Fertig mit Bomben-Renditen?
Sollen die Nationalbank und die Pensionskassen weiterhin mit Waffengeschäften Gewinne erzielen können? Oder schlägt die Schweiz ein neues Kapitel als Friedensnation auf? Worum es bei der Initiative zur Finanzierung von Kriegsmaterial wirklich geht.
Von Michael Rüegg, 18.11.2020
Es war ein kleiner Sieg, den die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) verbuchen konnte: Die Pensionskasse der Stadt Zürich teilte 2016 mit, dass sie künftig auf Investitionen in Herstellerfirmen von Atomwaffen verzichten werde. Zuvor trugen Nuklearsprengköpfe zur Rendite bei, mit deren Hilfe die Kasse Vermögen verzinste und Renten von Pensionierten finanzierte.
Die GSoA hatte zuvor in Zürich und weiteren Städten ähnlich lautende Vorstösse angekündigt. Sie hatten zum Ziel, die Finanzierung von Atomwaffenproduzenten zu unterbinden. Der Chef der städtischen Pensionskasse sagte damals gegenüber der «NZZ am Sonntag», man habe die Nachhaltigkeitsstrategie unabhängig davon aus eigener Überzeugung erweitert.
Ganz so überzeugt war der aus Vertretern von Arbeitnehmern und Arbeitgeberinnen bestehende Stiftungsrat allerdings nicht: Einige der Mitglieder sollen gegen den Atomwaffen-Bann im Portfolio gewesen sein. Sie fürchteten um die Renten, unterlagen jedoch in der Abstimmung. Auch im rot-grün dominierten Zürich war ein Ausstieg aus dem Geschäft mit Massenvernichtungswaffen keine Selbstverständlichkeit.
Die städtische Zürcher Pensionskasse, die mehr als 18,5 Milliarden Franken Vorsorgegelder verwaltet, gehört zu den zehn grössten Kassen der Schweiz –und den 300 grössten Vorsorgeeinrichtungen der Welt. Seit vier Jahren fliessen also aus der Stadt Zürich keine Millionen mehr via Anlagevehikel an Atomwaffenfabrikanten.
Was wäre, wenn gar kein Schweizer Geld mehr in die Waffenproduktion fliessen würde?
Darum geht es bei der Initiative
Ende November stimmt die Schweiz quasi über die Mutter der kommunalen GSoA-Engagements ab: die Initiative «Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten». Das Begehren, das die Armeeabschafferinnen zusammen mit den Jungen Grünen lanciert haben, nimmt im Vergleich zur Konzernverantwortungsinitiative sehr wenig medialen Raum ein. Im Kern sind die Abstimmungen jedoch verwandt: Beiden liegt eine weitgehend moralische Frage zugrunde, die mit wirtschaftlichen Argumenten bekämpft wird. Das mag erklären, weshalb beiden Initiativen in Umfragen Chancen eingeräumt werden – bedenkt man, dass Volksinitiativen meistens scheitern, sofern sie nicht auf Minderheiten herumhacken.
Die Initiative sieht vor, dass weder die Nationalbank noch in der Schweiz ansässige Stiftungen, die AHV oder andere Einrichtungen der beruflichen Vorsorge in Kriegsmaterialproduzenten investieren dürfen. Dadurch soll die weltweite Herstellung von Waffen gedrosselt werden, was nach Ansicht der Initiantinnen wiederum die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte verringern soll.
Als Kriegsmaterialproduzent gilt ein Unternehmen gemäss Initiative, wenn es mindestens fünf Prozent seines Umsatzes mit Waffen oder Teilen für Waffen erzielt – ausgenommen sind Sportgewehre und deren Munition sowie Geräte zur Minenräumung.
Solche Firmen, die als Kriegsmaterialproduzent gelten, gibt es einige. Auch der amerikanische Flugzeughersteller Boeing und sein europäisches Pendant Airbus gehören hierzu, der bundeseigene Rüstungskonzern Ruag selbstredend auch. Aus Sicht des Bundesrats ist es nicht klar, welche Firmen von einem solchen Verbot betroffen wären. Denn auch Zulieferbetriebe, etwa der Triebwerkhersteller Rolls-Royce, würden darunterfallen. Ausserdem sehen Bundesrat und Parlament eine Gefahr für Schweizer KMU, da auch viele kleinere hiesige Betriebe Teile für Waffen herstellen würden.
Bisher: Eine typische Schweizer Lösung
Nun ist es nicht so, dass die Schweiz die Finanzierung oder gar Herstellung von Massenvernichtungswaffen und geächteten Waffensystemen erlauben würde. Im Gegenteil. Der Bund schreibt im Abstimmungsbüchlein: «In der Schweiz ist die Herstellung von Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie von Personenminen und Streumunition verboten. Auch der Handel mit diesen international geächteten Waffen und die Finanzierung ihrer Produktion sind verboten.»
Wenn die Finanzierung verboten ist, wieso können denn Nationalbank und Vorsorgeeinrichtungen in Firmen investieren, die derlei produzieren?
