Kleine Freuden mit Hack
Was tun, wenn das Leben von Katzen beherrscht wird? Man sucht das Glück in der Küche. Über das simple, hingebungsvolle Savoir-vivre auf dem Lande und die Erfüllung auf dem Teller. Geschmacksache, Folge 8.
Von Michael Rüegg (Text) und Silvio Knezevic (Bilder), 30.09.2020
«Das ist eigentlich mein Kissen.»
Die Stimme gehört meinem Reisegefährten. Im Halbschlaf versuche ich zu ertasten, ob ich versehentlich beim nächtlichen Kampf mit dem Laken meinen Kopf auf sein Daunenkissen verpflanzt habe. Nein, ist meins. Ein kurzer Blick bestätigt: Seinen Protest richtet er nicht gegen mich. Adressat ist der cremefarbene Kater, der zusammengerollt auf der disputierten Unterlage thront und verständnislos dreinblickt. Es ist derselbe Kater, den regelmässig der Hund besteigt – die beiden mögen sich.
Fährt man die autoroute du soleil einige Stunden Richtung Sonne, biegt man dann vor Avignon ab und rollt man ein gutes Stück über baumgesäumte Landstrassen und durch kleine Dörfer, landet man hinter einer kleinen Kirche womöglich im Hof jenes Hauses, in dem der cremefarbene Kater wohnt. Zusammen mit einem guten Dutzend weiterer Artgenossinnen, einem Esel, einem Pferd und dem gutmütigen, wenn auch gelegentlich etwas egozentrischen Hund. Die Tiere halten sich dort zwei Menschen, die sie umsorgen – Freunde von mir. Vor einigen Jahren liessen sie und er ihre Heimat Basel hinter sich und zogen in den Süden Frankreichs.
Sie heisst Franca und war die Kochkolumnistin der «Tageswoche», des Basler Mediums, dem leider vor einer Weile kein Rezept einfiel, um seinen Fortbestand zu sichern. Franca ist ein Traum von einer Gastgeberin. Das Haus wäre auch durchaus gross genug, um ein bezauberndes chambre d’hôtes zu führen. Doch verständlicherweise haben Franca und ihr Mann mit ihren Tieren und Freunden wie mir schon genug am Hals. Da will man nicht auch noch zahlenden Gästen hinterherputzen, nur um danach auf Tripadvisor zu lesen, dass die Unterkunft ein Stechmückenproblem habe und es im Garten nach Pferdemist rieche.
Das Grundstück der beiden ist so etwas wie eine Schweiz im Kleinen. Es gäbe zwischen den Viechern wohl genügend Anlass zum Zank, doch chez Franca ist neutraler Boden. Das scheinen die Katzen zu wissen, denn sie verhalten sich untereinander ungewohnt zivilisiert.
Man darf sich Franca keinesfalls als eine crazy cat lady vorstellen. Tatsächlich kann das Paar nicht viel dafür, dass es von Miezen belagert wird. Irgendwann kam die erste, und bald sprach sich herum, dass es sich dort um eine feine Adresse handle. Einige der Dorfkatzen siedelten hernach um und annektierten Francas Haus als neues Heim. Wer einigermassen etwas von Katzen versteht, weiss, dass in einem solchen Fall jedweder Widerstand zwecklos ist und man am besten kapituliert und dient. So wird hochschwangeren dahergelaufenen Katzen auch mal ein Gästezimmer als Maternité hergerichtet.
Einmal traf ein angeheuerter Handwerker seine entlaufene Katze wohlauf bei Franca wieder. «Ah, die gehört Ihnen? Wir haben sie gerade kastrieren lassen.» Den Handwerker störte das nicht. Zumal es günstiger ist, wenn jemand anders die eigene Katze füttert (und kastrieren lässt – oder heisst das sterilisieren?).
Zum Beispiel Tomaten einmachen
Von Franca kann man sehr viel darüber lernen, wie man einen Haushalt führt. Zum Beispiel habe ich von ihr übernommen, im Sommer eine Kiste reifer Tomaten zu kaufen und sie einzumachen. Das ist ganz leicht: Man reinigt grosse Einmachgläser im Geschirrspüler bei 65 °C. Derweil gibt man die paar Kilo Tomaten, eine nach der anderen, kurz in kochendes Wasser und zieht ihnen danach die Haut ab. Bütschgi rausschneiden, in Stücke hacken. Sind alle Tomaten gehäutet und gehackt, in einen Topf geben, aufkochen und eine Weile kochen lassen, ein wenig Salz dazu. Kochend heiss in die frisch sterilisierten (oder kastrierten?) Gläser geben. So hat man auch im tiefsten Winter beste Tomaten, ohne nach Dosenware greifen zu müssen. Stellen Sie sich vor, draussen pfeift ein eisiger Wind, Sie öffnen ein Glas und schnuppern an sonnengereiften Tomaten.
Bei meinem letzten Besuch bei Franca diesen Sommer bat ich sie, mit mir zusammen etwas Südfranzösisches zu kochen, das ich mit meinen Leserinnen und Lesern teilen könne. Ihre Wahl fiel auf petits farcis à la provençale. Das sind kleine gefüllte Gemüse, die Füllung besteht zu einem grossen Teil aus Hackfleisch.
