Auf die Nuss!
Zum Ende der Bikinisaison genehmigen wir uns ein echt fettes Dessert. Das Kalorien-Bombardement delegieren wir dabei an eine Zutat, die schon Karrieren zerstört hat. Geschmacksache, Folge 7.
Von Michael Rüegg (Text) und Silvio Knezevic (Bilder), 11.09.2020
Es war der 5. Dezember 2014. In der First Class des Korean-Air-Fluges 86 vom Kennedy Airport New York nach Seoul verteilte die Crew wie üblich vor dem Start Beutel mit gesalzenen Macadamianüssen.
Passagierin Cho Hyan-ah, Vizepräsidentin der Airline und Tochter des obersten Chefs, gefiel das gar nicht. Sie war der Meinung, die edlen Nüsse sollten in ein Schälchen abgefüllt und auf diese Weise serviert werden. Cho bestellte den Maître de Cabine zu sich an den Sitz und verlangte, er solle vor ihr niederknien und sich in aller Form für den Fauxpas entschuldigen. Dabei schlug sie ihm mit ihrem Tablett auf die Finger und beorderte ihn Kraft ihrer Stellung aus dem Flugzeug. Daraufhin musste der Flieger von der Startpiste zurück zum Gate, was eine Verspätung von 20 Minuten zur Folge hatte. Der Vorfall landete als «Nutgate» in den Medien, und Cho war danach ihren Job los.
Was ist das für eine Nuss, die derlei zustande bringt?
Von Australien in die Welt
Meine erste Begegnung mit der Macadamianuss war in den Neunzigern, als ich in den USA bei einer Gastfamilie wohnte. Ein Besucher brachte aus Hawaii eine Schachtel mit Nüssen mit, die mit Schokolade überzogen waren. Die Schoggi vermochte meinen Schweizer Gaumen nicht zu überzeugen, aber war sie erst mal weggeknabbert, entzückte die darunterliegende Nuss umso mehr.
Hawaii gehört heute zu den grössten Produzenten, zusammen mit Australien, von wo die teure Nuss ursprünglich stammt. Sie ist die Frucht eines immergrünen Verwandten der südafrikanischen Nationalblume Protea.
Macadamias weisen den höchsten Fettgehalt aller Nüsse auf. Deshalb sind sie die ideale Kost nach der Sommersaison, wenn wir unseren Körpern wieder etwas längere Leine geben. Glaubt man den zahlreichen Quellen offline und online, sind die Fette der Nüsse allerdings gute Fette, im Gegensatz zu bösen Fetten. So soll der Verzehr der an Vitaminen und Spurenelementen reichen Macadamias den Cholesterinspiegel senken. Diesen Effekt können wir im unten stehenden Rezept durch Beigabe von reichlich Butter kompensieren, sodass wir beim Verzehr ein durch und durch schlechtes Gewissen haben können.
Auf das Rezept stiess ich dank einer gewissen Victoria McEwen. Sie ist eine stilbewusste Dame im australischen Badeort Byron Bay, der nach dem Grossvater des Dichters Lord George Byron benannt ist. Dieser, also der Lord, ist einer meiner Lieblingspoeten. Ich habe ihn immer etwas angehimmelt, seines skandalösen Lebenswandels wegen. Er schlief mit allem, was seinen Weg kreuzte, brachte es zustande, mit Anfang zwanzig bereits an Syphilis und Gonorrhö zu erkranken, und übernahm kurz vor seinem frühen Tod (mit 36) das Kommando über die griechischen Streitkräfte im Kampf gegen die Osmanen.
In Byron Bay an der Ostküste, südlich von Brisbane, war ich vor vielen Jahren während einer Australienreise und fand die Gegend entzückend. Leider traf ich damals nicht auf Pfuri Baldenweg, den Schweizer Mundharmonikaspieler, der in den Siebzigern mit «Pfuri, Gorps und Kniri» die hiesige Musikszene aufmischte. Der soll nämlich nach Byron Bay ausgewandert sein. Das kann ich ihm nicht verübeln, der Ort ist ziemlich hinreissend.
Das Phantom von Ewingsdale
Die erwähnte Victoria führt auf einem Landgut ein wunderschönes Bed and Breakfast, in dem wir für zwei Nächte ein Zimmer bezogen. Es liegt in Ewingsdale, etwas entfernt vom Surferstrand. Leider war die Lady des Hauses nie da. Als wir nach ihr fragten, hiess es: «Victoria ist vor einer halben Stunde zu ihren Pferden gefahren», «Victoria kommt erst spätabends zurück», «Jetzt haben Sie Victoria gerade verpasst». Allerdings war Victoria immer so nett, uns einen frischen Kuchen zu backen, bevor sie davonschwirrte. Kuchen konnte sie. Mit der Zeit wuchs in uns der Verdacht, dass Victoria eine Kunstfigur ist, wie Betty Bossi. Eine glamouröse imaginäre Gastgeberin.
Jedenfalls fand ich in einem Buchladen ein Werk mit Rezepten aus Byron Bay, herausgegeben von jener ominösen Victoria. Darin ein Macadamia Nut Pie, eine Art tropische Variante der Engadiner Nusstorte. Ich kann Kuchenbacken an sich nicht ausstehen, aber manchmal mache ich eine Ausnahme. Vor vielen Jahren also buk ich diesen pie. In meiner Erinnerung waren Macadamianüsse damals noch teurer als heute. Ich rechnete aus, dass im Café ein Stück meiner Torte wohl etwa 20 Franken kosten würde, damit das mit der Marge aufgeht.