Weil das Parlament dieses Verbot mit einer Hintertür ausgestattet hat. Banken, Pensionskassen sowie AHV und IV ist es bis dato erlaubt, in Aktienfonds oder andere Anlageprodukte zu investieren, die Anteile an Produzenten von Massenvernichtungswaffen halten. Damit profitieren Versicherte und Steuerzahlerinnen von den Gewinnmargen auf Kriegsmaterial, das die Schweiz offiziell ablehnt – eine Kompromisslösung ganz im Sinne der Rendite.
Der Bund im Einsatz für den Frieden?
Zu reden gibt auch ein Auftrag, der bei einer Annahme der Initiative aus der Verfassung an den Bund ginge: nämlich, dass sich die Regierung national und international für ein Verbot von Waffenfinanzierung einsetzen müsse. Bundesrat und Parlament antworten darauf, dass die Schweiz andere Länder nicht zu einem solchen Verbot zwingen könne.
Für die Initiantinnen ist jedoch ein solches Engagement die klare Fortsetzung der schweizerischen Politik der Friedensstiftung und der bereits praktizierten Regulierung des Waffenhandels. Kriege, so das Initiativkomitee, tobten in verschiedenen Regionen der Welt. Sie produzierten Tote und Vertriebene – von denen wiederum ein Teil als Flüchtlinge in Europa landet.
Der Einsatz gegen Waffen, eine unmögliche Aufgabe für die Regierung? Mitnichten. Den neuen Verfassungsauftrag könnte der Bund ohne Weiteres erfüllen, ohne dafür Zwang auf andere Staaten ausüben zu wollen. Etwa im Rahmen der multilateralen Diplomatie bei den Vereinten Nationen, wo es üblich ist es, dass Staaten, insbesondere kleinere Länder, einzelne Themen auf ihre Prioritätenliste setzen – mit dem Ziel, neue Übereinkünfte zu erzielen. Die Schweiz setzt regelmässig Themen, die sie in diesem Rahmen bearbeitet. Ausserdem strebt die Schweiz derzeit eine Kandidatur für den Uno-Sicherheitsrat an, also dasjenige Gremium, dem – zumindest gemäss Konstrukt – die Wahrung des Weltfriedens obliegt.
Am Ende geht es um Geld und Arbeitsplätze
Letztlich lässt sich die (kaum geführte) Diskussion auf die beiden Pole Geld und Moral herunterbrechen. Würde die Initiative bloss einen absoluten Ausstieg aus der Finanzierung von Massenvernichtungs- und geächteten Waffen fordern, so stünden ihre Gegnerinnen etwas dämlich da. Wer kann schon ernsthaft von der atomaren Aufrüstung profitieren wollen?
Doch da die Initiative auf Waffenproduktion ganz allgemein zielt, erreicht der Reigen potenziell betroffener Unternehmen eine gewisse Schmerzgrenze. Da kommen wieder die landauf, landab geliebten KMU aufs Tapet, die in der Schweiz eine Art kollektiven Welpenschutz geniessen – ganz egal, für wen sie was produzieren. Was kann die Franz Muster AG in Hinterpfupfigen schon dafür, dass ihre robusten Kettenelemente in Schützenpanzern verbaut werden? Wohlgemerkt, welche Unternehmen aufgrund der Fünf-Prozent-Regel wirklich betroffen wären, kann derzeit niemand genau sagen.
Dass ein Verzicht auf indirekte Investitionen bei Waffen produzierenden Firmen schwere Nachteile für institutionelle Anlegerinnen hätte, behaupten nur die wenigsten Stimmen. Selbst die NZZ, die dem Volksbegehren kritisch gegenübersteht, schreibt: «Das geforderte Verbot von Investitionen in Kriegsmaterialproduzenten brächte für Anleger Zusatzkosten, wäre aber technisch umsetzbar.» Zahlreiche Studien würden darauf hindeuten, dass bei einer Annahme der Initiative die Renditeaussichten nicht schmäler würden. Auch eine Datenrecherche der Republik zeigt, dass beispielsweise das Portfolio der Schweizerischen Nationalbank keinen Schaden nehmen würde, wenn Rüstungsaktien ausgeschlossen wären.
Und die Stadt Zürich, hat der Verzicht auf Investitionen in Atomsprengkörper ihre Pensionskasse an den Rand des Ruins gebracht? Nein, ihr letztmals kommunizierter Deckungsgrad liegt bei 116,9 Prozent, die Performance bei 11,2 Prozent. Von solchen Zahlen können andere Kassen nur träumen.
Es sieht gut aus für die Initiantinnen
In den Umfragen zeigt sich bislang ein Ja-Trend. Unumstritten ist die Initiative im linken Lager, doch selbst zwei Drittel der Grünliberalen geben an, ein Ja einlegen zu wollen. Bestätigt das Ergebnis am Abstimmungssonntag die Umfrageergebnisse, könnte die GSoA wohl einen der grössten Erfolge ihrer bisherigen Geschichte feiern. Ihre letzte Waffeninitiative «Für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten» war 2009 noch wuchtig abgelehnt worden.
Ob die Schweizer Abkehr von der Waffenfinanzierung dereinst tatsächlich einen Einfluss auf die weltweit geführten bewaffnete Konflikte haben wird, müssten hingegen kommende Generationen beurteilen.