Gemüse zu füllen, ist eine Praxis, die in vielen regionalen Küchen anzutreffen ist. In der Ukraine werden Weisskohlblätter gefüllt und daraus ausladende Klopse gemacht, die man auch im East Village in New York essen kann, und zwar auch noch spätabends, nach einer Theatervorstellung.
Was an den petits farcis im Gegensatz beispielsweise zu den gefüllten Peperoni in der Schulmensa überzeugt, ist ihre Vielfalt. Man darf nicht einfach nur ein Gemüse füllen, es müssen verschiedene sein. Und je nachdem, ob wir einen Pilz, eine Zwiebel oder einen Zucchetto vor uns haben, schmeckt das farci jedesmal etwas anders, bei gleicher Füllung. Das ist das Raffinierte daran.
Franca und ich waren uns im Vorfeld einig, dass die Dinger auf einem Tomatencoulis serviert werden sollen. Wie gut, dass noch ein paar Gläser mit eingemachten Tomaten in der Speisekammer herumstehen.
Das Rezept
Die Menge dürfte als Hauptspeise für 4 Personen reichen, zur Sicherheit können wir etwas roten Camargue-Reis oder weissen Reis dazu servieren.
Füllung: 4 Scheiben Baguette; 0,5 dl Milch, 3 Schalotten, 1 Bund Peterli, gehackt; 70 g geriebener Parmesan; 3 Knoblauchzehen, je 200 g Hackfleisch vom Rind und vom Kalb, 0,5 TL Thymian, etwas klein gehacktes Inneres der verwendeten Füllgemüse.
Zu füllendes Zeug: 2–3 runde Zucchetti, 2 grosse Tomaten, 2–3 grosse Champignons, 2 grosse Zwiebeln, 3 Zweige Rosmarin, 3 Zweige Thymian, 4 angedrückte, ungeschälte Knoblauchzehen (denkbar sind auch Auberginen oder Patissons).
Coulis: Geschälte, gehackte Tomaten oder eine Dose Pizzatomaten, Knoblauch; Olivenöl; Salz und Pfeffer; je nach Geschmack etwas gemahlenes piment d’espelette oder Cayennepfeffer.
Allfällige schlafende Katzen von der Arbeitsfläche entfernen und Fläche reinigen. Vorgang so oft wiederholen, bis die Arbeitsfläche frei von schlafenden Katzen ist.
Brot in der Milch einlegen, ausdrücken und klein hacken.
Fein gehackte Schalotten, Peterli, Parmesan, Knoblauch und Fleisch dazugeben. Würzen und kühl stellen.
Die Gemüse aushöhlen (respektive bei den Champignons den Stiel entfernen). Das Herausgepulte sehr klein hacken und einen Teil davon, circa ein Drittel bis die Hälfte, entweder roh oder angedünstet (so verliert es etwas Flüssigkeit) zur Füllung geben.
Die ausgehöhlten Gemüse mit der Hackmischung füllen. In eine ofenfeste Form legen, etwas Olivenöl über alles drübergeben, Rosmarin, Thymian und angedrückte Knoblauchzehen dazugeben und in den auf 190 Grad aufgeheizten Ofen geben – bei Umluft auf 180 reduzieren. Die Garzeit beträgt etwa 50 bis 60 Minuten.
In einer Pfanne grob gehackten Knoblauch in Olivenöl andünsten. Tomaten dazu, mit Salz und Pfeffer würzen und einige Minuten köcheln lassen. Vor dem Servieren pürieren und ein Paar Tropfen gutes Olivenöl unterrühren.
Auf den Tellern die Coulis anrichten und die petits farcis darauflegen.
À la vôtre!
Die petits farcis zwingen die Essenden, eine Wahl zu treffen. Es hat nicht von jeder Sorte genug für alle. Natürlich kann man sich gegenseitig im Teller herumstochern, doch letztlich muss ich mich beispielsweise entweder für die Zwiebel und gegen die Tomate oder die Zucchetti entscheiden. Das widerspricht dem ungeschriebenen Essgesetz, dass in der Regel alle von allem etwas abbekommen. Damit bei Tisch kein Streit darüber ausbricht, wer was kriegt, sollte man bereits vor dem Essen einen süffigen Wein von guter Qualität servieren, das beruhigt die Nerven.
Bleiben wir dazu im Süden Frankreichs: Die heftigen Rotweine aus Châteauneuf-du-Pape und umliegenden Appellationen sparen wir uns für den Lammbraten auf. Hier ist etwas Leichtfüssigeres gefragt. Denkbar wäre der Griff nach einem Rotwein aus Pic Saint Loup, wo sehr hübsche Tropfen das Licht der Welt erblicken. Wir tranken zu den farcis einen Basiswein eines sehr guten Produzenten aus der Appellation La Clape bei Béziers. Eine Grenache mit Syrah und einem Anteil krautigem Mourvèdre, im Stahltank ausgebaut, also ohne üppige Holznoten. An warmen Tagen empfiehlt sich auch ein Rosé, der etwas mehr Fleisch am Knochen hat als die üblichen Apéroweine. Einige der besten Rosés wachsen in Bandol, es gibt aber auch andernorts Produzentinnen, die Klasse statt Masse anstreben.