Lord Byron hätte von dieser Torte vermutlich nicht gekostet. Während er von seinem Vater den Hang zu einem verfrühten Ableben erbte, gab ihm die Mutter ihren schlechten Stoffwechsel weiter. Der kleine George war als Teenager übergewichtig und hernach zeitlebens auf irgendeiner Diät. Nehmen Sie sich bitte kein Beispiel an ihm.
Keine Panik vor weit gereisten Nüssen, bitte
Eine günstige Torte wird das auch diesmal nicht. Ausserdem sehe ich vor meinem geistigen Auge bereits wieder die Kommentare empörter Leserinnen, die die Verwendung von Nüssen aus den Tropen geisseln, schliesslich haben wir hierzulande wunderbare Buchennüsschen, aus denen man irgendwas fummeln kann.
Doch bevor nun die Schnappatmung einsetzt: Man kann Macadamias als Bio-Fair-Trade und via Genossenschaft direkt vom Bauern irgendwo in Kenia ordern, zu etwa 40 Franken das Kilo. Macht 20 Franken für einen Kuchen, wie er unten steht. Der Rest der Nüsse lässt sich rösten und mit etwas Curry oder Paprika und Fleur de Sel zum Apéro servieren (ergibt 5 Apéros). Falls Sie Madame Cho Hyan-ah zu Ihren Gästen zählen, stellen Sie bitte sicher, dass Sie die Nüsse standesgemäss servieren, damit sie Ihnen nicht auf die Finger haut.
Wer aus tierethischen Überlegungen keine Butter verwenden will, kann sich mit Pflanzenfetten versuchen. Viel Spass beim Mürbteig, in dem Fall.
Das Rezept: Macadamia Nut Pie nach Victoria McEwen
Zutaten für den Mürbteig: 320 g Weissmehl, 90 g Puderzucker, 175 g kalte Butter, in kleine Würfel geschnitten, 1 Ei.
Zutaten für die Füllung: 340 g Zucker, 1 EL Limettensaft, 1,5 dl Rahm, 1 Esslöffel Honig, 500 g ungesalzene Macadamianüsse.
Für den Teig das Mehl, den Puderzucker und die Butter mit möglichst kalten Händen in einer Schüssel zerbröseln.
Das Ei dazugeben und weiterbröseln, zu einem Teig zusammendrücken und dabei möglichst wenig kneten.
Eine Springform von 25 cm buttern. Den Teig auswallen, einigermassen gut geht das zwischen zwei Blättern Backtrennpapier. (Falls Sie wie ich eine Minderbegabung im Umgang mit Mürbteig besitzen: Form auf den ausgerollten Teig legen, mit dem Messer rund ausschneiden, Hand unter das Backtrennpapier legen und so in die Form stürzen. Dann mit dem restlichen Teig eine Wand von 3 bis 4 cm Höhe bauen und mit den Fingern alles zurechtdrücken. Form in den Kühlschrank stellen.)
In einer Pfanne den Zucker mit dem Limettensaft bei mittlerer bis hoher Hitze langsam schmelzen, mit einem Holzlöffel rühren.
In einer zweiten Pfanne Rahm und Honig erhitzen, aber nicht kochen.
Wenn der Zucker flüssig und gülden ist, Pfanne wegstellen und unter Rühren den heissen Rahm dazugeben. Dabei darauf achten, dass kristallisierte Brocken sich gut in der Flüssigkeit auflösen. Vorsicht beim Rühren, die Spritzer sind sehr heiss (wie ich selber erfahren durfte).
Nun kommen die Macadamias hinein, gut untereinander mischen. Die Springform mit dem Teig aus dem Kühlschrank nehmen und die Nuss-Caramel-Mischung gut darin verteilen.
In den auf 180 Grad vorgeheizten Ofen schieben, mittig unten, damit die Nüsse nicht zu dunkel werden. Nach 30 Minuten sollte die Torte fertig sein.
Nach dem Auskühlen und vor dem Servieren einige Zeit in den Kühlschrank stellen.
Die pie ergibt etwa 8 Stücke. Wer wie Lord Byron seine eigene Schamlosigkeit zelebriert, serviert die Stücke mit einem Klecks Doppelrahm.
Ein Tässchen oder ein Gläschen?
Nun, ich würde als Begleitung Tee empfehlen, etwa «Lady Grey» von Fortnum & Mason. Er besitzt eine leichte Agrumennote und trinkt sich hervorragend an Nachmittagen. Wenn Sie stets ein Getränk aus dem Herkunftsgebiet der Hauptzutat einnehmen möchten, würde sich ein australischer Rooibos-Tee anbieten. Soll es trotzdem Wein sein, was ja im Grunde nie falsch ist, würde ich einen Süsswein dazu sehen, etwa einen ungarischen Tokaji mit 6 Puttonyos. Oder einen mindestens dreissigjährigen Colheita-Port. Wobei ein solcher mit seinen vielschichtigen Toffee- und Nussnoten dem pie schon arg Konkurrenz machen wird. Falls Sie gerade keinen Colheita-Port an Lager haben: Ein guter, mindestens 10-jähriger Malvasia aus Madeira dürfte hier auch nicht fehl am Platz sein.