zum Hauptgang wird ein Filet Wellington mit sautiertem Grünzeug serviert, den krönenden Abschluss macht ein Moelleux au Chocolat mit Salzcaramelglace. Alle Anleitungen hier.
Einen Teil der Speisen können Sie (respektive müssen Sie sogar) am Tag zuvor zu- oder vorbereiten. Wichtig: Akquirieren Sie vorgängig gut verschliessbare Plastikschälchen und dergleichen in genügender Zahl. Sonst wird das nichts mit dem Verteilen. Am Tag des Festessens muss man bei den anderen mitkochenden Parteien vorbeigehen und die Sachen abliefern. Wie Sie das organisieren, ist Ihnen überlassen. Es empfiehlt sich, in der Nachbarschaft nach Kochparteien Ausschau zu halten.
Epilog
Übrigens riefen wir damals in New York am nächsten Morgen bei Luc Bondy im Hotel an. Am Apparat war seine Mutter, den Koffer hatte noch niemand angefasst. Wir baten die Dame, mal nachzusehen, ob da allenfalls der falsche Inhalt drin war. Ein paar Stunden später brachte ein Wagen Betsys Koffer vorbei. Happy End.
Zu den Zutaten und zur Zubereitung des Festmenüs
Hier finden Sie alles, was Sie für das Weihnachtsmenü brauchen – und eine detaillierte Anleitung zur Zubereitung: Viel Spass und gutes Gelingen!